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Photo: Gage Skidmore from Flickr

Die Vorwahlen zur Bestimmung der Präsidentschaftskandidaten in den USA sorgen mal wieder auf dem ganzen Globus für Schlagzeilen. Neben den Damen und Herren, die oft in den Medien präsent sind, gibt es auch einen sehr spannenden Außenseiter: Wer ist dieser Gary Johnson?

Republikaner: Das Überleben der Rabauken

Insbesondere die Vorwahlen bei den Republikanern erregen große Aufmerksamkeit, weil das Kandidatenfeld nicht nur erheblich größer ist als bei den Demokraten, sondern auch ein ganzes Stück volatiler. Hinzu kommt noch der Unterhaltungsfaktor: Donald Trump sorgt weltweit für Erstaunen, Entsetzen, Kopfschütteln und ungläubige Heiterkeit, dass selbst ein Berlusconi neidisch werden muss. Eine Zeit lang sah es so aus, als ob der konsequent liberale Senator Rand Paul gute Chancen haben könne. Dieser Streiter für einen schlanken Staat, Ausgabendisziplin und Zurückhaltung bei staatlicher Überwachung und Militäreinsätzen hätte den USA sicher guttun können. In den letzten Monaten ist er inmitten eines zunehmend schrillen Wahlkampfs und vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise und der Bedrohungen durch den Terror leider zunehmend zwischen die Fronten geraten. Nach den ersten Vorwahlen in Iowa hat er seine Kandidatur zurückgezogen.

Diejenigen Republikaner, die übriggeblieben sind, stimmen nicht gerade hoffnungsfroh: Die meisten von ihnen sind geneigt, eine robuste Außenpolitik zu betreiben – dazu gehört dann in der Regel auch komplementär eine Neigung zum Überwachungsstaat. Überhaupt ist individuelle Freiheit für die meisten von ihnen kein Herzensanliegen. In rein ökonomischer Hinsicht finden sich bei ihnen in der Regel freiheitsfördernde Ideen, die in Richtung Steuersenkungen und Deregulierungen weisen. Allerdings sind die Spielräume der Präsidenten auf diesem Gebiet traditionell ohnehin eher eingeschränkt, weil sie von den Mehrheitsverhältnissen in den beiden Kammern des Kongresses abhängig sind. Entscheidend für die politischen Entscheidungen sind dann ohnehin mehr Image und Rhetorik eines Kandidaten als die im Wahlkampf vorgetragenen Standpunkte. Und da sind die drei derzeitigen Top-Favoriten Cruz, Trump und Rubio allesamt nicht auf der zurückhaltenden und mithin freiheitlichen Seite.

Ein Überzeugunstäter

Ein ehemaliger Republikaner, der sich auch um die Präsidentschaft bewerben will, hat freilich in vielerlei Hinsicht eine sehr eindrucksvolle Bilanz vorzuweisen: Gary Johnson. Als Student finanzierte er sich als Gelegenheitsarbeiter. Die Firma, die er mit 23 gründete, war keine 20 Jahre später eine der größten Baufirmen in seiner Heimat New Mexiko. Mit Anfang 40 wurde der Politikneuling 1995 mit dem Wahlkampfmotto „People before politics“ auf Anhieb zum Gouverneur von New Mexiko gewählt – und zwar mit sehr deutlicher Mehrheit in einem Staat, in dem die Demokraten traditionell sehr stark sind. In den ersten sechs Monaten im Amt hat er aus der festen Überzeugung heraus, dass man Probleme nur selten durch staatliche Intervention lösen kann, 200 von 424 Gesetzesinitiativen durch sein Veto blockiert. Am Ende hatte er 750 von Demokraten wie von Republikanern eingebrachte Gesetze abgewiesen, und damit mehr als all seine 49 Kollegen zusammen. Beständig und erfolgreich arbeitete er daran, Staatsausgaben und Staatsaufgaben zu reduzieren.

