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Vielfach wird in der Europäischen Union darüber geklagt, dass die gemeinsame Währung, der Euro, nicht zur Konvergenz der Wirtschaften im Währungsgebiet geführt hat, wie das viele seiner Väter damals angenommen hatten. Das stimmt. Die Target II-Salden der Euro-Staaten zeigen es. Sie sind das in Zahlen gefasste Auseinanderfallen der Eurozone. Allein die Deutsche Bundesbank hatte im Juni Target-Forderungen von 860 Mrd. Euro gegenüber anderen Notenbanken in der Eurozone. Die italienische Notenbank dagegen hatte zur gleichen Zeit Verbindlichkeiten von 413 Mrd. Euro. Man muss keine prophetischen Gaben haben, um festzustellen, dass die Zukunft des Euro an der weiteren Entwicklung Italiens festgemacht werden kann.

Doch den Takt in der EU gibt aktuell Emmanuel Macron an. Der neue französische Präsident lässt so langsam erkennen, welche wirtschaftspolitischen Vorstellungen er tatsächlich hat. Hier ist durchaus Vorsicht geboten. Jetzt hat er sich gegen „Sozialdumping“ durch die EU-Entsenderichtlinie ausgesprochen und quasi ein „Equal Pay“ für alle Arbeitnehmer, die in Frankreich arbeiten vorgeschlagen. Er will sogar eine Entsendung auf 12 Monate beschränken. Damit outet er sich als Sozialdemokrat, der den Arbeitsmarkt noch mehr verriegeln und verrammeln will. Er verkennt dabei, dass die Probleme des französischen Arbeitsmarktes nicht mit noch mehr Regulierung gelöst werden können. Die Zahlen in Frankreich sind dramatisch. Die Zahl der französischen Arbeitslosen ist inzwischen auf ein historisches Hoch von 6,2 Mio. Menschen angestiegen (saisonbereinigte Zahl der registrierten Arbeitslosen und Unterbeschäftigten, Mai 2017). Eine riesige Zahl bei 67 Millionen Einwohnern. Auch bei der Jugendarbeitslosigkeit liegt Frankreich mit einer Quote von 21,4 Prozent sehr hoch.

Die Frage ist: Wie kommt ein Land aus dieser negativen Entwicklung heraus? Sicherlich nicht, indem Macron den Arbeitsmarkt weiter zuschnürt und die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Industrie weiter einschränkt. Die Zahlen in Frankreich sprechen auch hier für großen Handlungsbedarf. Noch immer liegt die französische Industrieproduktion 12 Prozent unter dem Hoch von 2008, das Baugewerbe liegt sogar um 21,8 Prozent darunter. Und auch im Juni schrumpfte die Industrieproduktion zum Vormonat um 1,1 Prozent. In dieser Situation hat Macron seine angekündigte Steuerreform erstmal verschoben und erhöht stattdessen die Steuern. Auch ein Signal.

In dieser Situation braucht es in Frankreich eigentlich eine Agendapolitik Schröderscher Prägung. Viele können sich daran nicht mehr erinnern. Es ist immerhin schon 14 Jahre her, seitdem in Deutschland grundlegende Reformen durchgeführt wurden. Die Situation war durchaus vergleichbar mit der Frankreichs heute. 2003 war Deutschland der kranke Mann Europas, mit 5 Millionen Arbeitslosen und einer Wachstumsschwäche. Zunehmende Finanzierungsprobleme in den Sozialversicherungen und den öffentlichen Haushalten verstärkten den Abwärtstrend. Schröders Agenda sah im Wesentlichen eine Befreiung des Arbeitsmarktes und eine Änderung der Sozialhilfe durch Fördern und Fordern vor.
Die Einführung von Zeitarbeit, die stärkere Begrenzung des Arbeitslosengeldes und die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe waren die entscheidenden Momente für jene Trendwende. Viele Maßnahmen von damals hat die große Koalition inzwischen wieder zurückgenommen oder erneut reguliert. Dennoch wirken die Reformen bis heute und sind der eigentliche Grund für das „Beschäftigungswunder“ in Deutschland. Die jetzige Regierung ruht sich auf dieser Entwicklung aus. Die Reformmüdigkeit liegt wie Mehltau über dem Land.

