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Als Friedrich August von Hayek 1974 der Ökonomienobelpreis verliehen wurde, schrieb der jüngste Preisträger Richard Thaler gerade seine Doktorarbeit über Verhaltensökonomie, die ihn später so populär machen sollte. Die Idee, dass der Mensch eine nutzenmaximierende Maschine sei, war lange die vorherrschende Denkrichtung in der Volkswirtschaftslehre. Thalers Verdienst, dieses falsche Bild des Einzelnen zu zerstören, hat die Schwedische Akademie der Wissenschaften jetzt gewürdigt.

Doch Vertreter der Verhaltensökonomie werden nicht zum ersten Mal mit diesem Preis gewürdigt. Vor 15 Jahren bekam Daniel Kahnemann bereits den Preis für seine Forschung auf diesem Gebiet. Schon Kahnemann widersprach vehement dem neoklassischen Paradigma eines „homo oeconomicus“, der alle Entscheidungen rational und ökonomisch trifft. Selbst Hayek hatte dies in seinen Arbeiten herausgearbeitet. Es gehört zur DNA der Ökonomen der Österreichischen Schule, deren wohl bekanntester Vertreter Hayek ist. Die Österreicher haben dem Konzept des „homo oeconomicus“ schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts widersprochen. Sie gehen davon aus, dass Wissen und Informationen immer subjektiv und verstreut sind und einem ständigen Wechsel unterliegen. Daher gibt es für Entscheider, seien es Konsumenten oder Unternehmer, nicht eine feste Wahrheit, sondern viele Möglichkeiten, da keiner umfassendes Wissen haben kann.

Daher kann auch niemand, keine Regierung und kein Parlament, vorhersagen, was die Zukunft bringt. Und da kollidiert Hayek mit Thaler fundamental. Thaler nutzte seine Erkenntnisse der irrationalen Entscheidungen des Einzelnen dazu, ein völlig neues Politikkonzept den Regierungen anzubieten, das er Nudging nennt. Dabei geht es darum, dass Bürger zu richtigem Verhalten angestupst (to nudge) werden. Nicht mehr Gesetze oder Verordnungen regeln die Grenzen des Zusammenlebens, sondern Methoden aus der Psychologie sollen Bürger zu richtigem Verhalten bringen. Dieses Anstupsen ist zur Mode moderner Regierungsführung geworden. Thaler beriet bereits Barack Obama in diesen Fragen. Der ehemalige britische Premierminister David Cameron richtete ein „Behavioural Insights Team” in der Downing Street 10 ein. Und auch Angela Merkel hat eine Gruppe im Kanzleramt, die sich um das sanfte Anstupsen der Bürger kümmert. Das Ziel ist, unterhalb der Gesetzgebung durch psychologische Maßnahmen das Verhalten der Bürger zu ändern.

Aus der Erkenntnis der Verhaltenspsychologie heraus, dass Menschen nicht immer das tun, was sie tun WOLLEN, werden also neue politische Konzepte gestrickt. Jetzt geht es nicht mehr darum, dass Bürger nicht das tun, was sie tun WOLLEN, sondern, dass sie nicht tun, was sie tun SOLLEN. Das mag harmlos klingen – wer hat schon etwas dagegen, wenn Autofahrer auf Autobahnen vor zu dichtem Auffahren durch Unfallbilder auf Hinweistafeln gewarnt werden. Doch welche Methoden und welche Maßnahmen eine Regierung ergreift, entzieht sich dabei in der Regel der Kontrolle des Souveräns. Welche Ziele die Regierung damit verfolgt, erst recht.

Hayek hat in seiner Dankesrede bei der Nobelpreisverleihung in Stockholm vor der Anmaßung von Wissen gewarnt. Er hat gerade seiner eigenen Zunft vorgeworfen, viel Elend mit ihren Empfehlungen an die Politik angerichtet zu haben. „In dem Glauben, dass Ökonomen die Kenntnis und die Macht besitzen, die Vorgänge in der Gesellschaft ganz nach unserem Gutdünken zu gestalten, eine Kenntnis, die wir in Wirklichkeit nicht besitzen, werden wir nur Schaden anrichten“, so Hayek. Doch nicht nur die Ökonomen haben dieses Wissen nicht, sondern auch Parlamente, Regierungen und Beamte haben dieses Wissen nicht. Niemand hat dieses allumfassende Wissen.

