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Von Norbert Häring, Journalist.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt hat entschieden, dass die Rundfunkanstalten nicht verpflichtet sind, das gesetzliche Zahlungsmittel zur Begleichung des Rundfunkbeitrags anzunehmen. Die Urteilsbegründung ist nach meiner laienhaften und unmaßgeblichen Ansicht ein schlechter Witz. An Bundesgesetze und das EU-Recht müssen sie sich nicht halten, wenn ihnen das lästig wäre, meint das Gericht. Berufung ist zugelassen!

Sie mögen geneigt sein, mich für einen schlechten Verlierer zu halten. Aber einerseits ist ja noch nichts verloren, sondern ein höherrangiges Gericht, der Hessische Verwaltungsgerichtshof, darf entscheiden. Zum Anderen möchte ich Ihnen die Möglichkeit geben,sich selbst ein Bild von der sonderbaren Urteilsbegründung der aus drei Berufsrichtern und zwei Laien bestehenden Kammer zu bilden.

„Der Beklagte ist nicht verpflichtet, Barzahlungen des Klägers zur Tildung seiner Rundfunkbeitragsschuld anzunehmen. Er befindet sich daher nicht in Annahmeverzug.“ So lautet das Urteil. Dem „steht auch nicht der wegen Art 31 GG vorrangige §14 Abs. 1 S. 2 BbankG entgegen. Nach (diesem) sind auf Euro lautende Banknoten das einzige unbeschränkte Zahlungsmittel.“

Das Schlüsseladjektiv „gesetzliche“ im Gesetzestext wird weggelassen. Es ist zentral für die Unterscheidung zwischen dem Zahlungsmittel Giroguthaben bei Banken und dem einzigen gesetzlichen Zahlungsmittel Banknoten. Giroguthaben sind ein Versprechen auf Auszahlung des gesetzlichen Zahlungsmittels. Der vom Gericht erwähnte Artikel 31 GG begründet den für unsere Argumentation zentralen Grundsatz, dass Bundesrecht entgegenstehendes Landesrecht bricht.

Dann kommt eine erste wichtige Erkenntnis. Es ist nach Ansicht eines deutschen Verwaltungsgerichts unklar, ob – wie Bundesbank und EU-Kommission meinen – ein grundsätzlicher Annahmezwang bezüglich des gesetzlichen Zahlungsmittels besteht.

Es kann offen bleiben, ob daraus – wie der Kläger meint – einfachgesetzlich bzw. unionssekundärrechtlich als geldpolitische Regelung eine grundsätzlich jedermann – und auch öffentliche Stellen – treffende Obliegenheit folgt, auf Euro lautende Banknoten zur Begleichung einer Schuld in bar anzunehmen, mit der Folge, dass andernfalls Gläubigerverzug eintritt. Alternativ kommt – wou die Kammer neigt – in Betracht, dass §14 Abs 1 S. 2 BbankG (…) lediglich die währungspolitische Aussage des §14 Abs 1 S. 1 BbankG verdeutlich, dass ausschließlich die Bundesbank das Recht zur Ausgabe von Euro-Banknoten hat.

In diesem Absatz vermute ich den Grund, warum es einen Monat dauerte, bis das Urteil ausgefertigt und zugestellt wurde. Die Richter wurden sich offenbar nicht einig, was aus §14 Abs 1. S. 1 Bundesbankgesetz folgt, und ließen diese zentrale Frage daher offen. Und jetzt kommt der schlechte Witz: Offen kann das bleiben, weil:

Denn der Anwendungsbereich des §14 Abs. 1 S 2 BbankG ist jedenfalls dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass in Massenverfahren im Abgabenrecht eine unbedingte Verpflichtung zur Annahme von Bargeld seitens des Abgabengläubigers nicht besteht. Eine Kollision mit höherrangigem Bundesrecht liegt daher im Fall des §10 Abs. 2 der Rundfunkbeitragssatzung nicht vor.

