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Photo: melisa launay from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Die „Sammelklage light“ soll kommen, aber natürlich getreu dem Motto: bloß keine „amerikanischen Verhältnisse“. Eine vertane Chance. Denn eine echte Sammelklage würde betrügerische Konzerne wirkungsvoll entmachten und viele Regulierungen obsolet machen.

In den USA liegt der VW-Dieselskandal längst bei den Akten

Die Autoindustrie war immer der Musterknabe der Deutschen. Man konnte stolz sein auf die große Bandbreite an technisch fortschrittlichen Herstellern, die gut verarbeitete Modelle am laufenden Band produzierten. So gehören für viele die deutschen Automarken ebenso zu einer Art nationaler Identität wie die Fußballnationalmannschaft. Dann kam der „Dieselskandal“ und mit ihm die langsame Gewissheit, über viele Jahre getäuscht worden zu sein.

Doch anstelle einer raschen juristischen Aufarbeitung – wie beispielsweise in den Vereinigten Staaten – zieht sich das „Dieselgate“ scheinbar endlos in die Länge. Es wirkt nicht so, als wären Parlamente und insbesondere Regierungen an einer umfassenden Aufklärung des Falls interessiert. Das ist nicht verwunderlich, sind die Automobilkonzerne doch äußert mächtige Player, die das Handwerk des Lobbyings verstehen wie kaum eine andere Branche. Viel hinderlicher ist jedoch die Tatsache, dass das deutsche Recht keine Sammelklage im eigentlichen Sinne kennt; vor Gericht also jeder Geschädigte Schaden und Kausalität individuell nachweisen muss. Daran ändert auch die geplante Musterfeststellungsklage kaum etwas. Ein Fehler.

Amerikanische Verhältnisse: Wo die Katze in der Mikrowelle getrocknet wird

Die Debatte um die Sammelklage zeigt exemplarisch wie uninformiert über viele politische Themen öffentlich diskutiert wird. Immerhin ist zu lesen, dass es darum gehe, „amerikanische Verhältnisse“ zu verhindern. Eine ziemlich herablassende Sicht auf das Rechtssystem der ersten modernen Demokratie der Welt. Und eine vermeintliche Kenntnis, die eigentlich nur auf einigen Folgen der TV-Serie „Suits“ sowie auf Anekdoten über Katzen in Mikrowellen und verschütteten Kaffee fußen kann. Sicher, wenn man hört, dass eine Frau den Hersteller von Mikrowellen verklagt, weil dieser nicht darauf hingewiesen habe, dass man keine Katzen in selbigen trocknen möge, wähnt man sich eher beim Chiemgauer Bauerntheater als in den USA. Dass dieser Fall allerdings eine sogenannte „urban legend“ ist, folglich nie wirklich stattgefunden hat, ist häufig ebenso unbekannt wie die Tatsache, dass besagte Frau in den USA vermutlich eher wegen grausamer Tierquälerei verurteilt worden wäre.

Und der Fall, in dem eine ältere Dame 2,3 Millionen US-Dollar zugesprochen bekam, weil sie sich beim Autofahren den Kaffee über die Beine verschüttete? Ein weiteres Beispiel dafür, welch Blüten das amerikanische Schadensersatzrecht treibt, und wie die Unachtsamkeit einer Person dazu führt, dass wir heute auf jedem Kaffeebecher „Vorsicht heiß“ lesen können? Mitnichten. Denn erstens war der Kaffee mit fast 90 Grad Celsius viel heißer als haushaltsüblicher Kaffee und führte dadurch zu Verbrennungen 3. Grades an 6% des Körpers der Geschädigten. Zweitens einigten sich Mc Donalds und die Klägerin nach der zweiten Instanz außergerichtlich auf eine Summe von vermutlich weniger als 600.000 US-Dollar.

Schadensersatz in den Vereinigten Staaten: Ex-post Regulierung statt ex-ante Überregulierung

Sicher, auch 600.000 US-Dollar wären eine im deutschen Schadensersatzrecht astronomische Summe, wenn dem lediglich Behandlungskosten in Höhe von 20.000 US-Dollar entgegenstünden. Grund dafür ist das Konzept der „punitive damages“. Zusätzlich zum „normalen“ Schadensersatz wird dem erfolgreichen Kläger in den meisten Gerichtsprozessen in den Vereinigten Staaten eine Summe zugesprochen, die den Beklagten strafen und ein Exempel statuieren soll. Das erscheint nur auf den ersten Blick abwegig, denn die Logik ergibt mit Blick auf das US-amerikanische System durchaus Sinn.