Nach seiner sehr klaren Wiederwahl 1999 versuchte er, ein System von Schulgutscheinen durchzubringen, um die Bildungsprobleme in seinem Staat in den Griff zu bekommen, der zu den ärmsten der USA zählt. Die demokratische Mehrheit in den beiden Kammern des Staates haben dieses Vorhaben jedoch verhindert. Schon damals, als das Thema noch bei weitem nicht so prominent war wie heute, sprach er sich klar für eine Legalisierung von Marihuana aus und dafür, den Krieg gegen die Drogen durch mehr Prävention und Betreuung Suchtkranker zu ersetzen. Parteiübergreifend wurde sein Krisenmanagement bei einem desaströsen Flächenbrand in den höchsten Tönen gelobt, der den Staat 2000 heimsuchte. Am Ende seiner Amtszeit war der Staat nicht nur substantiell verschlankt, sondern konnte im Haushalt einen Überschuss von 1 Milliarden Dollar vorweisen.

Konsequent freiheitliche Politik

Nach seiner Amtszeit widmete sich der begeisterte Sportler wieder intensiver seinem Ehrgeiz auf diesem Gebiet, nahm an Marathons, Triathlons und Fahrradrennen teil und bestieg die höchsten Berge der sieben Kontinente. Natürlich ließ ihn auch seine Unternehmerleidenschaft nicht los – jetzt in Verbindung mit seinen politischen Überzeugungen: 2009 gründete er die „Our America Initiative“, um seine Ideen weiter zu verbreiten. Zu den Grundanliegen dieser Denkfabrik gehören in seinen Worten „eine effiziente Regierung, Steuererleichterungen, ein Ende des Kriegs gegen die Drogen, der Schutz bürgerlicher Freiheiten und die Förderung von Unternehmertum“. Er engagierte sich auch bereits sehr früh bei der freiheitlichen Studentenorganisation „Students for Liberty“, die in den vergangenen Jahren zu einem großen weltweiten Netzwerk angewachsen ist.

2011 kündigte er an, sich um die Präsidentschaftskandidatur bei den Republikanern zu bewerben, zog die Kandidatur jedoch einige Monate später zurück und ließ sich stattdessen für die Libertarian Party aufstellen, die für eine konsequent freiheitliche Politik eintritt. Bei der Wahl stimmten schließlich 1,3 Millionen Amerikaner für ihn. Vor einem Monat hat er nun angekündigt, auch bei der diesjährigen Wahl wieder für die Libertarian Party antreten zu wollen. Einer seiner innovativsten Vorschläge betrifft das Steuerrecht: An die Stelle aller Einkommens-, Körperschafts- und Kapitalertragssteuern soll eine FairTax treten. Diese Steuer soll mit einem Satz von 23 % auf alle Güter erhoben werden, die nicht lebensnotwendig sind. Ein entscheidender Pfeiler seiner Überzeugungen ist auch die hohe Skepsis gegenüber der US-Notenbank Fed, die er einer strengen Kontrolle durch das Parlament unterwerfen möchte.

Der Wind der Freiheit

Viele der Programme, die heute von der Regierung in Washington finanziert und organisiert werden, möchte er zurück auf die Ebene der einzelnen Bundesstaaten verlagern und somit auch einen Wettbewerb um die am besten funktionierenden Lösungen ermöglichen. Überhaupt sollen die Staaten seiner Meinung nach wieder mehr Verantwortlichkeiten übernehmen, dafür aber zugleich auch die Haftung tragen. Johnson ist ein erklärter Gegner militärischer Interventionen und würde das Militärbudget der Vereinigten Staaten radikal um über 40 % kürzen wollen. Auch auf dem Gebiet staatlicher Überwachung tritt er für eine erheblich stärkere Zurückhaltung ein als sie derzeit in den USA geübt wird. Johnson ist ein Gegner der Todesstrafe, tritt für eine offene Migrationspolitik ein und ist der Überzeugung, dass es nicht Sache des Staates sein kann, zu definieren, was eine Ehe ist.