Deshalb ist Nudging als weicher Paternalismus nichts Harmloses, sondern ein Angriff auf die Autonomie des Menschen als Bürger, als Konsument und generell als Individuum. Prometheus – Das Freiheitsinstitut hat dazu im vergangenen Jahr eine Studie durch den deutschen Nudging-Experten Professor Jan Schnellenbach erstellen lassen, die als Fazit hat, dass das Konzept des Nudging, anders als von den Befürwortern behauptet, sehr wohl die Autonomie des Einzelnen einschränken kann, da Maßnahmen auch zur gezielten Manipulation genutzt werden können. Wer schützt die Bürger in einem Rechtsstaat davor, dass eine Regierung mit Methoden des Nudging an Parlament und Gerichten vorbei, Grundrechte einschränkt, wenn die Maßnahmen gar nicht im Detail bekannt sind? Man kann nur sagen: wehret den Anfängen.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

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Vom wilden Kurdistan bis an die Sonnenstrände Kataloniens steht Sezession derzeit einmal wieder hoch im Kurs. Die Gratwanderung zwischen Unabhängigkeitsstreben und Neo-Nationalismus ist dabei gefährlich. Freunde der Freiheit müssen darauf Antworten finden.

Nicht „die oder wir“, sondern „Zwang oder Freiheit“

Wäre das schottische Referendum vor drei Jahren positiv ausgegangen, hätte Schottland sicherlich einen deutlichen Links-Schwenk vorgenommen (was jetzt freilich das gesamte Land unter May und Corbyn ohnehin tut). Die Befürworter des katalonischen Referendums befinden sich in einem Dauerkonflikt mit Verfassung und Rechtsstaat und kooperieren mit Linksextremen. Und die Bevölkerungsminderheiten in den kurdischen Gebieten des Irak fürchten sich davor, in einem kurdischen Staat marginalisiert, unterdrückt und vertrieben zu werden. Durch die Sezession entstünden also keineswegs lauter paradiesische Zustände. Die erste Erkenntnis, die man mitnehmen sollte, lautet: Das Streben nach Unabhängigkeit von einer größeren Einheit geht durchaus nicht immer einher mit einem umfassenden Freiheitsdrang. Selten fallen die Vertreter der Unabhängigkeitsbewegungen auf durch das Versprechen, die individuelle und ökonomische Freiheit zu stärken. Viel gewichtiger ist in der Regel das Argument, dann mehr Geld zur Verfügung zu haben, um es mit den eigenen Leuten zu teilen.

Nun soll hier wahrlich nicht eine Lanze für Länderfinanzausgleiche und Solidarzahlungen gebrochen werden. Tatsächlich könnte man wohl mancherlei Absetzbewegungen eindämmen, wenn man nicht innerhalb von Staaten und Staatenverbünden die große Umverteilungsmaschine in Gang setzen würde. Es sollte aber klar sein, dass Sezessionen an sich noch nicht unbedingt etwas Gutes sein müssen, sondern häufig auch von Nationalisten und Sozialisten für ihre Zwecke instrumentalisiert werden. Der Ökonom Ludwig von Mises, der den Zerfall des mitteleuropäischen Vielvölkerstaates in nationalistische und autoritäre kleinere Staaten miterlebt hatte, warnte 1927 unmissverständlich: „Es handelt sich nicht um das Selbstbestimmungsrecht einer national geschlossenen Einheit, sondern es handelt sich darum, dass die Bewohner eines jeden Gebietes darüber zu entscheiden haben, welchem Staatsverband sie angehören wollen.“ Mit anderen Worten: Nicht die angebliche gemeinsame Volkszugehörigkeit von Kurden oder Katalanen sollte das entscheidende Argument für die Trennung sein, sondern die Abwehr von Übergriffen und Willkür einer Zentralregierung. Für den Liberalen ist die Frage, auf die es ankommt, nicht „die oder wir“, sondern „Zwang oder Freiheit“.