So verfolgen das europäische und das amerikanische Rechtswesen in dieser Hinsicht zwei grundverschiedene Ansätze. In Kontinentaleuropa wird traditionell ex ante stark reguliert. Durch engmaschige und kleinteilige Normierung und strengere Kontrollen soll Fehlverhalten von Vornherein verhindert werden. Der Gesetzgeber in den Vereinigten Staaten setzt stattdessen auf eine umfangreiche ex post-Sanktionierung von Fehlverhalten durch den Verbraucher vor Gericht.

Sicher hat auch das US-System seine Schwächen, da das Kind erst einmal in den sprichwörtlichen Brunnen fallen muss, um ein Fehlverhalten zu sanktionieren. Gleichzeitig kann dieses System zu mehr Vorsicht seitens der Unternehmen führen, da sie sich nicht auf die Regulierung des Staates „verlassen“ können. Übrigens garantiert strenge Regulierung keine Ehrlichkeit – Stichwort VW. Hinzu kommt, dass für jedes potentiell schädigende Verhalten von Unternehmen in Deutschland eine Regulierung umgesetzt werden muss. In der Folge kämpfen viele Unternehmer mit Überregulierung und unnützer Bürokratie. Und am Ende ist es für den Gesetzgeber trotzdem unmöglich, alle potentiellen Schlupflöcher „dicht zu regulieren“. Der US-amerikanische Ansatz erfordert weniger behördliche Informationssammlungen, lässt weniger Spielraum für Lobbyismus und trifft am Ende nur diejenigen, die sich tatsächlich falsch verhalten haben.

Die Sammelklage ist ein Instrument gegen Korporatismus und ermächtigt das Individuum

In Deutschland wird es auf absehbare Zeit keine „punitive damages“ geben. Die Sammelklage ergibt trotzdem Sinn. Jedoch nur, wenn sie richtig umgesetzt ist. Die geplante „Musterfeststellungsklage“ entzahnt den Verbraucher viel mehr als ihn zu ermächtigen, denn sie gaukelt das Konzept der Sammelklage nur vor. So sollen ausgerechnet Verbände wie die staatlich finanzierten Verbraucherschutzzentralen die Musterklagen anführen, deren Verbraucherbild eher an Orwells Farm der Tiere erinnert als an wirklich mündige Verbraucher. Ganz zu schweigen von professionellen Abmahnern wie der Deutschen Umwelthilfe, denen sich da eine neue Goldgrube auftut.

In „The Logic of Collective Action” stellte der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Mancur Olson bereits 1965 fest, dass kleine schlagkräftige Interessengruppen (wie die Automobilbranche) häufig durchsetzungsfähiger sind als die unkoordinierte, demokratisch organisierte Gesellschaft. Wie dies in der Praxis aussieht, erleben wir aktuell an der erfolgreichen Verzögerungs- und Vertuschungstaktik im Fall VW. Eine echte Sammelklage nach amerikanischem Vorbild könnte hier Abhilfe schaffen, und es dem Bürger ermöglichen, dem Korporatismus von Konzernen und Politik entgegenzutreten. Und auch wenn die Sammelklage nicht vor jedem Missbrauch gefeit ist, so sollte doch gelten „Abusus non tollit usum“. Zu Deutsch: Missbrauch hebt den (rechten) Gebrauch nicht auf.

Photo: Hans-Peter Gauster from Unsplash (CC 0)

Von Nemir Ali, Student der Rechtswissenschaften.

Vom Acrylamid-Gehalt in Pommes bis hin zum Nikotinemissionsgrenzwert einer Zigarette – für all dies gibt es EU-Richtlinien oder Verordnungen, und regelmäßig kann man sich in Brüssel auf die nächste Medienschelte einstellen, wenn derartiges beschlossen wird. Dies zu regeln sei doch überflüssig, Brüssel verliere sich mal wieder ins „Klein-klein“, heißt es dann oft.