In Laiensprache übersetzt: Würde das Bundesbankgesetz einen Annahmezwang begründen, würde der nur dann gelten, wenn es für die verpflichtete öffentliche Stelle nicht lästig wäre. Weil der Bundesgesetzgeber das zwar nirgends formuliert, aber mitgedacht habe, trete auch das Problem nicht auf, dass der Landesgesetzgeber (bei der Rundfunkgesetzgebung handelt es sich um Landesrecht) und die Rundfunkanstalten keine Befugnis haben, den Regelungsgehalt von Bundesgesetzen einzuschränken oder Regelungen zu erlassen, die Bundesgesetzen widersprechen. Das Gericht meint also, wenn sich Gesetze im Lauf der Zeit als unpraktisch für Behörden erweisen, müssen sie nicht geändert werden. Man geht einfach davon auf, dass der Gesetzgeber schon so gewollt hätte, das die Regelung ignoriert wird, wenn sie sich als unpraktisch erweist. Das liest sich dann in der Urteilsbegründung weiter so: „Bei Massenverfahren im Abgabenrecht – und hierzu ist das Recht der Rundfunkbeiträge zu zählen – ist es aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und Verwaltungspraktikabilität angezeigt, einen rein unbaren Zahlungsverkehr zuzulassen.“

Es gibt keinen Verweis auf irgendein Urteil oder einen Gesetzeskommentar, der diese originelle Rechtsauffassung stützen würde, stattdessen die gut versteckte Einräumung:

Auch der Vergleich zu den zugestandenermaßen auf derselben Normebene eines Bundesgesetzes stehenden – steuerrechtlichen Vorschriften der §224 Abs 3 S. 1 AO (Abgabenordnung) (…) zeigt, dass in solchen abgabenrechtlichen Massenverfahren Ausnahmen von der auch baren Zahlungsmöglichkeit möglich sind und auch erforderlich sein können.

Es steht nicht in Zweifel, dass der Bundesgesetzgeber Bundesgesetze ändern und einschränken darf. Bestritten wird von uns, dass der Landesgesetzgeber das darf. Das Gericht räumt mit dem „zugestandenermaßen“ ein, dass ihm das bewusst ist, macht dann aber weiter, als wäre nichts gewesen. Es kommt nichts mehr, was das „zugestandenermaßen“ wieder aufnehmen und begründen würde, warum ein solches Recht auch Landesgesetzgebern zustehen sollte.

Ganz abgesehen davon wird die Vorschrift der Abgabenordnung verengt angeführt. Sie erlaubt den Finanzämtern nur unter der Bedingung die Kassen für Barzahlungen zu schließen, dass Kreditinstitute am Ort ermächtigt werden, Barzahlungen „gegen Quittung“ für das Finanzamt anzunehmen. „Gegen Quittung“ bedeutet, dass Bank zur Erfüllungsgehilfin des Finanzamts wird, und die Schuld mit Einzahlung bei der Bank erloschen ist. Das ist bei der Barüberweisungsmöglichkeit, auf die die Rundfunkanstalten verweisen, dezidiert nicht der Fall. Die Schuld ist erst beglichen, wenn das Geld nachweislich auf dem Konto der Rundfunkanstalt eingegangen ist. Gegen die verbreitete Praxis der Finanzämter, die Kassen zu schlissen, ohne der ausdrücklichen Verpflichtung durch die Abgabenordnung Genüge zu tun, dafür mindestens ein Kreditinstitut am Ort zur Ausstellung einer Quittung zu ermächtigen, ist mindestens ein Verfahren anhängig.

Aber mit solchen Feinheiten hält sich das Gericht nicht auf, sondern zeigt noch einmal den exzessiv praktikabilitätsorientierten Geist des Urteils, indem es darauf verweist, dass die Landesgesetzgeber ja auf Verwaltungsvereinfachung abzielten, und da könne man sie doch nicht an Bundesgesetze binden, die der Verwaltungsvereinfachung entgegenstehen:

Die Einführung des Rundfunkbeitrags anstelle der Rundfunkgebühr bezweckte gerade die Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens. Im Rahmen des stark typisierenden Rundfunkbeitragsrechts stünde es in diesem Zusammenhang außer Verhältnis, den Rundfunkanstalten aufzugeben, eigens für einzelne Beitragspflichtige derzeit nicht bestehende Barzahlungskassen einzuführen.

Was die Hinterlegung des geschuldeten Beitrags beim Amtsgericht angeht, urteilte das Verwaltungsgericht nicht, das diese Frage erst bei einer etwaigen Vollstreckungsabwehrklage zu behandeln wäre. Es machte aber deutlich, dass es die Hinterlegung wegen fehlenden Annahmeverzugs für unrechtmäßig hält.

Aktenzeichen: 1 K2903/15.F
Kurzfassung des Urteils

Erstmals erschienen auf dem Blog von Norbert Häring.