Selbst wenn die zwei extremsten Protagonisten der beiden großen Parteien, Donald Trump und Bernie Sanders, sich durchsetzen würden, hätte Gary Johnson wohl keine Chance auf das Amt. Dennoch ist sein Beitrag für die nächsten Jahrzehnte amerikanischer Politik von großer Bedeutung. Die Bewegung, für die er und Politiker wie die Senatoren Rand Paul und Jeff Flake und die Abgeordneten Justin Amash und Thomas Massie stehen, wächst beständig. Diese libertäre Bewegung, die für weniger Staat und mehr Eigenverantwortung steht, findet gerade unter jungen Menschen immer mehr Anklang. Ein Mann wie Gary Johnson gibt dieser Bewegung eine Stimme und ein Gesicht. Der weltweite Trend zu mehr Staat, befeuert von Linken wie von Rechten, wird eines nicht allzu fernen Tages einem Gegenwind ausgesetzt sein, dem er sich letztlich nicht wird widersetzen können. Denn dieser Wind der Freiheit hat schon zu allen Zeiten die Menschen stärker bewegen können als die Last, die aus den süßen Verlockungen der Linken und Rechten erwächst.

 

Photo: Maria Morri from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Wer sich in diesem Land mit dem Verbraucherschutz und seinen Institutionen anlegt, hat meist schlechte Karten. Gelten er und seine Helfer doch als wichtig und objektiv. Die Marktwirtschaft und ihre Nebenwirkungen müssen daher kontrolliert und beobachtet werden. Inzwischen sind zahlreiche Institutionen geschaffen worden, die die vermeintliche Objektivität in die Kaufentscheidung jedes Einzelnen bringen soll. Die Verbraucherzentralen in Deutschland können pro Jahr über 100 Millionen Euro ausgeben und beschäftigen hauptamtlich über 1800 Mitarbeiter. Alleine die Verbraucherzentrale in Nordrhein-Westfalen beschäftigt 785 Mitarbeiter und hat einen Etat von über 40 Millionen Euro pro Jahr. Würden sie ihre Mittel selbst erwirtschaften, wären sie ein größeres mittelständisches Unternehmen. Jedoch finanzieren mindestens 90 Prozent der Ausgaben der Bund, die Länder und Kommunen in Deutschland.

Und auch die personellen Verflechtungen sprechen für eine sehr geringe Staatsferne. Der für Verbraucherschutz im Justizministerium in Berlin zuständige Staatssekretär ist der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, Gerd Billen. Sein Nachfolger beim Bundesverband der Verbraucherzentralen ist der ehemalige Bundestagsabgeordnete und grüne Landesminister in Schleswig-Holstein, Klaus Müller.

Von der Energiesparberatung über gesundes Essen bis zur richtigen Geldanlage kümmern sich die staatlich finanzierten Verbraucherschützer um unser aller Wohl. Sie folgen dabei einem Leitbild, das der Wissenschaftliche Beirat „Verbraucher- und Ernährungspolitik“ beim Bundesjustizminister Heiko Maas formuliert hat. Die Verbraucher sollen „ökologisch nachhaltig und sozial verantwortungsvoll handeln“. Doch der Verbraucher sei dazu alleine nicht in der Lage. Das realistische Bild sei, so der Beirat, eher ein überlasteter, zeitknapper, wenig kompetenter, bedingt interessierter und nicht immer disziplinierter Verbraucher. Kurz: der Verbraucher ist ignorant, doof und bestenfalls überfordert. Jedoch nicht alle. Daher teilen die Verbraucherschützer die Bürger in „Idealtypen“ ein: in den „vertrauenden“, den „verletzlichen“ sowie den „verantwortungsvollen“ Verbraucher. Der „vertrauende“ Verbraucher ist mindestens naiv, wenn nicht beschränkt. Der „verletzliche“ Verbraucher ist Teil des wachsenden Prekariats in der Gesellschaft und muss daher von den gierigen Klauen des Kapitalismus beschützt werden. Nur der „verantwortungsvolle“ Verbraucher verhält sich im Sinne der Verbraucherschützer richtig. Er isst weniger Fleisch, greift zu Bio-Produkten, vermeidet Zucker und legt sein Geld in ethisch-ökologische Fonds an, die das Gute in der Welt unterstützen.

Man muss sich ernsthaft fragen, wie die Menschen in den letzten Jahrzehnten in diesem Land durchs Leben gekommen sind. Doch weitere Rettung naht. Die SPD in Bayern hat jetzt einen unabhängigen Verbraucherschutz-Beauftragten gefordert, und vor wenigen Tagen hat die Verbraucherzentrale Bundesverband eine Internet-Plattform „Marktwächter“ aus der Taufe gehoben. Damit wird eine alte Forderung aus dem schwarz-roten Koalitionsvertrag in Berlin umgesetzt. Es soll noch einer sagen, die Merkel-Regierung würde nicht liefern.

