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Photo: United States Mission Geneva from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Mit dem Verdikt „undemokratisch“ wird der Schrecken von TTIP und CETA anschaulich an die Wand geworfen. Es ist verwunderlich, dass dieser Vorwurf verstummt, sobald es um Organisationen wie die OECD, die WHO oder gar die Klimakonferenzen geht, die zum Teil erheblich gravierendere Defizite aufweisen.

Technokratie schlägt Demokratie

Als Beweis für den undemokratischen Charakter der Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada wird immer wieder auf Schiedsgerichte verwiesen, die „in Hinterzimmern“ und jenseits „demokratischer Kontrolle“ tagen und entscheiden würden. Wie sieht es eigentlich mit der demokratischen Legitimation und der Kontrolle durch die Öffentlichkeit aus bei anderen transnationalen Abkommen und Organisationen? Die Weltgesundheitsorganisation etwa macht in regelmäßigen Abständen Vorschläge, die weit über die Bekämpfung von AIDS, Polio und Teenage-Schwangerschaften hinausgehen und dennoch häufig ohne große Diskussion in nationales Recht übernommen werden.

Erst vor kurzem schlug sie vor, zuckerhaltige Produkte mit einer Steuer von mindestens (!) 20 Prozent zu versehen. Zucker und Salz, Fett, Alkohol und Tabak – all das steht auf der Abschussliste. Und mittlerweile gehen die Ideen auch weit über bloße Aufklärung und Prävention hinaus: vom Werbeverbot über Zusatzsteuern bis hin zu neutralen Zigarettenschachteln („plain packaging“ – es gibt auch bereits Forderungen, dieses Konzept auf Alkohol und „ungesundes“ Essen auszuweiten). Solche Vorschläge, die im Gewand technokratischer Neutralität, wenn nicht gar wissenschaftlicher Objektivität daherkommen, werden in vielen Ländern unbesehen übernommen. Demokratischer Kontrolle und vor allem öffentlicher Diskussion entziehen sich die Befürworter solcher Regelungen indem sie sich mit der Aura internationalen Expertentums umgeben.

Eine Spielwiese für Bürokraten und Lobbyisten

Dabei ist die WHO selber eine durch und durch undemokratische Organisation – und zwar noch viel deutlicher als das internationale Schiedsgerichte sein können. Während es sich bei Letzteren um Gremien handelt, die jeweils von Fall zu Fall einberufen werden, hängt an der WHO ein gigantischer bürokratischer Apparat mit 8500 Mitarbeitern. Eine „Kontrolle“ findet statt durch Delegierte, die von ihren jeweiligen Mitgliedsstaaten gesandt werden: also zum Beispiel aus Nordkorea, Russland, Zimbabwe und Venezuela. Und natürlich steht auch die Pharmaindustrie nicht tatenlos beiseite, sondern nutzt diese weltweite Organisation auch zur Lobbyarbeit für ihre eigenen Produkte und gegen Konkurrenten, gerade in den weniger entwickelten Ländern.

Die OECD, die ganz ähnliche Politikempfehlungen gibt, von PISA bis zur Aufweichung von Datenschutz im Zusammenhang mit „Steuerflucht“, ist ebenso wenig durchschaubar. Die Delegationen werden von den Regierungen entsandt und können in ihren eigenen Hinterzimmern auch mancherlei Agenda ersinnen, die dann rasch Verbindlichkeit erlangt. Diese und viele andere Organisationen und ständige Konferenzen sind in vielerlei Hinsicht der Kontrolle durch Parlamente und Öffentlichkeit entzogen, betreiben ihre eigene Agenda und sind Einflüssen ausgesetzt, die zumindest zweifelhaft sind: von Industrielobbyisten bis zu Vertretern von Diktaturen und Unrechtsregimen.

Je stärker Menschen betroffen sind, umso mehr sollten sie mitreden können

Allein, in die Kritik kommen sie nur selten. Und das liegt wahrscheinlich daran, dass sie zum Teil tatsächlich „für die gute Sache kämpfen“, sich aber insbesondere auch immer diesen Anstrich geben. Wer etwas gegen dicke Kinder, Raucherbeine und Steuerflucht tut, der muss ja auf der guten Seite der Macht stehen. Aber so einfach ist es nicht. Ganz unabhängig davon, was die tatsächlichen Motive dieser Akteure sein mögen – ihre Lösungen sind in der Regel weder zielführend noch gerecht. Strafsteuern und Verbote für alle Konsumenten, Einheitsstandards oder weltweit verbindliche Vorgaben sind der sicherste Weg in eine tatschlich ungerechte Welt, wo sich alle den Vorgaben einer Technokraten-Elite zu beugen haben.