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Helfen, Rücksicht nehmen, ein guter Mensch sein – wer würde das nicht wollen? All das sind freilich individuelle Tugenden. Wenn Staat und Politik versuchen, uns dabei zu „unterstützen“, etwa durch den Kampf gegen „Hass-Sprache“, führt das oft zu gravierenden Folgen, die eigentlich keiner wollen kann.

Das Anbrechen des Hass-Zeitalters?

Nach dem Brexit machten plötzlich alarmierende Berichte die Runde, dass es einen sprunghaften Anstieg sogenannter Hass-Verbrechen gegenüber Ausländern gegeben habe. Der deutsche Justizminister wies kürzlich auf den besorgniserregenden Anstieg von „Hass-Reden“ in den sozialen Netzwerken um 176 Prozent hin und drohte den Betreibern der Netzwerke mit staatlichen Eingriffen. Beim Europarat ist eine eigene „Kommission gegen Rassismus und Intoleranz“ angesiedelt, die sich um die Erfassung und Bekämpfung von Hass-Verbrechen kümmert.

Diese Kommission hat viel zu tun, wenn sie die 47 Länder des Europarates beständig im Blick behalten möchte. Und vor allem, wenn sie die Balance halten möchte: Sie muss autokratisch regierte Länder wie Russland und Aserbaidschan ebenso in den Blick nehmen wie offene Demokratien wie Island und Portugal. Das führt dann zu so schwammigen Formulierungen wie der aus dem Jahr 2013 (!), dass in Deutschland „der rassistische und besonders der fremdenfeindliche Charakter in Teilen der öffentlichen Debatte … immer noch nicht ausreichend verdeutlicht“ werde. Was genau ist denn ein fremdenfeindlicher Charakter? Oder auch: wo findet sich konkret die „erhebliche (sic!) Diskriminierung von LGBT-Personen“? Und sind anonyme Bewerbungsverfahren bei der „Vergabe von Aufträgen, Darlehen, Zuschüssen und anderen Leistungen“ in irgendeiner Weise sinnvoll durchführbar? Man merkt bei der Lektüre der Berichte, dass hier eine Bürokratie am Werk ist, die nicht darauf ausgerichtet ist, sich selbst überflüssig zu machen, um es vorsichtig zu formulieren.

Schwammige Zahlen, unklare Begriffe

Natürlich gibt es abstoßende, gefährliche und zum Teil auch in erheblichem Ausmaß strafbare Diskriminierung gegenüber Menschen, die als andersartig empfunden werden. Und natürlich folgt auf böse Worte nicht selten auch die böse Tat. Jedes hasserfüllte Wort und jeder Faustschlag sind Verletzungen, die nie passieren sollten. Sobald aber mit Trends, Daten, Zahlen argumentiert wird, wird es sehr schnell unübersichtlich. Wenn man zum Beispiel versucht, herauszufinden, wie es zu dem von der Bundesregierung festgestellten Stand von 3084 „Hass-Postings“ in sozialen Netzwerken kommt, landet man im Nirgendwo. Man muss sich zufrieden geben mit der Aussage, dass es in der Statistik für politisch motivierte Kriminalität keine eigenständige Kategorie für Hasspostings gibt: „Die Fallzahlen wurden über eine Abfrage des Themenfeldes ‚Hasskriminalität‘ unter Eingrenzung auf das Tatmittel ‚Internet‘ ermittelt.“

In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage aus dem Bundestag zum Thema „politisch motivierte Kriminalität“ kommt dann zum Vorschein, dass es sich in etwa drei Vierteln der Fälle um Volksverhetzung handeln soll. Der Bundesrichter Thomas Fischer formuliert dazu pointiert: „Man könnte ja eigentlich sagen: Beleidigung ist strafbar; üble Nachrede und Verleumdung sind strafbar; Volksverhetzung, Bedrohung, Gewaltverherrlichung sind strafbar, Befürwortung von Straftaten ist strafbar: Also wo um Himmels willen soll da jetzt noch eine ‚Lücke‘ sein? Wie viele ‚Hater‘ konnten denn aufgrund des bestehenden Rechts nicht zu Strafe oder Schadensersatz verurteilt werden? Was soll das überhaupt für ein merkwürdiger Tatbestand sein, ‚Hass‘ zu formulieren?“