Kein Wunder, dass sich Emmanuel Macron und Angela Merkel so gut verstehen. Sie ticken gleich. Beide scheuen Schrödersche Reformen und sind verliebt in die Allmacht des Staates – Macron will sogar eine europäische Arbeitslosenversicherung schaffen. Da trifft es sich gut, wenn die Bundesagentur für Arbeit über 10 Milliarden Euro Rücklagen der Beitragszahler gebunkert hat, die man dann für französische, italienische oder griechische Arbeitsbeschaffungsprogramme nutzen kann. Nein, so wird das nichts. Wer Wachstum und Arbeit in Europa schaffen will, muss die Arbeitsmärkte liberalisieren und flexibler machen. Er muss die Entsenderichtlinie entbürokratisieren und vereinfachen. Nicht weniger Personenfreizügigkeit in Europa schafft Wohlstand für alle, sondern mehr davon. Dafür muss sich eine neue Regierung in Europa einsetzen. Ansonsten kämpfen wir bald nicht nur außerhalb Europas gegen Protektionismus, sondern verstärkt auch innerhalb des gemeinsamen Marktes, mit fatalen Folgen für uns alle.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: oliver.dodd from flickr.com (CC BY 2.0)

Die Air Berlin-Pleite war mit Ansage. Seit bald 10 Jahren werden Verluste in Milliardenhöhe produziert. Das Eigenkapital war aufgebraucht. Seit Jahren laufen Gespräche über die Rettung der Fluglinie. Und Air Berlin bemühte sich seit Monaten um eine staatliche Bürgschaft, um Zeit zu gewinnen. Es brauchte wohl die Urlaubszeit und die Nähe zur Bundestagswahl, um die Bundesregierung jetzt zum Handeln zu bewegen. Fast über Nacht hilft der Bund nun mit 150 Mio. Euro frischem Geld. Man will den Weiterbetrieb für drei Monate sichern, so glaubt man. Die Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries ist sich nicht zu schade, um die Hilfe nun tatsächlich mit den Sommerferien zu begründen. Es war, um im Merkel-Sprech zu bleiben, wohl alternativlos. Über Alternativszenarien nachzudenken, war jetzt keine Zeit mehr. Wie schon so oft, musste in einer Wochenendaktion ein „Rettungsplan“ her, der den Steuerzahler noch viel Geld kosten wird. Diese Konzeptionslosigkeit ist nicht neu, aber dennoch erschreckend.

Die Ministerin befindet sich in einer langen Tradition dieser „Rettungsversuche“, die eng mit der Sozialdemokratie und ihrem Bild von Wirtschaftspolitik verbunden sind. Alle sind gescheitert. 1999 half der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder dem Baukonzern Philipp Holzmann. Er war den Gläubigerbanken damals vor „mehr an ihr Geschäft zu denken statt daran, das Unternehmen und die Arbeitsplätze abzusichern.“ Der Bund „rettete“ mit einer Bürgschaft von 250 Millionen DM den traditionsreichen Baukonzern. 2002 ging er dennoch Pleite. Auch in der Luftfahrtbranche kann die SPD Ergebnisse vorweisen. 2001 ging LTU in Düsseldorf pleite und das damals SPD-geführte Bundesland half mit seiner Westdeutschen Landesbank dem Unternehmen aus der Patsche. Geholfen hat das nicht. Das Unternehmen existiert nicht mehr. Vor 10 Jahren wurde es von Air Berlin übernommen. Und jetzt Air Berlin.

Der Eindruck, den Großen am Markt hilft man und die Kleinen werden alleine gelassen, trügt nicht. Es ist das gängige Prinzip. Die Luftfahrtbranche ist im Umbruch. Neue Marktteilnehmer mit besseren Geschäftsmodellen drängen in den Markt. Das ist gut so, denn dadurch wird Fliegen auch für Otto-Normalbürger erschwinglich. Schon deshalb sind die politischen Reflexe aus der Regierung gegen Ryanair falsch. Warum sollte der Bund sich dafür einsetzen, dass die Lufthansa oder ein anderer Wettbewerber die Filetstücke von Air Berlin bekommt und nicht Ryanair? Es ist sicherlich nicht die Aufgabe einer Bundesregierung, sich für bestimmte Marktteilnehmer einzusetzen. Sie muss dafür sorgen, dass Wettbewerb stattfinden kann, dass nicht durch ihre Politik Marktmacht entsteht und zementiert wird. Kurz: sie muss für einen Ordnungsrahmen sorgen. Nicht mehr und nicht weniger.

