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Photo: Wilhelm Rosenkranz from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Kevin Spur, Student der Ökonomie an der Freien Universität Berlin.

Die Staatsquote wird oft als Maßstab für staatliche Aktivitäten verwendet. Sie hat jedoch Schwächen: Zum einen wird der Einfluss des Staates durch Regulierungen vernachlässigt. Zum anderen bleibt der Einfluss des Staates mittels öffentlicher Unternehmen in der Staatsquote unberücksichtigt. Die Staatsquote untertreibt folglich das Ausmaß des Staatseinflusses.

In vielen Debatten um den Umfang staatlicher Aktivität wird die Staatsquote als Indikator zur Hilfe gezogen. Als Maßstab staatlicher Aktivität hat das Verhältnis der gesamten Staatsausgaben zum BIP jedoch Schwächen. Zum einen wird der Einfluss des Staates durch Regulierungen vernachlässigt. Zum anderen bleibt der Einfluss des Staates mittels öffentlicher Unternehmen in der Staatsquote weitestgehend unberücksichtigt. Die Staatsquote untertreibt folglich das Ausmaß des Staatseinflusses. Eine „erweiterte Staatsquote“ zieht die Aktivitäten staatlicher Unternehmen mit in Betracht. Nach einer groben Schätzung fiel sie 2013 mit 48,35 % knapp 4 Prozentpunkte höher aus als die konventionelle Staatsquote.

Die „erweiterte Staatsquote“ erlaubt es zudem nachzuvollziehen, warum einige Menschen trotz einer seit Jahrzehnten relativ konstanten konventionellen Staatsquote den Rückbau des Staates durch Privatisierungen bedauern. Denn die weitreichenden Privatisierungen der 1980er, 1990er und 2000er Jahre trugen zu einem Rückgang der „erweiterten Staatsquote“ bei. Bedauernswert ist diese Entwicklung jedoch gerade nicht, weil der Staat sich aus Geschäftsfeldern zurückzog, auf denen konkurrierende private Anbieter effizienter agieren.

Staatsquote seit 1975 relativ konstant

Die Staatsquote – oder genauer Gesamtausgabenquote – stellt die staatlichen Gesamtausgaben relativ zum BIP dar. Zu den staatlichen Gesamtausgaben zählen Konsumausgaben des Staates, staatliche Investitionsausgaben, Sozialtransfers, Subventionen sowie Übertragungen an zwischenstaatliche Organisationen und Zinszahlungen auf öffentliche Schulden. Staatliche Konsumausgaben sind vor allem Ausgaben des Verwaltungsvollzugs wie Personalausgaben oder Ausgaben des laufenden Sachaufwands. Das Gehalt eines Polizisten findet hier ebenso Eingang wie das eines Lehrers. Daten des Bundesfinanzministeriums zeigen, dass noch 1960 die Staatsquote bei relativ niedrigen 32,9 % lag und 1996 ihren Höhepunkt bei 48,9 % fand. 2014 betrug sie schließlich 44,3 %. Trotz einer gewissen Schwankungsbreite, blieb die deutsche Staatsquote seit 1975 also relativ konstant.

Definition und Zuordnung öffentlicher Unternehmen

Auf europäischer Ebene definiert der Regelrahmen „Europäisches System Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen“, welche Aktivitäten dem öffentlichen und dem privaten Sektor zuzuordnen sind. Ein Fond, eine Einrichtung oder ein Unternehmen gilt als öffentlich, wenn die öffentlichen Kernhaushalte des Bundes, der Länder, der Kommunen oder der Sozialversicherung mit mindestens 50 % am Stimmrecht oder Nennkapital beteiligt sind. Minderheitsbeteiligungen wie bei VW, an denen das Land Niedersachsen mit 20 % beteiligt ist, werden nicht mit einbezogen.