Die Opfer-Inflation

Gegen Hass zu sein, ist gut. Aber was ist Hass? 62.518 Hassverbrechen wurden von der britischen Polizei 2015/16 aufgenommen, rund Zehntausend mehr als im Vorjahr, fast 80 Prozent davon mit rassistischem Hintergrund. Was Hass ist, definiert hier aber nicht der Gesetzgeber, sondern derjenige, der das vorgebliche Verbrechen meldet. Definiert wird ein Hass-Verbrechen in den Leitlinien der britischen Polizei nämlich allein durch die Wahrnehmung des Opfers oder des Zeugen. Die Meldung kann über ein einfaches Online-Formular erfolgen, das man anonym und ohne Beweise oder Belege vorzuweisen benutzen kann. Kein Wunder, dass die Statistik Amok läuft …

Wir erleben derzeit einen weltweiten Trend zur Viktimisierung: In den USA tobt an den Universitäten die Debatte um sogenannte „safe spaces“, wo sich Studenten frei von jeder Diskriminierung aufhalten können sollten – und liefert beständig Wasser auf die Mühlen der Trump-Unterstützer. In vielen westlichen Staaten inszenieren sich Rechtspopulisten als Opfer eines Mainstreams, der ihre Meinungsfreiheit beschneide. Muslime beanspruchen für sich, die „neuen Juden“ zu sein. Es scheint ein Wettbewerb darum zu bestehen, wer nun mehr diskriminiert werde – gerade so, als befänden wir uns in einem repressiven Gesellschaftsumfeld wie dem Herrschaftsgebiet der Taliban.

Persönliche Verantwortung nicht verstaatlichen

Dieser inflationäre Gebrauch des Opfer-Konzepts führt zu anderen Folgen als denjenigen, die viele sich wünschen, die etwas gegen Diskriminierung tun wollen. Es führt etwa zu einem sich gegenseitig aufschaukelnden Konflikt: Wenn sich der hypersensible Akademiker beständig über die „falsche“ Sprache beschwert, führt das bei der rabiaten Kleinunternehmerin zu Gegenreflexen und so beginnt eine Spirale der Eskalation. Wenn man durch anonyme Meldeformulare Opfern von verbaler oder tätlicher Gewalt einen möglichst leichten Zugang zu Schutz und Gerechtigkeit ermöglichen möchte, führt das zum Missbrauch dieser Gelegenheit. Durch diese Opfer-Inflation auf allen Seiten wird der Begriff entwertet – was sich ja bereits im Sprachgebrauch von Jugendlichen niederschlägt, die demjenigen, dessen Bierflasche grade zu Boden gefallen ist, zurufen: „Du Opfer!“ Wirklichen Opfern ist dadurch nicht geholfen.

Der Schutz unserer Mitmenschen vor Übergriffen, vor Hass und Gewalt, auf welcher Seite sie auch immer stehen mögen, ist in Fällen klarer Gewaltanwendung natürlich Sache der Strafverfolgungsbehörden. Sie ist aber ganz oft auch Sache jedes Einzelnen – gerade in jenen Grauzonen, die als „Hass-Rede“ bezeichnet werden. Indem Politiker uns diese Verantwortung abnehmen, schwächen sie das Anliegen und die Gesellschaft als Ganze. Wir dürfen unsere persönliche Verantwortung nicht verstaatlichen. Es ist Aufgabe jedes einzelnen von uns, einzuschreiten, wenn jemand beschimpft oder diskriminiert wird. Es ist unsere Aufgabe, unsere Kinder so zu erziehen, dass sie im Modus des Respekts denken, reden und handeln. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu werben, dass der soziale Druck wächst auf diejenigen, die aus Hass reden und handeln. Nur so kann eine nachhaltige Veränderung geschehen zum Besten aller. Alles andere ist Augenwischerei.

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Es ist immer Vorsicht geboten, wenn man von einem Einzelfall auf die Gesamtheit schließt. Deshalb ist in der Finanzkrise ein einfaches Bankenbashing zu einfach. Die allermeisten Institute und ihre Mitarbeiter haben vor und während der Finanzkrise einen guten Job gemacht. Doch wie überall, gibt es auch im Finanzsektor schwarze Schafe. Vielleicht sogar dort ein paar mehr. Seit 2007 musste der Steuerzahler für die IKB, die zahlreichen Landesbanken, die Hypo Real Estate und die Commerzbank einspringen. Für letztere allein mit 18 Milliarden Euro Kapitalhilfen und 15 Milliarden Euro Staatsgarantien. Heute ist die Commerzbank immer noch nicht über den Berg und entläßt fasst jeden vierten Mitarbeiter. Das ist wahrlich kein Pappenstiel.