Kooperation statt Abschottung

Wenn das Ergebnis einer Sezession das Entstehen eines mächtigen und ausgabenfreudigen kleineren Staates ist, der darüber hinaus wegen seiner geringeren Größe noch mehr Kontroll- und Zugriffsmöglichkeiten auf die Bürger hat, war die politische Entscheidung kein Gewinn für die Sache der Freiheit, sondern ein Rückschlag. Gleichwohl bleibt natürlich die kleine Einheit für den Freund der Freiheit in vielerlei Hinsicht eine ganz entscheidende Referenzgröße. Die Kleinstaaterei ist für ihn nicht unbedingt ein Schimpfwort, sondern eher ein positives Ziel – allerdings nur dann, wenn die Betonung nicht auf Staat liegt, sondern auf klein. Kleinstaaterei kann eben auch Abschottung bedeuten. Das widerspricht aber dem liberalen Verständnis von zwischenmenschlicher Ordnung. Denn, wie Mises formuliert, „als letztes Ideal schwebt immer der Gedanke einer vollständigen Kooperation der ganzen Menschheit vor … Das Denken des Liberalen hat immer das Ganze der Menschheit im Auge, … es endet nicht an den Grenzen des Dorfes, der Landschaft, des Staates und des Erdteils. Es ist ein kosmopolitisches … Denken, das alle Menschen und die ganze Erde umspannt.“

Die Kleinstaaterei der Neo-Nationalisten, die sich von anderen abschotten wollen, ist davon nicht gedeckt. Wohl aber die Kleinstaaterei der Freunde der Freiheit, die die kleinen Einheiten bevorzugen, weil sie flexibler sind und besser auf konkrete Fragen reagieren können; weil sie sich im Wettbewerb mit anderen bewähren müssen und daran wachsen können; weil sie mitunter besser kontrolliert werden können und Verantwortlichkeiten klarer zuzuordnen sind. Es gibt Modelle der kleinen Einheiten, die zukunftsweisend sind – von den baltischen Staaten bis zu den Private Cities, die hier auf unserem Blog schon häufiger von Titus Gebel vorgestellt wurden. Dies sind Modelle, die Liberale aus vollem Herzen unterstützen können. Einfach unbedacht jeder Sezessionsbewegung zuzujubeln, kann jedoch dazu führen, dass man Feinde der freien und offenen Gesellschaft unterstützt.

Es kommt nicht auf die Größe an, sondern auf die Technik

Die Gefühle und Wünsche der Menschen in Katalonien und Kurdistan, im Kosovo und vielleicht auch auf der Krim sind natürlich oft bestimmt von einem echten Streben nach Selbständigkeit, und nicht nur vom Streben nach einer Vorzugsrolle bei der großen Umverteilung oder von dumpfem Neo-Nationalismus. Gerade die Drohungen Erdogans gegenüber den irakischen Kurden und die Gewaltexzesse der spanischen Polizei in Katalonien lassen Verständnis aufkommen für das Bedürfnis, jetzt erst recht auf eigene Füße zu kommen. Sowohl die EU als auch Institutionen, die das Völkerrecht schreiben und sprechen, sind dringend aufgerufen, für solche Situationen zufriedenstellende Lösungen zu finden. Schwelende Dauerkonflikte können Länder auf Dauer in ihrer Gesamtheit zerrütten. Für den Irak etwa wäre ein freundschaftlicher Nachbar Kurdistan wahrscheinlich auf Dauer besser als ein Unruheherd im eigenen Land. Und gerade innerhalb der EU, wo Grenzen ohnehin marginalisiert sind, dürften die Beziehungen zwischen Katalonien und Spanien kaum große Unterschiede zum status quo aufweisen – außer, dass weniger Gelder vom einen ins andere fließen.

Und die Liberalen allenthalben sind aufgerufen, für sich selbst ein konsistentes und gut vermittelbares Konzept von gelingender Kleinstaaterei zu formulieren. Sonst werden sie sich, wenn sie dieses Anliegen formulieren, viel zu oft in der unangenehmen Gesellschaft von Sozialisten und Nationalisten wiederfinden. Es gibt spannende Denkansätze wie etwa den Polyzentrismus, zu dem junge Wissenschaftler wie Julian F. Müller und David Thunder forschen. Hier richtet sich dann auch der Fokus weg vom Staat – wer wüsste schließlich besser als Liberale, dass er bei weitem nicht die einzige Organisationsform für uns Menschen sein muss? Das oberste Ziel muss stets die individuelle Freiheit sein und im Zusammenhang damit möglichst große Freiheitsräume für Gruppen von Menschen, die untereinander kooperieren. Wenn Sezession das Mittel der Wahl ist, um dieses Ziel zu erreichen, dann kann man die Bestrebung durchaus unterstützen. Aber letztlich zählt, dass es nicht auf die Größe ankommt, sondern auf die Technik. Und deshalb sind kleine zentralistische Staaten oft nicht die bessere Lösung im Vergleich mit größeren, aber insgesamt freiheitlicheren.