Wie findet eigentlich demokratische Kontrolle statt? Sie hat viel damit zu tun, wie unmittelbar, allgemein und langfristig etwas ist. Je stärker Menschen betroffen sind, umso mehr sollten sie mitreden können. Wenn – Stichwort Schiedsgerichte – die Stadt Hamburg ihren Verpflichtungen gegenüber Vattenfall nicht nachkommt und sich daraufhin auf einen Vergleich einigt, dann haben wir keinen Mangel an demokratischer Kontrolle. Kontrolliert werden müssen und können Senat und Bürgerschaft, die für die Vertragsverletzungen zuständig sind. Es ist ein Kernelement der repräsentativen Demokratie, dass bestimmte Aufgaben wie etwa Vertragsabschlüsse an Abgeordnete und Exekutivorgane delegiert werden und die Kontrolle dann alle paar Jahre für die Gesamtbilanz durchgeführt wird.

Demokratiedefizit: von missionarischem Eifer beseelte Technokraten

Ganz anders verhält es sich bei politischen Maßnahmen, also da, wo nicht einzelne und konkrete Entscheidungen getroffen werden, sondern allgemeinverbindliche Regeln bestimmt werden. Während etwa im Fall von Vattenfall nur mittelbar die Hamburger Steuerzahler und darüber hinaus einige Anwohner und einige Angestellte betroffen sind, treffen 20 % Zuckersteuer, erhöhte Überwachung oder ähnliche Repressalien alle Bürger, ja alle Konsumenten eines Staates. Hier ist viel deutliche demokratische Kontrolle gefordert!

Anstatt sich an der vermeintlichen und zum Teil auch tatsächlichen Intransparenz rund um TTIP und CETA aufzureiben, die die allermeisten Menschen ohnehin kaum irgendwie betrifft, sollten wir das Augenmerk auf diejenigen undemokratischen und intransparenten Akteure richten, die Maßnahmen durchsetzen, die fast jeden von uns betreffen. Nicht Unternehmen, die für sich, ihre Eigentümer, Angestellten und Kunden Rechtssicherheit haben wollen sind das Problem. Das Problem sind von missionarischem Eifer beseelte Technokraten, die uns alle zu besseren Menschen machen wollen. Notfalls auch gegen unseren expliziten Willen. Hier besteht ein gravierendes Demokratiedefizit, das angegangen werden will.

Photo: Bankenverband from Flickr (CC0 1.0)

Nicht jedes tote Pferd ist bereits in die ewigen Jagdgründe eingezogen, nur weil es länger nicht gesichtet wurde. Manchmal ist es nur scheintot. Die Finanztransaktionssteuer ist so ein Gaul. Der alte Klepper wurde lange, sehr lange geritten. Er war sogar einmal Gegenstand einer ernsten Koalitionskrise. Als am 7. Mai 2010 der Bundestag über die erste Griechenlandhilfe beriet, wollte die Koalition aus Union und FDP mit einem Entschließungsantrag auch die oppositionelle SPD mit ins Boot holen. Damals konnte man hautnah miterleben, wie der real existierende Politikbetrieb funktioniert. Die Bedingung der Sozialdemokraten für die Zustimmung zum griechischen Bail-Out war die Einführung einer Finanztransaktionssteuer in Deutschland. Die Union hatte Sympathien für diesen Vorschlag, da man damit den Koalitionspartner FDP ärgern konnte. Die FDP profilierte sich bekanntlich im Wahlkampf 2009 mit Steuersenkungen und erzielte damit ihr historisch bestes Bundestagswahlergebnis. Das geschah auch auf Kosten der Union, die zwar anschließend mit der FDP eine Koalition schloss, aber von Anbeginn an alles dafür tat, die FDP in dieser Frage zu schwächen. Der Einführung einer neuen Steuer, die auch noch die Altersvorsorge jedes Einzelnen belastet, konnte die FDP nicht zustimmen. Sie erklärte die Einbeziehung der Finanztransaktionssteuer daher zu einer Koalitionsfrage.