Die Lehre daraus war, die Banken eng an die Kandare zu nehmen. Die Eigenkapitalanforderungen wurden verschärft, die Bankenaufsicht neu geordnet und ein Bankenabwicklungsregime beschlossen. Das Ziel sollte sein, dass nie wieder der Steuerzahler durch die drohende Insolvenz einer Bank erpresst werden kann. Stattdessen sollten, wie auch sonst üblich in unserer marktwirtschaftlichen Ordnung, die Eigentümer und Gläubiger haften. Erst wenn das alles nicht ausreicht, sollte der Staat und damit die Steuerzahler herangezogen werden dürfen. Dafür erfand man gleich auch einen neuen Fachbegriff – die Haftungskaskade.

Bislang erinnerten diese neuen Instrumente an Trockenschwimmen. Der Praxistest blieb bislang glücklicherweise aus. Ob der Instrumentenkatalog der Realität standhalten würde, ist jedoch fraglich. Schon die Urthese, dass die Banken aus Krise gelernt hätten, muss man bezweifeln. So wurde in dieser Woche bekannt, dass die Deutsche Bank 2013 der italienischen Skandal-Bank Monte dei Paschi mit Derivate-Geschäften geholfen habe, Transaktionen in Milliardenhöhe an den Bücher vorbei zu schleusen. Das erinnert ganz an die Buchungstricks Griechenlands, die Anfang des Jahrtausends Goldman Sachs eingefädelt hatte, deren Europa-Chef der heutige EZB-Präsident Mario Draghi war. Letztlich führten die geschönten Verschuldungszahlen der Hellenen dazu, dass sie mit offenen Armen in die Euro-Zone aufgenommen wurden. Der damalige Finanzminister Hans Eichel lobte im Bundestag die großen Reformanstrengungen der griechischen Regierung mit den Worten: „Wir haben allen Grund Griechenland zu diesem Erfolg zu gratulieren.“ Das ist inzwischen 16 Jahre her.

Anders als in den USA müssen heimische Banken und ihre Vorstände durch die Finanzaufsicht nicht mit drakonischen Strafen rechnen. Die deutsche Aufsicht BaFin ist bekannt, dass sie mit Strafen und Bußgeldern sehr zurückhaltend ist. Zu besserem moralischen Handeln der Banken hat das neue Regelwerk also nicht geführt. Die Frage ist, ob im Ernstfall wenigstens die Haftungskaskade zieht: Also werden die Eigentümer und Gläubiger zwingend herangezogen, bevor der Staat und damit die Steuerzahler zur Kasse gebeten werden? Hier genügt ein Blick ins Gesetz. Das Abwicklungsgesetz (genau BRRD-Umsetzungsgesetz) vom 10. Dezember 2014 regelt in Paragraph 92 die Ausnahmen von der Haftungskaskade. Darin heißt es lapidar: „Die Abwicklungsbehörde kann im Einzelfall bestimmte berücksichtungsfähige Verbindlichkeiten … ganz oder teilweise aus dem Anwendungsbereich des Instruments der Gläubigerbeteiligung ausschließen …“. Dies ist unter anderem deshalb möglich, „um die Gefahr einer Ansteckung zu vermeiden …“.

Das Problem ist: mit der Ansteckungsgefahr ist bislang jede Staatsintervention bei einer drohenden Bankeninsolvenz begründet worden. Immer wird in dieser Situation der Untergang der Weltwirtschaft heraufbeschworen. So war es bei der kleinen Industriekreditbank in Düsseldorf 2007, bei den Banken in Zypern 2012 und eben auch bei jeder mittelgroßen Bank, die es heute erwischen würde. Die Regeln taugen nicht. Es braucht ein Abwicklungsregime, das insolvente Banken tatsächlich abwickelt, Vorstände, Eigentümer und Gläubiger grundsätzlich in Haftung nimmt und gleichzeitig den Zahlungsverkehr über die Notenbank aufrecht erhält. Das alles ist möglich, erfordert aber politische Entschlossenheit und Rückgrat. Bislang fehlt es daran und deshalb sind die Regeln nur weiße Salbe. Deshalb gilt: Wer heute glaubt, das Bankensystem sei für den Steuerzahler stabiler und sicherer geworden, der glaubt auch, dass ein Zitronenfalter Zitronen faltet.

