Photo: Sascha Kohlmann from Flickr (CC BY-SA 2.0)
Von Dr. N. Christian Hesse, wirtschaftspolitischer Referent und Redenschreiber.
Wie konnte es zu Trump und Brexit kommen, obwohl doch die Meinungseliten nachdrücklich vor den Folgen gewarnt haben? Von den zwei wichtigsten Erklärungssträngen – dem ökonomischen und dem kulturellen – wäre vor allem der politischen Linken die ökonomische Erklärung lieber, da sie dann ihre bekannten Umverteilungsinstrumente ins Spiel bringen könnten. In Umfragen ist allerdings der kulturelle Erklärungsstrang bedeutender. Weder für Trump-Wähler noch für Brexiteers war die ökonomische Ungleichheit wahlentscheidend. In der Brexit-Kampagne wurde der Widerstandsgeist gegen eine als paternalistisch, regelbrechend und abgehoben dargestellte Brüsseler Elite geweckt. Der Hauptslogan der Brexiteers war „take back control“, nicht „increase taxes and redistribution“. Gegen welche Art von Elite sich die amerikanischen Wähler richteten, zeigt der Kandidat Trump. Er zählt zwar zur ökonomischen, nicht aber zur kulturellen Elite. Auch seine Wähler sind im Durchschnitt keineswegs so ökonomisch unterprivilegiert, wie oft behauptet wird.
Die Politologen Inglehart und Norris haben sich die Motive von Trump-Anhängern und Brexiteers genauer angesehen.[1] Sie erkennen einen kulturellen backlash und ein tiefes Misstrauen gegen das linksliberale Establishment. Sowohl in den USA als auch in Großbritannien gibt es eine verbreitete, große Sorge vor illegaler Migration, vor allem aus wenig entwickelten Ländern. Aus dieser Sorge lässt sich noch keine generelle Fremdenfeindlichkeit und erst recht keine rassistische Einstellung ablesen, wohl aber eine Skepsis an der von vielen Kommentatoren gepriesenen Multi-Kulti-Gesellschaft.
Bei der nach diversen Gleichheitsidealen strebenden Meinungselite in Politik und Medien löst derartige Skepsis befremden aus. Denn die konkreten Probleme bei der praktischen Umsetzung der gut gemeinten Ideale dringen in die Elitenblasen kaum vor. Solche Blasen, in der sich jeder seine politische Meinung und moralische Erhabenheit bestätigen lässt, gab es freilich schon immer. Die heutige Blase der Meinungseliten ist aber nicht nur besonders groß, sondern auch besonders homogen. In der US-Hauptstadt Washington haben ganze 92,8 Prozent der Wähler Hilary Clinton gewählt. Unter US-Hauptstadtjournalisten sind die Präferenzen traditionell noch pro-demokratischer.[2]
Die Parteienpräferenz deutscher Meinungseliten ist zwar auch stark linkslastig, aber immerhin etwas gleichmäßiger verteilt. Für die Meinungspluralität bringt dies dennoch wenig, wenn sich alle im Bundestag vertretenen Parteien – mit einigen Abstrichen bei CSU und Linke – bei den entscheidenden europa-, gesellschafts-, migrations- und energiepolitischen Fragen weitgehend einig sind. Ein politisch korrekter Sprachcode erschwert es zusätzlich, die ohnehin ähnlichen Positionen zu unterscheiden. Es verwundert nicht, wenn in einer solchen Blase die Diskussionskultur leidet, der politische Wettstreit erlahmt und der Kontakt zur Außenwelt mehr und mehr abreißt. Die Kluft zwischen Journalisten und Lesern wächst genauso wie die zwischen Politikern und Wählern. Die resultierende Verdrossenheit beruht dann oft auf Gegenseitigkeit.