In der Folge einigte sich die Koalition auf einen eigenen Entschließungsantrag ohne die neue Steuer und ohne die SPD. Anschließend stimmten die Genossen gegen den Entschließungsantrag der Koalition und enthielten sich kraftvoll bei der ersten Griechenlandhilfe. Es geht halt im Parlamentsalltag immer um die Sache.

In dieser Woche haben zehn EU-Finanzminister (Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien, Belgien, Griechenland, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien) den alten Klepper wieder aus dem Stall geholt. Sie haben gemeinsam die EU-Kommission beauftragt, bis Ende des Jahres einen Gesetzentwurf vorzulegen, der nur für diese zehn Mitgliedsstaaten Verbindlichkeit erlangen soll.

Selbstzerstörung ist der europäischen Politik nicht völlig fremd, aber dass sich jetzt schon eine Gruppe innerhalb der 28 freiwillig im Verhältnis zu den anderen selbst schädigt, ist neu. Es wäre schon absurd, die Steuer weltweit einzuführen, da sie nicht administrierbar ist, erst recht nicht kontrollierbar und vor allem künftige Finanzkrisen eher befördert als verhindert. Es wäre auch irre, diese Steuer in der gesamten EU einzuführen, da die Verlagerung von Börsentransaktionen nach Tokio oder New York eine Sekundenentscheidung wäre.

Aber in Anbetracht des kommenden Brexits ist es wohl ein aktiver Beitrag zur Sicherung des Bankenplatzes in London, den die Festlandseuropäer hier an den Tag legen. Diese großzügige Geste von Schäuble und anderen ist verwunderlich, da sie sonst die EU und ihren Binnenmarkt eher als protektionistische Trutzburg gegen den Freihandel nach außen positionieren. Denn dem wichtigen Handelspartner Großbritannien droht man längst mit einem Abbruch der Handelsbeziehungen, sollten sie die Personenfreizügigkeit nicht ohne wenn und aber akzeptieren.

Hinter der Finanztransaktionssteuer steckt die falsche Annahme, dass Börsenturbulenzen etwas mit den Börsenumsätzen und der Umlaufgeschwindigkeit von Finanztransaktionen zu tun habe. Sie soll die Finanzaktivitäten belasten und damit beschränken. Hält man das Auf und Ab der Börsen für schlecht, dann sorgt eine Umsatzsteuer auf Finanzgeschäfte eher für eine Liquditätsaustrocknung, die dann zu einer wachsenden Volatilität führen kann. Und sehr wahrscheinlich gelingt es den Banken, Fondsgesellschaften und Versicherungen, die Steuer auf ihre Kunden zu übertragen. Sie werden diese dann mit ihrer Altersvorsorge bezahlen.

Deutschland hat 1991 die Börsenumsatzsteuer abgeschafft, weil sie der Aktienkultur in Deutschland geschadet hat. Heute geht es nicht mehr nur um die Aktienkultur, sondern um einen Schlag gegen die Sparkultur insgesamt in Deutschland. Wenn die Zinsvernichtungspolitik der EZB unter Mario Draghi die Sparer bereits um ihren Ertrag bringt, dann ist eine Finanztransaktionssteuer ein doppelter Schlag für diejenigen, die unabhängig von staatlichen Transferleistungen im Alter sein wollen. Das alles ist nicht unerheblich. Denn eine Gesellschaft freier Bürger setzt Eigentum voraus. Wenn der Staat über die Geldpolitik auf der einen Seite und über die Steuerpolitik auf der anderen Seite immer mehr in das Eigentum des einzelnen eingreift, erodiert die bürgerliche Gesellschaft. Der Bürger wird immer abhängiger und der Staat immer mächtiger. Das kann auch in der Entwicklung der Parteien abgelesen werden.