Doch stimmt das? In Art. 114 des „Lissaboner Vertrags“ (AEUV) wird der EU aufgegeben, sich um die Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zu kümmern, um so den Binnenmarkt zu stärken. Dabei geht es um den Abbau von nichttarifären Handelshemmnissen, also von solchen, die nicht in Zöllen oder Einfuhrgebühren bestehen, sondern in unterschiedlichen Standards für Produkte oder Dienstleistungen. Diese führen dazu, dass übernational agierende Unternehmen entweder für jedes Land unterschiedliche Produktvarianten entwickeln müssen oder nicht exportieren können. Beides kostet die Verbraucher Geld. Somit wird deutlich: Wer wirklich freien Handel will, der muss auch nichttarifäre Handelshemmnisse abbauen wollen. Und der Art. 114 AEUV hat mithin durchaus seine Berechtigung.

Die eigentliche Frage ist daher, ob nichttarifäre Handelshemmnisse nicht auch anders abgebaut werden können als durch Harmonisierung? Immerhin gilt für zentral festgelegte Standards dasselbe wie für alles andere, was zentral festgelegt wird: Je höher die Beschlussebene ist, desto mehr unterschiedliche Interessen müssen miteinander in Einklang gebracht werden. Das kostet Zeit, ist bürgerfern, eine anschließende Reform ist umso schwieriger und Wettbewerb gibt es auch keinen mehr.

Hier werden von Liberalen in der Regel zwei Alternativen vorgeschlagen: Erstens überhaupt keine Standards oder zweitens die gegenseitige Anerkennung von Standards. Wer sich die aktuelle politische Lage in den meisten EU-Mitgliedstaaten ansieht, wird schnell feststellen, dass beides politisch wohl nicht umsetzbar ist.

Doch es gibt auch eine dritte Variante: Die Europäische Union legt wie bisher Standards für Produkte und Dienstleistungen fest, und alles, was diesen Standards genügt, darf im gesamten Binnenmarkt vertrieben werden. Allerdings können die Mitgliedstaaten (sowie ggf. die Regionalparlamente in den Mitgliedstaaten) von diesen Vorschriften nach unten hin abweichen. D.h. es können auf nationaler oder regionaler Ebene Produkte und Dienstleistungen zu niedrigeren Standards als denen der EU vertrieben werden, soweit dies vom entsprechenden Mitgliedstaat erlaubt wird. Woanders darf ein Vertrieb jedoch nicht stattfinden. Dagegen muss alles, was EU-Standards erfüllt, zwingend vertrieben werden dürfen, sprich die Mitgliedstaaten dürfen hier keine höheren Standards ansetzen. Bisherige Ausnahmeregelungen, die dies zulassen (z.B. die Art. 36 und 114 Abs. 4 AEUV) müssen dementsprechend abgeschafft werden. Damit für Verbraucher ersichtlich ist, welche Standards denn nun gewährleistet werden, empfiehlt es sich, zusätzlich ein EU-Gütesiegel – quasi eine Art Zertifikat für Produkte, die EU-Standards erfüllen – einzuführen.

Auf diese Weise ließe sich sowohl die Einheit des Binnenmarktes mit all seinen wirtschaftlichen Vorteilen wahren, als auch ein Gegengewicht bzw. 28 Gegengewichte zur Regulierungshoheit der EU schaffen. Die EU würde den Freihandel und damit die Freiheit (jedenfalls in wirtschaftlicher Hinsicht) nur noch erweitern können und nicht, wie bisher, auch verringern können. Viele EU-Standards würden auf den Prüfstand kommen und die Kommission wäre gezwungen etwas gegen ausufernde Bürokratie zu unternehmen. Tut sie es nicht, dann tun es eben die Mitgliedstaaten.

Ist dies politisch jetzt ohne weiteres umsetzbar? Gewiss nicht. Sowohl von Grünen, Sozialdemokraten als auch vermutlich von vielen Konservativen werden die üblichen Einwände kommen, die vor einem „race to the bottom“ warnen oder von ihren Vorstellungen für das gute Leben so überzeugt sind, dass sie diese ohne jede Notwendigkeit den Bürgern eines Mitgliedstaates gegen deren demokratisch bekundeten Willen aufzwingen wollen. Doch wer vom Freihandel überzeugt ist und ab und an oder grundsätzlich Standards für notwendig befindet, dem sei hiermit eine gangbare Alternative aufgezeigt.