Betragen die Umsatzerlöse eines Unternehmens, an dem überwiegend öffentliche Haushalte beteiligt sind, mindestens 50 % seiner Kosten und erzielt es weniger als 80 % seines Umsatzes durch Leistungen an öffentliche Haushalte, fällt es unter „Sonstige Fonds, Einrichtungen und Unternehmen“ und gehört damit selbst nicht zu den öffentlichen (Extra-)Haushalten. Somit finden seine Aktivitäten keinen Niederschlag in den staatlichen Gesamtausgaben, die in die Berechnung der Staatsquote einfließen. Dies gilt zum Beispiel für Wasserwerke, öffentliche Krankenhäuser oder auch für die Deutsche Bahn, an der einzig der Bund Anteile hält.

Öffentliche Unternehmen in Zahlen

Daten zu öffentlichen Unternehmen, Fonds und Einrichtungen sind rar gesät. Im Jahr 2013 gab es 15.314 kaufmännisch buchende öffentliche Unternehmen, von denen 9.964 eine private Rechtsform, zumeist GmbH, und 5.350 eine öffentlich-rechtliche Rechtsform hatten. Nicht inbegriffen sind 3.625 kameral buchende öffentlichen Einheiten.

Die 15.314 öffentlichen Unternehmen, Fonds und Einrichtungen erzielten 2013 Umsätze in Höhe von 528,77 Milliarden Euro und beschäftigten nach Angaben des Statistischen Bundesamts 1,97 Millionen Menschen. Etwa 17 % dieser kaufmännisch buchenden öffentlichen Unternehmen, Fonds und Einrichtungen wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamts 2013 dem Sektor Staat zugeordnet. Die restlichen 83 % sind im Rahmen eines Versuchs der Skizzierung des Umfangs staatlicher Aktivität allerdings ebenfalls zu berücksichtigen.

Nach Auskunft des Statistischen Bundesamts wurden 967 der 3.625 kameral buchenden Einheiten 2013 ebenfalls nicht dem Sektor Staat zugeordnet. Sie zu berücksichtigen ist jedoch nicht möglich, weil detaillierte Informationen zu ihnen, beispielsweise hinsichtlich der Anzahl der Beschäftigten, nicht vorliegen.

Staatsquote: Berücksichtigung öffentlicher Unternehmen

Eine Möglichkeit, öffentliche Unternehmen in die Staatsquote einfließen zu lassen, besteht gerade über die Wertschöpfung ihrer Beschäftigten. Die konventionelle Staatsquote berücksichtigt den Output beispielsweise eines Lehrers, indem sein Gehalt in die Konsumausgaben des Staates einfließt. Das Gehalt zeigt näherungsweise den Wert des Outputs des Lehrers an. Ähnlich kann die Wertschöpfung der Beschäftigten staatlicher Unternehmen berücksichtigt werden, die in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung derzeit nicht dem Staat zugerechnet werden. Leider stehen für die Gesamtheit der öffentlichen Unternehmen kaum detaillierte Angaben zur Verfügung.

Erweiterte Staatsquote: Ein Berechnungsversuch

Die Wertschöpfung öffentlicher Unternehmen, die nicht dem Sektor Staat zugeordnet werden, lässt sich deshalb über die Anzahl der Mitarbeiter nur grob bestimmen.

In Deutschland ließen etwa 42,3 Millionen Erwerbstätige 2013 insgesamt ein BIP von 2820,82 Milliarden Euro entstehen. Die durchschnittliche Wertschöpfung pro Erwerbstätigem im staatlichen und privaten Sektor betrug 2013 somit 66.735 Euro.

2013 wurden 83 % der öffentlichen Unternehmen nicht dem Sektor Staat zugeordnet. Unter der Annahme, die 1,97 Millionen Beschäftigten der öffentlichen Unternehmen waren gleichmäßig auf sie verteilt, ergibt sich eine Wertschöpfung in öffentlichen Unternehmen, die nicht dem Staat zugerechnet wurden, von 109 Milliarden Euro oder 3,85 % des BIP.

Im Vergleich zur konventionellen Staatsquote von 2013 von 44,5 % war die erweiterte Staatsquote demnach um fast 4 Prozentpunkte höher und betrug 48,35 %.