Das wirklich Erschreckende daran ist, dass sich hier die Union aus CDU und CSU mit der politischen Linken, von Attac, Grünen, Linken und SPD bis zu den Gewerkschaften, verbünden. Es gibt keinen breiten bürgerlichen Widerstand gegen die Eingriffe ins Eigentum, sondern nur noch Symbolpolitik.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: John Erlandsen from Flickr (CC BY 2.0)

Nicht jeder Beschluss, den ein Verfassungsorgan fällt, wird morgen in ein Gesetz gegossen. Aber die Basis ist dafür gelegt. Wenn Bundestag oder Bundesrat daher etwas beschließen, ist das nicht zu vernachlässigen. Jetzt hat letzterer in einem Beschluss die EU-Kommission aufgefordert, „die bisherigen Steuer- und Abgabenpraktiken der Mitgliedstaaten auf ihre Wirksamkeit hinsichtlich der Förderung emissionsfreier Mobilität auszuwerten …, damit spätestens ab dem Jahr 2030 unionsweit nur noch emissionsfreie Pkw zugelassen werden“. Wahrscheinlich ist in der EU, erst recht in Deutschland, kein Wirtschaftszweig für die Wertschöpfung und die Beschäftigungssituation so wichtig wie die Automobilindustrie und ihre Zulieferer. In Deutschland arbeitet jeder siebte Arbeitnehmer direkt oder mittelbar in der Automobilindustrie. Auch Spanien hat eine starke Autoindustrie. Der derzeitige Aufschwung wird alleine von ihr getragen. Italien und Frankreich wären längst ökonomisch implodiert ohne Fiat, Renault, Peugeot und Citroën. In der Slowakei, Tschechien und Polen hat die Automobilindustrie eine dominierende Rolle. Dabei sind es nicht nur die OEMs wie VW, Mercedes oder BMW, die von Bedeutung sind, sondern deren unzählige Zulieferer, die Kolben, Nockenwellen, Zündkerzen, Einspritzdüsen, Zylinder, Ölwannen, Kurbelwellen oder Auspuffe produzieren.

Es ist daher erschreckend, zu welchen Weichenstellungen die Politik willens und in der Lage ist. Dabei ist es nicht der Punkt, dass Unternehmen keine Garantie für ihre künftige wirtschaftliche Entwicklung haben. In einer Marktwirtschaft kann es das nicht geben. Will ein Unternehmen dauerhaft überleben, muss es sich an die veränderten Wünsche seiner Kunden anpassen, sonst verschwindet es vom Markt. Dafür gibt es historisch viele Beispiele. Quelle und Neckermann gibt es heute nicht mehr, weil sie den Online-Handel verschlafen haben. Nokia hat den Trend zum Smartphone nicht rechtzeitig vollzogen. AEG und Dresdner Bank existieren heute ebenfalls nicht mehr. Es ist der Lauf der Zeit, doch diese Kapitalvernichtungen sind durch unternehmerische Fehlentscheidungen und Versagen verursacht und nicht durch staatliche Intervention. Jetzt schickt sich der Staat an, zu wissen welche Autos in 14 Jahren (!) hergestellt werden. Es ist die Einführung einer zentralen Planwirtschaft durch die Hintertür. Es wird grandios scheitern, weil kein Regierender wissen kann, welche Technologie sich in der Automobilindustrie durchsetzt. Ohne eine Wettbewerbsprozess werden gigantische Fehlinvestitionen ausgelöst, die Europa auf Jahrzehnte zurückwerfen werden.

Doch das eigentlich Erschreckende ist, dass sich in der Automobilindustrie und in den sich anschließenden Industrien kein Widerstand regt. Deren Vorstände und Eigentümer nehmen diese Beschlüsse hin, grummeln und empören sich in den Hinterzimmern, aber suchen nach wie vor die Nähe zu den Handelnden in der Politik. Sie freuen sich, wenn die Bundeskanzlerin, der Wirtschaftsminister oder der Ministerpräsident sie zu Auslandsreisen mitnimmt und sie zum vertraulichen Abendessen eingeladen werden. Daimler-Benz spendet den Grünen sogar einen sechsstelligen Betrag, obwohl diese Partei ihre Lebensgrundlage zerstören wird. Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt unzählige Beispiele dafür wie Unternehmen Parteien, Umweltverbände und Aktionsplattformen unterstützen, die eigentlich diesen Unternehmen schaden. Sie glauben wohl, dass durch eine Art Ablasshandel ihr Schaden minimiert werden kann.

Die Folge ist, dass der Staat sich immer mehr einmischt. Die wenigen Freiheitsgrade in der Wirtschaft sollten die Unternehmer eigentlich mit Zähnen und Klauen verteidigen. Im Verlauf geschieht dies sicherlich auch. Wahrscheinlich werden Unternehmen, Unternehmensverbände und Gewerkschaften durch einen intensiven Lobbyingprozess erreichen, dass der verbindliche Umstieg auf Elektroautos nicht schon 2030 erfolgt, sondern erst 2032, 2035 oder vielleicht auch erst 2040. Das lässt die Übergangsphase verträglicher werden. Das Ergebnis ist aber letztlich das Gleiche.