Erstmal erschienen am 8. Oktober 2016 in der Fuldaer Zeitung.

Photo: herr.g from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Frederic C. Roeder, Unternehmer, Vice President Finance & Operations der Students for Liberty

Wer hat sich als Kind nicht auf die Traubenzucker und das neuste Malbuch beim Apothekenbesuch gefreut? Die deutsche Apotheke ist eine gesellschaftliche Institution. Viel weniger ist allerdings bekannt, dass der Erfolg dieser Einrichtung auf mittelalterlichen Gildenstrukturen beruht und auf Kosten der Allgemeinheit realisiert wird.

Die verkrustete Regulierung des Apothekenmarktes schadet Millionen Geldbeuteln, verhindert Innovation, und bringt nur einer kleinen gut organisierten Interessengruppe wirkliche Vorteile.

In Deutschland gibt es circa 20.000 Apotheken. Also auf jede Apotheke kommen ungefähr 4.000 Einwohner – das ist europäisches Mittelfeld. Ein durchschnittlicher Apotheker (dabei sind besonders erfolgreiche Apotheken bereits herausgerechnet) erzielte in 2014 einen Gewinn von fast 130.000 Euro pro Apotheke. Das ist schon abzüglich Personalkosten, die oft das Gehalt des Ehepartners beinhalten

Golfurlaub nach Mallorca – der Versicherte zahlt

Eine Vielzahl von Vorschriften schützt die Apothekenbranche zum einen vor ungewollten Wettbewerb und sichert den bestehenden Anbietern zudem prächtige Gewinne.

Das Mehrbesitzverbot regelt, dass ein Apotheker maximal eine Apotheke mit zusätzlich drei Filialen besitzen darf. Größer kann man nur als Apothekerehepaar werden – dann ist die unternehmerische Expansion auf maximal acht Apotheken erlaubt.

Das Fremdbesitzverbot hindert jeden, der kein Apotheker ist, daran Anteile an einer deutschen Apotheke zu besitzen. Im Erbfall dürfen Hinterbliebene, die keine approbierten Apotheker sind, die Apotheke lediglich für weitere zwölf Monate besitzen, bevor sie diese veräußern müssen.

Der sogenannte Apothekenzuschlag bringt dem Apotheker beim Verkauf von verschreibungspflichtigen Medikamenten eine garantierte Mindestmarge von 8,35 EUR und einen Aufschlag von 3 Prozent des Herstellerabgabepreises selbst wenn das verschriebene Medikament nur Cent-Beträge kostet. Dies gilt auch für Generika bei denen der Patentschutz bereits abgelaufen ist. Der Versicherte zahlt.

Dieser Apothekenzuschlag sorgt für eine sehr ähnliche Marge bei deutlich unterschiedlichen Packungsgrößen des gleichen Medikaments. Es ist also im Interesse von Apothekern Anreize für Ärzte zu schaffen, kleine Packungsgrößen häufiger zu verschreiben.

Da Apotheker oft auch in Personalunion der Vermieter des Ärztehauses sind, können die Praxismieter bei dienlichem Verschreibungsverhalten regelmäßig zum Golfurlaub nach Mallorca eingeladen werden.

Unterversorgung, unpersönlicher Service und Qualitätsprobleme – alles Panikmache

Der Onlinehandel boomt in den meisten Branchen doch der Betrieb von Versandapotheken ist nach wie vor ein schwieriges Unterfangen. Versandapotheken dürfen rezeptpflichtige Medikamente lediglich bei Vorlage des Originalrezepts abgeben. Kunden müssen also erst ihr Rezept per Post einsenden um dann in den Genuss des Onlineversands zu kommen.

Digitale Rezepte, die in Ländern wie der ehemaligen Sowjetrepublik Estland bereits Alltag sind, gibt es in Deutschland nicht. Eine regulative Erleichterung des Medikamentenversands würde besonders Patienten im ländlichen Raum zu Gute kommen. Ferner könnten Skaleneffekte realisiert werden.

Während man in unseren Nachbarländern Dänemark und den Niederlanden Paracetamol im Supermarkt kaufen kann dürfen in Deutschland rezeptfreie Medikamente lediglich von Apotheken vertrieben werden. Der Kunde zahlt die deutlich höhere Kostenstruktur der Apotheke mit.

