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Photo: Gabriella Alu from Photo (CC BY-ND-ND 2.0)

Wir sind ein Volk der Regelungswut. Wir regeln nicht nur den Mehrwertsteuer bis in die letzte Verästelung und kommen zu der lebenswichtigen Unterscheidung, dass Schnittblumen mit 7 Prozent und Windeln mit 19 Prozent besteuert werden. Sondern wir legen auch in der Bauordnung fest, dass ein Fenster mindestens 90 mal 120 Zentimeter groß sein und in der Arbeitsstättenverordnung, ob ein Betriebsklo ein Fenster haben muss. Dennoch ist die Akzeptanz des Rechts in Deutschland ausgeprägter als in anderen Ländern. Auf Bahnhöfen stellen sich die Raucher brav in die gelbe Raucherzone auf dem Bahnsteig. Der Hausmüll wird trotz modernster Verbrennungstechnik immer noch ohne Sinn und Verstand bis zur Unkenntlichkeit getrennt. Und selbstverständlich wird am Sonntag nicht rasengemäht. Zuwiderhandlung wird angezeigt und ein fleißiger Beamter schreitet konsequent und entschlossen ein.

Es gibt derzeit etwa 250.000 staatliche Vorschriften, alleine seit der Deutschen Einheit sind 100.000 hinzugekommen. Damals stand die BRD noch für „BeinaheRegelungsDicht“. Inzwischen kann das „Beinahe“ guten Gewissens gestrichen werden. Bei uns wird geregelt was das Zeug hält. Es ist so eine Art Sport. Der schnellste Bürokrat gewinnt. Hinter jedem staatlichen „Empfehlung“ oder Verbot steht ein Gesetz, eine Verordnung oder Vorschrift.

Es stechen dann Geschichten aus der Masse heraus, wie die von Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt. Seit 2007 existiert ein Rauchverbot im gesamten Gebäudekomplex des Bundestages. Helmut Schmidt ließ es sich dennoch nicht nehmen, in seinem Büro im Bundestag weiterhin zu rauchen. Zwar hat er jetzt mit 96 Jahren freiwillig mit dem Rauchen aufgehört, aber vom staatlichen Paternalismus ließ er sich zumindest als Individuum nicht anstecken.

Doch nicht nur Helmut Schmidt ist ein gutes Beispiel dafür, dass ein Erlass oder eine Verordnung nicht ausreichen, um den Willen der Regierung oder des Staates durchzusetzen. Recht muss letztlich überzeugen. Nur wenn es allgemein akzeptiert ist, wird es auch angewandt. Wenn Bürger merken, dass das Gesetz nicht gerecht ist, wenden sie sich ab. Recht wird dann geschleift, umgangen oder schlicht nicht angewandt. Viele Entwicklungs- und Schwellenländer sind hierfür ein gutes Beispiel. Recht wird als Willkürakt einer korrupten Elite verstanden, die sich den Staat zur Beute macht.

Doch Verhalten wird von Regierung und Staat nicht nur durch Gesetze und Verordnungen gesteuert, sondern inzwischen viel subtiler. Es sind psychologische Tricks aus der Verhaltensforschung, die Einzug halten in den alltäglichen Regierungsbetrieb. Dieses „Anstupsen“ oder neudeutsch „Nudging“ ist die vermeintlich weichere Form des Paternalismus. Der Bürger soll mit bestimmten Psychomethoden zu einem bestimmten Verhalten „angestupst“ werden. Dazu bedarf es dann keiner Verbote oder Steuervorteile mehr, sondern der richtigen Werbekampagne. Hierzu hat die Bundeskanzlerin kürzlich eine eigene Arbeitsgruppe im Kanzleramt eingerichtet und der inzwischen für Verbraucherschutz zuständige Justizminister Heiko Maas zeigt sich begeistert von den Möglichkeiten des Nudgings. Schon jetzt geht die Regierung nicht mehr vom Leitbild des „mündigen Verbrauchers“ aus. Deshalb werden jetzt staatliche „Marktwächter“ eingestellt, die den Verbraucher anstupsen und an die Hand nehmen, damit dieser die richtigen Entscheidungen trifft. Weniger Zucker für die Zahngesundheit, weniger Fleisch gegen das Cholesterin, Bilder dunkler Raucherlungen für die Nikotinabstinenz oder Wassersparen für die Sahelzone. Nudging ist die Allzweckwaffe der Gutmenschen. Derer, die ihren Lebensentwurf anderen aufzwingen wollen. Derer, die absolut Wissen, wie die Zukunft aussieht, wie die „Volksgesundheit“ verbessert werden und die Regenwälder im Amazonas von Deutschland aus gerettet werden können.

Doch Nudging ist nicht so harmlos wie es auf den ersten Blick erscheint. Es ist eine Manipulation des Denkens, das den einzelnen und eine Gesellschaft mißbraucht. Es gaukelt ein höheres moralisches Ziel vor, es schafft das Selbstdenken ab und ersetzt es durch eine kollektive Regierungsmeinung. Wir sollten vorsichtig mit diesen historisch belasteten Methoden sein. Bestimmte Normen und Verhaltensweisen, die heute mehrheitlich als richtig empfunden werden, stellen sich vielleicht in einigen Jahren als vollkommen falsch heraus. Es ist die Anmaßung von Wissen, die so fatal ist. Dieses umfassende Wissen haben keine Bundeskanzlerin, kein Justizminister und keine Parlamentsmehrheit. Stellen wir dem Nudging den Wettbewerb der Ideen entgegen. Nur dieser Wettbewerb der Ideen kann zeigen, welche Pläne falsch sind.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 12.9.2015.