Es braucht daher einen Mentalitätswechsel. Doch woher soll der Mentalitätswechsel kommen, wenn selbst die Unternehmer in diesem Land sich ihrem vermeintlichen Schicksal ergeben? Darüber hinaus ist ein Mentalitätswechsel viel schwieriger als die Begleitung eines Gesetzgebungsprozesses oder das Protegieren einer Regierung. Er erfordert ein viel früheres Eingreifen. Es muss in erster Linie die Erkenntnis reifen, dass eine gesellschaftliche Veränderung nicht vom Himmel fällt oder ein reiner Zufall ist, sondern Folge eines langfristigen gesellschaftlichen Trends. Auch die heutige Situation, die letztlich zum Bundesratsbeschluss geführt hat, ist Ergebnis eines Trends. Dieser Trend wurde in den 1960er Jahren begonnen. Es war der Kampf der Linken gegen den alten liberalen Begriff der Zivilgesellschaft. Deren Ziel war es, den liberalen Rechtsstaat in den allumfassenden Sozialstaat zu transformieren. Der liberale Rechtsstaat ist in seiner klassischen Version geprägt durch Institutionen wie Privateigentum, Vertrags- und Gewerbefreiheit, Niederlassungsfreiheit, aber auch durch die Autonomie der Familie und die Gewissenfreiheit. Diese Institutionen sind im liberalen Rechtsstaat von der Herrschaft anderer geschützt.

In unserer heutigen paternalistischen Scheinmoderne werden diese Institutionen jedoch fortwährend geschleift und zermürbt. In seiner Kurzform lautet dieser Angriff auf die Zivil- und Privatrechtsgesellschaft: Eigentum ist Diebstahl und Familie ist ein Unterdrückungsapparat. Jede Fehlentwicklung im Einzelnen, also im Unternehmen oder in der Familie wird dazu benutzt, dies mit für alle freiheitseinschränkenden Maßnahmen zu beantworten.

Dadurch weist der paternalistische Staat in der neuen Zivilgesellschaft dem Individuum Freiräume und Eigentumsrechte zu. Es ist eine Art Gutsherrenmentalität, die der Staat gegenüber seinen Bürgern hier zum Ausdruck bringt. Der Staat entscheidet nach öffentlicher Beratschlagung im angeblichen herrschaftsfreien Diskurs sogar über die künftige Entwicklung aller Individuen einer Gesellschaft, was dann als die Umsetzung emanzipatorischer gesellschaftlicher Projekte und als kollektiver Selbstbefreiungsprozess gefeiert wird. Unter der Tarnkappe „Demokratisierung aller Lebensbereiche“ werden so institutionelle Grundsäulen einer freien und offenen Gesellschaft angegriffen.

Auf diese Weise wird der Staat, der eigentlich die Aufgabe hat, das Individuum vor Willkür zu schützen, für gesellschaftliche Projekte sogenannter „Träger der Zivilgesellschaft“ missbraucht. Der demokratische Staat verliert so seinen Anspruch, freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat zu sein. Recht und Freiheit werden so kampflos aufgegeben.

Wir haben es in unserer Gesellschaft inzwischen mit einer strukturellen Mehrheit zu tun, die ein antiliberales „mentales Modell“ verinnerlicht hat. Der Nobelpreisträger Douglass C. North spricht von „Shared Mental Models“, von „gemeinsamen mentalen Modellen“, um einen institutionellen Wandel in einer Gesellschaft zu analysieren. Neben einer Theorie der Eigentumsrechte und einer Theorie des Staates muss darin eine Theorie der Ideologie berücksichtigt werden. Diese gemeinsamen mentalen Modelle sind sehr langlebig und kurzfristig nicht veränderbar. Wenn man diese Entwicklung ändern will, dann setzt es einen Prozess kultureller Evolution voraus, in dem sich neue gemeinsame mentale Modelle bilden und behaupten müssen. Dieser Prozess muss von den verbliebenen und von neuen bürgerlich-liberalen Kulturträgern angestoßen werden. Davon gibt es noch einige. Prometheus gehört dazu. Aber ob dies zur Verschiebung der Verhältnisse führen wird, ist völlig offen und hängt davon ab, ob diese sich überall entwickelnden Freiheitsinseln überzeugend und anziehend genug sind, um im in der Auseinandersetzung mit den Gegnern des liberalen Rechtsstaates zu bestehen.