Im übrigen ist es sehr wahrscheinlich, dass die Bürgschaftssumme von 150 Mio. Euro nicht ausreichen wird, sondern lediglich bis zur Bundestagswahl am 24. September hilft. Lieferanten werden bei Air Berlin auf Vorkasse bestehen, die Passagierzahlen werden womöglich zurückgehen und Beschäftigte werden sich anderweitig orientieren. Die Gefahr ist unmittelbar, dass am Ende der Bund bürgt und dafür die Steuerzahler würgt.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: Simon Harrod from Flickr (CC BY 2.0) 

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Julian Reichardt, Student der Volkswirtschaftslehre in Berlin. 

Im vergangenen Jahr kippte der Europäische Gerichtshof die in Deutschland geltende Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente. Vor diesem Urteil hatte der deutsche Apothekerverband im Vorfeld inständig gewarnt. Demnach sei eine bestmögliche Medikamentenversorgung, die sich am Schutze der Gesundheit und des Lebens orientiere, ohne Preisbindung nicht zu machen. Diese Argumentation sahen die Luxemburger Richter zwar als prüfenswert an, wiesen sie aber aufgrund unzureichender Belege schlussendlich zurück. Das hartnäckige Werben für eine Preisbindung durch Interessensvertreter ist kein Unikum der Arzneimittelbranche. Taxiunternehmer und Buchhändler versuchen sich ebenso regelmäßig dabei, die angeblichen Vorteile anzupreisen, welche Preisbindungen für Verbraucher haben. Bei genauerer Betrachtung offenbart sich jedoch, dass es vielmehr sie selber sind, die von den Preisbindungen profitieren. Das Wohl des Verbrauchers bleibt dabei meistens auf der Strecke.

Bessere Medikamentenversorgung durch Preiswettbewerb

Im Zuge der Verhandlungen am EuGH hatte der deutsche Apothekerverband wiederholt auf das angebliche Gefährdungspotential einer Preisliberalisierung für die deutsche Patientenfürsorge aufmerksam gemacht. Eine Aufhebung der Preisbindung werde einen Siegeszug der Versandhändler Bahn brechen, welche so manche ortsansässige Apotheke in den Ruin treiben würde. Eine flächendeckende, wohnortsnahe Arzneimittelversorgung sei hierdurch dem Niedergang geweiht und eine bestmögliche Medikamentenversorgung von nun an nicht mehr gewährleistet.

Die Richter schluckten die Pille der Apothekerverbände nicht. Im Gegenteil. Sie machten in ihrem Urteilsspruch deutlich, dass es klare Anhaltspunkte für den genau gegenteiligen Effekt gebe: Mehr Preiswettbewerb unter den Apotheken würde die gleichmäßige Versorgung mit Arzneimitteln sogar fördern, so das Fazit der Richter. Tendenziell könnten Apotheker bei einer freien Preisentfaltung in strukturschwachen Regionen aufgrund des geringen Wettbewerbdrucks höhere Servicezuschläge verlangen. Sie hätten somit einen Anreiz, vor Ort eine Niederlassung zu eröffnen. Langfristig würde sich dadurch die Versorgungslage auf dem Land verbessern.

Unabhängig davon, ob die Richter mit ihrer Einschätzung bezüglich der Monopolsituation von Apotheken in ländlichen Regionen richtigliegen, sollten Apotheken frei entscheiden können, zu welchem Preis sie Medikamente verkaufen – auch Versandapotheken. Der Wettbewerb unter den Apotheken würde dann nicht mehr nur über die Beratungs- und Servicequalität, sondern auch über den Preis der Medikamente ausgetragen werden. Von einer Preisliberalisierung und den damit einhergehenden geringeren Preisen für rezeptpflichtige Medikamente würden vor allem die Patienten und Beitragszahler der Krankenkassen profitieren. Diesen Kundenvorteil rücken die Apothekerverbände verständlicherweise nicht in den Vordergrund, wenn sie sich für den Erhalt der Preisbindung aussprechen.

Statt dem etwas entgegenzusetzen, lässt sich Gesundheitsminister Gröhe allem Anschein nach weiterhin für die Interessen der traditionellen Apotheken einspannen. Nach aktuellem Stand möchte er die Versandapotheken zum „Schutze der Verbraucher“ verbieten, um die Versorgung durch die wohnortsnahen traditionellen Apotheken nicht zu gefährden. Der Schluss liegt nahe, dass es sich hierbei um gezielte Interessenpolitik im Sinne der Apotheker handelt: Nur ungern möchte sich der CDU-Politiker im Wahljahr 2017 gegen die Interessen der gut organisierten Apotheker stellen.