Photo: Sascha Kohlmann from Flickr (CC BY-SA 2.0)

2,9 Billionen Euro wurden 2014 in Deutschland erwirtschaftet. Zur gleichen Zeit hat der Staat Sozialausgaben im Wert von 850 Milliarden Euro verteilt – das ist fast ein Drittel der jährlichen Wirtschaftsleistung. Geht es hier wirklich noch um die Armen?

Sozialleistungen für die Oberschicht

Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln hat in einer demnächst erscheinenden Studie die Strukturen der Sozialausgaben in Deutschland ausführlich analysiert. Fazit: Es geht eher um massive Umverteilung in der gesamten Gesellschaft als darum, Arme und Schwache zu unterstützen. Es mag Ihnen etwas schwer fallen, aber stellen Sie sich einmal vor, sie würden zwischen 7.000 und 10.000 Euro im Monat verdienen. Selbst dann würden Sie im Durchschnitt immer noch monatlich 625 Euro Sozialleistungen bekommen. Freilich, Sie würden auch jeden Monat 3.782 Euro zahlen, und damit ein Sechsfaches von dem, was Sie erhalten. Aber das ist noch einmal ein anderes Thema.

Sobald das Haushaltseinkommen netto über die 3000 Euro-Grenze gerutscht ist, wird der Haushalt vom Netto-Empfänger zum Netto-Zahler. Man kann darüber streiten, ob das fair ist – zu hoch oder zu niedrig. Unabhängig von der Frage, ab wann man legitimer Weise jemanden zur Kasse bittet, stellt sich allerdings eine weitere grundsätzliche Frage: Wie sinnvoll kann es sein, denjenigen, die das Sozialsystem durch ihre Steuern und Beiträge finanzieren, wiederum Leistungen zukommen zu lassen? Könnte man deren Belastung nicht einfach etwas reduzieren?

Von der einen in die andere Tasche

Die Sozialleistungen schon vor der Besteuerung zu verrechnen und mithin weniger zu besteuern, wird nur sehr schwer durchzusetzen sein. Warum? Weil es bei vielen Sozialleistungen nicht ausschließlich, ja nicht einmal vorrangig darum geht, die unteren Einkommensschichten zu unterstützen. Betreuungs-, Eltern- und Kindergeld sind so Maßnahmen, die fröhlich in jedes Portemonnaie sprudeln – dem Gärtner werden sie ebenso gewährt wie der Top-Managerin. Denn bei diesen Leistungen geht es darum, ein bestimmtes Verhalten zu belohnen, nicht den Armen zu helfen.

Mit anderen Worten: Staatliche Behörden nehmen den Steuerzahlern das Geld aus der einen Tasche heraus, nur um es ihnen anschließend mit großzügiger Geste in die andere wieder hinein zu stecken. (Meistens mit gewissen Verlusten unterwegs …) Während die Politik mit solchen Maßnahmen der Sorge um die demographische Entwicklung entgegenwirkt, fühlt sich der Empfänger geschmeichelt, belohnt und umsorgt. Endlich mal jemand, der den Kindern etwas Gutes tut! Wirklich geholfen ist dem Netto-Zahler damit allerdings natürlich nicht. Überraschung: das geschieht mit seinem eigenen Geld!

Erratische Umverteilung

Einen großen Anteil an den Transferleistungen, die eben nicht nur von oben nach unten gehen, sondern erratisch, kreuz und quer und hoch und runter, durch die Schichten, gehen natürlich auch auf das Konto der umlagefinanzierten Gesundheits- und Rentensysteme. Auch hier kann man sich fragen, ob sich nicht intelligentere Lösungen finden ließen. Wäre es nicht wünschenswert, wenn man vermeiden könnte, dass hier über den Umweg des Finanzamts bzw. der Versicherungen und Rentenkassen Geld von der einen in die andere Tasche geschoben wird?

Darüber hinaus gibt es natürlich noch viele andere Bereiche staatlichen Geldausgebens, bei denen eine Umverteilung mindestens innerhalb der Mittel- und Oberschicht stattfindet, wenn nicht gar von unten nach oben. In einer Untersuchung des „Institute for Research in Economic and Fiscal Issues“ heißt es dazu:

„Das Spektrum erstreckt sich von öffentlichen Kulturangeboten wie Theatern, Museen oder Opern über bezuschusste Stadien, Sporthallen oder Schwimmbäder bis zur Subvention von Musikschulen, Universitäten und Schulen. Würden derartige nicht-monetäre Transfers mitberücksichtigt, sähe die Bilanz der Abgaben und Bezüge der Mitglieder der Einkommensmitte noch rosiger aus und das Argument für weniger Hin- und Her von Mitteln zwischen dem Staat und der Mitte wäre noch stärker.“

Effizienter und gerechter die Armen unterstützen

Es gehört zum gesellschaftlichen Konsens, dass Ärmeren und Notleidenden geholfen werden muss. Was derzeit in unserem Staat passiert, ist allerdings etwas anderes. Die Umverteilungskanäle sind undurchschaubar, das System gleicht eher einem Wunschkonzert für jedermann als einem tatsächlichen Unterstützungssystem und dient vor allem Politikern dazu, nach gusto Wohltaten an verschiedene Wählergruppen zu verteilen. Das Nachsehen haben alle: Die Netto-Empfänger, weil sie zum Teil für Wohlhabendere mitbezahlen. Und die Netto-Zahler, weil sie in diesem System nicht nur für die Empfänger bezahlen, sondern auch für sich selbst – nachdem das Geld durch die Hände von Bürokraten und Politikern gewandert ist …