Photo: Branson Convention and Visitors Bureau from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Wer heute fürs Alter vorsorgen will, hat es schwer. Nicht weil er zu wenig Auswahl hat oder es keine attraktiven Anlagen mehr gibt. Nein, es ist der Wust an Bürokratie. Wer sich heute bei einer Sparkasse, Volksbank oder Privatbank beraten lässt, um beispielsweise 5.000 Euro anzulegen, braucht viel Geduld.  180 Seiten Basisinformationen über Wertpapiere und weitere Kapitalanlagen, dann 30 Seiten Kundeninformationen zu Geschäften mit Wertpapieren und weiteren Finanzinstrumenten, anschließend 33 Seiten Basisinformationen über Vermögensanlagen in Investmentfonds und zusätzlich sind Geschäftsbedingungen, Preis- und Leistungsverzeichnis sowie Datenschutzhinweise durchzuarbeiten. Dafür sollte man schon mal zwei Tage Urlaub nehmen. Doch das war noch nicht alles. Der Berater händigt dem Kunden auch noch das Verkaufsprospekt der Investmentgesellschaft aus. Das sind auch schnell nochmal 100 Seiten Papier. Anschließend muss der Kunde noch nachweisen, dass er überhaupt geeignet für die Kapitalanlage ist. Dazu muss er die Hosen runterlassen und seine Vermögensverhältnisse, das Einkommen und seine Anlageerfahrung offenbaren. Das sind dann auch nochmals 10 Seiten. Summa summarum rund 400 Seiten eng bedrucktes Papier. Doch es kommt noch besser. Kommt er nach vier Wochen auf die schlaue Idee, in die gleiche Anlage einen Sparplan von 50 Euro monatlich zu sparen, muss der Sparkassenberater ihm die ganzen Unterlagen nochmals aushändigen. Das ist wirklich irre.

Man könnte meinen, das sei zum Wohle des Kunden. Doch weit gefehlt. Die Rechtsabteilungen der Banken haben sich soweit abgesichert, dass Banken und Sparkassen kein Risiko mehr tragen.  Und auch der Gesetzgeber, meist aus Brüssel initiiert, kann sich im Zweifel immer zurücklehnen. Er hat ja geliefert. Auf der Strecke bleibt der Kunde. Er wird entmündigt. Ihm traut man kein eigenverantwortliches Handeln zu. Alle werden über einen Kamm geschoren. Der Anlageprofi ebenso wie die Rentnerin, die ihren Notgroschen verwaltet.

Doch warum ist das so? Es hat viel mit einer Illusion zu tun. Mit der Regulierungsillusion. Sie suggeriert, der Staat müsse seine Bürger vor allen Lebensrisiken schützen. Das kann die Regierung, das Parlament oder ein Abgeordneter nicht. Denn sie kennen nicht die Risiken der Zukunft. Das alles ist letztlich ein Kollateralschaden der jüngsten Finanzkrise. Der Insolvenz von Lehman Brothers und der anschließende Ausfall der Lehman-Zertifikate 2008 folgte eine Unmenge an Gesetzesinitiativen zum Verbraucherschutz. Wie so häufig wurde das Kind aber mit dem Bade ausgeschüttet.

Der gleichen Regulierungsillusion unterliegt die Regierung auch bei der Bewältigung der Euro-Krise, die jetzt über Italien wieder zurück kommt. Dort haben die Wähler anders entschieden, als in Brüssel und Berlin erhofft.  Nach der gescheiterten Regierungsbildung drohen jetzt für den Herbst schon wieder Neuwahlen. In der Erwartung eines erneuten Wahlsieges der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung steigen die Renditen der Anleihen des überschuldeten italienischen Staates wieder auf das Krisenniveau von vor fünf Jahren.