MyTaxi und Uber: Einsparungspotentiale in Millionenhöhe

Der Markt für Medikamente ist nicht der einzige, auf dem etablierte Platzhirsche um ihre Privilegien ringen. Seit Jahren wehren sich Taxiunternehmen und ihre Interessenverbände gegen Konkurrenten, die wie MyTaxi oder Uber auf Apps statt auf Taxistände setzen. Auch ihnen ist sehr viel an der Preisbindung in ihrer Branche gelegen. Dies ist verständlich. Erlaubt die Preisbindung es Taxiunternehmen doch, sich Konkurrenten vom Leibe zu halten, die bereit wären, die gleiche Leistung oder gar eine bessere Leistung zu einem niedrigeren Preis anzubieten.

Öffentlich stellen die Interessensvertreter gerne die angeblichen Vorzüge der Preisbindung für den Verbraucher in den Vordergrund: Die auf dem Taximarkt geltende Preisbindung würde einen ruinösen Preiswettbewerb verhindern und somit das für die allgemeine Daseinsvorsorge wichtige Funktionieren des örtlichen Taxenverkehrs sichern.

Für ein Versagen des Marktes für Fahrdienstleistungen spricht jedoch nichts. Vieles spricht allerdings dafür, dass Taxiunternehmen, wie auch andere Unternehmen, keine zusätzliche Konkurrenz mögen. Die Aufhebung der Preisbindung würde die Konkurrenz zwischen den derzeitigen Taxiunternehmen und alternativen Anbietern intensivieren. Anbieter mit einem schlechten Preis-Leistungs-Verhältnis würden sich nicht lange auf dem Markt halten können und müssten entweder attraktivere Angebote machen oder den Markt verlassen. Die Attraktivität der gemachten Angebote würde demnach für die Kunden gegenüber dem derzeitigen Preisbindungsszenario sogar steigen.

 

 

Wie hoch die Vorteile einer Preisliberalisierung für die Verbraucher wären, lassen Zahlen aus Amerika erahnen. Die Kosteneinsparungen, die Kunden allein durch UberX für das Jahr 2015 realisieren konnten, lagen dort Schätzungen zufolge bei etwa 6,8 Milliarden US-Dollar. Das sind handfeste Vorteile für Verbraucher, die ihnen hierzulande mit Hinweis auf ihren eigenen Schutz vorenthalten werden.

Büchervielfalt auch ohne Preisbindung

Ein weiterer prominenter Fall, in dem angebliche Verbraucherinteressen vorgeschoben werden, um Klientelinteressen salonfähig zu machen, ist die Buchpreisbindung. Diese schreibt den Verlagen vor, für jedes Buch einen unveränderbaren Preis festzusetzen, der für alle Letztverkäufer verbindlich ist. Das erklärte Ziel der Buchpreisbindung ist, ein vielfältiges Angebot an Büchern zu garantieren, welches über Bestseller hinausgeht und auch die Verlegung weniger populärer, aber kulturell wertvoller Titel ermöglicht.

Der angeführte positive Effekt der Preisbindung auf die Anzahl der erschienenen Buchtitel lässt sich jedoch nicht beobachten. Die beiden Haupteffekte einer Aufhebung der Preisbindung sind empirischen Studien zu Folge andere: Zum einen eine Verlagerung von kleinen unabhängigen Buchhandlungen zu größeren Filialen, zum anderen eine Verringerung der Preise für Bestseller. Die Profiteure der Buchpreisbindung scheinen also in erster Linie kleine Buchhandlungen zu sein, während eine Aufhebung der Buchpreisbindung dem ursprünglich ausgegebenen Ziel der Buchpreisbindung eher nicht entgegensteht.

Einige Angehörige unserer Gesellschaft mögen ein Faible für kleine Buchhändler haben, die ohne Buchpreisbindung im Wettbewerb mit großen Buchhandlungen und Onlineanbietern, die eine vielfältigere Auswahl zu niedrigeren Preisen anbieten, keine Chance auf ein profitables Fortbestehen hätten. Den Fortbestand kleiner Buchhändler zu sichern, ist jedoch gewiss nicht Aufgabe des Staates.