Es ist also unsere Aufgabe, starke Freiheitsinsel zu entwickeln. Nur wenn es gelingt, ein gemeinsames mentales Modell durchzusetzen, das den freiheitlichen Rechtsstaat zum Ziel hat, sind auch langfristig die Rechte des Einzelnen gesichert. Denn ohne Vertragsfreiheit und Eigentumsschutz werde die Eingriffe des Staates in das Wirtschaftsgeschehen unvermindert fortschreiten und die Marktwirtschaft unweigerlich in ein neuzeitliches Modell zentraler Planwirtschaft verwandeln. Dazu braucht es Mut, Entschlossenheit und eine langen Atem.

Photo: Picturepest from Flickr (CC BY 2.0)

Es ist immer Vorsicht geboten, wenn man von einem Einzelfall auf die Gesamtheit schließt. Deshalb ist in der Finanzkrise ein einfaches Bankenbashing zu einfach. Die allermeisten Institute und ihre Mitarbeiter haben vor und während der Finanzkrise einen guten Job gemacht. Doch wie überall, gibt es auch im Finanzsektor schwarze Schafe. Vielleicht sogar dort ein paar mehr. Seit 2007 musste der Steuerzahler für die IKB, die zahlreichen Landesbanken, die Hypo Real Estate und die Commerzbank einspringen. Für letztere allein mit 18 Milliarden Euro Kapitalhilfen und 15 Milliarden Euro Staatsgarantien. Heute ist die Commerzbank immer noch nicht über den Berg und entläßt fasst jeden vierten Mitarbeiter. Das ist wahrlich kein Pappenstiel.

Die Lehre daraus war, die Banken eng an die Kandare zu nehmen. Die Eigenkapitalanforderungen wurden verschärft, die Bankenaufsicht neu geordnet und ein Bankenabwicklungsregime beschlossen. Das Ziel sollte sein, dass nie wieder der Steuerzahler durch die drohende Insolvenz einer Bank erpresst werden kann. Stattdessen sollten, wie auch sonst üblich in unserer marktwirtschaftlichen Ordnung, die Eigentümer und Gläubiger haften. Erst wenn das alles nicht ausreicht, sollte der Staat und damit die Steuerzahler herangezogen werden dürfen. Dafür erfand man gleich auch einen neuen Fachbegriff – die Haftungskaskade.

Bislang erinnerten diese neuen Instrumente an Trockenschwimmen. Der Praxistest blieb bislang glücklicherweise aus. Ob der Instrumentenkatalog der Realität standhalten würde, ist jedoch fraglich. Schon die Urthese, dass die Banken aus Krise gelernt hätten, muss man bezweifeln. So wurde in dieser Woche bekannt, dass die Deutsche Bank 2013 der italienischen Skandal-Bank Monte dei Paschi mit Derivate-Geschäften geholfen habe, Transaktionen in Milliardenhöhe an den Bücher vorbei zu schleusen. Das erinnert ganz an die Buchungstricks Griechenlands, die Anfang des Jahrtausends Goldman Sachs eingefädelt hatte, deren Europa-Chef der heutige EZB-Präsident Mario Draghi war. Letztlich führten die geschönten Verschuldungszahlen der Hellenen dazu, dass sie mit offenen Armen in die Euro-Zone aufgenommen wurden. Der damalige Finanzminister Hans Eichel lobte im Bundestag die großen Reformanstrengungen der griechischen Regierung mit den Worten: „Wir haben allen Grund Griechenland zu diesem Erfolg zu gratulieren.“ Das ist inzwischen 16 Jahre her.