Gerade jetzt, da wir uns in einer weltweiten Debatte über Ungleichheit befinden, sollten wir sehr genau hinschauen, ob das aktuelle Umverteilungssystem wirklich dem Zweck dient, Armut und Not abzumildern. Effizienter und mithin gerechter für alle Betroffenen wäre etwa das Modell einer negativen Einkommenssteuer in Kombination mit einer flat tax. Ein solches System wäre unkomplizierter, unparteiischer und fairer. Die einzigen, die dann ein Problem hätten, wären Politiker, die viel weniger Wohltaten im Land verteilen könnten.

Photo: GH Cheng from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Durchschnittlich verabschiedet der Bundestag jeden Monat über zehn Gesetze. Wo ein Problem auftaucht, wird sofort der Ruf nach einem Gesetz laut. Dabei sind Gesetze, Verordnungen und Steuern oft selbst Quelle des Problems.

Terror-Komplize Raucher

„Wir rauchen für das organisierte Verbrechen“. Mit dem Bild eines freundlichen älteren Ehepaares und unter diesem charmanten Motto wirbt Philip Morris gerade dafür, keine geschmuggelten oder gefälschten Zigaretten zu kaufen. Klar, die preiswertere Schmuggelware verdirbt massiv das Geschäft. Insofern ist es verständlich, dass Philip Morris diesen Schwarzmarkt unterbinden möchte. Auch die Begründungen sind zum Teil sehr plausibel: Die Zigaretten sind oft minderwertig. Vom Erlös profitieren kriminelle Vereinigungen, Mafia, Terroristen. Nicht ganz so plausibel, aber im Notfall noch vertretbar, ist ihre Argumentation: „Dadurch entgehen dem deutschen Staat jedes Jahr etwa 1,5 Milliarden Euro an Einnahmen für öffentliche Sicherheit und Gesundheit.“

Aber haben sich die Damen und Herren von Philip Morris wirklich den richtigen Gegner ausgewählt? Ist das Problem tatsächlich der Konsument, der einen geringeren Preis zahlen möchte? Vielleicht sollte man den Blick einmal in die andere Richtung lenken: 2 Euro, so die Website zu der Kampagne, würde eine Schachtel „illegaler“ Zigaretten kosten. Zwischen 1,35 € und 1,50 € Umsatz einer „legalen“ Schachtel gehen laut der Website statista.com an die Zigarettenhersteller. Qualitativ hochwertige Markenzigaretten könnten also offenbar günstiger als Schmuggelware verkauft werden, ohne dass Philip Morris irgendwelche Einbußen hinnehmen müsste.

Wenn Steuern wie Gesetze wirken

Könnten günstiger verkauft werden … Der hohe Preis, der Mafia, Terroristen und andere finstere Gestalten dazu motiviert, ihre billigen Zigaretten auf den Schwarzmarkt zu werfen, entsteht nämlich vor allem durch den hohen Steueranteil von derzeit ungefähr 72 % des Preises pro Schachtel. Ohne Tabaksteuer, nur mit Mehrwertsteuer, würde die Packung momentan 1,78 € kosten. Mit einer Abschaffung der Tabaksteuer wäre der Schwarzmarkt wohl binnen kürzester Zeit verschwunden. Ein Preis von 5,40 € pro Schachtel hingegen ist wie ein Konjunkturprogramm für Kriminelle. Anstatt „Wir rauchen für das organisierte Verbrechen“ sollte es heißen: „Wir besteuern für das organisierte Verbrechen“.

Die Tabaksteuer ist ein klassisches Beispiel für eine Lenkungssteuer oder auch Strafsteuer. Sie wird nicht erhoben, um allgemein Staatsaufgaben zu finanzieren, sondern um die Bürger zu einem bestimmten wünschenswerten Verhalten zu motivieren bzw. sie für vermeintlich schädliches Verhalten zu bestrafen. Damit ist diese Steuer mithin ein in Abgabenleistungen ausgedrücktes Gesetz. Die Tabaksteuer ist nun leider nur eines von hunderten von Beispielen, bei denen staatliche Stellen durch Gesetze und Steuern Probleme eher verschärfen als sie in den Griff zu bekommen. Der französische Ökonom Frédéric Bastiat machte bereits vor über 150 Jahren die scharfsichtige Beobachtung:

„Im Bereich der Ökonomie ruft eine Handlung, eine Gewohnheit, eine Einrichtung, ein Gesetz nicht nur eine einzige Wirkung hervor sondern eine Reihe von Wirkungen. Von diesen Wirkungen ist nur die erste direkt, sie zeigt sich gleichzeitig mit ihrer Ursache, man sieht sie. Die anderen entwickeln sich erst nach und nach, man sieht sie nicht… Dies ist der ganze Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Ökonomen: Der eine klebt an der sichtbaren Wirkung, der andere berücksichtigt sowohl die Wirkung, die man sieht, als auch diejenige, die man vorhersehen muss. Aber dieser Unterschied ist enorm, denn es ist fast immer so, dass die unmittelbare Folge günstig ist und die letztendlichen Folgen unheilvoll und umgekehrt.“

Strafsteuern abschaffen!