Die Preisbindung hat ausgedient

Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Aufgabe von Preisbindungen auf den Märkten für rezeptpflichtige Medikamente, Taxifahrten und Bücher zu den von den jeweiligen Interessengruppen prophezeiten Desastern führen würde. Im Gegenteil. Es spricht vieles dafür, dass die dem Schutz der breiten Masse der Verbraucher dienenden politischen Ziele grundsätzlich besser durch eine Preisliberalisierung erreicht werden könnten. Anstatt sich in Passivität zu üben und auf Maßregelungen des Europäischen Gerichtshofs zu warten, sollte sich der deutsche Gesetzgeber selbständig aufraffen, Preisbindungen im Sinne der Verbraucher aufzuheben.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: ND Strupler from Flickr (CC BY 2.0)

Im Laufe des kommenden Herbstes wird sich ja vermutlich eine neue Regierung bilden. Sie wird dem Drang widerstehen müssen, mehr Geld auszugeben, und müsste dringend Reformen auf den Weg bringen. Und sie sollte ein Amt klug besetzen: das des Staatsministers für Bürokratieabbau.

Schwarzes Loch im Kanzleramt?

Bei manchen Ministerien fragt man sich ernsthaft, warum es einen solchen umfangreichen Apparat denn überhaupt braucht: Zum Beispiel das Landwirtschaftsministerium. 600.000 Menschen arbeiten noch im Agrarsektor, Tendenz stark fallend – bei Siemens sind es 400.000, die haben aber auch kein eigenes Ministerium. Das Verteilen von Subventionen könnte auch das darin schon geübte Wirtschaftsministerium übernehmen. Und in Zeiten der Globalisierung muss die Frage nach der Ernährungssicherheit zum Glück nur noch den Katastrophenschutz beschäftigen. Oder das Familienministerium, das hauptsächlich benutzt wird, um die ideologischen Wünsche der eigenen Anhängerschaft zu bedienen: Indem man etwa Mütter zurück an den Herd bringt oder sie den Fängen ihrer Kinder entreißt. Oder indem man die Förderung von Projekten gegen wahlweise rechten oder linken Extremismus ins Schaufenster stellt.

Vermutlich ist es leider müßig, die Zusammenlegung oder Abschaffung einiger dieser ausgabefreudigen Vorschriftsproduktions-Maschinen zu fordern. Am Ende ist es doch immer wichtiger, noch Posten verteilen zu können – nicht nur für Minister, sondern auch für Staatssekretäre und eine Heerschar von loyalen Mitarbeitern, die man in führende Positionen hieven kann. Darum ein Vorschlag zur Güte für die neue Regierung: Stärken Sie ein Amt, das bisher im Land des Vergessens vor sich hindümpelt, das des Staatsministers für Bürokratieabbau. Wussten Sie nicht, dass es so etwas gibt? Und Sie wussten auch nicht, wie der derzeitige „Staatsminister bei der Bundeskanzlerin für Bürokratieabbau, bessere Rechtsetzung und die Koordinierung der Bund-Länder-Beziehungen im Kanzleramt“ heißt, der überdies noch für die Koordination von Bund und Ländern bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise zuständig ist? Kein Wunder. Seit Helge Braun vor knapp vier Jahren in das Amt kam, hat die FAZ rund zehn Mal über ihn geschrieben und die SZ etwas öfter. Ohne die Flüchtlingskrise wäre es wohl noch seltener gewesen.

Was man sieht und was man nicht sieht

Wer mit Unternehmern spricht, kann oft die Erfahrung machen, dass sie über Bürokratie und Regulierung noch mehr stöhnen als über die Steuerbelastung. Auch die Daten sprechen eine deutliche Sprache. Seit elf Jahren gibt es in Deutschland den Nationalen Normenkontrollrat, der die Regierung dabei unterstützen soll, „die durch Gesetze verursachten Bürokratiekosten durch Anwendung, Beobachtung und Fortentwicklung einer standardisierten Bürokratiekostenmessung auf Grundlage des Standardkostenmodells zu reduzieren.“ Vor zwei Wochen stellte er seinen jährlichen Bericht vor. Der fiel einmal wieder wenig ermutigend aus. So stellten die Ratsmitglieder fest, dass der durch neue gesetzliche Regelungen verursachte Kostenaufwand sich im letzten Jahr um 2,1 Milliarden Euro erhöht hat, der einmalige Erfüllungsaufwand um 4,8 Milliarden.