Es scheinen also weniger Neid und materielle Sorgen, auch kein (Fremden-)Hass zu sein, der viele Briten und US-Amerikaner bei ihrer Wahlentscheidung leitete. Eher eine Mischung aus Ohnmacht, Ärger und Verunsicherung. Ohnmacht, den Eliten in Washington bzw. Brüssel ausgeliefert zu sein. Ärger, sich für den eigenen Lebensstil und die eigenen Wertvorstellungen von diesen Eliten noch beschimpfen zu lassen. Verunsichert sind viele Menschen, wenn die Globalisierung, die EU-Integration und die internationalen Flüchtlingsströme abseits sanktionsbewährter Regeln über sie hereinbrechen. Vor allem die illegale Zuwanderung bereitet vielen Menschen große Sorgen. Forget the economy. It’s immigration, stupid.
Die Antworten der Meinungseliten, auch in Deutschland, fallen nun unterschiedlich aus. Einige wollen mit staatlichen Transfers die Gemüter beruhigen. In Österreich steckt die Regierung den Rentnern vor der kritischen Präsidentenwahl noch schnell 100 Euro zu. Andere verfolgen hartnäckig einen pädagogischen Ansatz. Die Politik müsse nur noch besser erklärt werden. Wieder andere werden pathetisch, geschichtsvergessen und maßlos. Nicht jede Kritik am Euro ist gleich eine Kriegserklärung, nicht jeder Tweet Trumps das Ende des Westens und nicht jeder rechte Kommunalpolitiker die Reinkarnation Hitlers.
Ordoliberale Ideen drohen im Wettstreit zwischen linken Meinungseliten und rechtem Protest unter die Räder zu kommen, wenn Protektionismus, Umverteilung und Konjunkturprogramme den scheinbar kleinsten gemeinsamen Nenner bilden. Wer weder den Bürgern, noch den selbst gesetzten Regeln, noch dem Markt mehr traut, dem bleiben nur politische Lösungen. Dabei wäre gerade hier mehr Skepsis angebracht.
Ordoliberale haben ein Grundvertrauen in die Bürger, in das Recht und in den Markt. Ihre Prinzipien und Werte können viele Menschen überzeugen, die sich enttäuscht von den Eliten abwenden. Sie müssen nur glaubhaft vertreten werden.
Freihandel
Der marktwirtschaftliche Wettbewerb und freier Handel, auch über Ländergrenzen hinweg, sind ebenso zentrale wie umstrittene Prinzipien der ordoliberalen Konzeption. Zahlreiche Missverständnisse rund um den Freihandel halten sich hartnäckig. Während sein Beitrag zur weltweiten Armutsbekämpfung und zum friedlichen Miteinander beharrlich unterschätzt wird, wird er für globale Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht, mit denen er oft gar nichts zu tun hat. Ob wachsende Ungleichheit, globale Finanzkrisen oder Klimawandel: Ein Freihandel im ordoliberalen Sinne ist Teil der Lösung, nicht des Problems. So waren für die Finanzkrise 2008 nicht unregulierte, sondern fehlregulierte Märkte ursächlich. Man kann für den Freihandel sein, und die organisierte Verantwortungslosigkeit auf den internationalen Finanzmärkten kritisieren. Ordoliberale tun dies. Es würde schon helfen, den freien Güterhandel gedanklich stärker vom freien Personenverkehr zu trennen. Mehr Freihandel muss nicht mit mehr Migration einhergehen. Ganz im Gegenteil. Die internationale Arbeitsteilung macht Migration oft entbehrlich. Zudem kann Freihandel den Migrationsdruck mindern, indem er die wirtschaftlichen Perspektiven in den Herkunftsländern verbessert.
Doch ganz ohne Zumutungen ist auch der globale Freihandel nicht zu haben. Auf kulturelle Spannungen bietet der Freihandel alleine keine passende Antwort. Denn er beschleunigt den Strukturwandel und verändert damit den Alltag vieler Menschen oft schneller, als es ihnen recht ist. Dabei entwickelt er eine Eigendynamik, die zum Ohnmachtsgefühl der Bürger beiträgt. Doch diese Ohnmacht lässt sich begrenzen, ohne das ordoliberale Freihandelsprinzip aufzugeben. Es kommt darauf an, wie der Freihandel vertreten wird, unter welchen Spielregeln er stattfindet und wie diese Regeln durchgesetzt werden.