Einfluss des Staates: Substantiell, nicht marginal

Angesichts der schwierigen Datenlage kann die hier erfolgte Berechnung der „erweiterten Staatsquote“ nicht mehr als eine grobe Schätzung sein. Dennoch weist sie deutlich darauf hin, dass die konventionelle Staatsquote den Umfang staatlicher Aktivität untertreibt. Knapp 4 Prozentpunkte des BIP in 2013 waren keine Kleinigkeit und beliefen sich auf mehr als ein Drittel der gesamten Ausgaben des Bundes.

Vor allem die großen Privatisierungen von Unternehmen wie VIAG, Deutsche Post und Deutsche Telekom lassen vermuten, dass der Anteil öffentlicher Unternehmen an der „erweiterten Staatsquote“ in den vergangenen Jahrzehnten fiel. Obwohl die konventionelle Staatsquote darauf keinen Hinweis gibt, wurde der Staat zurückgebaut. Allerdings erfolgte der Staatsrückbau durch Privatisierungen in Industrien, die nicht zu den Kernaufgaben des Staates zu zählen sind, und ist zu begrüßen, weil im Wettbewerb miteinander stehende private Anbieter besser geeignet sind diese Leistungen zu erbringen.

Auch die „erweiterte Staatsquote“ untertreibt jedoch den substantiellen Umfang des staatlichen Einflusses. Erstens, 967 kameral buchende staatliche Einheiten müssten zusätzlich dem Sektor Staat zugerechnet werden. Zweitens, staatliche Minderheitsbeteiligungen wie bei VW, der Telekom oder der Commerzbank werden nicht berücksichtigt. Drittens, auch die „erweiterte Staatsquote“ zeigt nicht an, wie stark der Einfluss des Staates durch Gesetze und Regulierungen ist, die keine oder nur schwache fiskalische Spuren hinterlassen, aber das Verhalten von Individuen maßgeblich beeinflussen und in den vergangenen Jahrzehnten möglicherweise an Gewicht gewonnen haben.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Kate Ter Haar from Flickr (CC BY 2.0)

Barbara Hendricks Zeit als Ministerin ist abgelaufen. Trotzdem wird Sie dem Mittelstand lange in Erinnerung bleiben. Als scheidende Umweltministerin wird sie einen bleibenden Eindruck bei vielen Unternehmen hinterlassen. Ihr Erbe ist die neue Gewerbeabfallverordnung, die seit Anfang August in Kraft ist. Sollte sich der Mittelstand jemals über Bürokratie beschwert haben, dann mögen die Mittelständler bitte die Abfallverordnung aus dem Hause Hendricks lesen.

Anders als für den Hausmüll, der je nach Region zwischen Bio-, Wertstoff-, Papier- und Reststofftonne getrennt wird, müssen Gewerbetreibende künftig gewerbliche Siedlungsabfälle in 8 (!) Kategorien trennen, sammeln und einer Verwertungsanlage zuführen. Papier, Glas, Kunststoffe, Metalle, Holz, Textilien, Bioabfälle und Sonstige-Fraktionen nennt die Verordnung. Welche Farben die Mülltonnen auf dem Betriebsgelände für die acht Fraktionen haben sollen, lässt der Gesetzgeber offen. Ob die betroffenen Unternehmen mit dieser Freiheit verantwortungsvoll umgehen können, wird sich zeigen. Ansonsten wird die Novellierung der Gewerbeabfallverordnung sicherlich auch das bald regeln.

Das alles wäre ja schon ambitioniert, aber damit ist die Ministerin noch lange nicht mit ihrem Latein am Ende. Es geht noch Konkreter. Lediglich fünf Prozent Fehlerquote akzeptiert die Verordnung. Kommt es zu Verstößen, dann ist mit einer Strafe von bis zu 100.000 Euro zu rechnen. Wahrscheinlich werden sich bald Dienstleiter finden, die Unternehmen für die rechtlich einwandfreie Mülltrennung zertifizieren. Da soll noch einer sagen, der Staat würde keine Jobs schaffen.

