Photo: Stop TTIP (CC BY-SA 2.0)
Als 2014 die Energiewende stockt, weil keiner einen Strommast im Garten haben will, schreibt das Wirtschaftsministerium einen „Bürgerdialog Stromnetz“ aus, der Abhilfe schaffen soll. Gesprächstherapie als Schmiermittel für das Jahrhundertprojekt. Den Zuschlag bekommen die Hirschen Group, IKU GmbH und die DUH Umweltschutz-Service GmbH. 2,8 Millionen Euro pro Jahr. So viel fließt laut einer Sprecherin der DUH in das Projekt.
Im gleichen Jahr holt sich der neue Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel einen Staatssekretär: Rainer Baake. Was war dessen vorherige Aufgabe, von 2006 bis 2012? Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und zugleich Geschäftsführer der DUH Umweltschutz-Service GmbH. Und davor war er von 1998 bis 2005 Staatssekretär im Umweltministerium, dem Hauptauftraggeber der DUH Umweltschutz-Service GmbH. 8,35 Millionen Euro flossen zwischen 2003 und 2018, wie die Bundesregierung in einer Antwort auf die Kleine Anfrage eines Abgeordneten mitteilte, also rund 550.000 Euro pro Jahr.
Wenn Stephan G. Richter in einem WELT -Beitrag die ungebührliche Nähe von Politik und Industrie beschreibt, um auf die Notwendigkeit von NGOs, namentlich der DUH, als Korrektiv hinzuweisen, ist das nur ein Teil der Wahrheit. Es ist zwar gut, dass eine wachsame Öffentlichkeit genauer hinschaut, wenn Politik und Großkonzerne zu stark miteinander klüngeln – ob es da um Bankenrettung geht, Dieselskandale oder die Träume von einer neuen Industriepolitik, denen sich der Wirtschafts- und der Finanzminister derzeit hingeben. Doch ähnliche Verhaltensregeln müssen auch für Organisationen des politischen Aktivismus gelten.
NGOs sind als Konzept eine äußerst sinnvolle Einrichtung. Sie sind ein unverzichtbares Element von Zivilgesellschaften. Die Mächtigen in Ländern wie Russland oder Ungarn haben das erkannt und arbeiten deshalb mit allen Mitteln daran, solche Organisationen aus dem Weg zu räumen. So lassen sie die lebenswichtigen Adern einer offenen Gesellschaft ausbluten. Gerade weil NGOs eine derart zentrale Bedeutung zukommt, ist es freilich unerlässlich, dass sie verantwortungsvoll mit dem in sie gesetzten Vertrauen umgehen.
Zu diesem Vertrauen gehört ganz zentral die Unabhängigkeit. Ob Bund der Steuerzahler oder Attac – NGOs beanspruchen für sich, oft zu Recht, unabhängige Institutionen zu sein. Das heißt: nicht von einzelnen Interessenvertretern finanziert und niemandem verpflichtet. Wie viele Verpflichtungen gehen aber Organisationen wie die DUH oder Oxfam ein, die sich zu erheblichen Teilen aus staatlichen Aufträgen finanzieren? Sichern sie sich im Gegenzug politischen Einfluss, indem sie sich zu unverzichtbaren Partnern staatlicher Stellen machen?
Zum Vertrauen gehört auch Glaubwürdigkeit, ganz besonders in den Fällen, wo NGOs lautstark mit Forderungen an die Öffentlichkeit treten. NGOs, die selber etwas verändern, etwa bei Flüchtlingshilfe, Strandreinigung oder Altenbetreuung, haben kein Problem, ihre Glaubwürdigkeit zu beweisen.
Etwas anders sieht der Fall bei einer Organisation wie Oxfam aus. Während diese regelmäßig die wachsende Ungleichheit beklagt, hat sie offenbar keine Schwierigkeiten damit, solche Ungleichheiten in den eigenen Reihen zu unterstützen: Die Geschäftsführerin bekommt stolze 105.134 Euro im Jahr (in der Sprache von Oxfam: dreimal so viel wie der durchschnittliche deutsche Arbeitnehmer oder 20-mal so viel wie das Arbeitslosengeld II).
Ein Grund dafür, dass Menschen den NGOs so viel Vertrauen entgegenbringen, ist die Vorstellung, dass sich hier jemand für das Gute einsetzt. Das mag auch oft der Fall sein, und es wäre sehr unfair, den Menschen, die sich dort engagieren, von vornherein abzusprechen, dass sie guten Willens sind. Das Problem ist allerdings, dass manche NGOs dazu neigen, den eigenen guten Willen schon für einen Ausweis exklusiver Gutheit zu halten.