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Am Sonntag wird der 19. Bundestag gewählt. Zeit, sich einmal wieder mit der Frage zu beschäftigen, was die Aufgabe des Parlaments in einer Demokratie sein sollte. Denn es herrschen da mancherlei Missverständnisse.

Wir wählen nicht die Regierung, sondern deren Kontrolleure

Wenn die Bürger jetzt an die Urnen treten, wird nicht der Bundeskanzler oder irgendein anderer Spitzenkandidat gewählt. Es wird auch nicht die Regierung gewählt – genauso wenig wie eine Koalition oder auch nur eine Partei (auch wenn bedauerlicherweise der Wahl-O-Mat etwas anderes suggeriert). Gewählt werden Abgeordnete: zum einen Teil als Repräsentanten der Wahlkreise und zum anderen Teil als Kandidaten, die von den Parteien für die Landeslisten aufgestellt wurden. Der Wahlkampf der Parteien lässt bisweilen einen etwas anderen Eindruck entstehen. Das ist freilich ein tief in der Geschichte der Bundesrepublik verwurzeltes Phänomen. Die meisten Wahlen in den ersten Jahren des neugegründeten Staates waren Adenauer-Wahlen. 1972 propagierte die SPD „Willy wählen“. Selbst die Grünen haben sich irgendwann dazu durchgerungen, Spitzenkandidaten zu benennen. All das hat dazu geführt, dass sich in der Bevölkerung ebenso wie in der politischen Klasse eine gravierende Veränderung im Verständnis der Aufgaben des Parlaments ergeben hat. Die Leute, die sich etwa in der Glorious Revolution oder während der kurzen deutschen Revolution von 1848 für die Rechte des Parlaments eingesetzt hatten, drehen sich im Grabe herum.

Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten durchaus gute Gründe dafür, an diese ehrwürdige Tradition anzuknüpfen. Schon der Erste Weltkrieg hatte mit einem unrühmlichen Kriegsermächtigungsgesetz begonnen, in dem viele Kompetenzen vom Reichstag auf die Regierung übertragen worden waren. Und erst recht saß vielen von ihnen die Erinnerung an den Beginn der NS-Diktatur im Nacken, die mit der Selbstentmachtung des Reichstags am 24. März 1933 ihren unheilvollen Anfang genommen hatte. Das Parlament sollte nicht wieder zum Jubelverein der Regierung werden. Seine Aufgabe sollte vielmehr sein, wie es schon 1659 die englischen Abgeordneten formulierten, „die Freiheit der Bürger gegen die Willkür der Regierung zu schützen“.

Gewissensentscheidungen sollten nicht die Ausnahme sein

Wenn wir unser Kreuzchen auf dem Wahlzettel machen, dann wählen wir, zumindest technisch gesehen, nicht eine Partei, sondern Frau Müller oder Herrn Meyer. Es ist gut möglich, dass Frau Müller auch antritt mit dem Versprechen, ihrerseits dann eine bestimmte Person zum Kanzler zu wählen. Aber sowohl in der Tradition des Parlamentarismus als auch im Wortlaut unseres Grundgesetzes ist klar: Aufgabe der Abgeordneten ist es nicht, die Wünsche eines Parteiführers zu erfüllen oder einer Regierung zu Diensten zu sein. Sie sind auch nicht Befehlsempfänger ihrer Wähler. Ihre vornehmste und wichtigste, ja unverzichtbare, Aufgabe ist die Kontrolle der Regierung. Sie müssen dem Finanzminister auf die Finger schauen, wenn er das Scheckbuch zückt; der Innenministerin, wenn sie die Überwachung ausdehnt; und dem Verkehrsminister, wenn unter seiner Verantwortung Geld im Nirwana verschwindet.