Philip Morris hat Recht mit seinem Anliegen: Konsumenten sollten nicht minderwertige Produkte kaufen. Ganz besonders nicht, wenn sich dadurch Verbrecher finanzieren. Aber solange Steuern den eigentlichen Preis so in die Höhe treiben, ist die Versuchung für den Konsumenten doch sehr hoch, moralische und gesundheitliche Bedenken beiseite zu schieben. Wenn Philip Morris sowohl Verluste durch „illegale“ Zigaretten vermeiden will als auch noch den Sumpf dieses Schwarzmarktes trockenlegen möchte, sollten sie sich lieber für die Abschaffung der Tabaksteuer einsetzen.

Das Problem: mit einer Kampagne gegen die Tabaksteuer macht man sich wohl eher weniger Freunde. Und genau das ist die Wurzel des Übels. Teure Zigaretten, so die weitverbreitete Vorstellung, bedeuten weniger Raucher. Würde mit der Abschaffung der Tabaksteuer der Schachtelpreis von 5,40 € um zwei Drittel auf 1,80 € sinken, so die Horrorvorstellung, dürfte auch der Anteil der Raucher proportional steigen. Unabhängig davon, ob das eintrifft, muss in einem Rechtsstaat aber doch eigentlich ein anderes Prinzip gelten: das der Selbstverantwortung. Menschen sollten sich genau überlegen, ob sie rauchen – nicht, weil es teuer ist, sondern weil es ungesund sein kann. Strafsteuern sind nie ein angemessenes Mittel: Zum einen bewirken sie selten das Ziel, unter dem sie erlassen werden. Vor allem aber sind sie unzulässige Eingriffe in die Autonomie der Individuen.

Photo: Andy Spearing from Flickr (CC BY 2.0)

Von Dr. Titus Gebel, Unternehmer, Mitgründer der Deutschen Rohstoff AG

„Die Freiheit, etwas abzulehnen, ist die einzige wirkliche Freiheit.“

Salman Rushdie

Seit Jahrhunderten wird gelehrt: Zwischen Bürger und Staat gibt es einen Gesellschaftsvertrag. Oder wenigstens haben die Bürger untereinander einen solchen abgeschlossen, in dem sie einen Teil ihrer Souveränität an den Staat abtreten. Sollte es diese Übereinkunft tatsächlich geben, so wäre dies freilich ein ziemlich eigentümlicher Vertrag, da er von der einen Seite jederzeit beliebig gestaltet und geändert werden kann, während die andere Seite stets parieren muss. Nach dem Zivilrecht der meisten Staaten wäre höchst fraglich, ob ein solches Konstrukt – nennen wir es einen Unterwerfungsvertrag – mangels Bestimmtheit seiner Leistungen und Gegenleistungen überhaupt als Vertrag angesehen werden kann. Überdies gilt nach bürgerlichem Recht eine Vereinbarung, bei der nicht Einigkeit über alle wichtigen Punkte besteht – wichtig nach Ansicht auch nur einer Partei – im Zweifel wegen Einigungsmangel als nicht geschlossen.

Machen wir in diesem Zusammenhang ein Gedankenexperiment: Nehmen wir an, die erstaunliche Welt des Marktes, der uns Nahrung, Kleidung, Behausung, Transport und Unterhaltung im Überfluss bereitstellt, würde auch im Hinblick auf unser gesellschaftliches Zusammenleben gelten. Nehmen wir weiter an, es gäbe eine Vielzahl unterschiedlicher Staatsmodelle und wir wären ein Marktteilnehmer, der sich überlegt, in welche Art Staat er sich gerne einkaufen würde. Ich für meinen Teil würde nachfragen:

I. Leistungen des Staates

1. Sicherheit
Das wichtigste wäre, dass ich und meine Familie uns zu jeder Tages- und Nachtzeit überall im Staatsgebiet sicher bewegen können, ohne Angst vor Überfällen oder sonstigen Bedrohungen haben zu müssen. Dies ist ein elementares Bedürfnis und eine Grundbedingung: Wenn ein Staatsanbieter das nicht wenigstens annähernd gewährleisten kann, sind seine sonstigen Leistungen für mich ohne Relevanz.

2. Handlungsfreiheit
Ich möchte das Recht haben, zu tun und zu lassen, was ich will, solange ich anderen dadurch nicht schade. Dies entspricht der seit Jahrtausenden bekannten Goldenen Regel, etwa in der Form des Sprichworts: Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg’ auch keinem anderen zu. Die so verstandene allgemeine Handlungsfreiheit schließt diverse sogenannte Grund- oder Menschenrechte ein, etwa Vertrags-, Versammlungs-, Koalitions- oder Meinungsfreiheit, nicht aber sogenannte Teilhaberechte (dazu unten mehr).

3. Eigentum
Ich möchte das Recht haben, volles, unbelastetes, mit keinerlei staatlichen Vorrechten oder Vorbehalten versehenes Eigentum zu erwerben, zu behalten und nach Belieben zu veräußern, zu verschenken oder zu vererben. Dieses Recht ist elementar. Ohne Eigentumsrecht gibt es keine Freiheit, keine Privatheit und auch keine Hoffnung, sein Los oder das Los seiner Kinder zu verbessern, sondern nur noch Ausgeliefertsein gegenüber dem Kollektiv, wie auch immer es organisiert sein mag.