All das erinnert an George Orwells „Farm der Tiere“. Wie die Tiere der „Herren-Farm“ wollen die Verbraucherschützer das Joch der Unterdrückung abwerfen. Hinter jedem Finanzprodukt, hinter jedem Konzern und hinter jedem Suppenhuhn sehen sie den kapitalistischen Ausbeuter. Doch wenn dies die Regel wäre, dann würden wir keinen Wohlstand, keine Innovationen und Fortschritt kennen. Denn dieser beruht auf dem Prinzip von „Versuch und Irrtum“ des Einzelnen. Diese Alternative aber ist eine Technokratie, die eher an Platons Wächterstaat erinnert. Dort werden Entscheidungen in einer Gesellschaft aufgrund von Expertenwissen getroffen. Doch der entscheidende Nachteil dieser geschlossenen Gesellschaften, in denen der Staat, seine Regierung und deren Beauftragten die Bürger an die Hand nehmen, ihnen schwierige Entscheidungen abnehmen und Sicherheit und Geborgenheit versprechen, ist der Umstand, dass bei Nichterfüllung alle die Folgen tragen müssen. So war es auch bei Orwells Fabel. Dort übernehmen am Ende die Schweine die Macht und errichten eine Gewaltherrschaft neuen Ausmaßes.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 30. Januar 2016.

 

Photo: Sigfrid Lundberg from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Die Wirtschaftskrise im Euro-Club hält unvermindert an. Man muss kein Schwarzmaler sein, um zu erkennen: So wird das nix!

Wenige Zahlen verdeutlichen dies: In den letzten fünfzehn Jahren ist die Industrieproduktion in Griechenland um 28 Prozent, in Italien um 21 Prozent, in Spanien und Portugal um 18 Prozent und in Frankreich um 15 Prozent gesunken. Alle diese Länder sind meilenweit vom Peak in den Jahren 2007/2008 entfernt, ohne dass sich nennenswert etwas bei den Zahlen verbessert hat. Im Gegenteil: Italien ist auf dem Niveau von vor 30 Jahren. Damals hatte das Land eine vergleichbare Industrieproduktion wie heute (Quelle).

Zudem kommt hinzu, dass der italienische Bankensektor überschuldet ist. Die faulen Kredite in den Büchern der Banken erklimmen seit nunmehr sieben Jahren Monat für Monat ein neues Allzeithoch. Inzwischen liegt es bei 201 Milliarden Euro und entspricht 12,1 Prozent aller Kredite, die an private Haushalte und Unternehmen ausgereicht wurden. Die FAZ berichtete in dieser Woche sogar davon, dass „wackelige Kredite“ in einer Größenordnung von 150 bis 170 Milliarden Euro hinzugerechnet werden müssten. In der Spitze wären es dann über 22 Prozent aller Kredite an den Privatsektor, die problematisch sind. Normal wären 3 oder 4 Prozent. Italiens Banken und damit die gesamte Volkswirtschaft haben ein Riesenproblem. Von Griechenland will ich hier nicht ausführlicher sprechen. Dort ist Hopfen und Malz verloren. Nur so viel: Lediglich 3,6 Millionen der 11 Millionen Griechen sind erwerbstätig. Die Industrieproduktion ist in der Spitze seit November 2007 um 31,6 Prozent eingebrochen. Und auch im November letzten Jahres ist die Industrieproduktion im Vergleich zum Vorjahresmonat um 10,2 Prozent gesunken.

Umgekehrt ist in den letzten 15 Jahren die Industrieproduktion in Deutschland um 20 Prozent gestiegen. Deutschland hat das Vorkrisenniveau seiner Industrieproduktion wieder erreicht. Die deutsche Wirtschaft wächst und die Südländer des Euroclubs kommen nicht von der Stelle. Geht dies so weiter, werden die politischen Zentrifugalkräfte den Euro zerreißen.