Damals war man mehrheitlich der Auffassung, die bisherigen Regeln seien nicht brauchbar. Sie müssten angepasst werden, damit so etwas nie wieder passieren kann. Neben dem Schuldenschirm „Europäischer Stabilitätsmechanismus“, der im Zweifel 500 Mrd. Euro ins Schaufenster stellen kann, sollte eine Bankenunion für Stabilität an den europäischen Finanzmärkten sorgen. Zwei von drei Pfeilern sind inzwischen realisiert:. Die Bankenaufsicht wurde bei der Europäischen Zentralbank angesiedelt. Zusätzlich wurde dort ein Bankenabwicklungsregime angedockt. Jetzt fehlt nur noch eine einheitliche Einlagensicherung im Euroraum. Kurzum: die EZB soll feststellen, wenn eine Bank pleite ist, soll sie abwickeln, und jetzt sollen auch noch die Einlagen von allen Sparern im Währungsraum gegenseitig garantiert werden. Das alles soll verhindern, dass der Währungsraum buchstäblich auseinanderfliegt. Doch ist diese Gefahr wirklich gebannt? Hat das alles geholfen?

Italien hat heute eine Verschuldung von 2.300 Milliarden Euro. Seit März 2015 kauften die EZB und die nationalen Notenbanken Staatsanleihen. Bisher wurden dafür fast 2.000 Mrd. Euro aufgewandt. Alleine 341 Milliarden Euro entfallen auf italienische Anleihen, die von der italienischen Notenbank gekauft wurden. Doch auch die Risiken in den Bilanzen ausländischer Banken sind nicht unerheblich. So haben französische Banken 63 Mrd. Euro Staatspapiere Italiens in ihren Büchern, deutsche Banken 39 Mrd. Euro.

Hat diese Regulierung die aktuelle Krise verhindert? Hat sie das Euro-Währungssystem stabiler gemacht? Sind die Banken weniger systemrelevant? Nein. Es ist nur eine Regulierungsillusion. Es ist eine Beruhigungspille, die suggeriert, man habe alles im Griff. Im achten Jahr der Euro-Schuldenkrise ist das erschreckend wenig. Die Verschuldung in der Eurozone ist gestiegen, die Wirtschaftskraft fällt im internationalen Vergleich zurück und die faulen Kredite in den Bankbilanzen Südeuropas sind viel zu hoch. Das, was notwendig ist, wird nach wie vor tabuisiert. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Über ein geordnetes Ausstiegsszenario für Staaten der Eurozone, die alle anderen mitreißen können, wird nicht einmal diskutiert. Dabei wäre das notwendiger denn je.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

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Man kann der EU-Kommission nicht mangelnde Kreativität unterstellen. Zumindest was ihr Ziel betrifft, endlich eine eigene Steuer erheben zu dürfen, ist sie unendlich ideenreich. Seit vielen Jahren versucht sie es und macht es sehr geschickt. Denn es ist ja nicht populär, Steuern zu erheben. Insbesondere dann nicht, wenn es sich um völlig neue Steuern handelt.

Zu Beginn der Finanzkrise schlug die Kommission vor, eine Finanztransaktionsteuer in der EU zu erheben. Alles schimpfte damals auf die ach so unbelehrbaren Banken. Da lag es sehr nahe, diese über eine Art Umsatzsteuer vermeintlich zu belasten. Bis heute ist sie zum Glück nicht realisiert, da deren Erhebung zu komplex ist, sie die Ursachen der Finanzkrise nicht beseitigen und die Altersvorsorge der Menschen belasten würde.

Jetzt startet die Kommission einen neuen Versuch, ihre Eigenmittel zu erhöhen. Mit dem Austritt der Briten aus der EU klafft eh eine Einnahmelücke in Milliardenhöhe, und der Druck auf die Ausgaben ist hoch. Da liegt es doch nahe, die eigenen Einnahmen zu erhöhen. Alleine über die Zölle kann die Kommission derzeit die Höhe ihrer Einnahmen bestimmen, der Rest wird ihr durch die Mitgliedsstaaten zugewiesen. Vielleicht ist das auch der Grund wieso die EU beim Abbau der Zölle nicht gerade internationaler Vorreiter ist. Der Kommission in Brüssel ist halt das Hemd näher als der Rock.

Über den künftigen mehrjährigen Finanzplan wird gerade intensiv verhandelt. Den Druck aus dem Kessel könnte daher eine populäre Steuer nehmen, die direkt in den EU-Haushalt fließt. Und schon ist die Plastik-Steuer auf dem Präsentierteller. Auf den Weltmeeren schwimmen Tonnen von Plastikmüll, die einfach so ins Meer geworfen werden. Fische und andere Meerestiere nehmen den Müll auf, und er wandert schließlich auch noch über die Nahrungskette in unsere Lebensmittel. Das ist ohne Zweifel ein wirkliches und drängendes Problem.