Hierzulande – wie in vielen anderen Demokratien auch – ist der Abgeordnete oft viel zu sehr eingeschränkt. Wie aberwitzig, dass es als besondere Ausnahme, fast als huldvoller Gunsterweis, dargestellt wird, wenn die Abstimmung einmal „freigegeben“ wird. Nicht der Fraktionszwang muss sich rechtfertigen, sondern die Gewissensentscheidung steht unter Druck. Es ist der erdrückenden Macht der Parteien geschuldet, dass sich kaum ein Abgeordneter traut, konsequent seinem Gewissen zu folgen, wie es das Grundgesetz vorsieht. Die Parteien bilden in gewisser Weise die Exekutive nach. Indem sie das einzige Umfeld sind, in dem man realistischerweise an ein Parlamentsmandat kommen kann, können sie die Trennung der Staatsgewalten und mithin die Kontrollfunktion des Parlaments unterminieren.

Wächter wählen, nicht Ja-Sager

Wie wählt man denn nun richtig? Wählen Sie nicht die Regierung, sondern wählen Sie diejenigen, denen Sie am ehesten zutrauen, die Kontrollfunktion gewissenhaft auszuüben. Insofern kann es durchaus Sinn ergeben, Abgeordnete zu wählen, die wahrscheinlich in der Opposition landen werden – denn hier können sie eventuell ungehinderter kontrollieren. Eine reine Protestwahl hingegen kann oft gerade den Mächtigen in die Hände spielen. Wer sich die Arbeitsweise linker und rechter Protestparteien in Bundestag und Landtagen genauer ansieht, kann sehen, dass sie ihre eigentliche Verantwortung zugunsten von Fundamentalopposition und Effekthascherei aufgeben. Richtig wählt man, indem man eine bewusste Entscheidung trifft. Indem man sich mit den Kandidatinnen und Kandidaten auf dem Wahlzettel und den Landeslisten auseinandersetzt.

Ludwig von Mises beobachtete schon vor neunzig Jahren in seinem Buch „Liberalismus“: „Jede einzelne Partei und Parteigruppe fühlt sich ausschließlich zur Vertretung bestimmter Sonderinteressen berufen, die sie ohne alle Rücksicht durchzusetzen bestrebt ist. Aus den Staatskassen soviel als möglich den ‚Eigenen‘ zukommen zu lassen, sie durch Schutzzölle, Einwanderungsverbote, durch ‚sozialpolitische‘ Gesetze, durch Vorrechte aller Art auf Kosten der anderen Teile der Gesellschaft zu begünstigen, ist das Um und Auf ihrer Politik.“ Wir brauchen auch heute in Deutschland dringend Frauen und Männer, die sich dem entgegenstellen. Wir brauchen Menschen, die ihrem Gewissen folgen. Wir brauchen Leute, die nicht selber Teil des Systems der Macht werden, sondern dieses System scharf beobachten und ihre Stimme erheben, um die Bürger vor Willkür und Machtmissbrauch zu schützen. Deshalb sind nämlich in den letzten Jahrhunderten immer wieder die Menschen in England, Frankreich, den USA, Polen und auch hierzulande auf die Straße gegangen und haben mitunter ihr Leben riskiert. Dieses Erbe sollten wir nicht verspielen, sondern ehren, indem wir eine verantwortliche Wahl treffen.

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Junge Menschen seien „regelrechte Staats-Fans“, triumphiert der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes (DBB). Was den Funktionär frohlocken lässt, könnte für eine freiheitliche Gesellschaft zunehmend zu einem erheblichen Problem werden.

„In einer globalisierten Gesellschaft braucht man einen starken Staat“

Forsa hat gerade zum elften Mal im Auftrag des DBB eine Umfrage zum Bild des Öffentlichen Dienstes durchgeführt. Die Ergebnisse liegen leider in einem Trend, den man schon länger ausmachen kann. Die Studien zu Berufswünschen, die EY 2014 und 2016 durchführte, zeigen, dass immer mehr junge Menschen beim öffentlichen Dienst arbeiten wollen. Terrorismus, Finanzkrise und öffentlich sehr präsente Themen wie Ungleichheit und Klimawandel suggerieren den Bürgern, dass der Staat eine höhere Lösungskompetenz habe als sie. Der Ansicht „in einer globalisierten Gesellschaft braucht man einen starken Staat, der die Bürger vor ausufernden Entwicklungen schützen kann“ stimmen 75 Prozent der Befragten zu, 9 Prozent mehr als vor zehn Jahren. Dagegen glauben nur 13 Prozent (vor zehn Jahren waren es noch 17), man brauche „immer weniger Staat, der Markt wird alles richten“.