4. Rechtssicherheit und Streitbeilegung
Ich benötige lediglich eine einfache Rechtsordnung, die den Schutz von Leben, Freiheit und Eigentum regelt, für alle gleichermaßen gilt und die nicht einfach vom Staatsanbieter oder einer Mehrheit einseitig abgeändert oder erweitert werden kann. Ich möchte weiter, dass der Staatsanbieter eine neutrale Justiz zur Verfügung stellt, vor der Streitfälle verhandelt werden können und die mir hilft, die Durchsetzung der von mir geschlossenen Verträge zu gewährleisten oder unberechtigte Ansprüche abzuwehren. Im Verhältnis zum Staatsanbieter möchte ich bei Rechtsstreiten mit diesem unabhängige, nicht vom Staat installierte oder bezahlte Gerichte anrufen können, vergleichbar den Schiedsgerichten, die im internationalen Handelsrecht vereinbart werden.

5. Subjektive Lebensqualität
Ich möchte eine Infrastruktur, die es mir leicht macht, mit dem Rest der Welt in Kontakt zu treten und Dienstleistungen abzurufen. Ich bevorzuge ein gemäßigtes Klima und die Anwesenheit anderer, geselliger Menschen im Staatsgebiet. Religion sollte im öffentlichen Leben keine Rolle spielen, sondern reine Privatangelegenheit sein.

Das war’s schon. Um alles andere kümmere ich mich selbst. In einer solchen Ordnung könnte ich mich bestmöglich entfalten und nach meiner Façon selig werden. Dies schließt Hilfeleistung für andere ein, aber nicht auf der Basis von Zwang.

Sie werden vielleicht bemerkt haben, dass in dem von mir gewünschten System die Worte Politik, Demokratie und Steuern kein einziges Mal vorgekommen sind. Der Grund ist, dass dafür keine Nachfrage besteht:

Politik ist letztlich das Bestreben, alle anderen nach den Vorstellungen leben zu lassen, die man selbst für richtig hält. Aber die Menschen sind verschieden. In dem von mir geschilderten System besteht für „politische Mitbestimmung“ kein Bedarf, weil die Regierung nur eine Verwaltung ist und jeder maximale Handlungsfreiheit genießt.
Demokratie bedeutet, dass eine Mehrheit mir vorschreiben kann, was ich zu tun oder zu lassen habe. Ich möchte aber meine Angelegenheiten nach eigenem Gutdünken erledigen, ohne dass mir die anderen hineinreden.
Steuern sind vom Staat einseitig festgesetzte Zwangsabgaben, denen keine Gegenleistung gegenübersteht. Warum sollte ich mich darauf einlassen? Man mache mir ein klar beziffertes Angebot, und ich entscheide dann, ob ich es annehme.

II. Meine Gegenleistung

Während die Einräumung von Handlungsfreiheit und Eigentum dem Staatsanbieter praktisch keine Kosten verursacht, sieht es bei der Gewährung von innerer und äusserer Sicherheit, Justiz und Infrastruktur natürlich anders aus. Zudem möchte der Staatsanbieter auch Geld verdienen, sonst wäre er nicht auf dem Markt. Entsprechende Angebote wären reichlich vorhanden, aus denen ich ablesen könnte, was mich das im Jahr kostet und welche Leistungen zu erwarten sind. Einige Staatsanbieter böten womöglich ein Modulsystem an, so dass ich bei Bedarf noch diverse Versicherungen gegen Alter, Krankheit und Armut hinzuwählen oder die Benutzung von Ausbildungs- und Betreuungseinrichtungen durch meine Kinder mit einer Pauschale abgelten kann. Durch den unter Staatsanbietern herrschenden Wettbewerb wären alle diese Leistungen in verschiedensten Ausprägungen und Preisklassen vorhanden, für jeden etwas dabei, sozialistische Kommunen eingeschlossen. Ich wüsste sicher, was mich erwartet und welchen Preis ich für die Leistungen jetzt und in Zukunft zu entrichten habe.

III. Die rechtliche Grundlage

Wie wäre mein rechtlicher Status gegenüber dem Staatsanbieter? Nicht anders als gegenüber anderen Vertragsparteien auch: es gäbe einen schriftlichen Vertrag, der die jeweiligen Rechte und Pflichten genau festhielte. Ich wäre gleichberechtigter Vertragspartner eines Dauerschuldverhältnisses, der die Erfüllung seiner Leistungen einklagen und bei Schlechtleistung Kompensation (Minderung, Schadensersatz) verlangen könnte. Ähnlich wie bei Versicherungsverträgen könnte mir der Staatsanbieter nicht jederzeit einfach kündigen, sondern nur bei schwerwiegenden Vertragsbrüchen meinerseits, was ich wiederum von Gerichten überprüfen lassen könnte, die nicht zum Staat gehören. Umgekehrt wäre ich berechtigt, den Vertrag jederzeit fristgemäß zu kündigen, ohne dass mir dadurch besondere Nachteile entstünden. All das sind bekannte Mechanismen, die in anderen Lebensbereichen mehr oder weniger reibungslos funktionieren.