Mit anderen Worten: Da sie das Gute wollen, müssen sie auch die Guten sein – und die anderen logischerweise die Bösen. Doch so einfach ist die Welt nicht. Es gibt kaum einen Industriemanager, der die Umwelt zerstören oder fettleibige Kinder produzieren will. Die wenigsten Bauern haben Freude an Tierquälerei. Und kaum ein Reicher möchte gerne, dass andere Menschen arm sind.
Umwelt- und Naturschutz, Fairness und ein besseres Leben für jeden sind Ziele, die fast alle Menschen unterschreiben würden. Sicherlich, manch einer ist nicht achtsam genug, nicht bereit, den eigenen Vorteil für andere hintanzustellen. Wir sind keine Engel. Aber eben auch keine Teufel. Und auch wer sich ganz Anliegen verschrieben hat, die man gemeinhin als „gut“ auffasst, ist dadurch noch kein Engel. Dabei spielt eine wichtige Rolle, dass die Maxime „Der Zweck heiligt die Mittel“ leider oft zu unbedachten Folgen führt, die alles andere als gut sind.
Was passiert etwa, wenn eine Bevölkerung, die durch Dauerberieselung bei Themen wie Gentechnik, Freihandelsabkommen oder Vermögensverteilung in einem beständigen Panikmodus ist, plötzlich mit Themen wie „Überfremdung“ oder „Kontrollverlust“ konfrontiert wird? Bereitet nicht die apokalyptische Form der Kommunikation mancher NGOs den Boden für die Verschwörungstheoretiker, Rassisten und Hassprediger hierzulande?
Es gibt genug Herausforderungen in unserer Welt, die darauf warten, dass Menschen sich ihrer annehmen. Und in sehr vielen Fällen sind NGOs dafür die besseren Akteure als der Staat: Sie reagieren schneller, sind flexibler, haben mehr Spielraum, sind nicht Wahlzyklen ausgesetzt, verfügen über Expertise und werden oft von passionierten Idealisten getragen statt von Bürokraten. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit sollte jedoch eines stehen – und nur das eine: eine wirkliche Veränderung und Verbesserung der Zustände.
Man muss sich hüten vor den Dynamiken, die ein solches Engagement auch mit sich bringen kann: dass man vor allem daran arbeitet, als diejenigen dazustehen, die die Guten sind. Dass Geld-Einwerben zum Selbstzweck wird. Dass Strukturen verknöchern und Hierarchien sich verstetigen. Dass man alles andere ausblendet, was nicht unmittelbar mit dem eigenen Ziel zu tun hat. Und dass man die Verantwortung vergisst, die man für die ganze Gesellschaft und vielleicht sogar für die ganze Welt hat.
Was wir dringend brauchen, ist ein Ethos der NGOs. Das muss man nicht formelhaft runterschreiben und abarbeiten wie einen Verhaltens-Kodex in Unternehmen. Es geht mehr um eine Mentalitätsänderung. Im Herzen dieses Ethos muss die Überzeugung stehen, dass die allermeisten Menschen das Gute wollen. Man kann und muss in der Sache, also der Frage, wie man das Gute erreicht, vortrefflich streiten.
Aber am Ende ist der respektvolle Umgang miteinander eine sehr viel bessere Ausgangsbasis, um wirklich eine Verbesserung zu erreichen, als Panikmache, Freund-Feind-Denken und Aggressivität. Zu diesem Kodex muss auch gehören, dass NGOs nicht der Versuchung erliegen, sich staatlicher Zwangsmittel oder Gelder zu bedienen, sondern auf Überzeugungskraft und Engagement setzen, wie es übrigens Organisationen wie Campact, Attac, Greenpeace oder Foodwatch durchaus tun, auch wenn sie beim Thema übertriebener Panikmache und Aggressivität vielleicht noch nachsitzen müssen.
Dieses Land braucht eine offene Debatte über die Rolle von NGOs. Sie dürfen weder zu Organisationen werden, die an den Organen der freiheitlich-demokratischen Entscheidungsfindung vorbei Sonderinteressen durchsetzen. Noch darf unsere Gesellschaft es durchgehen lassen, wenn sie den Diskurs im Land aufheizen und langfristig vergiften. Stattdessen brauchen wir einen fairen und zivilisierten Wettbewerb der Ideen – und dazu gehören ohne Zweifel starke und unabhängige NGOs.
Erstmals erschienen in der Welt vom 19.2.2019, Seite 2, und online bei welt.de.