Besonders interessiert sich der DBB natürlich für die Wahrnehmung der Staatsdiener durch die Bürger. Während ihnen vor zehn Jahren 59 Prozent der Bevölkerung attestierten, kompetent zu sein, sind es inzwischen 71 Prozent. Für überflüssig gehalten wurden sie 2007 von 24 Prozent, heute nur noch von 16 Prozent. Bezeichnend ist auch die Frage, welche Berufsgruppen ein hohes Ansehen genießen: Gestiegen ist es bei Beamten von 27 auf 38 Prozent, bei Steuerbeamten von 28 auf 33 und bei Gewerkschaftsfunktionären von 23 auf 29. In der Zeit ist das Ansehen von Managern von 37 auf 26 gesunken und das von Unternehmern von 61 auf 55. Die Frage, ob der öffentliche Dienst den Steuerzahler zu viel Geld koste, bejahten vor zehn Jahren noch 58 Prozent der Befragten – heute sind es nur noch 33. DBB-Chef Dauderstädt hat also allen Anlass dazu, die Sektknorken knallen zu lassen.

82 Prozent der jungen Menschen wollen den starken Staat

Viele politische Akteure vermitteln Wählern und Bürgern den Eindruck, ihr Leben werde gefährlicher und komplexer, und darum bedürfe es der lenkenden Hand des starken Staates. Vom Verbraucherschutz bis zur Terrorbekämpfung, von der Zuwanderung bis zu steigenden Mieten – und natürlich in einer globalisierten Welt, die Unüberschaubarkeit und Unberechenbarkeit geradezu idealtypisch repräsentiert. In uns Menschen steckt eine tiefe Sehnsucht nach jemandem, der für uns sorgt und unser Leben organisiert. Erinnerungen an selige Kindheitstage spielen da mit hinein. Und möglicherweise auch vererbte Instinkte unserer Vorfahren, die sich gegen die Unbill der Welt nur durch strenge hierarchische Strukturen schützen konnten. Verantwortung abzugeben wird natürlich umso einfacher, je mehr man denjenigen vertraut, denen man sie übergibt. Und selbst wer die Bürokratie eher für überflüssig hält und glaubt „der Markt wird alles richten“ (wie es so schön differenziert in der Umfrage heißt), muss wohl zugeben, dass die deutsche Bürokratie in Fragen wie Unbestechlichkeit und oft sogar Freundlichkeit nicht schlecht abschneidet.

Wird also ein Albtraum wahr? Wird ein immer effizienterer Staat mit einem attraktiven und reichhaltigen Angebot graduell die Bereitschaft und den Drang zurückdrängen, als Unternehmer tätig zu werden und neue, unbekannte Wege zu beschreiten? Geben wir die emanzipatorischen Bemühungen der vergangenen paar hundert Jahre langsam wieder auf, weil die neue Form der Herrschaft in der Regel uns die fürsorgliche Hand entgegenstreckt statt des Schwertes? Legt man die Umfrage von Forsa neben die EY Studie, den Freiheitsindex und Untersuchungen von Instituten wie Allensbach ist Sorge durchaus angebracht. Der Trend ist ziemlich übereinstimmend. Beängstigend sind vor allem die Ergebnisse der jüngsten Befragten. Keine Altersgruppe steht so deutlich hinter der Bürokratie wie die der 14- bis 29-Jährigen: Zwar finden 48 Prozent, dass es zu viel Bürokratie gebe, aber 43 sind der Ansicht es sei gerade richtig und 7 Prozent wollen gar mehr davon. 75 Prozent von ihnen finden nicht, dass der öffentliche Dienst den Steuerzahler zu viel Geld koste. Und 82 Prozent sind der Ansicht, man brauche einen starken Staat. (Der einzige Hoffnungsschimmer ist in dem Kontext, dass wenigstens 14 Prozent immer weniger Staat haben wollen.) Rebellengeist, Aufbruchsstimmung, Abwerfen der Fesseln und des Miefs von tausend Jahren? Offenbar derzeit nicht mehrheitsfähig …