Keiner konnte erwarten, dass die seit der ersten Griechenland-Hilfe 2010 getroffenen Maßnahmen sofort wirken. Schmerzhafte Reformen benötigen in der Regel zwei bis drei Jahre bis sie wirken. Das musste auch Gerhard Schröder bitter erfahren: die Erfolge von dessen radikalen Arbeitsmarktreformen konnte erst die Nachfolgeregierung ernten. Doch nunmehr sind sechs Jahre vergangen, ohne dass die getroffenen Maßnahmen in Griechenland Wirkung zeigen. Deshalb muss man schonungslos konstatieren, dass sie wirkungslos und daher falsch waren.

Das gleiche Schicksal droht den jüngsten Anstrengungen. Das Juncker-Programm der EU zur Investitionssteigerung in den Mitgliedsstaaten ist so ein Unsinn. Es funktioniert nach dem Motto: Wenn die Wirtschaft nicht saufen will, dann wird sie zur Tränke geführt. Es findet eine Art Investitions-„waterboarding“ statt.

Mit einem Mindestvolumen von 21 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt und den Mitgliedsstaaten soll die Europäische Investitionsbank (EIB) weitere private Investoren finden, die dann ein Investitionsvolumen von 315 Milliarden Euro erzeugen sollen. Man erfährt nur selten etwas über geförderte Projekte der EIB. Doch sagt es schon vieles über die Sinnhaftigkeit der zurückliegenden Subventionen aus, wenn die EIB erklärt, sie überprüfe derzeit, ob die subventionierten Kredite der Bank an VW richtig waren. Nur zum Verständnis: Einer der größten Automobilkonzerne der Welt erhält subventionierte Kredite einer staatlichen Förderbank für Investitionen, die er sonst auch getätigt hätte. Seit 1990 seien 4,6 Milliarden Euro ausgegeben worden, um saubere Motoren zu erforschen! Na da kann man nur sagen: Das hat sich gelohnt!

Es gibt zwei Erkenntnisse aus der Krise. Erstens: die Krisenstaaten müssen selbst ihren Kopf aus der Schlinge ziehen. Sie – und kein anderer – müssen Staat und Gesellschaft reformieren. Dazu braucht es Reformen am Arbeitsmarkt, bei den Steuern, bei der Bürokratie und beim Schutz des Eigentums. Und zweitens: Geschieht ersteres nicht schnell und unmittelbar, wird der Euro-Club auseinander fallen wie jetzt der Schengen-Raum. Europa ginge dann schwersten Zeiten entgegen.

Photo: Jorbasa Fotografie from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Von Dr. Karolin Herrmann, Referentin für Haushaltspolitik und Haushaltsrecht beim Deutschen Steuerzahlerinstitut

Advent, Advent, ein Lichtlein brennt und als hätte man darauf gewartet, gab die Europäische Kommission unlängst eine zur Vorweihnachtszeit passende Mitteilung heraus. Darin plant sie neue Sicherheitsanforderungen für Kerzen, Kerzenhalter und Kerzenzubehör, denn diese, so die Kommission, könnten ein Risiko für die Verbrauchersicherheit darstellen. Was unter einer Kerze zu verstehen ist, liefert der Text gleich mit – nämlich ein „Produkt, das aus einem oder mehreren brennbaren Dochten besteht, die von einer bei Raumtemperatur (20 °C bis 27 °C) halbfesten Brennmasse gestützt werden.“ Um den Verbraucher zu schützen, hat sich das europäische Expertengremium besondere Sicherheitsanforderungen einfallen lassen. So sollen frei stehende Kerzen oder Kerzen, die mit einem Halter oder Behälter geliefert werden, nicht umkippen dürfen. Bei Kerzen, die ohne Halter oder Behälter geliefert werden, muss der Hersteller den Verbraucher künftig darauf hinweisen, dass die Verwendung eines geeigneten Halters erforderlich ist.