EU-Vizekommissionspräsident Jyrki Katainen schlägt daher für die Kommission vor, zehn Einwegprodukte zu verbieten, die seiner Aussage nach 70 Prozent alle Abfälle im Meer verursachten. Ob das den Fischen im Pazifik oder Indischen Ozean hilft? EU-Kommissar Oettinger will erreichen, dass die EU-Länder, die nicht eine Recyclingquote von mindestens 80 Prozent erreichen, für jedes Kilo eines nicht wiederverwerteten Kunststoffs 80 Cent an die EU zahlen müssen. Ein Trinkhalm müsse ja nicht aus Plastik sein, so der Schwabe. Oettinger erhofft sich rund 4 bis 8 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen der EU. Damit hätte er als zuständiger Haushaltskommissar einen Großteil seiner Haushaltsprobleme gelöst. Doch bei all dieser fiskalischen Akribie ist es schon notwendig, den Vorschlag insgesamt einmal zu bewerten.

Unter den 10 größten Verschmutzern der Ozeane mit Plastikmüll ist kein einziges Land der EU. Auf Platz 1 steht China, gefolgt von Indonesien, den Philippinen und Vietnam. Dass heimischer Plastikmüll über die Werra, Weser und die Nordsee in den Atlantik gespült wird, ist eher unwahrscheinlich. Und dass Plastikmüll aus Österreich über die Donau, das Schwarze Meer und das Mittelmeer in den Atlantik gelangt ebenfalls. Noch unwahrscheinlicher ist es, wenn ein Luxemburger seinen Plastikmüll einfach in die Landschaft schmeißt, dass dieser im Ozean landet.

Ist die Müllentsorgung überhaupt eine Aufgabe der EU? Es wäre vielleicht der Fall, wenn Müll aus einem Land in ein anderes Land der EU gekippt würde. Das Problem scheint nicht zu existieren. In Deutschland herrscht ein sehr ausgeklügeltes System der Mülltrennung – vom Dosenpfand bis zum Grünen Punkt ist alles geregelt. Über den Sinn und Unsinn der Trennung in Deutschland in zahlreiche Müllfraktionen macht man sich auf der ganzen Welt lustig. Aber so sind wir halt. Die Wiederverwertungsquoten sind hoch und die thermischen Verbrennungsanlagen entsprechen dem Stand der Technik. Gibt es überhaupt einen Handlungsbedarf? Auf nationaler und insbesondere auf europäischer Ebene sicherlich nicht.

In Ländern, wo die Meere mit Plastikmüll verschmutzt werden, fehlt es an einem ausreichenden Schutz des Eigentums. Nur wer rechtssicher Eigentum erwerben und behalten kann, hegt und pflegt dieses, auch über Generationen hinaus. Der Hotelbesitzer am Strand hat ein Interesse, seinen Strand von Müll sauber zu halten. Der Fischer an der Küste hat generell ein Interesse an sauberen Fanggründen und der Landwirt möchte nicht, dass seine Äcker und die angrenzenden Bäche vollgemüllt werden. Sie alle haben auch kein Interesse daran, dass andere Plastikmüll auf offener See verklappen. Rational unterstützen sie deshalb Parteien und Regierungen in ihrem Land, die ihre Lebensgrundlagen erhalten und gegen Umweltsünder vorgehen. Daher sind Demokratie, Rechtsstaat und die Marktwirtschaft tragende Säulen dieses Eigentumsschutzes.

Wenn es nur darum geht, möglichst schnell sein Grund und Boden auszubeuten, weil man nicht gewiss sein kann, dass es einem noch übermorgen gehört, landet man unweigerlich in der verantwortungslosen Gesellschaft. Dort muss man keine Rücksicht darauf nehmen, was später passiert. Grund und Boden und mittelbar dann auch die Meere können erst zum Opfer der „Tragik der Allmende“ werden, wenn Verantwortungslosigkeit herrscht. Wer die Weltmeere retten will, muss daher das Eigentum schützen.

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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Kevin Spur, Student der Ökonomie an der Freien Universität Berlin.