Die Grenzen der Wirksamkeit des Staates

Dass gerade junge Menschen ein sehr hohes Vertrauen in staatliche Einrichtungen haben und „regelrechte Staats-Fans“ sind, liegt sicherlich auch daran, dass sie in der Regel noch keine Steuern bezahlen müssen und selten mit bürokratischen Hürden konfrontiert sind. An Schulen und Universitäten erleben sie einen Teil der Bürokratie, der mitunter als sehr positiv und hilfreich empfunden wird. Andererseits wird gerade in diesen Institutionen oft ein kritikloses Bild staatlicher Einrichtungen gezeichnet. Wer würde auch die Hand beißen, die einen füttert? So süß diese Nachricht in Herrn Dauderstädts Ohren auch klingelt – man könnte sie auch ganz anders formulieren: Vier von fünf jungen Menschen wünschen sich eine Institution, die sie für den Konsum von Cannabis bestraft; die ihnen Geld abknöpft, sobald sie mehr als 450 Euro im Monat verdienen; und die zumindest die Männer unter ihnen bis vor sechs Jahren noch gezwungen hat, zwischen 9 und 20 Monaten ihres jungen Lebens diesem Staat zu widmen. Nicht gerade das, was man von Leuten erwarten würde, die sich gerade durch irgendeine Phase ihrer Pubertät durchkämpfen, um am Ende die Fähigkeit zur Selbstbestimmung zu erlangen.

Wilhelm von Humboldt, einer der bedeutendsten liberalen Theoretiker unseres Landes, der vor 250 Jahren geboren wurde, verfasste mit 25 Jahren seine immer noch sehr lesenswerte Schrift „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen“. Darin warnte er: „Anordnungen des Staates führen immer, mehr oder minder, Zwang mit sich, und selbst wenn dies der Fall nicht ist, so gewöhnen sie den Menschen zu sehr, mehr fremde Belehrung, fremde Leistung, fremde Hülfe zu erwarten, als selbst Auswege zu denken.“ Mit anderen Worten: Junge Menschen zu Staats-Fans zu erziehen, führt dazu, dass sie die Fähigkeit verlieren, selber für ihr Leben Verantwortung zu übernehmen. Und was fast noch schlimmer ist: sie verlieren oft sogar die Sehnsucht danach. Nein, junge Menschen sollten keine Fans des Staates sein! Sie sollten Fans ihrer eigenen Möglichkeiten, Hoffnungen, Begabungen und Erwartungen sein!

Photo: Wikimedia Commons

Seitdem es Handel gibt, stehen Kaufleute in einem schlechten Ruf. Ihnen wird Profitgier vorgeworfen, betrügerische Absichten und Ausbeutung. Dabei ist es in erster Linie ihr Verdienst, dass wir in einer immer besseren und friedlicheren Welt leben.

Der Händler macht ein Geschäft, der Held bringt ein Opfer

Der Ökonom und Soziologe Werner Sombart (1863-1941) verfasste 1915 eine Schrift unter dem Titel „Händler und Helden – Patriotische Besinnungen“, gegliedert in drei Teile: „Englisches Händlertum“, „Deutsches Heldentum“ und „Die Sendung des Deutschen Volkes“. Hier findet sich auf nur wenigen Seiten zusammengefasst die Summe der Vorurteile, die gegenüber den Kapitalisten und „Kommerzialisten“ im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende aufgebaut wurden. Händler sind für ihn geistlose Menschen, die nur nach dem eigenen Vorteil suchen und den Weg des geringsten Widerstands einschlagen. Der Gegensatz zu dieser verkommenen Gestalt ist die Person des Helden:

„Händler und Held: sie bilden die beiden großen Gegensätze, bilden gleichsam die beiden Pole aller menschlichen Orientierung auf Erden. Der Händler, sahen wir, tritt an das Leben heran mit der Frage: was kannst du Leben mir geben; er will nehmen, will für möglichst wenig Gegenleistung möglichst viel für sich eintauschen, will mit dem Leben ein gewinnbringendes Geschäft machen; das macht: er ist arm; der Held tritt ins Leben mit der Frage: was kann ich dir Leben geben? er will schenken, will sich verschwenden, will sich opfern – ohne Gegengabe; das macht: er ist reich. Der Händler spricht nur von ‚Rechten‘, der Held nur von Pflichten, die er hat.“