Kurzum, die meisten Passagen lesen sich wie ein Paradestück aus dem Brüsseler Kuriositätenkabinett. Warum mich solche Texte ärgern? Sie degradieren den Bürger zum Kleinkind – getreu dem Motto „Messer, Gabel, Schere, Licht – sind für kleine Kinder nicht.“ Aber ist es nicht in der europäischen Verantwortung, den Bürger vor Feuerschäden zu bewahren? Ist es nicht begrüßenswert, wenn uns die EU vor Alltagsgefahren schützt? Warum soll sich die EU nicht um unsere Sicherheit sorgen? Weil eine solche Regelung gegen die Grundprämisse gelebter Subsidiarität verstößt! Liegt es doch in der Verantwortung des Einzelnen und ist es doch eine Frage des gesunden Menschenverstands, wackelige Kerzen nicht ohne geeignete Unterlage anzuzünden. Der sichere Umgang mit entflammbaren oder scharfen Gegenständen ist Teil eines individuellen Erziehungs- und Lernprozesses und erfordert keine supranationale Initiative. Die europäische Fürsorge und Zwangsbeglückung ist Kalkül und zugleich Deckmäntelchen, um supranational mehr Kompetenzen und ein höheres Budget durchsetzen zu können. Befindet sich Europa also in der Wohlfühlfalle?

Allein in diesem Jahr wurden auf europäischer Ebene mehr als 1.800 Rechtsakte auf den Weg gebracht. Tatsächlich entbehren viele Verordnungen und Richtlinien jeglicher ordnungspolitischen Grundlage. Nehmen Sie nur die Richtlinie Nummer 603/2013, nach der die Kennzeichnung von Säuglingsnahrung so zu gestalten ist, dass sie Mütter nicht vom Stillen abhält. Der Verordnungsgeber vermutet, dass Frauen durch Babyfotos auf Milchpulververpackungen manipuliert werden könnten und verbietet ab Sommer 2016 eine entsprechende Bebilderung. Auch hier muss die Frage erlaubt sein, ob sich die EU wirklich um den Schutz von Kleinkindern bemüht oder den Eltern unvermittelt Fehlverhalten unterstellt.

Spätestens hier schließt sich die grundsätzliche Frage an, wie die Kompetenzen innerhalb der Europäischen Union zu verteilen sind. Politikwissenschaftler verweisen dabei gern auf ein Demokratiedefizit in der EU. Es fehle an einer strikten Trennung der „Staatsgewalten“. Tatsächlich haben sowohl die Europäische Kommission als auch der Ministerrat Kompetenzen, die sich auf die Exekutive und auf die Legislative beziehen. Der Kommission obliegt neben dem Initiativrecht für die Gesetzgebung auch die Kompetenz, die Umsetzung des EU-Haushalts zu kontrollieren. Der Ministerrat kann Rechtsakte beschließen und internationale Verträge aushandeln, hat aber auch Kompetenzen der initiierenden und ausführenden Exekutive, denn er entscheidet aufgrund der rotierenden Ratspräsidentschaften über die Gesetzgebungsagenda.

An der Wahl der Kommission sind die Bürger weder unmittelbar noch mittelbar beteiligt. Die Kommissionsmitglieder werden alle fünf Jahre von den Mitgliedstaaten gewählt, das Europäische Parlament bestätigt das gesamte Kollegium via Zustimmungsvotum. Ein Misstrauensvotum für einzelne Kommissionsmitglieder gibt es nicht.

Der Ministerrat setzt sich je nach Sachthema aus den jeweiligen Fachministern der Mitgliedstaaten zusammen. Das Demokratiedefizit besteht in der Zusammensetzung des Ministerrats. Die jeweiligen Fachminister der Mitgliedstaaten werden nur mittelbar von den Bürgern der Europäischen Union gewählt und kontrolliert. Die Bekleidung der Ministerposten erfolgt auf nationaler Ebene über Wahlen. Hier werden die Bürger ihre Entscheidung aber primär an der nationalen Politik ausrichten.

Dem Ministerrat steht der Ausschuss der ständigen Vertreter (COREPER) zur Seite. Dem Gremium sind etwa 300 Arbeitsgruppen aus 28 EU-Mitgliedstaaten untergeordnet, in denen nationale Beamte themenbezogen zusammenarbeiten. Der COREPER bereitet die Ratssitzungen vor, beschließt die Tagesordnungen und legt dem Ministerrat entscheidungsreife Entwürfe vor, die meist nur noch der förmlichen Zustimmung bedürfen. Die Sitzungen des COREPERs und des Ministerrats finden in der Regel nicht öffentlich statt. Eine demokratische Legitimierung und Kontrolle des Ministerrats ist durch das hochgradig administrativ verflochtene COREPER nicht gegeben.