Was dem Rat in seinem Bericht natürlich völlig entgeht, sind die verpassten Gelegenheiten: Wie viel Innovation kam nicht zustande? Wer hat gar nicht erst angefangen, zu gründen oder etwas zu entwickeln? Wer ist lieber gleich in ein anderes Land gegangen? Die Kosten, die natürlich sofort an Kunden und Anteilseigner durchgereicht werden, sind sehr ärgerlich. Wirklich problematisch sind hingegen die Folgen, die man nicht sieht und nicht unmittelbar spürt. Eine Studie der KfW, die letzte Woche veröffentlicht wurde, kommt zu dem Schluss, dass die meisten Gründer Bürokratie als die größte Schwierigkeit empfinden. Beruhigend wird seitens der staatlichen Förderbank hinzugefügt, dass deshalb jedoch keiner seine Gründung abbreche. Nicht erwähnt wird freilich, dass die Zahl der Gründer seit 2001 (1,55 Millionen) fast kontinuierlich zurückgegangen ist und sich 2016 auf einem historischen Tiefstand von 672.000 befand. Und Zuwanderer und Flüchtlinge, die oft aus unternehmerisch geprägten Kulturen kommen und so auch hierzulande tätig werden könnten, sehen sich einem undurchdringlichen Dschungel aus Steuerrecht und Gewerbeaufsicht, Betriebssicherheitsverordnungen und Berufsgenossenschaften ausgesetzt. Verpasste Chancen allenthalben.

Sichtbar, durchsetzungsstark und im Zweifel bissig

Wie auch immer die nächste Regierung aussehen wird: Entbürokratisierung muss eine Top-Priorität sein. Der Trend geht nämlich leider gerade in eine andere Richtung: Von Maßnahmen wie der Erhöhung des Mindestlohnes, die deutsche Unternehmen allein 1 Milliarde Euro gekostet hat, bis hin zu Vorschriften über die zulässige Bezeichnung von Nahrungsmitteln („Pflanzenkäse“ und „Tofubutter“). Viele Wahlversprechen, die vordergründig als Wohltat daherkommen, sind oft mit mehr Bürokratie verbunden. Und in den meisten Fällen, in denen Politiker ein Mehr an Sicherheit in Aussicht stellen, wachsen vor allem Behörden und Apparate – nicht aber die tatsächliche Sicherheit.

In der Regierung kommt idealerweise dem Finanzminister die Rolle des Spielverderbers zu, der seinen Kabinettskollegen Gelder streicht oder zumindest verweigert. Wenn jemand diesen bisweilen unerquicklichen Job übernimmt, ist das höchst verdienstvoll. Die Regierung braucht aber dringend noch einen zweiten Spielverderber: Jemanden, der den Kollegen in die Parade fährt, wenn sie schon wieder etwas regulieren wollen, und der sie mitunter auch bedrängt, bestehende Bürokratie abzubauen. Für diese Aufgabe braucht man eine sichtbare und durchsetzungsstarke Persönlichkeit. Eine Frau (oder einen Mann), die in die Öffentlichkeit tritt; die bereit ist, ihre Kollegen vor den Kopf zu stoßen; und die Unterstützung bekommt vom Parlament. Wer dieses Amt als nächstes übernimmt, muss über die unternehmerischen und persönlichen Freiräume der Bürger wachen wie ein guter Finanzminister über seine Schatztruhe – und muss im Zweifel auch zubeißen.

Der Ökonom Ludwig von Mises schrieb am Ende seines 1944 erschienenen Buches „Bürokratie“:

„Es ist offensichtlich, daß die Jugend das erste Opfer des Trends zur Bürokratisierung ist. Es ist nicht schön, ein junger Mensch unter bürokratischer Führung zu sein. Das einzige Recht, dessen sich junge Leute in diesem System erfreuen können, ist gelehrig, unterwürfig und gehorsam zu sein. Es gibt keinen Platz für widerspenstige Unternehmer, die ihre eigenen Ideen haben. Dies ist mehr als eine Krise der Jugend. Es ist eine Krise des Fortschritts und der Zivilisation.“

Photo: Anna Hanks from Flickr (CC BY 2.0).

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Nachdem im vergangenen Jahr fünf weitere US-Staaten den medizinischen Gebrauch von Hanfprodukten liberalisiert haben, ist dieser nun in der Mehrheit der US-Staaten legal. Auch in Deutschland ist es jüngst zu Liberalisierungen gekommen. Zwar ist der erleichterte Zugang zu entsprechender Arznei für Patienten zu begrüßen. Doch viele Konsumenten profitieren davon nur in geringem Maße, da ihnen der Erwerb zu nicht-medizinischen Zwecken weiterhin verboten ist.