Schon jetzt sinniert der verantwortungsbewusste Teetrinker in der Betriebskantine beim Pausentee schon bisweilen: „Was passiert eigentlich mit dem gebrauchten Teebeutel? Gehört er zur Papier-, Bio- oder Sonstigen-Fraktion? Muss er gegebenenfalls sogar nach der Teewässerung händisch in Beutel, Teeblätter und Metallklammer getrennt werden, um das Fünf-Prozent-Ziel einzuhalten? Wer weiß?“

Aber auch hier ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Die fachgerechte Verwertung des Teebeutels muss anschließend akribisch dokumentiert und selbstverständlich auf Verlangen der zuständigen Behörde nachgewiesen werden. Dazu muss das Unternehmen die getrennte Sammlung der Teebeutel-Einzelteile mithilfe von Lageplänen, Lichtbildern, Praxisbelegen wie Liefer- und Wiegescheinen lückenlos nachweisen können. Über die anschließende Abfallentsorgung und -weiterverarbeitung muss das Unternehmen natürlich ebenfalls sämtliche Dokumente vorhalten – 3 Jahre lang. Zuwiderhandlungen werden mit einem Bußgeld von 10.000 Euro geahndet. Da lohnt es sich doch glatt, einen Mitarbeiter einzustellen, der einzig und allein mit der Müllfrage beschäftigt ist.

Und ja, es geht noch eine Eskalationsstufe weiter. Wird die Betriebskantine abgerissen und müssen anschließend die angefallenen Bau- und Abbruchabfälle entsorgt werden, dann ist das nur zulässig, wenn sie vorab in 10 (!) Fraktionen getrennt wurden. Glas, Kunststoff, Metalle, Holz, Dämmmaterial, Bitumengemische, Baustoffe auf Gipsbasis, Beton, Ziegel, Fliesen und Keramik. Wird zwischen den Abbruchabfällen ein Teebeutel gefunden, dann muss dieser wie gewohnt dokumentiert, bebildert und abgeheftet werden – 3 Jahre lang. So kann ein falsch sortierter Teebeutel ganz schön teuer werden.

Bürokratie wie diese schadet kleinen und mittleren Unternehmen ganz besonders. Ob sie der Umwelt nutzt oder ob nicht eine Stärkung des Eigentums durch mehr Haftung und Verantwortung viel sinnvoller wäre, sei dahingestellt. Doch Hendricks Verordnung verändert schleichend die Wirtschaftsstruktur in diesem Lande. Kleine und mittlere Unternehmen können nicht ausweichen. Die Bürokratiekosten belasten sie daher besonders. Irgendwann wird der Aufwand zu groß, sie verschwinden vom Markt oder werden von den Konzernen geschluckt, die es sich leisten können, eigene Abfallabteilungen zu betreiben. Ludwig von Mises hätte wohl über Barbara Hendricks gesagt: „Jeden Tag maßen sich Bürokraten mehr Macht an; bald schon werden sie das gesamte Land leiten.“

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick.

Photo: Wikimedia Commons (CC 0)

Der Gesetzgeber engt den Spielraum von Unternehmern und Konsumenten in einem schleichenden Prozess immer stärker ein – und die Gerichte machen mit. Der missionarische Eifer dieser Weltbeglückungsträume zwingt den Bürgern immer mehr ein Wertesystem auf. Darf die Politik das?

Die Politik erweitert ihren Handlungsspielraum

Ludwig Erhard, Helmut Schmidt, Gerhard Schröder – Kanzler, die sich ständig mit Rauchwaren im Mund abbilden lassen oder vor laufender Kamera ein Bier bestellen, wären heute nur noch schwerlich denkbar. Eine moderne Prüderie hat Einzug gehalten in der Sphäre der Politik. Das hat auch damit zu tun, dass zumindest halbwegs das Gleichgewicht zwischen Reden und Handeln gewahrt werden muss. Und in Bezug auf das Reden hat eine zunehmend freudlose Stimmung immer mehr die Oberhand gewonnen. Alkohol, Tabak, Zucker, Fett, Fleisch – was früher einmal unverzichtbarer Grundbestandteil von Schützenfest, Karneval und Omas 80. Geburtstag war, wird von verschiedensten Seiten für das Unglück in dieser Welt verantwortlich gemacht. Kein Wunder also, dass man inzwischen erleben kann, wie Politiker Fotografen darum bitten, sie nicht beim Fleisch-Essen abzulichten.