Anders als in den USA müssen heimische Banken und ihre Vorstände durch die Finanzaufsicht nicht mit drakonischen Strafen rechnen. Die deutsche Aufsicht BaFin ist bekannt, dass sie mit Strafen und Bußgeldern sehr zurückhaltend ist. Zu besserem moralischen Handeln der Banken hat das neue Regelwerk also nicht geführt. Die Frage ist, ob im Ernstfall wenigstens die Haftungskaskade zieht: Also werden die Eigentümer und Gläubiger zwingend herangezogen, bevor der Staat und damit die Steuerzahler zur Kasse gebeten werden? Hier genügt ein Blick ins Gesetz. Das Abwicklungsgesetz (genau BRRD-Umsetzungsgesetz) vom 10. Dezember 2014 regelt in Paragraph 92 die Ausnahmen von der Haftungskaskade. Darin heißt es lapidar: „Die Abwicklungsbehörde kann im Einzelfall bestimmte berücksichtungsfähige Verbindlichkeiten … ganz oder teilweise aus dem Anwendungsbereich des Instruments der Gläubigerbeteiligung ausschließen …“. Dies ist unter anderem deshalb möglich, „um die Gefahr einer Ansteckung zu vermeiden …“.

Das Problem ist: mit der Ansteckungsgefahr ist bislang jede Staatsintervention bei einer drohenden Bankeninsolvenz begründet worden. Immer wird in dieser Situation der Untergang der Weltwirtschaft heraufbeschworen. So war es bei der kleinen Industriekreditbank in Düsseldorf 2007, bei den Banken in Zypern 2012 und eben auch bei jeder mittelgroßen Bank, die es heute erwischen würde. Die Regeln taugen nicht. Es braucht ein Abwicklungsregime, das insolvente Banken tatsächlich abwickelt, Vorstände, Eigentümer und Gläubiger grundsätzlich in Haftung nimmt und gleichzeitig den Zahlungsverkehr über die Notenbank aufrecht erhält. Das alles ist möglich, erfordert aber politische Entschlossenheit und Rückgrat. Bislang fehlt es daran und deshalb sind die Regeln nur weiße Salbe. Deshalb gilt: Wer heute glaubt, das Bankensystem sei für den Steuerzahler stabiler und sicherer geworden, der glaubt auch, dass ein Zitronenfalter Zitronen faltet.

Erstmal erschienen am 8. Oktober 2016 in der Fuldaer Zeitung.

Photo: herr.g from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Frederic C. Roeder, Unternehmer, Vice President Finance & Operations der Students for Liberty

Wer hat sich als Kind nicht auf die Traubenzucker und das neuste Malbuch beim Apothekenbesuch gefreut? Die deutsche Apotheke ist eine gesellschaftliche Institution. Viel weniger ist allerdings bekannt, dass der Erfolg dieser Einrichtung auf mittelalterlichen Gildenstrukturen beruht und auf Kosten der Allgemeinheit realisiert wird.

Die verkrustete Regulierung des Apothekenmarktes schadet Millionen Geldbeuteln, verhindert Innovation, und bringt nur einer kleinen gut organisierten Interessengruppe wirkliche Vorteile.

In Deutschland gibt es circa 20.000 Apotheken. Also auf jede Apotheke kommen ungefähr 4.000 Einwohner – das ist europäisches Mittelfeld. Ein durchschnittlicher Apotheker (dabei sind besonders erfolgreiche Apotheken bereits herausgerechnet) erzielte in 2014 einen Gewinn von fast 130.000 Euro pro Apotheke. Das ist schon abzüglich Personalkosten, die oft das Gehalt des Ehepartners beinhalten

Golfurlaub nach Mallorca – der Versicherte zahlt

Eine Vielzahl von Vorschriften schützt die Apothekenbranche zum einen vor ungewollten Wettbewerb und sichert den bestehenden Anbietern zudem prächtige Gewinne.

Das Mehrbesitzverbot regelt, dass ein Apotheker maximal eine Apotheke mit zusätzlich drei Filialen besitzen darf. Größer kann man nur als Apothekerehepaar werden – dann ist die unternehmerische Expansion auf maximal acht Apotheken erlaubt.

Das Fremdbesitzverbot hindert jeden, der kein Apotheker ist, daran Anteile an einer deutschen Apotheke zu besitzen. Im Erbfall dürfen Hinterbliebene, die keine approbierten Apotheker sind, die Apotheke lediglich für weitere zwölf Monate besitzen, bevor sie diese veräußern müssen.

Der sogenannte Apothekenzuschlag bringt dem Apotheker beim Verkauf von verschreibungspflichtigen Medikamenten eine garantierte Mindestmarge von 8,35 EUR und einen Aufschlag von 3 Prozent des Herstellerabgabepreises selbst wenn das verschriebene Medikament nur Cent-Beträge kostet. Dies gilt auch für Generika bei denen der Patentschutz bereits abgelaufen ist. Der Versicherte zahlt.