Zahlreiche Studien, die auf Erfahrungen mit der liberaleren Gesetzgebung in den Niederlanden, Portugal und einigen US-Staaten zurückgreifen, lassen die offiziell angeführten Argumente für die Prohibition unbegründet erscheinen. Weder führt die Liberalisierung weicher Drogen zu einer höheren Kriminalitätsrate, noch erhöht sie das Abhängigkeitsrisiko dramatisch.

Dagegen lässt die Liberalisierung von Hanfrauschmitteln Vorteile erwarten: Konsumenten könnten Rauschmittel entsprechend ihrer Präferenzen ohne Befürchtung rechtlicher Konsequenzen genießen. Ihre einvernehmlichen Transaktionen mit Produzenten würden nicht mehr auf dem Schwarzmarkt stattfinden. Freiwerdende Polizei- und Justizressourcen könnten dringenderen Zwecken zugeführt werden. Die Besteuerung des Hanfkonsums würde die Senkung schädlicherer Steuern ermöglichen.

Liberalisierung international auf dem Vormarsch

Immer mehr Länder ermöglichen den Gebrauch von Hanfprodukten zu medizinischen Zwecken, so auch Deutschland. Produktion, Handel und Besitz (nicht jedoch der Konsum) von Hanfrauschmitteln bleiben hierzulande allerdings weiterhin illegal. In der Praxis wird der Erwerb kleinerer Mengen zum Eigengebrauch nicht zwingend verfolgt, doch Anbau, Verarbeitung, Distribution und Erwerb führten 2015 zu rund 169.000 registrierten Delikten.

Die Niederlande und Portugal werden oft als Beispiele für eine liberalere Drogenpolitik angeführt. Zwar unterscheidet sich die dortige Rechtslage von der deutschen nicht dramatisch, doch weicht sie in relevanten Details ab. So ist in den Niederlanden der Verkauf, Erwerb und Konsum von Hanfprodukten im Rahmen sogenannter Coffeeshops für niederländische Staatsbürger legal. In Portugal werden Erwerb und Konsum nicht mehr strafverfolgt, wenngleich sie formal illegal bleiben und Hanfrauschmittel beschlagnahmt werden können.

 

 

In den USA, deren Bundesregierung seit Jahrzehnten einen fragwürdigen War on Drugs führt, erlauben mittlerweile sieben Bundesstaaten und D.C. den Vertrieb und Konsum kleinerer Mengen von Hanfrauschmitteln. Anders als in den Niederlanden und Portugal ist teilweise der Anbau geringfügiger Mengen gestattet, wenngleich die Möglichkeiten für die industrielle Produktion von und den Großhandel mit Hanfrauschmitteln für nicht-medizinische Zwecke stark limitiert bleiben. Einen ersten Schritt in Richtung legaler Produktion ging Uruguay in 2013. Seitdem dürfen Haushalte und Farmkooperativen dort größere Mengen Cannabis anpflanzen.

Kein höheres Konsumrisiko für Minderjährige

Gegner der Liberalisierung von Hanfrauschmitteln fürchten, dass ein größerer Teil der Bevölkerung, insbesondere Jugendliche, entsprechende Produkte konsumieren würde, sobald ihm der Zugang zu Drogen erleichtert wird. Eine höhere Konsumrate ist nicht per se problematisch, wenn sie aus freiwilligen Entscheidungen resultiert, doch ein höheres Konsumrisiko unter Minderjährigen wäre Anlass zur Besorgnis. Ein Survey-Artikel von 2016 berichtet, dass bisherige Studien keine Hinweise auf ein wachsendes Konsumrisiko unter Jugendlichen aufgrund liberalerer Drogengesetze liefern, wenngleich Hanfkonsum in legalisierenden Staaten als weniger riskant wahrgenommen wird.

Die meisten Studien basieren auf Erfahrungen mit der Legalisierung medizinischer Hanfprodukte. In der Praxis kann allerdings davon ausgegangen werden, dass erleichterter Zugang für Patienten auch zu erleichtertem Zugang für Menschen führt, die Hanfprodukte aus anderen Gründen konsumieren wollen. Studien, die sich explizit mit der Regulierung nicht-medizinischer Hanfprodukte beschäftigen, finden zwar, dass Konsumraten unter Jugendlichen in Staaten mit laxeren Drogengesetzes höher sind – sowohl in den USA als auch international –, doch einen kausalen Zusammenhang können sie nicht identifizieren.