Eine krude Mischung aus Puritanismus und Selbstoptimierung ist auf dem Vormarsch. Natürlich kann man nicht leugnen, dass die Politik auf diesem Feld durchaus eine bestehende Nachfrage bedient. Es sind inzwischen bei weitem nicht mehr nur „die Ökos“, die sich einem gesundheitsbewussten Lebensstil verpflichtet fühlen. Unabhängig davon, ob man diese Entwicklung nun begrüßt oder bedauert, muss man sich die Frage stellen: Nutzt die Politik diesen Trend, um hemmungslos die Grenzen ihres legitimen Handelns zu überschreiten und mithin diese Grenzen im allgemeinen Bewusstsein zu verschieben? Auch Freunde des gesunden Lebens sollten hier Acht geben, weil es eben nicht nur um konkrete Fragen geht, sondern um prinzipielle.

Gleichheit vor dem Gesetz war gestern

Vor zwei Wochen hat der Bundesgerichtshof entschieden, die ohnehin schon exzessiven Regeln zu Tabakwerbung im Internet so streng wie möglich auszulegen. Nicht einmal auf ihren eigenen Webseiten dürfen die Hersteller von Rauchwaren mehr Menschen beim munteren Konsum von Tabakprodukten zeigen. Wie rechtfertigen Gesetzgeber und Richter eigentlich solche massiven Eingriffe in die unternehmerische Freiheit? Staatliche Akteure sind inzwischen völlig außer Rand und Band geraten, wenn es darum geht, die Bürger vor ihrer eigenen „Dummheit“ zu schützen. Und bedauerlicherweise gibt es auch eine große Zahl an Bürgern, die das tolerieren oder gar selber einfordern. Gerade diese Unterstützung in Teilen der Bevölkerung macht es Politikern immer leichter, die Grenzen der geduldeten Eingriffe in die Entscheidungen ihrer Bürger weiter zu verschieben. Während sie dabei vermeintlichen Schutz ermöglichen, zerstören sie in Wirklichkeit Stück für Stück die Grundlagen des freiheitlichen Rechtsstaats.

Die Argumente für die einzelnen Eingriffe kommen in der Regel im pragmatischen Gewand daher nach dem Schema: In diesem konkreten Fall sei jetzt eine bestimmte Maßnahme gerechtfertigt, weil sie ein erwünschtes Ziel begünstige. Was im Einzelfall dann sinnvoll und vernünftig erscheinen mag und darum Zustimmung erntet, untergräbt zunehmend die Freiheit, die sich unsere Vorfahren mühsam erarbeitet haben. Denn eine zentrale Grundlage unserer individuellen Freiheit ist es, dass wir keinen willkürlichen Eingriffen der Herrschenden ausgesetzt sind, sondern in einem verlässlichen System aus allgemeinen und gleichen Regeln leben. Die Gleichheit vor dem Gesetz ist, wie die Philosophin Hannah Arendt einmal herausstellte, das Gegenstück zu Machtausübung. Das ursprünglich griechische Konzept der „Isonomie“, das später von mittelalterlichen Rechtsgelehrten und den Denkern der Aufklärung weiterentwickelt wurde, und die Grundlage unseres Rechtsverständnisses bildet, wird laut Arendt dadurch gekennzeichnet, dass hier das Konzept der Herrschaft durch Personen vollständig fehle. Es ist das Ideal der Herrschaft des Rechts.

Diskriminierung für einen guten Zweck

Dieses Bollwerk gegen Willkür der Politik untergraben die paternalistischen Einzelmaßnahmen gegen alle möglichen Produkte und Verhaltensweisen, die als schädlich angesehen werden. Der Tabakproduzent und der Hersteller von Katzenfutter werden vollkommen unterschiedlich behandelt. In diesem Geiste dürfte es nicht mehr allzu lange dauern, bis auch die Süßwarenhersteller und die Computerspielentwickler ins Visier genommen werden. Wir geraten immer tiefer in einen Strudel der Diskriminierung hinein. Politiker und Meinungsmacher entscheiden, wer bestraft und wer belohnt werden soll, denn sie entscheiden auch, was schädlich ist und was nicht; was bekämpft werden muss und was in Ruhe gelassen wird; und was dem Bürger (oder sollte man sagen: dem Untertan?) zu einem besseren Leben verhilft.