IV. Die Wirklichkeit

Leider ist der Markt noch nicht ganz so weit entwickelt. Das Standardmodell in praktisch allen Ländern sieht derzeit so aus:

Es gibt eine allmächtige staatliche Ordnung, in der Leistung und Gegenleistung diffus sind. Die erwachsenen Staatsbürger wählen alle paar Jahre eine Vertretung, die bei entsprechender Mehrheit nach Belieben Gesetze für alle Lebensbereiche verabschieden oder ändern kann und sowohl den Umfang staatlicher Leistungen wie die Höhe der Gegenleistung dafür jederzeit nach eigenem Gusto festsetzt und ändert. Wer die einseitig festgesetzte Gegenleistung nicht erbringen will, wird, sofern er nicht die Flucht ergreift, enteignet und eingesperrt. Die im Gegenzug gewährten Leistungen sind in der Regel weder einklagbar noch darf der einzelne Bürger über die Mittelverwendung mitbestimmen, auch wenn er viele Steuern zahlt. Die Staatsbürger verfügen zwar meist über sogenannte Grundrechte, über deren Auslegung allerdings im Zweifel ein vom Staat eingesetztes und bezahltes Gericht entscheidet. Zudem können Inhalt und Umfang dieser Rechte auch zulasten der Staatsbürger geändert werden, wenn die entsprechenden Mehrheiten vorhanden sind.

Die von mir persönlich wahrgenommene Staatspraxis ist folgende: Reglementierung des gesamten Lebens aus Gründen der Sicherheit und Gleichheit bzw. zur Umsetzung der jeweiligen Zeitgeistmode; genaue Festlegung, wie das Eigentum genutzt werden darf, mit wem Verträge einzugehen sind und welchen Inhalt diese haben; Verbot, bestimmte Leuchtmittel, Treibstoffe oder Genussmittel zu benutzen; gesetzliche Privilegierung von Gruppeninteressen, z.B. Kirchen, Verbänden, Gewerkschaften oder Frauen; Anklage wegen Volksverhetzung bei Äußerung bestimmter abweichender Ansichten; weitgehende Planwirtschaft im Bildungs-, Gesundheits- und Rentensystem, zunehmend auch im Bereich der Energieversorgung; Erziehung der schulpflichtigen Kinder zu staatsgläubigen, marktfeindlichen und geschlechtsneutralen Genderwesen; Alimentierung nichtarbeitender Einwohner ohne jegliche Gegenleistung; Förderung der Masseneinwanderung und -vermehrung von integrationsunwilligen Menschen; Pflicht zur Zahlung einer Zwangsgebühr für zahllose öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehsender, unabhängig vom Nutzungswillen; Subventionierung sämtlicher Interessengruppen, die Einfluss haben oder laut genug schreien; Ausgabe von Milliardensummen in aller Welt für zweifelhafte Hilfsprojekte und militärische Auslandseinsätze.

Ich habe keiner einzigen der vorstehend genannten Maßnahmen zugestimmt. Das spielt allerdings keine Rolle. Aber wehe, wenn ich nicht dafür bezahle.

Um die mehrheitliche Akzeptanz dieses fragwürdigen Systems aufrecht zu erhalten, werden freilich auch Recht und Ordnung, beschränktes Eigentum sowie ein gewisses Maß an Handlungsfreiheit gewährleistet, wenngleich mit abnehmender Tendenz. Die Trumpfkarte aber ist: jeder Bürger hat das Recht, auf Kosten der anderen zu leben. Man nennt dies Teilhaberechte oder Sozialstaat. Weil jeder gern etwas bekommt, für das er keine Gegenleistung erbringen muss, sind Teilhaberechte natürlich sehr beliebt. Daher steigt die Zahl der staatlichen Leistungen seit Jahrzehnten, und dafür braucht der Staat natürlich immer mehr Geld. Finanziert wird das Ganze dadurch, dass diejenigen, die mehr verdienen, auch mehr bezahlen müssen und zwar nicht nur absolut, sondern progressiv ansteigend. Weil das immer noch nicht reicht, sollen demnächst weitere Enteignungen erfolgen etwa über neue Steuern, die nur jene treffen, die etwas haben. Außerdem werden vom Staat hohe Schulden gemacht, deren Rückzahlung ungeklärt ist. Daher wird durch diverse Eingriffe in den Finanzmarkt faktisch Geld gedruckt und die damit einhergehende Inflation trifft jene am härtesten, die keine größeren Sachwerte haben und auf laufende Bezüge angewiesen sind, für die sie immer weniger bekommen.

Hand aufs Herz: Würden Sie als Privatperson Mitglied in einer solchen Organisation werden? Kaum. Ebenso wenig wie Sie ein Auto kaufen würden, dessen Typ, Ausstattung und Preis einseitig vom Verkäufer bestimmt werden.

V. Das Problem

Gibt es Alternativen? Wirklich freie Staaten, in denen der Bürger gleichberechtigter, souveräner „Kunde“ ist, existieren praktisch keine. Auch in sogenannten Minimalstaaten lauert immer das Damoklesschwert, dass die nächste Regierung, das nächste Parlament die Regeln ändert, ohne dass der Einzelne etwas dagegen machen kann. Denn im Verhältnis des einzelnen zum Staat besteht aktuell kein Gleichordnungsverhältnis wie in allen zivilrechtlichen Vertragsverhältnissen, sondern ein Über- /Unterordnungsverhältnis.