Dieses Sammelsurium an Reglementierungen garantiert einer durchschnittlichen Apotheke einen Gewinn von 130.000 Euro pro Jahr. Zulassungsbeschränkungen und Preiskontrollen sichern diesen Betrag vor Wettbewerb und Kosteneinsparungen, die an Konsumenten weitergegeben werden könnten.

Gegner eines liberalisierten Apothekenmarktes führen Versorgungsengpässe im ländlichen Raum und die Apothekendichte an sich als Argumente für eine Beibehaltung des gildenähnlichen Staus quo an.

Der Blick nach Schweden, Litauen oder der Slowakei zeigt aber ein eindeutig anderes Bild: Die Apothekendichte nahm nach der Liberalisierung des Marktes zu. In der Slowakei wuchs die Anzahl der Apotheken im ländlichen Raum nach dem Erlauben von Fremdbesitz sogar überproportional.

Schreckensszenarien wie Unterversorgung, unpersönlichem Service, und Qualitätsproblemen, wie sie gerne vom gut finanzierten Apothekenverband ABDA gezeichnet werden, trafen in keinem der Länder die auf mehr Wettbewerb gesetzt haben ein. Selbst gesundheitspolitisch stark sozial-demokratische Länder wie Kanada und Großbritannien vertrauen auf einen liberalisierten und effizienteren Apothekenmarkt.

Ein unkomplizierter Zugang zu Medikamenten in späten Abendstunden oder am Wochenende ist in diesen Ländern meist auch kein Problem, da die Öffnungszeiten von Apotheken in Ländern mit mehr Wettbewerb deutlich ausgedehnter sind als hierzulande.

Mittelalterliche Gilden- und Feudalsysteme gehören genau in jene Epoche

Ironischerweise sitzt mit Celesio eine der größten europäischen Apothekenketten in Stuttgart – operiert auf dem Apothekenmarkt aufgrund der erläuterten Gesetzeslage allerdings vorwiegend im Ausland.

Deutschland gibt ein Achtel seines Inlandsprodukts für Gesundheit aus. Durch das Aufheben von Privilegien und mehr Wettbewerb könnte es weniger sein. Die potenziellen Einsparmöglichkeiten durch eine Liberalisierung des Apothekenmarkts wären eine Stellschraube mit der man dies erreichen könnte.

Es sollte nicht die Aufgabe der Allgemeinheit sein, Apothekern ein Mindesteinkommen und Wettbewerbsschutz zu garantieren. Mittelalterliche Gilden- und Feudalsysteme gehören genau in jene Epoche und haben im 21. Jahrhundert wenig zu suchen.

Erstmals erschienen in der Huffington Post.

Photo: theilr from Flickr (CC BY-SA 2.0)

In dieser Woche hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eine einstündige Rede zur Lage der Union im Europaparlament gehalten. Sie wird nicht in die Geschichtsbücher eingehen, daher erlauben wir uns, ihm eine neue zu schreiben.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

wir alle müssen innehalten. Die Europäische Union kann nicht so weitermachen wie bisher. Die Eurokrise, die Flüchtlings- und Migrationskrise und letztlich auch der drohende Brexit führen uns vor Augen, dass wir unsere Probleme nur unzureichend gelöst und an Attraktivität und Anziehungskraft verloren haben. Die Europäische Union muss sich verändern, um für die Menschen in Europa ein tatsächliches Friedensprojekt zu werden und den Wohlstand der Menschen in Europa zu mehren.

Das erfordert zuerst die Erkenntnis, dass Europa größer ist als die EU. Auch die Schweiz und Norwegen gehören zu Europa. Sie sind in vielerlei Hinsicht Leuchttürme in Europa. Die Europäische Union darf sich nicht länger anmaßen, für ganz Europa zu sprechen. Und wir dürfen uns nicht länger als Oberlehrer gegenüber den kleinen Staaten inner- und außerhalb der EU aufführen.

Viele hier im hohen Haus wollen die Europäische Union zu einem Bundesstaat nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika entwickeln. Davon halte ich nichts. Ich glaube im Gegenteil, dass ein konföderales Europa souveräner Staaten das Ziel der Union sein sollte. Dies entspricht viel eher dem Wunsch der Bürgerinnen und Bürger in den Mitgliedsstaaten. Wir sollten daher Abschied vom bei vielen zum Dogma gewordenen Grundsatz einer „ever closer union“ nehmen. In der Europäischen Union muss es eine freiwillige vertiefte Zusammenarbeit dort geben, wo ein Konsens erzielt werden kann. Dieser Konsens muss nicht für alle Zeiten gelten, sondern Mitgliedsstaaten müssen ein Rückholrecht erhalten, wenn sich ihre Situation oder Meinung ändert.