Alte Vorurteile, immer wieder neu aufgebrüht

Es ist eine alte Geschichte: Schon die antiken Griechen hatten dem Gott Hermes nicht nur die Zuständigkeit für Diebe zugeschrieben, sondern auch für Händler. Oft mischen sich auch antisemitische Stereotype in die Abneigung gegenüber den „Krämerseelen“, wie etwa in Shakespeares Drama „Der Kaufmann von Venedig“ oder in etlichen Erzählungen des schwäbischen Märchenautors Wilhelm Hauff. Und heutzutage wird dieses unselige Erbe weitergetragen von Globalisierungsgegnern an den beiden Rändern des politischen Spektrums. Anständige Menschen, so der Grundtenor, findet man auf dem Acker, an der Werkbank oder in der Fabrik (oder auch auf dem Schlachtfeld, wenn man Sombart folgt). Die Schurken hingegen verleihen das Geld, das andere erwirtschaftet haben und zu dem sie auf unehrlichem Wege gekommen sind, zu überhöhten und natürlich nicht verdienten Zinsen. Sie leben von der Arbeit anderer Hände. Anstatt im Schweiße ihres Angesichts mit den eigenen Händen etwas zu fertigen, profitieren sie vom bloßen Handeln und von ihrer Hinterlist und Tücke.

Mit der Realität von Kaufleuten, Händlern und Unternehmern haben all diese Klischees sehr wenig zu tun. Das Gegenteil ist der Fall: Die Menschen, die Sombart und seine rechten und linken Gesinnungsgenossen als Helden darstellen, sind alles andere als Helden. Die Krieger und Kämpfer – für ein vermeintliches Vaterland, für soziale Gerechtigkeit, gegen den „Ausverkauf unserer Kultur“ und gegen „die da oben“ –, diese vermeintlichen Helden sind in der Regel getrieben von Angst. Sie kennen keinen anderen Weg zum Erreichen ihrer Ziele als die Gewalt. Sie sind nicht erfinderisch und nicht experimentierfreudig. Sie sind leicht manipulierbar und suchen den Applaus. Helden sind aus einem ganz anderen Stoff gemacht!

Mit Heldenmut ins Unbekannte

Die wahren Helden in der Menschheitsgeschichte sind die Händler gewesen. Denn sie haben immer wieder Barrieren überwunden und haben sich auf Abenteuer eingelassen, deren Ausgang ganz und gar ungewiss war. Ihre Stärke und Motivation kommt nicht durch Beifall und Verehrung der Gruppe, sondern kommt aus ihrem eigenen Selbstbewusstsein und ihrem Drang zur Verbesserung – statt zur Vernichtung. Die ersten Händler, so haben bedeutende Ökonomen wie Friedrich August von Hayek und Herbert Giersch es versucht zu rekonstruieren, waren Männer und Frauen, die sich aus ihrer kleinen Gruppe herausgetraut haben. Wagemutige und entdeckungsfreudige Menschen, die angefangen haben, mit Fremden in Austausch zu treten. Die die Angst überwunden haben, die der Unbekannte bei uns unwillkürlich auslöst – und die dem Impuls widerstanden haben, ihm den Schädel einzuschlagen um der vermeintlichen eigenen Sicherheit willen.

Doch nicht nur wegen ihres Mutes sind sie Helden. Sondern auch, weil dieser Mut – ob beabsichtigt oder nicht – die Ursache dafür ist, dass wir in einer gesünderen, wohlhabenderen und friedlicheren Welt leben. Erst die Bereitschaft, die anderen nicht als Gegner, sondern als mögliche Partner aufzufassen, hat dazu geführt, dass die Schrift erfunden wurde, Penicillin entdeckt wurde, Smartphones gebaut wurden und Bauern aus der bittersten Armut kommen, indem sie sich auf Kaffeeanbau oder Rinderhaltung spezialisieren. Wenn wir zu Menschen aufblicken wollen, dann sollten das nicht die Che Guevaras oder Hindenburgs sein, sondern die Frauen und Männer, die seit Jahrtausenden ihre Bastkörbe, Schrauben und Computerprogramme in die Welt getragen haben und unser aller Leben verbessert haben. Wie selbst Sombart sehr zutreffend in seinem Text feststellte: „Die theoretische Stellung des Händlers zum Kriege ergibt sich ohne weiteres aus seinen Grundansichten: sein Ideal muß der allgemeine ‚ewige‘ Friede sein.“