Die skandinavischen Staaten sind für vieles bekannt, für einen schlanken, wenig eingreifenden Staatsapparat allerdings nicht. Zumindest um die wirtschaftliche Freiheit ist es in Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland bei weitem nicht so schlecht bestellt, wie manch einer vielleicht glaubt. Bei genauerem Hinsehen könnte das andere Vorurteil in sich zusammenfallen.

Skandinavien gilt für viele als Vorbild. Das sogenannte „skandinavische Modell“ verbinde wirtschaftlichen Erfolg mit einem umfassenden Sozialstaat. Der Ökonom Jeffrey D. Sachs schreibt: „Die nordischen Länder haben erfolgreich einen Wohlfahrtsstaat mit hohem Einkommensniveau, solidem Wirtschaftswachstum und makroökonomischer Stabilität kombiniert.“ Ist also die wirtschaftliche Freiheit in Skandinavien deutlich stärker eingeschränkt als beispielsweise in Deutschland? Ein Blick auf den Index für wirtschaftliche Freiheit zeigt, dass die skandinavischen Länder im Mittel gar ein wenig wirtschaftlich freier sind als Deutschland – trotz umfangreicherer staatlicher Aktivität.

Skandinavien ist (erfolg-)reich

Das höchste reale pro Kopf Einkommen unter den skandinavischen Ländern ist in Norwegen zu finden. Es ist dort fast 20% höher als in Dänemark. Dies liegt unter anderem an den reichen norwegischen Rohstoffvorkommnissen. Der Öl- und Gassektor macht rund 22 % der Wirtschaftsleistung aus.

Das Pro-Kopf-Einkommen der Menschen in Dänemark und Schweden ist ähnlich hoch wie in Deutschland. Finnland ist nach diesem Maßstab ökonomisch weniger erfolgreich als seine Nachbarländer. Das finnische BIP pro Kopf ist gut ein Viertel niedriger das norwegische.

Skandinavien: Hohe Staatsquote

Im Vergleich zu Deutschland ist der Umfang staatlicher Aktivitäten in Skandinavien deutlich ausgeprägter. Die Staatsausgaben liegen in Deutschland bei gut 44 % des BIP, während sie in den skandinavischen Ländern mehr als die Hälfte des BIP ausmachen. Soweit passen die Beobachtungen zum verbreiteten Bild von umfassenden Wohlfahrtsstaaten.

Wirtschaftliche Freiheit

Das kanadische Fraser Institut berichtet regelmäßig über die weltweite Lage der wirtschaftlichen Freiheit. Es werden verschiedene Kategorien betrachtet, um ein Gesamtbild der wirtschaftlichen Freiheit der Menschen eines Landes zu zeichnen. Negativ fließen der Umfang staatlicher Aktivität sowie staatliche Regulierung ein. Positiv fließen Rechtssicherheit und Sicherung privater Eigentumsrechte, monetäre Stabilität sowie grenzüberschreitender Handel ein.

Die skandinavischen Länder, angeführt von Dänemark, sind nach diesem Maßstab ähnlich wirtschaftlich frei wie Deutschland. Deutschland befindet sich in Bezug auf die gemessene wirtschaftliche Freiheit in der Mitte der vier skandinavischen Länder.

Dieser Befund mag überraschen, da er der verbreiten Wahrnehmung widerspricht, die skandinavischen Staaten schränkten im Vergleich zu Deutschland wirtschaftliche Freiheit stärker ein.

Obwohl die Staatsausgaben im Verhältnis zum BIP in Skandinavien deutlich höher als in Deutschland ausfallen, ist die gemessene wirtschaftliche Freiheit in der Gesamtschau auf einem ähnlich hohen Niveau. Die drei Unterkategorien des Indexes, die sich mit sicheren Eigentumsrechten, grenzüberschreitendem Handel und Regulierung befassen, geben Hinweise darauf, wie dieses für einige überraschende Ergebnis zustande kommt.

Sichere Eigentumsrechte

Im Bereich Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit privater Eigentumsrechte schneiden alle skandinavischen Staaten besser als Deutschland ab. Skandinavische Gerichte sind unabhängiger, das Rechtssystem ist weniger korruptionsanfällig und es erfolgt eine bessere Durchsetzung des Rechts. Das Eigentum der Skandinavier wird besser geschützt, sie können freier als die Deutschen über ihr Eigentum verfügen und Regulierung beschränken den Kauf und Verkauf von Eigentum weniger stark.