Die EU beruht auf dem Konsens seiner Mitglieder. Dieser kann nicht erzwungen werden. Bei der Euro-Schuldenkrise, aber auch bei der jüngsten Flüchtlings- und Migrationskrise sind gemeinsam geschaffene Regeln außer Kraft gesetzt worden. Das darf es nie wieder geben. Deutschland darf nicht am Geist des Dubliner Abkommens vorbei einseitig Flüchtlinge und Migranten nach Deutschland einladen. Und Länder, die Außengrenzen der EU haben, müssen diese konsequent schützen und die unkontrollierte Einreise unterbinden. Nur so läßt sich der Schengenraum aufrechterhalten. Nur so läßt sich die Personenfreizügigkeit erhalten.

Die Kommission als Hüterin des Rechts wird künftig ohne Rücksicht auf die Größe des Mitgliedsstaates Vertragsbrüche einzelner konsequent sanktionieren.  Das gilt sowohl für die Defizitländer Frankreich, Portugal, Italien und erst recht für Griechenland. Seit 6 Jahren schwelt die Krise in Griechenland, ohne dass es nennenswerte Fortschritte gibt. Wir müssen nüchtern erkennen, dass der eingeschlagene Weg nicht erfolgreich war. Daher schlägt die Kommission vor, Griechenland in einem Zeitraum von einem Jahr geordnet aus dem Euro zu führen. Wir wollen den Euro zu einer atmenden Währung weiterentwickeln, weil wir glauben, dass nur so die fiskalische Disziplin in den Mitgliedsstaaten einkehrt.

Der Binnenmarkt ist das verbindende Element. Diesen wollen wir stärken. Wir sollten die Waren- und Dienstleistungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit innerhalb des Binnenmarktes erhalten und sie als Vorbild für eine Renaissance des Freihandels auf der Welt betrachten. Deshalb tritt die EU-Kommission dafür ein, dass überall auf dieser Welt Handelsschranken abgebaut werden. Hierzu werden wir einseitig gegenüber anderen Staaten unsere Handelsschranken beseitigen und laden andere dazu ein, uns gleiches nachzutun.

Wir respektieren, dass Länder die mit uns Handel treiben wollen, nicht automatisch die Personenfreizügigkeit, die wir für richtig und notwendig halten, akzeptieren. Es darf kein „Alles oder Nichts“ für den Zugang zum Binnenmarkt geben.  Wir laden Großbritannien daher ein, ohne Vorbedingungen und ohne Zahlungen in den EU-Haushalt am Europäischen Wirtschaftsraum teilzunehmen. Der Handel der Mitgliedsstaaten mit Großbritannien und umgekehrt ist für beide Seiten von Vorteil.

Wir wollen eine Union sein, die für Marktwirtschaft und gegen ein Modell der Planification steht. Nur die Marktwirtschaft sichert Wachstum und Wohlstand in Europa. Dies setzt voraus, dass neben den Chancen im Markt auch die Übernahme von Verantwortung durch Haftung notwendig ist. Ein EU-Finanzminister mit eigenem Budget oder der nach mir benannte Investitionsplan sind keine geeigneten Maßnahmen, weil sie notwendige Anpassungsprozesse in den Mitgliedsstaaten hinauszögern oder sogar verhindern. Wir wollen stattdessen einen Wettbewerb der Systeme zwischen den Mitgliedsstaaten erreichen, in dem unterschiedliche Währungen, Sozial- und Rechtssysteme um die beste Lösung ringen.  Wir glauben, dass dies der historisch föderalen Struktur in Europa am besten gerecht wird.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordnete,

all dies wird die Europäische Union grundlegend verändern. Daher werde ich heute auf dem EU-Gipfel in Bratislava ein umfangreiches Paket vorschlagen, das notwendige Änderungen der Europäischen Verträge einleitet, die im Rahmen von Volksabstimmungen in den Mitgliedsstaaten gebilligt werden sollten. Lassen Sie mich meine Ausführungen mit einem Zitat des ehemaligen EU-Kommissars Ralf Lord Dahrendorf beenden: „Europa muss Rechtsstaat und Demokratie verkörpern, pflegen und garantieren: sonst ist es der Mühe nicht wert“

Vielen Dank!