Pragmatismus statt Prinzipienreiterei – mit diesem Argument werden Einwände gegen die diskriminierenden Maßnahmen der Politik oft vom Tisch gewischt. Was zählt schon die unternehmerische Freiheit, wenn Leben gerettet werden können? Diese Logik ist ein bewährtes Mittel, um Macht auszuweiten und Freiheit einzuschränken. Diesen süßen Sirenengesängen nicht zu folgen, erfordert Stehvermögen. Während man für ein abstraktes Prinzip streitet, werden einem Raucherlungen und Drogenstatistiken entgegengeschleudert. Man darf sich davon nicht irremachen lassen. Früher wurde die Willkür der Herrschenden gerechtfertigt mit religiösen Begründungen oder dem nationalen Interesse – heute eben mit der Sorge um die Gesundheit und das Wohlergehen der Bürger. Was Friedrich August von Hayek 1961 in dem Artikel „Die Ursachen der ständigen Gefährdung der Freiheit“ schrieb, ist in diesem Zusammenhang zeitlos gültig: „dass die Freiheit nur erhalten werden kann, wenn sie nicht bloß aus Gründen der erkennbaren Nützlichkeit im Einzelfall, sondern als Grundprinzip verteidigt wird, das der Erreichung bestimmter Zwecke halber nicht durchbrochen werden darf.“

Photo: rickpilot_2000 from Flickr (CC BY 2.0)

Wenn sich die Deutsche Bundesbank in ihrem jüngsten Monatsbericht mit der Blockchain-Technologie (Distributed-Ledger-Technologie) beschäftigt, die hinter der digitalen Währung Bitcoin und anderer steckt, dann ist das schon fast eine Sensation. Bislang war alles um die private Währung Bitcoin herum den Bundesbankern höchst suspekt. Mal warnten sie vor Totalverlust, mal vor der hohen Volatilität und ein anderes Mal vor der mangelnden staatlichen Aufsicht.

Gerade hat Estland die Idee einer staatlichen Kryptowährung „Estcoin“ vorgeschlagen. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat wohl auch deshalb vor dieser Entwicklung gewarnt: Eine durch Zentralbanken herausgegebene digitale Währung hätte ein viel größeres Potential für einen Bankrun als das heutige analoge Geld. Weidmann argumentierte, dass sich eine Bank gegen den Abzug digitalen Geldes nicht schützen könne, und daher das Finanzsystem viel stärker gefährdet sei. Das ist eine bemerkenswerte Aussage, denn der Notenbank-Chef offenbart damit eigentlich die Schwäche des eigenen staatlichen Geldsystems. Es ist durch die Geldproduktion aus dem Nichts erst so anfällig geworden. Erst dadurch, dass Banken Kredite und damit neues Geld aus dem Nichts produzieren können, ist es anfällig für Bankruns. Denn dieses Geld ist als Bargeld nicht ausreichend vorhanden. Weniger als 10 Prozent der Geldmenge ist Bargeld, der Rest ist Giralgeld, das auf den Konten herumliegt oder im Geldkreislauf digital unterwegs ist.

Wollen alle Kunden einer Bank zur gleichen Zeit an ihr Geld und sich dieses als Bargeld auszahlen lassen, macht die Bank „Ferien“ und schließt die Schalter auf unbestimmte Zeit. In Argentinien, Griechenland und Zypern war das gerade Fall. Daher ist die Sorge Weidmanns durchaus berechtigt. Weidmann bewegt sich jedoch gedanklich in seinem geschlossenen System und verlässt dieses geistige Gefängnis nicht.