Diese wenigen Spiegelstriche verdeutlichen, dass es in der EU tatsächlich ein Demokratiedefizit gibt. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass es im Zuge des Lissabon-Vertrags bereits Verbesserungen gegeben hat und die Kompetenzen des Europäischen Parlaments gestärkt wurden. Die Frage ist auch, ob eine alleinige Verringerung des Demokratiedefizits in der EU genügt, um die europäischen Kompetenzen wirksam zu beschränken. Demokratie ist ein Willensbildungsverfahren und Ausdruck der jeweiligen Mehrheitsmeinung. Demokratie ist eine gute und die wahrscheinlich am ehesten Freiheit schaffende Methode, um widerstreitende Meinungen zu vereinen. Demokratie ist aber nur eine hinreichende und keine notwendige Bedingung, um Willkür, Ad-hoc-Gesetzgebung und politische Selbsterhaltungsinteressen wirksam zu begrenzen.

Europa braucht einen Ordnungsrahmen, der sich aus universalen Regeln zusammensetzt. Dazu gehört etwa die Verteidigung der mit dem europäischen Binnenmarkt verbundenen Grundfreiheiten oder die Schaffung eines Rechtsrahmens, um den grenzüberschreitenden Wettbewerb zu regeln. Hingegen kann eine politische Vertiefung nicht mit der steigenden gesellschaftlichen Komplexität und Vielfalt harmonieren. Oder akademisch ausgedrückt: Die Präferenzverfehlungskosten einer supranational koordinierten Politik steigen mit der Heterogenität der nationalen Systeme. Wie wichtig eine Prioritätensetzung in der EU ist, zeigt die aktuelle Flüchtlingskrise. Die Entgrenzung europäischer Zuständigkeiten in der Verbraucherpolitik steht im traurigen Widerspruch zum augenscheinlichen Unvermögen, auf europäischer Ebene eine Lösung der Flüchtlingskrise herbeizuführen.

Photo: oddharmonic from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Initiativen privater Solidarität sind in den meisten Fällen erheblich wirksamer als Maßnahmen des Sozialstaates oder der Entwicklungshilfe. Über Spenden und Freiwilligenarbeit hinaus gibt es noch eine Möglichkeit privater Solidarität: Das soziale Unternehmertum.

Rendite für die Ärmsten

Am Mittwoch hat die Meldung Furore gemacht, dass Facebook-Gründer Mark Zuckerberg rund 45 Milliarden Dollar spenden möchte. Die Stiftung, die er anlässlich der Geburt seiner Tochter einzurichten ankündigte, soll weltweit Gesundheitsversorgung, Bildung, eine nachhaltige Entwicklung und ähnliche Zwecke fördern. Damit setzt er eine Tradition der Philanthropie fort, die in den Vereinigten Staaten von Andrew Carnegie bis Bill Gates natürlicher Bestandteil des Selbstverständnisses von Unternehmern ist. Aber auch in Europa und bei uns in Deutschland stellen sehr viele Unternehmer erhebliche Geldsummen zur Verfügung, deren Rendite nicht auf ihrem Konto landet, sondern der Gesellschaft zugutekommt – oft ihren ärmsten und schwächsten Gliedern.

Die Motive für solche Großzügigkeit sind sehr vielfältig: Die einen wollen „der Gesellschaft etwas zurückgeben“, andere handeln aus bestimmten philosophischen oder religiösen Überzeugungen heraus, wieder andere werden angestachelt durch ihren Fortschrittsoptimismus, den sie mit dem unbedingten Willen verbinden, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Eines haben sie freilich alle gemeinsam: Obwohl sie alle Jahr für Jahr einen erheblichen Beitrag in den Steuersäckel werfen müssen, rufen sie nicht nach dem Staat, um soziale Probleme zu lösen. Vielleicht auch, weil sie sehr genau wissen, dass Politik und Bürokratie generell keine Experten für Problemlösung sind …

Jeder nach seinen Möglichkeiten

„Zuckerberg kann problemlos so viel abgeben. Der wird ja auch danach noch zu den reichsten Menschen der Welt gehören.“ Aus der Perspektive einer Familie mit drei Kindern, die Miete zu bezahlen hat und fünf Leute mit Nahrung, Essen, Kleidung und vielleicht auch noch einem Flugticket für den Kanada-Austausch der Ältesten ausstatten muss, ist ein solcher Einwand nachvollziehbar. Der indischen Familie, die sich mit diesen Geldern endlich eine Toilette bauen kann, wird das herzlich egal sein. Ebenso den Bauern im bolivianischen Hochland, die jetzt eine Schule im eigenen Dorf haben. Und um diese Menschen soll es ja auch primär gehen!