Tatsächlich sind die Wohlstands- und Freiheitsgrade in westlichen Staaten, die über eine jahrhundertelange Tradition des Freiheitskampfes gegen die Obrigkeit verfügen, immer noch viel höher als in den meisten anderen Staaten dieser Welt. Gleichwohl sei die Frage aufgeworfen, ob nicht all die Prinzipien, die sich im Laufe der Jahrhunderte als Beschränkung der Staatsgewalt etabliert haben, etwa das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip oder das Prinzip der Gewaltenteilung, zwar funktionierende Werkzeuge sind, aber letztlich doch nur Abmilderungen eines grundsätzlich verfehlten Systems bedeuten: der auf Zwang gegründeten Herrschaft der einen über die anderen.

Zwei Fragen sind ausreichend, um die Zweifelhaftigkeit heutiger, vermeintlich freiheitlicher, Ordnungen zu beleuchten:
1. Mit welchem Recht nehmen Sie anderen ihr rechtmässig erworbenes Einkommen ab?
2. Was tun Sie, wenn die anderen nicht mehr zahlen wollen?
Zwar sind die Antworten technisch gesehen einfach:
1. Die Regierung/das Parlament/die Mehrheit hat so entschieden.
2. Wir werfen sie ins Gefängnis bzw. enteignen sie.
Aber faktisch ist das nichts als Raub, gestützt auf das Recht des Stärkeren. Daran ändern sämtliche wohlfeilen Rechtfertigungsmodelle nichts.

Ich bin dagegen der Auffassung, dass ich das Recht habe, mein Leben und meine Lebensumstände so zu gestalten, wie ich dies für richtig halte und, wenn ich von anderen etwas will, dies auf der Basis freiwilligen Leistungstausches zu tun. Daraus ergeben sich zwei Prinzipien. Erstens, dass derjenige, der anderen kein Leid zugefügt und für sich selbst sorgen kann, Anrecht darauf hat, in Ruhe gelassen zu werden (auch von Politik, Demokratie, Fiskus). Zweitens, dass die menschliche Interaktion auf freiwilliger Basis und nicht auf der Basis von Zwang stattfindet. Leider finden auch in westlichen Demokratien beide Prinzipien keine Anwendung, wenn es um das Verhältnis Bürger-Staat geht. Und genau da liegt der Hund begraben.

VI. Die Zukunft

Auch die Sklaverei existierte viele Jahrtausende. Was zu dem Argument führte, dass diese nun mal ein elementarer Bestandteil menschlichen Daseins sei und zwar für alle Zeiten. Wir wissen, dass dies glücklicherweise nicht der Fall war. Vergleichbares wird man vielleicht einmal von unseren heutigen Staatssystemen sagen können. Die Ablösung der Diktatur von Einzelnen oder Minderheiten durch die Diktatur von Parteien oder Mehrheiten ist jedenfalls nicht das Ende der Geschichte. Es ist vielmehr eine Selbsttäuschung grandiosen Ausmaßes zu glauben, Freiheit und auf Zwang gegründete Herrschaft seien kompatibel. Ob diese Herrschaft demokratisch legitimiert ist oder nicht, spielt für diesen Befund keine Rolle. Freiheit bedarf der Freiwilligkeit.

Wie wir es schaffen, aus dieser Matrix auszubrechen, um auch im Hinblick auf unser Zusammenleben die erfolgreich erprobten Prinzipien des Marktes anzuwenden, nämlich Leistungstausch auf freiwilliger Basis und Recht zur Nichtteilnahme, dürfte die große Frage des 21. Jahrhunderts werden.

Wahrscheinlich wird es erst einmal auf ein selbstgewähltes Zusammenfinden mit Gleichgesinnten hinauslaufen, weil alle ethnische, kulturelle, religiöse oder nationale Verbundenheit da aufhört, wo Ausplünderung und Bevormundung durch die Mitmenschen beginnt. Dieser Weg dürfte anfänglich über kleinere Sezessionen bzw. räumlich überschaubare Neugründungen führen, die schließlich Ausstrahlungswirkung entfalten. Die heutigen Zwangs- und Ausbeutungsstaaten aber sind Überbleibsel der Vergangenheit, die auf Dauer in einer immer mobileren, immer globaleren Welt nicht überleben werden.

Ein Markt an Staatsmodellen schüfe hier Abhilfe, zum Wohle aller. Denn der Wettbewerb ist das einzige bewährte, dauerhaft wirksame Entmachtungsverfahren der Menschheit.

Erstmals erschienen im Schweizer Monat.

Photo: *saipal from Flickr (CC BY 2.0)

Viele Deutsche sind gerade im Urlaub. Diese Zeit der Entspannung ist sicherlich ein guter Anlass, die Seele ein wenig baumeln zu lassen. Dafür gibt es gute Gründe – nicht nur im Blick auf das eigene Leben, sondern auch im Blick auf unsere ganze Welt.

Wir brauchen keine Untergangspropheten

Alles wird immer schlimmer. Das wusste schon der gute alte Platon vor 2500 Jahren. Auch wenn er in der ein oder anderen Frage auf kurze Sicht richtig lag mit seiner Prophezeiung, so zeigen die letzten zweieinhalb Jahrtausende in der Rückschau doch, wie sehr er daneben lag. Dennoch hat leider sein Pessimismus all die Jahrhunderte im kollektiven Gedächtnis überdauert. Vielleicht haben wir Menschen einfach eine Schwäche für Horrorszenarien. Die großen Hollywood-Blockbuster sind ja häufig auch Katastrophenfilme. Platons morbide Lust an Verfallstheorien ist jedenfalls nach wie vor ein prägendes Element im öffentlichen Diskurs.