Keine wachsende Kriminalität

Gegner der Legalisierung fürchten, dass Cannabiskonsumenten zu härteren Drogen abgleiten und damit die assoziierte Beschaffungskriminalität zunimmt. Befürworter erhoffen sich dagegen den Rückgang schwarzmarktbedingter Kriminalität. Bisherige Studien finden, dass Kriminalitätsraten tendenziell sinken, wenn Hanfprodukte für den medizinischen Gebrauch legalisiert werden. Geringfügig steigende Kriminalitätsraten resultierten dagegen aus der Anhebung der straffreien Menge für den Eigenbedarf in den USA, während entsprechende Reformen in Großbritannien keinen derartigen Effekt hatten.

Die medizinische Forschung ist bezüglich der Frage , welche Auswirkung liberalere Drogengesetze auf die staatlichen Gesundheitssysteme haben, bisher zu keinem Konsens gelangt. Bestehende Studien weisen darauf hin, dass intensiver und regelmäßiger Konsum die Arbeitsproduktivität senkt und mit häufigerem Auftritt bestimmter Krankheiten assoziiert ist. Umstritten sind die Auswirkungen auf die kognitive Entwicklung. Drogenexperten schätzen Hanfrauschmittel regelmäßig als deutlich harmloser ein als die legale Droge Alkohol, für die legale Hanfrauschmittel Substitute sein können.

Legalisierung entlastet Steuerzahler

Angesichts der hohen Kosten, die für die Aufrechterhaltung der Prohibition und die Bekämpfung prohibitionsbedingter Schwarzmarktaktivitäten anfallen, verwundert nicht, dass Ökonomen deutliche Justizkosteneinsparungen durch die Legalisierung von Hanfrauschmitteln erwarten. Eine Schätzung für die USA geht von etwa 8,7 Mrd. Dollar jährlich aus – Ressourcen, die dringenderen Zwecken zugeführt werden könnten.

Darüber hinaus entgehen dem Fiskus durch die Prohibition bedeutende Einnahmen. Eine 2016 im American Economic Review erschienene Studie schätzt, dass der US-Staat jährlich zwischen 4 und 12 Mrd. Dollar einnehmen könnte, wenn er Hanfprodukte vollständig legalisierte und anschließend mit einem Satz von 25% besteuerte. Dies deckt sich mit einer weiteren Schätzung, die Mehreinnahmen von 8,7 Mrd. Dollar pro Jahr erwarten lässt. Höhere Konsumsteuern lassen sich nutzen, um schädlichere Steuern zu senken.

Aus Erfahrungen lernen

Deutschland würde durch eine Legalisierung von Hanfrauschmitteln kein Neuland betreten, denn die Erfahrungen anderer Länder lassen eine Einschätzung der Folgen zu. Die Erfahrungen Portugals deuten darauf hin, dass positive Begleiterscheinungen wie der Rückgang sexuell übertragbarer Krankheiten oder Todesfälle unter Drogeneinwirkung durch die Entkriminalisierung weicher Drogen zu realisieren sind, selbst wenn deren Produktion und Verkauf illegal bleiben.

Erfahrungen einiger US-Staaten lassen vermuten, dass die Legalisierung des Anbaus für den Eigenbedarf deutliche Preissenkungen und Qualitätssteigerungen bewirkt. Aufgrund von Skaleneffekten wären allerdings weitere Kosteneinsparungen durch die Legalisierung der kommerziellen Produktion zu erwarten. Heimische Produktion würde den derzeit stattfindenden Import aus anderen Ländern reduzieren.

Legalisierung in Deutschland überfällig

Für die oft angeführten negativen Folgen der Freigabe weicher Drogen mangelt es an Evidenz, während die Vorteile für freiwillig miteinander handelnde Konsumenten und Produzenten offenkundig sind. Kontroverser als die Entkriminalisierung des Erwerbs und Konsums ist die Liberalisierung der Anbau- und Vertriebsbedingungen. Gegen eine Übernahme der bereits in anderen Ländern praktizierten liberaleren Regeln für den Heimanbau und Verkauf spricht nichts und bei der Legalisierung der kommerziellen Produktion könnte Deutschland Vorreiter sein.

Erstmals erschienen bei IREF.