Auch im Monatsbericht der Bundesbank wird lediglich darüber nachgedacht, wie eine digitale staatliche Währung oder die Verwendung der Blockchain-Technologie zu Vorteilen für das staatliche Geldsystem führen kann. Im Bericht heißt es dazu: „Bislang ist nicht erkennbar, dass der Einsatz der Digital-Ledger-Technologie im Zahlungsverkehr in einem einheitlichen Währungsraum im Vergleich zu etablierten Abwicklungssystemen Effizienzgewinne erzielen kann.“ Das ist natürlich viel zu kurz gesprungen. Denn es geht nicht darum, im Rahmen eines Großversuches allen ein neues, besseres Zahlungs- oder Wertpapierabwicklungssystem überzustülpen, sondern einen Wettbewerb der Systeme zuzulassen. Denn diese „Effizienzgewinne“ des derzeitigen Systems werden mit einem enormen Aufwand erkauft. Allein für die Überwachung der Banken sind im weltweiten Regulierungsprozess direkt über 110.000 Angestellte beschäftigt. Schätzungen gehen davon aus, dass das Sechsfache davon zusätzlich bei Zuarbeitern in anderen Wirtschaftszweigen (IT, Wirtschaftsprüfer, etc.) hinzukommt (Bernd Lüthje: „Basel Vier. Das Ende des Basel-Regimes“, 2013).

Doch eines zeigt der Bundesbank-Bericht sehr deutlich. Die Möglichkeiten der Blockchain-Technologie im Finanzsektor sind durch die hohen Regulierungshürden begrenzt. Letztlich haben die Bundesbank und die EZB überall den Daumen drauf. Ohne sie läuft nichts. Die Wahrscheinlichkeit, dass Beamte in Frankfurt die Anwendung der Blockchain-Technologie bei Banken und Versicherungen zulassen, ist so wahrscheinlich, wie dass Martin Schulz Bundeskanzler wird.

Daher werden die Anwendungsmöglichkeiten der Blockchain-Technologie sicherlich nicht zuvorderst im Bankensektor stattfinden, sondern in Wirtschaftsbereichen, die weniger stark reguliert werden. Hier wird sich die Digital-Leger-Technologie viel eher durchsetzen und Anwendungsmöglichkeiten finden. Doch eines sollte auch der Deutschen Bundesbank klar sein: In einer offenen Welt lassen sich Entwicklungen dieser Art nicht aufhalten. Man kann sie im eigenen Land hemmen, sanktionieren oder zu verhindern versuchen, letztlich finden sie dann andernorts statt. Politik kann die Gesetze des Marktes verzögern, aber nicht dauerhaft ausschalten.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: Alina Asadullah from Flickr (CC 1.0)

Vorgestern hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker seine jährliche Rede zur Lage der Union gehalten. Niemand hat dabei einen großen Wurf erwartet, dafür ist Juncker schon zu lange dabei und alle kennen ihn zur Genüge. Dennoch zeigt die Rede, wo es nach er Bundestagswahl hingehen soll und was die Konfliktlinien sein werden. Juncker hält unvermindert am Dogma der „ever closer union“ fest. Stillstand ist Rückschritt für ihn. Die Notwendigkeit belegt er mit Zahlen. Das Wirtschaftswachstum ist stärker als in den USA und die Arbeitslosigkeit so niedrig wie seit 9 Jahren nicht mehr. Seine Investitionsoffensive habe 225 Milliarden Euro Investitionskapital für kleine und mittlere Unternehmen bereitgestellt und 270 Infrastruktur-Projekte aktiviert. Selbst das öffentliche Defizit sei von 6,6 auf 1,6 Prozent gesunken. So viel Eigenlob war nie. Dennoch ist die EU und auch die Euro-Zone noch weit vom Vorkrisenniveau entfernt.

Wer meint, alles richtig gemacht zu haben, kann jetzt auch diesen Weg konsequent weitergehen. Investitionen in der EU will Juncker einem „Investment Screening“ unterziehen. Investitionsfreiheit gibt es nur auf Gegenseitigkeit. Die Übernahme von Schlüsselindustrien und Infrastruktur sollen nicht mehr in den Händen der Eigentümer liegen und durch individuelle Regelungen in den Mitgliedsstaaten vereinbart werden, sondern unter den Zustimmungsvorbehalt der Kommission gestellt werden. Warum nicht auch der Lebensmitteleinzelhandel oder die Müllabfuhr? Mehr Schlüsselindustrie geht doch nicht!