Gleichwohl muss nicht jeder ein Zuckerberg oder Buffett sein, um etwas gegen Armut und Not, Krankheit, Elend und Tod zu tun. In den vergangenen zwölf Monaten haben das Hunderttausende unserer Mitbürger sehr eindrucksvoll bewiesen, indem sie sich eingebracht haben bei der Unterstützung von Flüchtlingen – in Kleiderkammern und Volkshochschulen, bei Behörden und in ihren eigenen Wohnungen. Auch jenseits solch aktueller Ereignisse wie den Kriegsflüchtlingen gehen junge Menschen nach dem Abitur für ein Jahr in ein Kinderheim in Ostafrika, verbringen Ärzte ihren Jahresurlaub mit Operationen in Bangladesch und organisieren Kegelvereine den Transport von Krankenhausbetten nach Moldawien. Wichtig ist nicht, wieviel man gibt. Und erst recht nicht, wie viel einem danach noch übrig bleibt. Wichtig ist, dass Menschen geholfen wird.

Wir brauchen soziale Unternehmer

Spenden und Freiwilligenarbeit sind jedoch nicht die einzigen Optionen, wie man seinen Mitmenschen helfen kann. Vor einer Woche war ich in Lviv in der Ukraine und habe dort eine weitere Option kennengelernt, die mich auf Anhieb begeistert hat. Ich durfte zu Gast sein bei Yuriy, einem Freund aus meinen Studiumstagen. Yuriys Sorge gilt obdachlosen Frauen, die auf den Straßen der westukrainischen Stadt leben. Darum hat er ein Frauenhaus ins Leben gerufen, um den Frauen Schutz und Zugang zu Nahrung und Hygiene zu geben. Aber auch, um ihnen Arbeit zu geben. Denn diese Arbeit gibt ihnen die Möglichkeit, einen neuen Sinn im Leben zu finden und Fertigkeiten einzuüben, die für die Teilhabe an der Gesellschaft wichtig sind. Das Frauenhaus lebt aber nicht primär von staatlichen Zuwendungen, Spenden oder Freiwilligenarbeit. Es ist ein unternehmerisches Projekt. Yuriy versteht sich als Unternehmer. Er will den Frauen helfen. Und darum packt er an.

Zuerst hat er das Frauenhaus mit Hilfe einer Kerzenwerkstatt finanziert. Seit einiger Zeit ist es vor allem eine Bäckerei, die den Geldfluss gewährleistet und gleichzeitig den Frauen die Möglichkeit gibt, sich mit ihren Fähigkeiten einzubringen. In der derzeit sehr lebhaften IT-Branche in Lviv sind die Kekse von Yuriys Bäckerei inzwischen ein so fester Bestandteil der Mitarbeitermotivation wie die Sitzsäcke und die Playstation. Derzeit planen Yuriy und seine Freunde, ins Nuss-Geschäft einzusteigen, um das Frauenhaus weiter ausbauen zu können.

Zuckerbergs gigantische Spende ist sehr ehrenvoll und wird auf jeden Fall für eine große Zahl an Menschen, auch weit in die Zukunft hinein, enormes bedeuten. Mindestens genauso wichtig aber ist es, dass es Menschen wie Yuriy gibt. Die ihr Anliegen, anderen in Not zu helfen, nicht dazu bringt, dass sie erst einmal nach dem nächsten Staatstopf Ausschau halten. Die das Anliegen als ihr eigenes verstehen, nicht als eines, das man outsourced oder vergemeinschaftet. Wenn man sich ein schönes Auto kaufen will, muss man hart arbeiten. Genauso muss man hart arbeiten, wenn man ein Frauenhaus gründen und unterhalten will. Einen solchen Ansatz sozialen Unternehmertums könnten wir auch hierzulande gut gebrauchen: Wenn ich eine andere Welt will, muss ich selber anpacken!