Die Debatte um das Waldsterben etwa versetzte in den 80er Jahren die Massen in Aufruhr. Bald, so konnte man den Eindruck haben, würde ganz Europa aussehen wie das Bitterfeld der DDR. Natürlich war es gut und richtig, dass in der Folge der zunehmenden Umweltschäden mehr auf den Schutz der Natur geachtet wurde. Wir können froh sein, dass die meisten Menschen hierzulande die satten Flussauen und reichen Wälder, die sanften Hügel und klaren Seen lieben und darauf schauen, dass diese Natur erhalten bleibt. Um das zu erreichen, braucht man aber keine Untergangspropheten, sondern Menschen, die sich das Anliegen zu Eigen machen.

Konstruktive Kritik ist gefragt

Man könnte natürlich argumentieren, dass die Untergangspropheten notwendig sind, um auf ein Problem überhaupt erst einmal aufmerksam zu machen. Damit tut man ihnen jedoch zu viel der Ehre an. Selbstverständlich gibt es immer mal wieder neue Probleme, auf die mit einer gewissen Schärfe und Lautstärke hingewiesen werden muss, damit sie überhaupt wahrgenommen werden und ein ernsthafter Diskurs über ihre Lösung beginnen kann. Es braucht Mahner und Warner. Aber deutliche Kritik kann durchaus auch mit einer positiven und konstruktiven Haltung geäußert werden. Man kann auf ein bestimmtes Problem hinweisen, auch ohne es als ein Vorzeichen des nahenden Weltuntergangs zu deuten.

Wer immer gleich den großen Teufel an die Wand malt, macht damit nämlich gleich mehrere Fehler: Er macht sich im öffentlichen Diskurs irgendwann lächerlich, wenn seine Zusagen nicht eintreffen. Das kann dann unter Umständen auch seinem Anliegen nachhaltig schaden. Wenn man allzu wüst auftritt, bekommt man zwar viel Applaus von einer Seite, aber die ist in den meisten Fällen die Minderheit derer, die ohnehin schon die eigenen Überzeugungen teilen. Andere Menschen zu überzeugen, ist dann aber umso schwerer. Zuviel Schwarzmalerei geht in der Regel zu Lasten des eigenen Anliegens aus.

Die Welt wird immer besser

Der größte Fehler aber ist der, dass man sich in eine Stimmung des Pessimismus hineinsteigert, die schleichend von einem Besitz ergreift und alle Initiativkräfte lähmt. Wenn die nahende Katastrophe unabwendbar erscheint, dann lässt unser Wille nach, noch etwas zu verändern. Dann geben wir auf und werden zu notorischen Jammerlappen. Der Fortschritt, den die Menschheit zweifellos seit Platons Zeiten gemacht hat, verdankt sich aber denen, die mit Zuversicht in die Zukunft sehen; die Probleme als Chance und Herausforderung verstehen.

Die amerikanische Nachrichten-Seite Vox hat vor kurzem eine Zusammenfassung von elf Statistiken und Karten veröffentlicht, die sie unter die Überschrift „Die Welt wird immer besser“ gestellt hat. Von der steigenden Lebenserwartung bis zu der abnehmenden Zahl bewaffneter Konflikte, vom Rückgang der Armut bis zur immer weiter verbreiteten Schulbildung zeigt sich überall ein erstaunlicher Fortschritt. Das Leben von Milliarden von Menschen verbessert sich kontinuierlich (insbesondere dank der Globalisierung, die ja auch gerne von den Untergangspropheten als Katastrophe dargestellt wird). Platons Schwarzmalerei ist durch die Fakten höchst eindrücklich widerlegt.

Die Fähigkeit zur Anpassung und Optimierung, die uns als Menschen auszeichnet

Diese erfreuliche Bilanz entlässt uns nicht aus der Pflicht, uns für weitere Verbesserungen einzusetzen. Aber wir sollten etwas entspannter der Zukunft entgegen sehen. In diesen Wochen liegen manche von uns am Strand in Spanien, manche sitzen in einem Café in Paris oder in Krakau und manche wandern entlang einem norwegischen Fjord. Nehmen wir doch ein wenig von der Entspannung, die wir dort erfahren können, mit in den Alltag nach dem Urlaub. Sehr vieles spricht dafür, dass keines der Probleme, mit denen wir so konfrontiert werden, in den Weltuntergang führen wird. Ganz im Gegenteil: es wird die Optimisten unter uns dazu bringen, neue Ideen zu entwickeln. Ist es doch gerade die Fähigkeit zur Anpassung und Optimierung, die uns als Menschen auszeichnet.

Dem Fatalismus Platons kann, ja muss man den Geist des Sokrates entgegenstellen, den der Philosoph Karl Popper in seinem Werk „Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde“ beschreibt:

„Und da war Sokrates, vielleicht der größte unter ihnen, der lehrte, dass wir der menschlichen Vernunft vertrauen, uns aber zur gleichen Zeit vor dem Dogmatismus hüten müssen, dass wir uns in gleicher Weise von … dem Misstrauen gegen die Theorie und die Vernunft, und von der magischen Haltung derer fernhalten sollten, die aus der Weisheit ein Idol zu machen trachten. Mit anderen Worten, Sokrates lehrte, dass der Geist der Wissenschaft in der Kritik besteht.“