Natürlich ist es ein wichtiges politisches Anliegen, dass Unternehmen aus der EU möglichst ungehindert in China investieren, dort Unternehmen kaufen und verkaufen können. Doch eine zwingende Gegenseitigkeit setzt das nicht voraus. Es unterstellt nämlich, dass Unternehmen aus Europa per Zwang in China investieren. Nein, sie machen es freiwillig. Vielleicht könnte China noch mehr Investitionskapital aus dem Ausland erhalten, würde es seine Märkte stärker öffnen. Doch auch die Selbstschädigung ist erlaubt. Wieso wir es anderen gleichtun sollten, ist jedoch schleierhaft. Die Beispiele, die Juncker anführt, sind daher höchst fragwürdig. So dürfe China keine Häfen in Europa ohne Zustimmung der Kommission kaufen. Doch Häfen sind meist in staatlicher, halbstaatlicher oder kommunaler Hand. Wenn ein souveränes Land entscheidet, sein Eigentum zu verkaufen, dann hat keine Kommission dieser Welt das Recht, das zu verhindern.

Besonders spannend ist Junckers persönliche Vision der EU. Er wünscht sich eine EU mit den Grundprinzipien Freiheit, Gleichberechtigung und Rechtsstaatlichkeit. Er beschreibt das als sein großes Leitbild. Dabei ist er für die mangelnde Durchsetzung dieser Grundprinzipien höchstselbst verantwortlich. Wer hat sich denn in der beginnenden Flüchtlings- und Migrationskrise im Herbst 2015 in die Büsche geschlichen? Hat es seinerzeit Kritik von Juncker gegeben an der Aussetzung des Dubliner-Abkommens durch die derzeitige Bundesregierung? Hat er bei der Verletzung der Stabilitätskriterien des Maastrichter-Vertrages nicht fortwährend die Augen zugedrückt? Dabei ist seine Kommission die Hüterin der Europäischen Verträge. Wo ist die vielbeschworene Rechtsstaatlichkeit der EU? Auch in Brüssel gilt: wer im Glashaus sitzt, sollte daher nicht mit Steinen werfen.

Juncker geht es in seiner Rede nur darum, wie die Kommission zu mehr Macht gelangt. Juncker will den Europäischen Stabilitätsmechanismus in das Vertragswerk der EU integrieren, damit er dann per Mehrheitsbeschluss entscheiden kann. Er will alle EU-Staaten in den Euro-Raum zwingen, wo schon jetzt die Zentrifugalkraft den Währungsraum zu zerreißen droht. Neulich war ich bei einem Unternehmen in Baden-Württemberg, einem dieser Hidden-Champions, das zunehmend Probleme mit unfairen Wettbewerbern hat. Wer in Polen investiert, bekommt auf seine Maschinen einen 50 prozentigen Zuschuss aus dem EU-Haushalt. Der Unternehmer fragte mich, wie er mit einer solchen Wettbewerbsverzerrung dauerhaft mithalten soll, wenn er seine Maschine zu 100 Prozent kaufen muss. Er bezahlt also mit seinen Steuern die Maschine seiner eigenen Konkurrenz. Absurder geht es nicht.

Gleichzeitig schützt die Kommission durch die Entsenderichtlinie heimische Unternehmen vor „Billigkonkurrenz“ aus osteuropäischen Ländern. Was ist daran falsch? Alles. Sowohl die Subventionierung der polnischen Maschine ist falsch, als auch die Abschottung durch die Entsenderichtlinie. In einem gemeinsamen Markt muss es nicht gleiche Lohnkosten geben. Es gibt ja auch nicht eine gleiche Infrastruktur, ein gleiches Ausbildungsniveau oder gleiche Steuern und Abgaben. Zwar will Juncker auch das noch angleichen. Dennoch sollten wir unsere heimische Regulierungswut Polen, Tschechen oder Slowaken wahrhaft nicht antun. Das würde Europa nicht stärker zusammenführen, sondern auseinanderdividieren. Nicht ohne Grund wird BRD oft auch mit „Beinahe Regelungs Dicht“ übersetzt.

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick.