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Donald Trump ist kein Freund der Freiheit. Er ist eher ein Vertreter des Kollektivs oder der Stammesgesellschaft, wie es unser Kuratoriumsvorsitzender Thomas Mayer in seinem neuesten Buch in Anlehnung an Hayek formuliert.  In „Die Ordnung der Freiheit und ihre Feinde“ (Finanzbuchverlag München) bezeichnet er die Rückbesinnung auf die Stammesgesellschaft, die sich an einem Stammesführer orientiert, als größten Angriff auf die liberale Gesellschaft. Diese Stammesgesellschaft orientiert sich nicht mehr am Individuum, das als Ideal die Gleichheit vor dem Recht kennt, sondern an dem Schutz seiner Mitglieder vor den äußeren Gefahren. Auf das Recht kommt es nicht an, sondern lediglich auf das Wohlergehen der Stammesgesellschaft insgesamt. So inszeniert sich Trump derzeit. „America First“ unterstreicht dies.

Letztlich will er das, was in der Familie funktioniert – die menschliche Nähe und die Geborgenheit – auf eine größere Einheit, den Staat, übertragen. Trump ist hier nicht allein, sondern sitzt in einem Boot mit Leuten wie Wladimir Putin. Beide verfolgen eine Politik des starken Mannes, die vorgeben, ihre Bevölkerung vor den Gefahren der Globalisierung, vor Arbeitslosigkeit und Identitätsverlust zu schützen. Auch das China des Xi Jinping kennt diesen Ansatz. Zwar setzt China derzeit auf Globalisierung, doch nicht so sehr, weil sie inhaltlich davon überzeugt sind, sondern weil es dem Land besonders nützt. Es geht der chinesischen Führung nicht darum, die Wahlfreiheit des einzelnen Bürgers zu steigern, sondern eine globale Wirtschaftsmacht zu werden. Es geht also nicht um das Individuum, sondern um das Kollektiv.

Insofern passt das chinesische Modell eigentlich sehr gut zur Ideologie des Sozialismus. Der Sozialismus will eine Gesellschaft planen, der Einzelne spielt keine Rolle, sondern nur das Ganze zählt. Dieser Konstruktivismus, eine Gesellschaft zentral formen und konstruieren zu können, sind der Stammesgesellschaft entlehnt.

Mayer sieht in der europäischen Antwort auf diese Stammesgesellschaft keine wirkliche Alternative. Diese Antwort ist der behütende Wohlfahrtsstaat. Und auch der besteht in dem Versuch, menschliche Nähe und Geborgenheit staatlich zu oktroyieren. Das Elterngeld, die Mütterrente und das Baukindergeld in Deutschland sind nur die populärsten Beispiele. Insofern unterscheidet sich der Wohlfahrtsstaat nicht fundamental von dem „make America great again“-Ansatz Donald Trumps. Wer die Stahlarbeiter in Detroit durch Zölle schützen will, unterscheidet sich nur marginal von denjenigen, die mittels staatlicher Interventionen Familienplanung beeinflussen möchte. Beide wollen, dass die eigene Stammesgesellschaft nicht untergeht.

Diese Verunklarung der Freiheitswerte des Westens sind gleichzeitig der Grund für dessen Niedergang. Deren Klarheit in der Phase des klassischen Liberalismus des 18. und 19. Jahrhunderts war die Ursache für dessen Überlegenheit gegenüber anderen Gesellschaftssystemen: Die Orientierung am Einzelnen und an seinen individuellen Rechten. Daraus entwickelte sich eine Eigentumsordnung, die rechtssicher Eigentum erwerben ließ und übertragen konnte. Daraus entwickelte sich der Grundsatz der Gleichheit vor dem Recht. Könige, Fürsten oder Regierungen standen nichtüber dem Recht, sondern waren ihm untergeordnet. Aufgabe des Staates war es, die äußere und innere Sicherheit zu schützen. Das wird für einen liberalen Staat heutiger Prägung nicht ganz ausreichen. Auch Friedrich August von Hayek wollte letztlich auf eine soziale Grundsicherung nicht verzichten. Die Sogkraft, die politischen Systemen inhärent ist, ließ ihn den Vorschlag machen, ein Zwei-Kammer-Parlament einzuführen. Die eine Kammer sollte Gesetze erlassen und die andere Kammer ausschließlich die Regierung kontrollieren. Erstere sollte von Frauen und Männer besetzt sein, die Lebenserfahrung mitbrächten und für eine längere Zeit gewählt würden, damit sie sich weniger um ihre Wiederwahl und ihre Stellung in der Partei bemühen müssten. Hayek wollte Politikern und Regierungen institutionelle Fesseln anlegen, um deren Macht nicht immer weiter anwachsen zu lassen.

Eine Rückbesinnung auf den klassischen Liberalismus ist freilich nicht durch einen großen Knall zu erreichen, sondern – Mayer weißt zurecht auf Karl Popper Stückwerk-Technik hin – von vielen kleinen Schritten. Rom ist bekanntlich auch nicht an einem Tag entstanden. Freilich steht und fällt das ganze Projekt auch mit der Bereitschaft, diese Schritte zu tun – auch gegen Widerstände von allen Seiten. Mayers Buch ist dazu eine intellektuelle Ermutigung.

Thomas Mayer: Die Ordnung der Freiheit und ihre Feinde, Finanzbuchverlag München, 2018

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Die „Sammelklage light“ soll kommen, aber natürlich getreu dem Motto: bloß keine „amerikanischen Verhältnisse“. Eine vertane Chance. Denn eine echte Sammelklage würde betrügerische Konzerne wirkungsvoll entmachten und viele Regulierungen obsolet machen.

In den USA liegt der VW-Dieselskandal längst bei den Akten

Die Autoindustrie war immer der Musterknabe der Deutschen. Man konnte stolz sein auf die große Bandbreite an technisch fortschrittlichen Herstellern, die gut verarbeitete Modelle am laufenden Band produzierten. So gehören für viele die deutschen Automarken ebenso zu einer Art nationaler Identität wie die Fußballnationalmannschaft. Dann kam der „Dieselskandal“ und mit ihm die langsame Gewissheit, über viele Jahre getäuscht worden zu sein.

Doch anstelle einer raschen juristischen Aufarbeitung – wie beispielsweise in den Vereinigten Staaten – zieht sich das „Dieselgate“ scheinbar endlos in die Länge. Es wirkt nicht so, als wären Parlamente und insbesondere Regierungen an einer umfassenden Aufklärung des Falls interessiert. Das ist nicht verwunderlich, sind die Automobilkonzerne doch äußert mächtige Player, die das Handwerk des Lobbyings verstehen wie kaum eine andere Branche. Viel hinderlicher ist jedoch die Tatsache, dass das deutsche Recht keine Sammelklage im eigentlichen Sinne kennt; vor Gericht also jeder Geschädigte Schaden und Kausalität individuell nachweisen muss. Daran ändert auch die geplante Musterfeststellungsklage kaum etwas. Ein Fehler.

Amerikanische Verhältnisse: Wo die Katze in der Mikrowelle getrocknet wird

Die Debatte um die Sammelklage zeigt exemplarisch wie uninformiert über viele politische Themen öffentlich diskutiert wird. Immerhin ist zu lesen, dass es darum gehe, „amerikanische Verhältnisse“ zu verhindern. Eine ziemlich herablassende Sicht auf das Rechtssystem der ersten modernen Demokratie der Welt. Und eine vermeintliche Kenntnis, die eigentlich nur auf einigen Folgen der TV-Serie „Suits“ sowie auf Anekdoten über Katzen in Mikrowellen und verschütteten Kaffee fußen kann. Sicher, wenn man hört, dass eine Frau den Hersteller von Mikrowellen verklagt, weil dieser nicht darauf hingewiesen habe, dass man keine Katzen in selbigen trocknen möge, wähnt man sich eher beim Chiemgauer Bauerntheater als in den USA. Dass dieser Fall allerdings eine sogenannte „urban legend“ ist, folglich nie wirklich stattgefunden hat, ist häufig ebenso unbekannt wie die Tatsache, dass besagte Frau in den USA vermutlich eher wegen grausamer Tierquälerei verurteilt worden wäre.

Und der Fall, in dem eine ältere Dame 2,3 Millionen US-Dollar zugesprochen bekam, weil sie sich beim Autofahren den Kaffee über die Beine verschüttete? Ein weiteres Beispiel dafür, welch Blüten das amerikanische Schadensersatzrecht treibt, und wie die Unachtsamkeit einer Person dazu führt, dass wir heute auf jedem Kaffeebecher „Vorsicht heiß“ lesen können? Mitnichten. Denn erstens war der Kaffee mit fast 90 Grad Celsius viel heißer als haushaltsüblicher Kaffee und führte dadurch zu Verbrennungen 3. Grades an 6% des Körpers der Geschädigten. Zweitens einigten sich Mc Donalds und die Klägerin nach der zweiten Instanz außergerichtlich auf eine Summe von vermutlich weniger als 600.000 US-Dollar.

Schadensersatz in den Vereinigten Staaten: Ex-post Regulierung statt ex-ante Überregulierung

Sicher, auch 600.000 US-Dollar wären eine im deutschen Schadensersatzrecht astronomische Summe, wenn dem lediglich Behandlungskosten in Höhe von 20.000 US-Dollar entgegenstünden. Grund dafür ist das Konzept der „punitive damages“. Zusätzlich zum „normalen“ Schadensersatz wird dem erfolgreichen Kläger in den meisten Gerichtsprozessen in den Vereinigten Staaten eine Summe zugesprochen, die den Beklagten strafen und ein Exempel statuieren soll. Das erscheint nur auf den ersten Blick abwegig, denn die Logik ergibt mit Blick auf das US-amerikanische System durchaus Sinn.

So verfolgen das europäische und das amerikanische Rechtswesen in dieser Hinsicht zwei grundverschiedene Ansätze. In Kontinentaleuropa wird traditionell ex ante stark reguliert. Durch engmaschige und kleinteilige Normierung und strengere Kontrollen soll Fehlverhalten von Vornherein verhindert werden. Der Gesetzgeber in den Vereinigten Staaten setzt stattdessen auf eine umfangreiche ex post-Sanktionierung von Fehlverhalten durch den Verbraucher vor Gericht.

Sicher hat auch das US-System seine Schwächen, da das Kind erst einmal in den sprichwörtlichen Brunnen fallen muss, um ein Fehlverhalten zu sanktionieren. Gleichzeitig kann dieses System zu mehr Vorsicht seitens der Unternehmen führen, da sie sich nicht auf die Regulierung des Staates „verlassen“ können. Übrigens garantiert strenge Regulierung keine Ehrlichkeit – Stichwort VW. Hinzu kommt, dass für jedes potentiell schädigende Verhalten von Unternehmen in Deutschland eine Regulierung umgesetzt werden muss. In der Folge kämpfen viele Unternehmer mit Überregulierung und unnützer Bürokratie. Und am Ende ist es für den Gesetzgeber trotzdem unmöglich, alle potentiellen Schlupflöcher „dicht zu regulieren“. Der US-amerikanische Ansatz erfordert weniger behördliche Informationssammlungen, lässt weniger Spielraum für Lobbyismus und trifft am Ende nur diejenigen, die sich tatsächlich falsch verhalten haben.

Die Sammelklage ist ein Instrument gegen Korporatismus und ermächtigt das Individuum

In Deutschland wird es auf absehbare Zeit keine „punitive damages“ geben. Die Sammelklage ergibt trotzdem Sinn. Jedoch nur, wenn sie richtig umgesetzt ist. Die geplante „Musterfeststellungsklage“ entzahnt den Verbraucher viel mehr als ihn zu ermächtigen, denn sie gaukelt das Konzept der Sammelklage nur vor. So sollen ausgerechnet Verbände wie die staatlich finanzierten Verbraucherschutzzentralen die Musterklagen anführen, deren Verbraucherbild eher an Orwells Farm der Tiere erinnert als an wirklich mündige Verbraucher. Ganz zu schweigen von professionellen Abmahnern wie der Deutschen Umwelthilfe, denen sich da eine neue Goldgrube auftut.

In „The Logic of Collective Action” stellte der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Mancur Olson bereits 1965 fest, dass kleine schlagkräftige Interessengruppen (wie die Automobilbranche) häufig durchsetzungsfähiger sind als die unkoordinierte, demokratisch organisierte Gesellschaft. Wie dies in der Praxis aussieht, erleben wir aktuell an der erfolgreichen Verzögerungs- und Vertuschungstaktik im Fall VW. Eine echte Sammelklage nach amerikanischem Vorbild könnte hier Abhilfe schaffen, und es dem Bürger ermöglichen, dem Korporatismus von Konzernen und Politik entgegenzutreten. Und auch wenn die Sammelklage nicht vor jedem Missbrauch gefeit ist, so sollte doch gelten „Abusus non tollit usum“. Zu Deutsch: Missbrauch hebt den (rechten) Gebrauch nicht auf.

Photo: Roberto Latxaga from Flickr (CC BY 2.0)

Dieser Aufruf wurde initiiert von unserem Kuratoriumsvorsitzenden Prof. Dr. Thomas Mayer (Flossbach von Storch Research Institut), Prof. Dr. Dirk Meyer (Helmut-Schmidt-Universität), Prof. Dr. Gunther Schnabl (Universität Leipzig) und Prof. Dr. Roland Vaubel (Universität Mannheim). Unterzeichnet haben ihn inzwischen 156 Wirtschafts-Professoren.

Wir – 156 Wirtschaftsprofessoren – warnen davor, die europäische Währungs- und Bankenunion noch weiter zu einer Haftungsunion auszubauen. Die in der Berliner Koalitionsvereinbarung erwähnten Vorschläge des französischen Präsidenten Macron und des EU-Kommissionschefs Juncker bergen hohe Risiken für die europäischen Bürger.

  1. Wenn der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) wie geplant als Rückversicherung für die Sanierung von Banken (Backstop) eingesetzt wird, sinkt für Banken und Aufsichtsbehörden der Anreiz, faule Kredite zu bereinigen. Das geht zu Lasten des Wachstums und der Finanzstabilität.
  2. Wenn der ESM wie geplant als „Europäischer Währungsfonds“ (EWF) in EU-Recht überführt wird, gerät er unter den Einfluss von Ländern, die der Eurozone nicht angehören. Da einzelne Länder bei dringlichen Entscheidungen des EWF das Vetorecht verlieren sollen, könnten Gläubigerländer überstimmt werden. So würde zum Beispiel der Deutsche Bundestag sein Kontrollrecht verlieren.
  3. Wenn die Einlagensicherung für Bankguthaben wie geplant vergemeinschaftet wird, werden auch die Kosten der Fehler sozialisiert, die Banken und Regierungen in der Vergangenheit begangen haben.
  4. Der geplante europäische Investitionsfonds zur gesamtwirtschaftlichen Stabilisierung und der geplante Fonds zur Unterstützung struktureller Reformen dürften zu weiteren Transfers und Krediten an Euroländer führen, die es in der Vergangenheit versäumt haben, die notwendigen Reformmaßnahmen zu ergreifen. Es wäre falsch, Fehlverhalten zu belohnen. Über das Interbankzahlungssystem TARGET2 hat Deutschland bereits Verbindlichkeiten der EZB in Höhe von mehr als 900 Milliarden Euro akzeptiert, die nicht verzinst werden und nicht zurückgezahlt werden müssen.
  5. Ein Europäischer Finanzminister mit Fiskalkapazität würde als Gesprächspartner der EZB dazu beitragen, dass die Geldpolitik noch stärker politisiert wird. Die sehr umfangreichen Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (2550 Milliarden Euro bis September 2018) kommen schon jetzt einer Staatsfinanzierung über die Zentralbank gleich.

Das Haftungsprinzip ist ein Grundpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft. Die Haftungsunion unterminiert das Wachstum und gefährdet den Wohlstand in ganz Europa. Dies zeigt sich bereits jetzt in einem sinkenden Lohnniveau für immer mehr, meist junge Menschen. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, sich auf die Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft zurückzubesinnen.

Es gilt, Strukturreformen voranzubringen, statt neue Kreditlinien und Anreize für wirtschaftliches Fehlverhalten zu schaffen. Die Privilegierung der Staatsanleihen in der Risikovorsorge der Banken ist abzuschaffen. Die Eurozone braucht ein geordnetes Insolvenzverfahren für Staaten und ein geordnetes Austrittsverfahren. Die Kapitalmarktunion sollte vollendet werden – auch weil internationale Kapitalbewegungen asymmetrische Schocks kompensieren. Bei der EZB sollten Haftung und Stimmrechte miteinander verbunden werden. Die TARGET-Salden sind regelmäßig zu begleichen.  Die Ankäufe von Staatsanleihen sollten ein schnelles Ende finden.

 

Alle Unterzeichner

Hanjo Allinger, Rainer Alt, Peter Altmiks, Niels Angermüller, Gerhard Arminger, Philipp Bagus, Hartwig Bartling, Christian Bauer, Alexander Baumeister, Dirk Baur, Hanno Beck, Peter Bernholz, Norbert Berthold, Dirk Bethmann, Ulrich Blum, Christoph Braunschweig, Gerrit Brösel, Martin-Peter Büch, Walter Buhr, Rolf Caesar, Ronald Clapham, Erich Dauenhauer, Frank Daumann, Dietrich Dickertmann, Leef Dierks, Gerd Diethelm, Alexander Dilger, Juergen B. Donges, Norbert Eickhof, Alexander Eisenkopf, Mathias Erlei, Rolf Eschenburg, Stefan Felder, Robert Fenge, Cay Folkers, Siegfried Franke, Jan Franke-Viebach, Michael Frenkel, Andreas Freytag, Wilfried Fuhrmann, Werner Gaab, Gerhard Gehrig, Thomas Glauben, Frank Gogoll, Robert Göötz, Christiane Goodfellow, Rüdiger Grascht, Alfred Greiner, Heinz Grossekettler, Andrea Gubitz, Gerd Habermann, Hendrik Hagedorn, Gerd Hansen, Rolf Hasse, Klaus-Dirk Henke, Henner Hentze, Thomas Hering, Bernhard Herz, Stefan Hoderlein, Stephan Hornig, Guido Hülsmann, Jost Jacoby, Hans-Joachim Jarchow, Thomas Jost, Markus C. Kerber, Henning Klodt, Michael Knittel, Leonard Knoll, Andreas Knorr, Manfred Königstein, Ulrich Koester, Stefan Kooths, Walter Krämer, Dietmar Krafft, Rainer Künzel, Britta Kuhn, Werner Lachmann, Enno Langfeldt, Andreas Löhr, Tim Lohse, Helga Luckenbach, Reinar Lüdeke, Dominik Maltritz, Gerald Mann, Thomas Mayer, Dirk Meyer, Joachim Mitschke, Renate Ohr, Michael Olbrich, Werner Pascha, Hans-Georg Petersen, Wolfgang Pfaffenberger, Ingo Pies, Werner Plumpe, Mattias Polborn, Thorsten Polleit, Niklas Potrafke, Bernd Raffelhüschen, Bernd-Thomas Ramb, Richard Reichel, Hayo Reimers, Stefan Reitz, Rudolf Richter, Wolfram F. Richter, Gerhard Rösl, Roland Rollberg, Alexander Ruddies, Gerhard Rübel, Dirk Sauerland, Karlhans Sauernheimer, Andreas Schäfer, Stefan Schäfer, Wolf Schäfer, Malcolm Schauf, Bernd Scherer, Jörg Schimmelpfennig, Ingo Schmidt, Dieter Schmidtchen, Michael Schmitz, Gunther Schnabl, Jan Schnellenbach, Bruno Schönfelder, Siegfried Schoppe, Jürgen Schröder, Christian Schubert, Alfred Schüller, Peter M. Schulze, Thomas Schuster, Christian Seidl, Hans-Werner Sinn, Fritz Söllner, Peter Spahn, Jürgen Stark, Wolfgang Ströbele, Stefan Tangermann, H. Jörg Thieme, Stefan Traub, Dieter Tscheulin, Ulrich van Suntum, Roland Vaubel, Stefan Voigt, Hermann von Laer, Hans-Jürgen Vosgerau, Adolf Wagner, Heike Walterscheid, Gerhard Wegner, Rafael Weißbach, Heinz-Dieter Wenzel, Max Wewel, Hans Wielens, Otto Wiese, Rainer Willeke, Manfred Willms, Dietrich Winterhager, Michael Wohlgemuth, Hans-Werner Wohltmann, Achim Zink.

Photo: LWYang from Flickr (CC BY 2.0)

Es ist jedes Mal dasselbe: Ein Problem taucht auf, Politiker verfallen in wilden Aktionismus und am Ende wird eine Regulierung eingesetzt, die das Problem lösen soll. Die großen Spieler juckt das meist wenig. Wer wirklich stranguliert wird, sind Mittelständler, Familien und die Zivilgesellschaft.

MiFID – Sisyphos auf dem Papierberg

MiFID II – der Albtraum jedes Kleinanlegers. Als sich die G20-Staaten im September 2009 in Pittsburgh trafen, saß den Politikern der Schock der Banken- und Finanzkrise von 2007/08 noch gehörig in den Knochen. Gegen die Verantwortungslosigkeit im Bankensektor musste man doch etwas tun! Das Ergebnis: ein selbst für Experten undurchschaubarer Wust an Regulierungen, die verhindern sollen, dass die unbedarfte Oma vom provisionsgierigen Bankangestellten um ihre letzten Ersparnisse gebracht wird. Zumindest dieses Ziel wurde erreicht: die Oma lässt jetzt alles Geld brav auf dem Sparkonto liegen, wo Niedrig- bis Negativzinsen daran nagen.

Gleichzeitig sind aber ganze Bankabteilungen damit beschäftigt, Gesprächsprotokolle aufzuzeichnen und Formulare auszufüllen. Für die großen Banken ist das – mit Mühe – zu stemmen, die Sparkassen, Privat- und Genossenschaftsbanken drehen völlig am Rad. Am schlimmsten aber trifft es diejenigen, die ihr Erarbeitetes und Erspartes gewinnbringend einsetzen wollen. Die Großanleger arbeiten auf Hochtouren daran, die neuen Regulierungen wieder zu umgehen, während der Kleinanleger sich vor einer fast unüberwindbaren Mauer wiederfindet. Während er sich mit seinem Bankberater durch die MiFID-Vorgaben durcharbeitet, haben die großen Zocker bereits wieder astronomische Gewinne eingefahren.

DSGVO – im Labyrinth der Bürokratie-Hydra

Datenschutz-Grundverordnung – die Todesfalle der Zivilgesellschaft. Google, Facebook und Co. gehen nicht immer so mit unseren Daten um, wie es im Blick auf unsere Privatsphäre und Selbstbestimmung angemessen wäre. Diese Situation schreit geradezu nach staatlichen Maßnahmen. Wieder einmal eine ideale Gelegenheit für Politiker, dem Bürger zu beweisen, dass sie deren letzte Zuflucht und wahre Schutzmacht sind im Haifischbecken der datensaugenden Profitmaximierer. (Man wünscht sich, dass diese Ritter der Privatsphäre auch einmal in ihrem eigenen Laden aufräumen würden: der Staat darf nämlich munter observieren, erheben und speichern …) Das Problem mit der DSGVO ist freilich, dass die Netz-Riesen die Ressourcen haben, um die lästigen neuen Regulierungen zu verarbeiten. Richtig hart trifft es dagegen den Biobauernhof, die Bastelgruppe, die Kirchengemeinde und den „Verein zur Erhaltung der Biergartentradition“.

Der Kfz-Mechaniker-Azubi, der die Trainingsspiele der Handball-Jugendmannschaft koordiniert, befindet sich mit seinem Email-Verteiler demnächst kurz vor der Illegalität. Der selbständige Optiker in Aschaffenburg bewegt sich in gefährlichen Wassern, wenn er Kundendaten in der Wohnung über seinem Geschäft aufbewahrt, weil seine Tochter dann Zugang haben könnte. Wahrscheinlich entsteht demnächst eine neue Berufsgruppe von professionellen Bürokratieverstehern, die Kleinbetrieben und zivilgesellschaftlichen Gruppen den Weg durch den Paragrafendschungel weisen. Anstatt vom missgünstigen Konkurrenten wegen Verstößen gegen die DSGVO angeschmiert oder von oder übereifrigen Bürokraten erschnüffelt und ertappt zu werden, leistet man sich dann doch lieber den teuren Experten – oder macht den Laden oder Verein gleich ganz dicht.

Die Zumutung der Selbständigkeit statt der Windeln der Regulierung

Es gibt eine Fülle von Problemen mit der Regulierung, diesem Lieblingsinstrument von Politikern, die ihren kämpferischen Einsatz für ihr Wahlvolk damit zur Schau stellen: Regulierungen wirken oft wie Markteintritts-Barrieren für schwächere Konkurrenten. Sie kommen häufig zu spät, wenn die Verursacher eines Problems schon weitergezogen sind zur nächsten Trickserei. Sie leiden unter einem chronischen Informationsmangel. Sie steigern die Kosten für die Betroffenen, was dann häufig an die Verbraucher weitergegeben wird. Sie hemmen Innovation und Fortschritt. – Eine besonders schmerzhafte Folge aber ist, dass die großen Spieler auf einem Markt meist die Ressourcen und Kapazitäten haben, um mit den neuen Regulierungen irgendwie umzugehen. Wer über diese Mittel nicht verfügt, ist den Vorschriften hilflos ausgesetzt.

Weder das Verhalten der Banken noch der Umgang großer Internetkonzerne mit Daten sind unproblematisch. Aber die derzeitigen Maßnahmen stellen keinen wirksamen Schutz dar. Andere Mittel sind dazu weitaus besser geeignet, auch wenn sie dem Politiker weniger Glanz ermöglichen. Klare Haftungsregeln und eine starke und unabhängige Gerichtsbarkeit gehören zu diesen Mitteln; aber insbesondere auch eine Zumutung an den Bürger: Die Zumutung der Selbständigkeit. Zugegeben: die wenigsten Politiker gewinnen Wahlen, wenn sie auf ihre Plakate drucken „Ich vertraue darauf, dass Sie die meisten Ihrer Probleme selbst lösen können.“ Aber am Ende des Tages ist der wirksamste Schutz gegen zwielichtige Geldanlagen und Datenmissbrauch nicht MiFID und DSGVO, sondern verantwortungsbewusste Konsumenten und Bürger. Anstatt sie durch Regulierung zu infantilisieren und zu pampern, sollten Politiker die Bürger ermutigen, Verantwortung zu übernehmen. Nur so funktioniert übrigens auch eine Demokratie …

Photo: Gary J. Wood from flickr (CC BY 2.0)

Würde Horst Seehofer im Deutschen Bundestag die Loslösung Bayerns aus dem Bundesgebiet fordern, dann würde ihn das Grundgesetz vor der Strafverfolgung schützen. Selbst wenn der Landtag in München dies beschließen würde, wären die dortigen Landtagsabgeordneten vor Strafverfolgung geschützt. Aus historischem Grund wurde diese Indemnitätsregel im Grundgesetz verankert. Abgeordnete sollten nicht wegen ihres Abstimmungsverhaltens oder ihrer Reden im Parlament verfolgt werden können. Umso befremdlicher ist es, dass die Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig nunmehr den ehemaligen katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont wegen eines solchen „Vergehens“ nach Spanien ausliefern lassen will. Ihm wird dort Rebellion und die Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen. Die Generalstaatsanwaltschaft ist nicht irgendwer. Sie ist eine weisungsgebundene Behörde des Justizministeriums in Schleswig-Holstein. Ohne eine enge Abstimmung mit der für die Außenpolitik zuständigen Bundesregierung ist ein solches Vorgehen nur schlecht vorstellbar.