Dieser Apothekenzuschlag sorgt für eine sehr ähnliche Marge bei deutlich unterschiedlichen Packungsgrößen des gleichen Medikaments. Es ist also im Interesse von Apothekern Anreize für Ärzte zu schaffen, kleine Packungsgrößen häufiger zu verschreiben.

Da Apotheker oft auch in Personalunion der Vermieter des Ärztehauses sind, können die Praxismieter bei dienlichem Verschreibungsverhalten regelmäßig zum Golfurlaub nach Mallorca eingeladen werden.

Unterversorgung, unpersönlicher Service und Qualitätsprobleme – alles Panikmache

Der Onlinehandel boomt in den meisten Branchen doch der Betrieb von Versandapotheken ist nach wie vor ein schwieriges Unterfangen. Versandapotheken dürfen rezeptpflichtige Medikamente lediglich bei Vorlage des Originalrezepts abgeben. Kunden müssen also erst ihr Rezept per Post einsenden um dann in den Genuss des Onlineversands zu kommen.

Digitale Rezepte, die in Ländern wie der ehemaligen Sowjetrepublik Estland bereits Alltag sind, gibt es in Deutschland nicht. Eine regulative Erleichterung des Medikamentenversands würde besonders Patienten im ländlichen Raum zu Gute kommen. Ferner könnten Skaleneffekte realisiert werden.

Während man in unseren Nachbarländern Dänemark und den Niederlanden Paracetamol im Supermarkt kaufen kann dürfen in Deutschland rezeptfreie Medikamente lediglich von Apotheken vertrieben werden. Der Kunde zahlt die deutlich höhere Kostenstruktur der Apotheke mit.

Dieses Sammelsurium an Reglementierungen garantiert einer durchschnittlichen Apotheke einen Gewinn von 130.000 Euro pro Jahr. Zulassungsbeschränkungen und Preiskontrollen sichern diesen Betrag vor Wettbewerb und Kosteneinsparungen, die an Konsumenten weitergegeben werden könnten.

Gegner eines liberalisierten Apothekenmarktes führen Versorgungsengpässe im ländlichen Raum und die Apothekendichte an sich als Argumente für eine Beibehaltung des gildenähnlichen Staus quo an.

Der Blick nach Schweden, Litauen oder der Slowakei zeigt aber ein eindeutig anderes Bild: Die Apothekendichte nahm nach der Liberalisierung des Marktes zu. In der Slowakei wuchs die Anzahl der Apotheken im ländlichen Raum nach dem Erlauben von Fremdbesitz sogar überproportional.

Schreckensszenarien wie Unterversorgung, unpersönlichem Service, und Qualitätsproblemen, wie sie gerne vom gut finanzierten Apothekenverband ABDA gezeichnet werden, trafen in keinem der Länder die auf mehr Wettbewerb gesetzt haben ein. Selbst gesundheitspolitisch stark sozial-demokratische Länder wie Kanada und Großbritannien vertrauen auf einen liberalisierten und effizienteren Apothekenmarkt.

Ein unkomplizierter Zugang zu Medikamenten in späten Abendstunden oder am Wochenende ist in diesen Ländern meist auch kein Problem, da die Öffnungszeiten von Apotheken in Ländern mit mehr Wettbewerb deutlich ausgedehnter sind als hierzulande.

Mittelalterliche Gilden- und Feudalsysteme gehören genau in jene Epoche

Ironischerweise sitzt mit Celesio eine der größten europäischen Apothekenketten in Stuttgart – operiert auf dem Apothekenmarkt aufgrund der erläuterten Gesetzeslage allerdings vorwiegend im Ausland.

Deutschland gibt ein Achtel seines Inlandsprodukts für Gesundheit aus. Durch das Aufheben von Privilegien und mehr Wettbewerb könnte es weniger sein. Die potenziellen Einsparmöglichkeiten durch eine Liberalisierung des Apothekenmarkts wären eine Stellschraube mit der man dies erreichen könnte.

Es sollte nicht die Aufgabe der Allgemeinheit sein, Apothekern ein Mindesteinkommen und Wettbewerbsschutz zu garantieren. Mittelalterliche Gilden- und Feudalsysteme gehören genau in jene Epoche und haben im 21. Jahrhundert wenig zu suchen.

Erstmals erschienen in der Huffington Post.