Demut
Das entscheidende ordoliberale Bewertungskriterium sind die Regelinteressen der souveränen Bürger. Die einzelnen Gesellschaftsmitglieder sind der Ausgangs- und Zielpunkt, keine Kollektive. Denn jeder Einzelne hat bestimmte Werte, Bedürfnisse, Kenntnisse, Fähigkeiten. Das Wissen einer Gesellschaft ist daher in Millionen Köpfen verteilt und, wie Hayek betonte, in den Traditionen, Sitten und Moralvorstellungen gespeichert. Kein Mensch kann sich in seiner kurzen Lebensspanne mehr Wissen aneignen als ein über Jahrhunderte währender Selektionsprozess. Einen anderen Eindruck zu erwecken, ist anmaßend. Doch die oben beschriebenen Eliten tun oft genau das. Wissensanmaßend sind zum Beispiel Politiker, die glauben, die Technologien der Zukunft zu kennen, Volkswirte, die auf zwei Nachkommastellen genau berechnen, wie viele Arbeitsplätze durch eine Subvention angeblich geschaffen wurden oder wie viel Euro und wie viel Cent der Brexit kostet, und Journalisten, die vom postfaktischen Zeitalter sprechen, ganz so, also hätte es jemals ein faktisches Zeitalter gegeben. Wissensanmaßend sind aber auch Bürger, die hinter jeder Hecke eine groß angelegte Verschwörung vermuten. Unwissen mag ärgerlich sein. Gefährlich aber ist, es sich nicht einzugestehen.
Es sind oft einfache Dinge, an die es zu Erinnern gilt: Politiker sollten nicht so tun, als ob sie ihr eigenes Geld, und nicht das der Steuerzahler, verteilen. Journalisten sollten zwischen Meinung und Nachricht, Wissenschaftler zwischen normativer und positiver Analyse unterscheiden können und diesen Unterschied auch kenntlich machen. Wir alle sollten die Regeln des anständigen Umgangs nicht vergessen, auch wenn wir uns bei Facebook einloggen. Im gleichen Maße, in dem sich Meinungseliten und Wutbürger zurücknehmen, gehen auch Ärger bzw. Überheblichkeit ihnen gegenüber zurück. Gegenseitiges Vertrauen kann wieder wachsen. Denn demütiges Auftreten bedeutet immer auch, dem anderen ein eigenes, souveränes Urteil zuzutrauen.
Subsidiarität
Um nicht nur dem Ärger, sondern auch dem Ohnmachtsgefühl der Menschen zu begegnen, hilft das Subsidiaritätsprinzip. Die Möglichkeiten, den globalen Freihandel lokal steuern zu können, mögen begrenzt sein. Dafür gibt es viele andere Politikfelder, über die die Menschen vor Ort am besten entscheiden können. Die Schweizer zeigen, wie das geht. Hier stimmen die Bürger direkt über viele Sachfragen ab. Wenn die Bürger aber nur alle Schaltjahre an die Urnen dürfen, entlädt sich die aufgebaute Frustration, oft recht unabhängig vom Anlass der Wahl.
In kleineren, dezentralen politischen Einheiten bekommen die Bürger so Kontrolle zurück. Sie können vor Ort die Konsequenzen von lokalen Entscheidungen und Regeln spüren und die handelnden Politiker für diese Konsequenzen haftbar machen. Fehler werden schneller erkannt und können entsprechend schneller korrigiert werden. Ein Wettbewerb um die besten Regeln wird möglich. Damit Entscheidungskompetenz nach unten abgegeben wird, braucht es oben die Einsicht, nicht alles regeln zu können – Demut also – und Vertrauen in die Bürgersouveränität, möglichst vor Ort über gute Regeln des Zusammenlebens entscheiden zu können.
Rechtsstaatlichkeit
Diese Regeln muss im ordoliberalen Ansatz der Staat durchsetzen und sich vor allem selbst an sie halten. Im Großen wie im Kleinen: Völkerrechtswidrige Kriege, gebrochene Verträge (Schengen), Klauseln (No-Bail-Out), Verbote (EZB-Staatsfinanzierung) und Abkommen (Dublin) tragen ebenso zur Erosion des Rechtsstaats bei wie No-Go-Areas, Abschiebeversagen, fehlender Respekt vor Polizisten und Delikte, bei denen erst gar keine Anzeige mehr aufgenommen wird. Das fatale Signal kommt bei den Bürgern an. Bei denen, die schon länger hier leben und bei denen, die es erst seit kurzem tun. Erodierendes Recht trug so zu erschütternden Taten vom Kölner Hauptbahnhof, der Freiburger Dreisam und dem Berliner Breitscheidplatz bei.
Um Regeln durchzusetzen und um, wie Wilhelm Röpke es ausdrückte, das Allgemeine und Dauernde zu bewahren, braucht es starke, unabhängige Institutionen. In einem funktionierenden Rechtsstaat mit einer starken Verfassung können einzelne Interessensgruppen wenig Einfluss nehmen und einzelne Politiker wenig bleibenden Schaden anrichten. Der Rechtsstaat hat seit dem 8. November 2016 deshalb auch bei den US-Demokraten neue Anhänger gefunden. Die Institutionen in den USA werden in den nächsten Jahren Gelegenheit haben, ihre Stärke zu beweisen. Die Institutionen der EU und insbesondere der Eurozone haben diesen Beweis bislang nicht erbracht. Mit jedem Regelbruch verlieren sie weiter an Vertrauen. Es mangelt in der Eurozone an glaubwürdigen Sanktionsmechanismen und letztlich an Exit-Optionen auch für Staaten, die sich an die Regeln dauerhaft nicht halten können oder wollen.
Fassen wir zusammen
Ohnmächtig, verärgert und verunsichert haben viele Menschen Donald Trump gewählt oder für den Brexit gestimmt. Darüber kann man sich echauffieren. Oder man kann mit ordoliberalen Prinzipien antworten. Der Freihandel bietet wirtschaftliche Perspektiven gerade für die Ärmsten. Gegen die Ohnmacht hilft die Rückverlagerung von Kompetenzen auf untere Ebenen. Die Antwort auf den Vertrauensverlust der Meinungseliten ist mehr Demut und eine konsequent rechtstaatliche Politik.
Die Chance ist da, für eine glaubwürdig vertretene ordoliberale Politik als Gegenentwurf zur linksliberalen Meinungselite und als Gegen-Gegenentwurf zum rechtsnationalen Protest Mehrheiten zu gewinnen. Das zeigt sich selbst im sozialistisch geprägten Frankreich und am Kandidaten Fillon. Dieser hatte es mit einer wirtschaftsliberalen und wertkonservativen Agenda zum aussichtsreichen Kandidaten gebracht. Sein Beispiel zeigt aber auch, wie schnell die Glaubwürdigkeit wieder weg ist, wenn man die eigenen Prinzipien nicht auch vorlebt. In Großbritannien und den USA sieht der Economist[3] die Regierungschefs vor dem Dilemma, nicht gleichzeitig populistische und marktwirtschaftliche Konservative sein zu können, wenn sie nicht entweder die Wähler oder die Märkte enttäuschen wollen. Die hier beschriebenen Prinzipien weisen einen Ausweg, den zumindest Theresa May vielleicht auch nutzen wird. Währenddessen vertiefen sich innerhalb der EU die Gräben weiter. Um diesen Prozess zu stoppen, sollten wir uns allen voran in Deutschland, dem Land Ludwig Erhards, wieder auf ordnungspolitische Prinzipien und damit auf die Erfolgsfaktoren der Sozialen Marktwirtschaft besinnen.
[1] Vgl. Inglehart, R. und P. Norris (2016): Trump, Brexit, and the Rise of Populism: Economic Have-Nots and Cultural Backlash.
[2] Vgl. Tim Groseclose (2011): „Left turn: How Liberal Media Bias Distorts the American Mind.“
[3] http://www.economist.com/blogs/buttonwood/2017/01/fatal-contradictions?fsrc=scn/fb/te/bl/ed/
Erstmals erschienen auf The European.