Ein funktionierender Rechtsstaat sichert private Eigentumsrechte und schützt die Menschen gegen Übergriffe durch Private oder staatliche Stellen. Der Schutz von Eigentum ist für die wirtschaftliche Entfaltung von Menschen essentiell. Ein Umfeld sicherer Eigentumsrechte animiert zu Investitionen, die zum Wachstum des Kapitalstocks und damit einem höheren Wohlstand in der Zukunft beitragen.

Es wäre möglich, dass auf Grund der größeren Ausgaben des Staates die Eigentumsrechte in Skandinavien besonders sicher und die Gerichte besonders zuverlässig sind. Dies scheint allerdings nicht der Fall zu sein. Im Gegenteil: Der deutsche Staat verwendet einen höheren Anteil des BIP auf Ausgaben für Polizei und Gerichte. Nicht höhere Staatsausgaben, sondern eine effizientere Durchsetzung von Recht und Ordnung scheinen diesbezüglich das skandinavische Rezept zu sein.

Freier Handel

Mit Ausnahme von Norwegen sind die dem grenzüberschreitenden Handel entgegenstehenden Barrieren in den skandinavischen Ländern weniger stark ausgeprägt als in Deutschland.

Der durchschnittlich erhobene Zoll ist in allen betrachteten Ländern mit fast 9 % gleich hoch. Nur im Nicht-EU-Mitglied Norwegen sind die Zölle im Durchschnitt niedriger (8,7%). Dafür sind sie in Norwegen im Vergleich zu den übrigen Ländern uneinheitlicher – auf verschiedene Produkte werden mehr als in den anderen Ländern unterschiedlich hohe Zollsätze erhoben. Dies lässt Norwegens Indexwert für wirtschaftliche Freiheit in Bezug auf Freihandel etwas hinter die übrigen Länder zurückfallen.

Während Zölle den grenzüberschreitenden Handel in Skandinavien und Deutschland in ähnlicher Weise behindern, ist es für ausländische Investoren einfacher, in Skandinavien geschäftlich aktiv zu werden. Es gibt weniger Hindernisse für Ausländer, in Skandinavien Unternehmen zu kaufen oder in Projekte zu investieren. Außerdem sind Regulierungen, die den grenzüberschreitenden Handel beinträchtigen und nicht-tarifäre Handelshemmnisse in Skandinavien weniger verbreitet als in Deutschland. Diese Faktoren erklären, warum Skandinavier durchschnittlich einen besseren Zugang zu grenzüberschreitendem Handel haben als Deutsche.

Weniger Regulierung in Dänemark und Schweden

Dänemark und Schweden weisen zwar die höchsten Staausausgaben auf, sind aber in Bezug auf das Ausmaß der Regulierung der Wirtschaft die beiden zurückhaltendsten Länder.

Der dänische Arbeitsmarkt ist der unter den Vergleichsländern am wenigsten regulierte und die Hürden für den Eintritt in den Arbeitsmarkt sind dort entsprechend niedriger als in den anderen vier Ländern.

Norwegen und Finnland schneiden bezüglich der Regulierungsintensität auf Grund stärkerer Regulierungen des Arbeitsmarktes ähnlich ab wie Deutschland.

Skandinavien: Wirtschaftlich so frei wie Deutschland

Die wirtschaftliche Freiheit ist in Skandinavien nicht deutlich eingeschränkter als in Deutschland. Deutlich höhere Staatsausgaben und entsprechende Staatseinnahmen werden kompensiert durch einen Mix aus einem verlässlichen Rechtsstaat, zurückhaltender Regulierung und niedrigen Barrieren für den grenzüberschreitenden Handel.

Eine Ausweitung staatlicher Aktivität in Deutschland ohne Verbesserung des Justizwesens, Erleichterung des grenzüberschreitenden Handels und Abbau kooperationshinderlicher Regulierungen würde nicht einer Annäherung an das „skandinavische Modell“ gleichkommen. Bezüglich der wirtschaftlichen Freiheit würde sich Deutschland so weiter vom „skandinavischen Modell“ entfernen.

Erstmals veröffentlicht bei IREF.