Eigentlich hat Puigdemont eine politische Meinung vertreten und diese in seinem Regionalparlament zur Abstimmung gestellt. Zur Gewalt hat er anschließend nicht aufgerufen. Das Referendum wurde vom spanischen Verfassungsgericht untersagt, dennoch ist die Frage, ob in einer Region nicht trotzdem eine Abstimmung abgehalten werden darf. Sie hat dann keinen Charakter eines Referendums. Das ist sicherlich unstreitig. Aber eine Volksbefragung im Sinne eines Meinungsbildes kann durchaus möglich sein.

Grundsätzlich ist die Frage, ob eine Sezession möglich ist, auch wenn die eigene Verfassung dies untersagt. Sicherlich ja. Denn könnte man ein verfassungsrechtliches Sezessionsverbot verankern, dann wären die USA wohl nie gegründet worden. Wahrscheinlich ist die Neugründung von Staaten nur selten über den Rechtsweg der Verfassung des ursprünglichen Staates erfolgt. Insbesondere dann, wenn der größere Teil des Staatsgebietes dagegen ist. Eine Ausnahme ist die Verfassung des kleinen Liechtensteins. In der dortigen Verfassung können sich einzelne Gemeinden abspalten und einem Nachbarland anschließend. Doch Liechtenstein ist nicht überall. Und generell muss man fragen, ob eine knappe Mehrheit eine knappe Minderheit in einer solch fundamentalen Frage einfach so überstimmen darf.

Bei der Abstimmung in Katalonien im letzten Jahr stimmten 90 Prozent der Teilnehmer für die Loslösung von Spanien. Die Wahlbeteiligung lag jedoch bei lediglich 42,3 Prozent. Letztlich haben also nur 38 Prozent der Katalanen für die Unabhängigkeit gestimmt. Und auch die Wahlen in Katalonien im Dezember 2017 haben kein eindeutiges Ergebnis geliefert. Die Separatisten erzielten mit 47,5 Prozent der Stimmen zwar die Mehrheit, aber das Lager der Gegner ist mit 43,5 Prozent fast genauso groß. Auf dieser gespalteten Bevölkerung eine Sezession von Spanien zu begründen, ist schon sehr gewagt. Nicht ohne Grund kennen wir bei demokratischen Abstimmungen nicht nur das reine Mehrheitsprinzip. Vielfach ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich. Aber auch hier muss man fragen, ob das ausreichend ist. Immerhin ein Drittel wird durch die Zwei-Drittel-Mehrheit fundamental in den eigenen Lebensumständen beeinträchtigt. Daher ist zu fragen, ob nicht eine Drei-Viertel-Mehrheit oder eine Vier-Fünftel-Mehrheit für mehr Rechtsfrieden sorgen würde. Eine 50,1 Prozent-Mehrheit schafft dagegen keinen Rechtsfrieden.

Doch zurück zu den hiesigen Staatsorganen. Man stelle sich einmal vor, die Staatsorgane und insbesondere die Regierenden in Hamburg hätten sich nach den bürgerkriegsähnlichen Zuständen rund um den G 20-Gipfel 2017 in der Hansestadt ähnlich entschlossen gezeigt. Oder die Staatsanwaltschaften hätte die „Schotterer“, die die Bahngleise bei Castortransporten untergraben haben, ebenso entschlossen und schnell angeklagt.

Der spanisch-katalanische Konflikt sollte in Spanien und Katalonien gelöst werden. Deutschland sollte sich nicht auf die eine oder andere Seite schlagen. Der Publizist und Anwalt Carlos A. Gebauer hat dieser Tage vorgeschlagen, pragmatisch mit dem Fall Puigdemont umzugehen, da jede Entscheidung Deutschlands unbefriedigend sei. Als zuständiger Richter würde er den katalanischen Gast an unsere dänischen Freunde zurücküberstellen und in die Verfügung auf dem Aktendeckel den vielleicht schönsten aller Sätze aus der deutschen Verwaltungspraxis notieren: „Mit der Bitte um weitere Veranlassung.“

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick.