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Oft hört man, dass Politiker gar nichts mehr gestalten könnten. Zumindest Finanzminister Olaf Scholz scheint das nicht zu glauben. Er fädelt gerade eine Megafusion ein, die in jüngster Zeit seinesgleichen sucht. Seit geraumer Zeit bereitet sein Staatssekretär Jörg Kukies in Geheimverhandlungen die Fusion von Commerzbank und Deutscher Bank vor. Was ist davon zu halten? Ein Blick zurück.

Bereits 2009 hat ein sozialdemokratischer Finanzminister eine Bankenfusion eingeleitet. Es hieß damals, dass Deutschland neben der Deutschen Bank ein zweites international wettbewerbsfähiges Institut benötige. Viele global operierende Unternehmen aus Deutschland bräuchten einen heimischen Begleiter für ihre internationalen Geschäfte. Die damals schon schwankende Dresdner Bank, die bereits unter das Dach der Allianz Versicherung schlüpfte, wurde an die Commerzbank weitergereicht. Anschließend schwankte das fusionierte Institut und musste mit Steuergeldern gerettet werden. Heute, mehr als 10 Jahre später, hat die fusionierte Commerzbank ihre Verluste von damals immer noch nicht aufgeholt. Sie musste im November 2008 mit einer stillen Einlage von 8,2 Mrd. Euro gerettet und mit einem Garantierahmen von 15 Milliarden Euro abgeschirmt werden. Bereits im Januar 2009 reichte das nicht mehr aus, und der Bund stieg für 1,772 Mrd. Euro mit 25 Prozent plus einer Aktie als Minderheiteneigentümer ein und half mit einer weiteren stillen Einlage von 8,228 Mrd. Euro. Mit 18,2 Milliarden Euro direkten Hilfen und 15 Milliarden Garantien half der Bund damals der Commerzbank, um die Abenteuer des damaligen Finanzministers Peer Steinbrück zu finanzieren. Inzwischen wurden zwar die stillen Einlagen zurückbezahlt, doch alleine der Wertverlust des Aktienpaketes geht in die Milliarden.

Man könnte meinen, dieser unglückliche Versuch habe sozialdemokratische Finanzminister für alle Zeit geheilt. Doch weit gefehlt. Nun will wieder ein sozialdemokratischer Finanzminister diese Form der Industriepolitik machen. Das Risiko für den Steuerzahler ist wieder enorm. Beide Institute haben zusammen eine Bilanzsumme von rund 2.000 Milliarden Euro. Das ist das Sechsfache der Steuereinnahmen des Bundes und entspricht ungefähr der offiziellen Gesamtverschuldung des Staates. Ohnehin muss man fragen, was das bringen soll.

Mit zwei Billionen Euro Bilanzsumme spielt diese fusionierte Bank allenfalls im Mittelfeld der Europaliga. Der Bankenmarkt in Deutschland wird noch konzentrierter. Dann gibt es fast nur noch Sparkassen, Volksbanken und die verbliebene Deutsche Bank. Gleichzeitig muss die fusionierte Deutsche Bank erheblich Personal im Inland abbauen. Denn häufig gibt es dann Doppelstrukturen, die dann beseitigt würden.

Es wäre auch ein Schlag gegen den europäischen Binnenmarkt. Heute ist eines der Probleme des Euro, dass die Kapitalmärkte nationaler Natur sind und Banken und Staaten in einem engen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Banken kaufen die Staatsanleihen des Staates, ohne dafür Eigenkapital aufwenden zu müssen und reichen diese Staatsanleihen als Pfänder bei der Notenbank ein, um sich zu refinanzieren. Daraus entsteht der Staaten-Banken-Nexus, der die systemischen Risiken im Euro-Raum immer weiter erhöht. Grenzüberschreitende Fusionen würden dagegen auch bei den Banken die Abhängigkeit von den jeweiligen Staaten lösen.

Wenn Olaf Scholz also etwas gegen die Überschuldungskrise in Europa tun will, dann sollte er nicht auch noch die Bankenfusionen im eigenen Land befördern. Dies gilt übrigens aktuell auch für die NordLB. Auch hier wollen die Sparkassenorganisation und das Land Niedersachsen eine große Landesbank für ganz Deutschland schaffen. Und auch hier kann man sagen – nichts gelernt. WestLB, SachsenLB, BayernLB und die HSH Nordbank haben die Länder und die Kommunen in den vergangenen Jahren ebenfalls Milliarden Euro gekostet, nur weil Provinzpolitiker „Industriepolitik“ für die Region, das jeweilige Land und teilweise sogar weltweit machen wollten.

Diesen „Industriepolitikern“ sollte man Milton Friedman vor Augen halten. Dieser hat einmal über den Umgang mit Geld folgendes gesagt: Es gibt vier Arten, Geld auszugeben. Erstens: man gibt sein Geld für sich selber aus. Dabei ist man besonders sparsam. Zweitens: Man gibt sein Geld für andere aus. Da werden die Menschen bereits großzügiger. Drittens: Man gibt fremdes Geld für sich aus. Da fallen schon die meisten Schranken. Und viertens: Man gibt fremder Leute Geld für andere aus. Da gibt es kein Halten mehr.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

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Die Europäische Union ist zweifelsohne in einer schwierigen Situation. Keiner repräsentiert das besser als EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker höchstselbst. Als ausgerechnet er zum Jahreswechsel die Fähigkeit der rumänischen Regierung bezweifelte, die neue Ratspräsidentschaft übernehmen zu können, hatte das eine gewisse Situationskomik. Doch nicht nur die Präsidentschaft Rumäniens ist endlich, auch die Junckers.

Die Situation zeigt eines: Sowohl das Führungspersonal als auch die Strukturen der EU sind nicht mehr zeitgemäß. Allein der halbjährliche Wechsel der Präsidentschaft lässt, unabhängig von Rumänien, keine wirkliche Leitung zu. Dafür ist die Zeit zu kurz und die Erinnerung an die letztmalige Präsidentschaft zu lange her. Wenn Deutschland im zweiten Halbjahr 2020 die Präsidentschaft übernimmt, dann ist die vorherige Präsidentschaft 13 Jahre her. Sollte Angela Merkel zu diesem Zeitpunkt noch Bundeskanzlerin sein, dann ist sie wohl die einzige Regierungschefin, die zweimal eine Ratspräsidentschaft in ihrer Amtszeit hatte. Selbst die Zusammenfassung dreier Präsidentschaften zu einem gemeinsamen Programm verbessert diese Situation nicht wesentlich. Dieses Verfahren stärkt eigentlich nur die Administration in Brüssel. Das ist durchaus in ihrem Interesse. Sie will ihren Einfluss ausbauen.

Auch ein schwacher Präsident der Kommission ist im Interesse der Administration. So kann sie ihr Eigenleben weitertreiben. Zwar war Juncker in seiner aktiven Zeit ein erfahrener Strippenzieher, aber dennoch ist er erkennbar nicht mehr in der Lage, das Amt auszuführen.

Beides, die Ratspräsidentschaft Rumäniens und auch die Kommissionspräsidentschaft Junckers, sind ein Problem. Doch die Karawane zieht weiter ohne strukturelle Änderungen. Nicht einmal der Brexit wurde bislang als Chance für eine Erneuerung verstanden. Die Briten wurden in den Verhandlungen wie undankbare Gesellen behandelt. Man nimmt sogar wirtschaftliche Nachteile bei den verbleibenden Mitgliedsstaaten billigend in Kauf, nur um das EU-Projekt im status quo nicht zu gefährden. Dass eine als Freiheits- und Friedensprojekt apostrophierte Europäische Union von Nichtmitgliedern Tribut verlangt, nur damit Bürger in beiden Staaten die Waren des anderen kaufen dürfen, ist eine Perversion dieser Freiheitsidee.

Neben dem Brexit ist die Entwicklung des Euro das eigentliche Problem der EU. Die Mitgliedsstaaten haben die vergangenen neun Jahre seit der ersten Griechenland-Hilfe nicht genutzt, die wesentlichen Probleme anzugehen. Das Schuldenmachen ist nach wie vor zu einfach. Dies lähmt die Strukturanpassungen, die nötig wären, um die Wettbewerbspositionen im Süden zu verbessern. Die Target-Verbindlichkeiten des Südens gegenüber dem Norden der EU sind Ausdruck dieser Entwicklung. Die EZB manipuliert die Zinsen immer noch bis zum Abwinken. Noch gesunden Banken wird die Geschäftsgrundlage entzogen, fußkranke Institute werden dadurch künstlich beatmet.

Doch das eigentliche Problem ist die Kollektivierung der Risiken über die EZB und die durch die Bankenunion geschaffenen Institutionen. Diese Vergemeinschaftung gefährdet die Einheit der Europäischen Union, die historisch eigentlich eine Antwort auf die Uneinigkeit Europas sein sollte, indem sie die Saat für Zwist und Zwietracht legt.

Die mangelnde Rechtsstaatlichkeit Rumäniens muss sich die EU selbst ans Revers heften. Wo ist die Gleichheit vor dem Recht bei der Durchsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspaketes? Seitdem Frankreich die Haushaltsvorgaben nicht mehr einhält, weil Emmanuel Macron den Gelbwesten nachgegeben hat, wird auch bei der Haushaltsaufstellung in Italien ein Auge zugedrückt. Vorher galt ein Vertragsverletzungsverfahren bis hin zu einer Geldstraße als unausweichlich. Es sind halt nicht alle gleich in der EU. Es gibt Mitglieder erster und zweiter Garnitur. Nur deshalb kann sich Juncker so über Rumänien äußern. Man stelle sich einmal vor, er würde dies über Frankreich oder Deutschland sagen.

Die Europäische Union sollte man dennoch nicht leichtfertig aufgeben oder infrage stellen. Vieles, was heute im grenzüberschreitenden Handeln von Personen und Unternehmen innerhalb der EU selbstverständlich ist, ist es in Wahrheit nicht. Vielleicht werden wir schon in wenigen Wochen mit dem Ausstieg Großbritanniens aus der EU erleben, welchen Wert die Union für die Bürger hat.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Foto: biancamentil from Pixabay (CC O)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Doktorand der Volkswirtschaftslehre. 

Auf den ersten Blick ist Vollkommenheit erstrebenswert. Doch Perfektion ist in vielen Fällen mit hohen Kosten verbunden. Immer mehr Ressourcen, die anderswo eingesetzt werden könnten, müssen verwandt werden, um noch das letzte bisschen Unvollkommenheit auszumerzen. Unvollkommenheit ist deshalb häufig optimal.

Optimale Unvollkommenheiten

Eine Welt ohne Morde, Kriminalität, Todesopfer im Straßenverkehr, Flugzeugunglücke und mit einer immer pünktlichen Deutschen Bahn sowie einer hundertprozentigen Recyclingquote. Wäre das nicht schön? Aktuell möchte Verkehrsminister Scheuer mit einer „Funkloch-App“ auch die letzten weißen Flecken in Mobilfunknetzen aufspüren und beseitigen. Auf den ersten Blick ist Vollkommenheit erstrebenswert. Doch Perfektion ist in vielen Fällen mit hohen Kosten verbunden. Immer mehr Ressourcen, die anderswo eingesetzt werden könnten, müssen verwandt werden, um noch das letzte bisschen Unvollkommenheit auszumerzen. Unvollkommenheit ist deshalb häufig optimal.

Trade-Offs und steigende Kosten

Ressourcen wie Rohstoffe und Arbeitszeit sind knapp. Ihre Verwendung auf eine Aktivität schließt eine alternative Verwendung aus. Werden Ressourcen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung eingesetzt, können sie nicht mehr für die Prävention von Kriminalität verwandt werden. Derartige Trade-Offs plagen uns, sobald Ressourcen lediglich begrenzt zur Verfügung stehen. Angestrebte Ziele können dann nur erreicht werden, wenn die Verfolgung anderer Ziele eingeschränkt wird.

Keine Morde, Kriminalität, Todesopfer im Straßenverkehr, Flugzeugunglücke und eine stets pünktliche Deutsche Bahn haben etwas gemein: Je näher man einem dieser Ziele kommt, desto größer ist der Aufwand, einen weiteren Schritt in Richtung der angestrebten Vollkommenheit zu machen. Der Ressourceneinsatz steigt überproportional und bei alternativen Zielen müssen immer mehr Abstriche gemacht werden. Dilemmata dieser Art sind allgegenwärtig.

100 Prozent Recycling?

Die Recyclingquote für Siedlungsabfälle ist von 56 Prozent im Jahr 2002 auf 67 Prozent im Jahr 2015 gestiegen. Dies sind grundsätzlich erfreuliche Nachrichten. Doch welcher Aufwand wurde betrieben, um die zusätzlichen 11 Prozentpunkte zu erreichen? Wurde relativ zum Nutzen wenig Aufwand betrieben, um die Recyclingquote zu erhöhen, dann wurden insgesamt Ressourcen geschont. Überstieg dagegen der zusätzliche Ressourcenaufwand die Einsparungen durch zusätzliches Recycling, hat sich die Steigerung nicht gelohnt.

Je höher die Recyclingquote ist, desto aufwändiger ist es, diese weiter zu erhöhen. Das Recycling jeder weiteren Einheit ist etwas teurer als für die Einheit zuvor. Eine hundertprozentige Recyclingquote wird daher kaum optimal sein. Eine Studie aus dem Jahr 2014 kommt zum Beispiel zu dem Schluss, dass die Recyclingquote in Japan ineffizient hoch sei. Dabei lag die Recyclingquote dort bei nur knapp über 20 Prozent.

Beste medizinische Versorgung?

Mückenstiche können gefährlich sein, auch in Deutschland. Nicht Malaria, sondern eine Entzündung und eine darauffolgende Blutvergiftung können schwerwiegende gesundheitliche Schäden hinterlassen. Eine schnelle ärztliche Behandlung ist bei einem Verdacht auf eine Blutvergiftung unabdinglich. Sollten deshalb alle Personen mit dem Verdacht auf einen Mückenstich auf die Intensivstation gebracht werden? Wollten wir die medizinische Versorgung auf das höchstmögliche Level anheben, wäre dies wohl die Folge. Auch hier zeigt sich, dass die Extremlösung nicht optimal ist.

Ebenso verhält es sich mit der Krankenwagendichte. In Notfällen ist es entscheidend, dass Patienten schnell medizinisch versorgt werden. Im ländlich geprägten Rheinland-Pfalz brauchen Krankenwagen im Durchschnitt etwa 7 Minuten bis sie einen Patienten erreichen. Immerhin 94 Prozent der Rheinland-Pfälzer können in unter 15 Minuten von einem Krankenwagen erreicht werden. Eine bessere Versorgung mit Krankenwagen wäre natürlich möglich. Doch in der dünnbesiedelten Eifel eine Abdeckung wie in Mainz zu garantieren, wäre sehr aufwendig. Auch eine wünschenswerte bessere Versorgung in den Städten ist mit immer höherem Aufwand verbunden. Es wäre kaum optimal, wenn jeder Straßenzug eine eigene Rettungswacht beherbergte. Die Kosten, auch die letzte Minute Anfahrtszeit zu reduzieren, sind schlicht zu hoch.

Hundertprozentige Medikamentensicherheit?

Wir alle wünschen uns, dass Medikamente unsere Gesundheit verbessern. Zu diesem Zweck werden Medikamente aufwendig geprüft. Doch die aufwendigen, staatlich geforderten Tests und Zulassungsverfahren führen nicht nur dazu, dass die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass ein schadhaftes Medikament auf den Markt kommt. Sie führen auch dazu, dass Erkrankte die von getesteten Medikamenten profitieren könnten, diese erst verspätet oder gar nicht erhalten.

Es muss daher zwischen den Kosten der Nichtbereitstellung hilfreicher Medikamente und dem Schaden, der durch fehlerhafte Medikamente verursacht wird, abgewogen werden. Ein hundertprozentiger Ausschluss potentiell schädlicher Medikamente würde die Einführung wirksamer Medikamente unverhältnismäßig verzögern oder gänzlich verhindern.

Optimale Mordrate nicht null?

Auch hundertprozentige öffentliche Sicherheit ist nicht mit angemessenem Aufwand zu erreichen. Selbstverständlich wäre es wünschenswert, wenn alle Menschen engelsgleich wären und es keine Morde gäbe. Müssen für die Verhinderung von Morden mehr Polizisten und Richter eingestellt oder die Videoüberwachung ausgeweitet werden, können diese Ressourcen jedoch nicht für alternative wünschenswerte Ziele eingesetzt werden. Dabei wird es mit sinkender Mordrate schwieriger und somit teurer, sie weiter zu senken. Selbst eine 24-Stunden-Polizeistreife für jeden Straßenzug wird nicht ausreichen, um jeden Mord zu verhindern.

Vollkommenheit unerschwinglich

Es wäre wünschenswert, wenn kostenlos dafür gesorgt werden könnte, dass Menschen nicht morden, Krankenwagen sofort vor Ort sind, die Bahn immer pünktlich kommt, eingesetzte Ressourcen vollständig recycelt werden und vieles mehr. Leider ist Vollkommenheit nicht zu Kosten von null erreichbar.

Bei der Formulierung von Zielen sollten stets die Kosten berücksichtigt werden. Extremlösungen erweisen sich nur in Ausnahmefällen als optimal. Im privaten Bereich werden Menschen zwangsläufig mit den Kosten ihrer Handlungen konfrontiert. Wenn etwa Frau Hoppenstedt nicht nur ein Jodeldiplom erlangen, sondern die beste Jodlerin der Welt werden möchte, kann sie nur noch wenig Zeit mit ihrem Mann verbringen.

Auch in der Politik gilt: There is no free lunch

Haben Entscheidungen Einzelner direkte Konsequenzen auch für andere, besteht die Gefahr, dass Kosten nur unzureichend berücksichtigt werden. Die Politik als der Bereich unserer Gesellschaft, in dem wir in Gruppen entscheiden oder gewählte Repräsentanten für uns entscheiden lassen, ist von diesem Problem besonders betroffen. Wähler haben angesichts hoher Informationskosten keinen Anreiz, vollständig informiert zu sein – unabhängig davon, ob sie an einer politischen Entscheidung direkt beteiligt sind oder nicht. Das macht es für Politiker reizvoll, die Vorteile politischer Maßnahmen zu betonen und die Kosten in Form alternativer Ressourcenverwendungen in den Hintergrund zu rücken. Um ihrer Kontrollfunktion gerecht zu werden, sollten gerade Vertreter der vierten Gewalt deshalb die Kosten stets mit im Blick haben, auch wenn ihnen das angestrebte politische Ziel persönlich zusagt.

So würde sich über die politische Durchsetzung lückenloser Mobilfunknetze gewiss nicht nur Herr Scheuer freuen. Doch wäre es die Kosten wirklich Wert, auch im entlegensten Waldstück LTE-Empfang zu haben? Das eine oder andere Loch im Funknetz ist vermutlich optimal.

Erstmals veröffentlicht bei IREF. 

Photo: Tom Butler from Unsplash (CC 0)

Fangen wir mit den positiven Nachrichten an. Die Vereinbarung der Euro-Finanzminister vom Dienstag ermöglicht im Zweifel vielleicht eine verbesserte Umschuldung von Euro-Staaten. Bereits seit 2010 war man innerhalb des Euro-Clubs der Meinung, dass so genannte Collective-Action-Clauses in den Anleihebedingungen verbindlich eingeführt werden müssen, damit die Zustimmung für eine Umschuldung nicht von einzelnen Anleihehaltern verhindert werden könne. Stattdessen solle hierfür eine qualifizierte Mehrheit ausreichen. Bei vielen Staatsinsolvenzen verhinderten zuvor einzelne Gläubiger eine Vereinbarung mit den Schuldnern, da diese sich einer Einigung aus taktischen Gründen verweigerten.

Staaten, die dem Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM beitraten, mussten seit 2013 bei Anleiheemissionen diese Klauseln in ihre Anleihebedingungen aufnehmen. Offen war immer, ob dies im Ernstfall auch wirklich funktioniert. Immerhin muss irgendjemand die Interessen der Gläubiger bündeln. Künftig soll dies der ESM tun. Ob dies dann funktioniert, wird sich schon bald zeigen. Die Einschläge kommen bekanntlich wieder näher. Allein das überschuldete Italien hatte bereits Ende 2016 Anleihen in der Größenordnung von über 902 Milliarden Euro mit CAC-Klauseln versehen. Vielleicht kommen diese schneller zum Einsatz als Viele denken.

Denn die Frage, wie sich die italienische Regierung künftig verhält, ist für die Zukunft der Währungsunion von entscheidender Bedeutung. Auch wenn die Regierung Conte erst gestern Signale ausgesandt hat, dass sie ihren Haushaltsentwurf 2019 nun doch überarbeiten und das geplante Defizit reduzieren würde, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es die Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung doch auf einen Bruch ankommen lassen, viel höher. Im Zweifel sitzt Italien am längeren Hebel. Sie sind Nettozahler in den EU-Haushalt. Strafzahlungen könnten sie einfach mit der Kürzung ihrer Zahlungen in den EU-Haushalt kompensieren. Denn wie wahrscheinlich ist es, dass sie sich an die Aufforderung zu Strafzahlungen halten, wenn sie an anderer Stelle europäische Vereinbarungen auf offener Bühne brechen?

Italien ist in einem Dilemma. Seit 10 Jahren herrscht faktisch ökonomischer Stillstand im Land. Immer noch ist Italiens BIP deutlich unter dem Krisenjahr 2008. Das Bankensystem ist überschuldet, die Wirtschaft lahmt und die staatliche Verschuldung erdrückend. Eine Fremdbestimmung wie in Griechenland kommt für die stolzen Italiener sicherlich nicht in Frage. Ein Austritt aus der Eurozone ist daher im Bereich des Möglichen. Das liegt auch an der Struktur der Verschuldung. 97,5 Prozent der Anleihen sind nach italienischem Recht begeben, lediglich 2,5 Prozent nach angelsächsischem. Tritt Italien aus dem Euro aus, dann ist ein Schuldenschnitt schon dadurch gegeben, dass die italienischen Anleihen in neue Lira umgewandelt werden könnten. Die Target-Verbindlichkeiten in Höhe von 489 Mrd. Euro der italienischen Notenbank gegen das Euro-System sind ohnehin uneinbringlich. Auch wenn EZB-Präsident Mario Draghi etwas anderes behauptet – dazu ist in den Europäischen Verträgen nichts vereinbart. Daher gehört auch dies zum möglichen Erpressungspotential der italienischen Regierung.

Schon allein dieser Sachverhalt zeigt, dass die Euro-Finanzminister erneut ihre Chance einer grundsätzlichen Reform der Eurozone vertan haben. Sie haben sich nur mir Marginalien beschäftigt. Die Letztsicherung für die Bankenabwicklung ist eine erneute Vergemeinschaftung von Bankrisiken zu Lasten der Steuerzahler. Niemand glaubt ernsthaft, dass 60 Mrd. Euro für die Abwicklung auch nur einer mittleren europäischen Großbank ausreichen. Die Erweiterung der Aufgaben für den ESM rettet die falsche Architektur des Euro auch nicht. Ebenso wenig kann das Eurobudget, das Investitionsgelder für Wohlverhalten verspricht, das schleichende Auseinanderfallen der Eurozone stoppen. Eigentlich sind es selbst für diejenigen, die für eine weitere Vergemeinschaftung der Risiken eintreten, enttäuschende Vereinbarungen. Weder ist der Eurohaushalt nennenswert, noch kommt die europäische Einlagensicherung zeitnah, noch ist die europäische Arbeitslosenversicherung in Sicht. Insofern kann man auf der einen Seite froh sein, auf der anderen Seite jedoch zeigt sich wieder einmal die Reformunfähigkeit der Eurozone.

Der Regierung Merkel muss man das zum Vorwurf machen. Ideenlos tapert diese Regierung seit vielen Jahren in der Euro-Krise umher, ohne Konzept und Ideen. Notwendig wäre eine stärkere Verankerung des Haftungsprinzips. Im Einzelnen heißt das: wer das Target-Problem lösen will, muss Banken auferlegen, dass sie Staatsanleihen risikogerecht mit Eigenkapital unterlegen müssen. Wer das Erpressungspotential der Target-Verbindlichkeiten lösen will, muss dafür sorgen, dass diese Verbindlichkeiten bei einem Ausscheiden eines Mitgliedsstaates zu echten Verbindlichkeiten werden, die dann auch eingefordert werden können.

Wer das ökonomische Auseinanderfallen des Euroraums lösen will, muss geordnete Ausstiegsverfahren aus dem Euro ermöglichen. Wie schwer, aber wie notwendig dies zugleich ist, zeigt der Brexit. Und wer die Disziplinlosigkeit der EZB verändern will, muss dafür sorgen, dass diese ihre unkonventionelle Geldpolitik endlich beendet. Letzteres ist wohl der größte Brocken. Dennoch, wer daran nicht arbeitet, macht nur Symbolpolitik, die schon bald ihr Ende finden wird.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: konstantin von flickr (CC BY 2.0)

Vor einem Monat habe ich hier an dieser Stelle über das System des Gerichtshofs der EU geschrieben. Warum fallen dessen Urteile immer so vorteilhaft für die EU und ihre Institutionen aus? Besonders auffällig erschien mir hier die Rechtssprechung zur Politik der EZB zu sein. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte in seinem Vorlagebeschluss aus August 2017 noch „gewichtige Gründe“ angeführt, wonach das Anleiheaufkaufprogramm der EZB von März 2015 (Public sector asset purchase programme, PSPP) möglicherweise verbotene monetäre Staatsfinanzierung darstellt. Über die europarechtliche Dimension sollte jedoch der EuGH in Luxemburg urteilen, bevor die Karlsruher Richter ihr abschließendes Urteil fällen. In seinen Schlussanträgen vom 4. Oktober 2018 schlug der Generalanwalt Melchior Wathelet dem EuGH vor, dem Bundesverfassungsgericht zu antworten, „dass die Prüfung des Beschlusses der EZB zum PSPP nichts ergeben hat, was seine Gültigkeit beeinträchtigen könnte.“

Drei Gründe führt der Belgier in seinen Anträgen an. Ersten stehe der Beschluss nicht im Widerspruch zum Verbot der monetären Finanzierung. Alle Mitgliedsstaaten (außer Spanien) seien inzwischen aus einem Verfahren wegen übermäßigen Defizits entlassen worden. Diese objektive Lage deute darauf hin, dass die Mitgliedsstaaten der Eurozone eine gesunde Haushaltspolitik verfolgten. Italien lässt grüßen!

Zweitens habe die EZB weder ihre Befugnisse missbraucht, noch offensichtlich die Grenzen ihres Ermessens überschritten. Und drittens sei das Programm verhältnismäßig, da es zur Erreichung seines Ziels ebenso geeignet wie erforderlich sei und offensichtlich nicht über das für die Erreichung des Ziels Erforderliche hinausgehe. Mehr Freispruch für die EZB geht nicht und mehr Niederlage für die Kläger auch nicht.

Doch wer ist dieser Generalanwalt eigentlich, der solche Schlussanträge schreibt? Melchior Wathelet ging mit 28 in die Politik. Er war in den 1980er und 1990er Jahren Justizminister in Belgien. Im Skandal um den Kinderschänder Marc Dutroux spielte er ein unrühmliche Rolle. „Die Zeit“ schrieb 2004 über ihn: „Die Dutroux-Untersuchungskommission erklärte schon im April letzten Jahres, dass ein Dutzend Polizei- und Justizbeamte versagt hätten. Das Parlament nahm diesen Bericht einstimmig an, aber die Staatsdiener blieben auf Ihren Posten. Die Kommission rügte auch den ehemaligen Justizminister Melchior Wathelet. Er hatte Marc Dutroux, der damals wegen Entführung und Vergewaltigung von fünf Mädchen im Gefängnis gesessen hatte, 1992 überraschend begnadigt.“

Die Dutroux-Affäre, die ganz Belgien in den 1990er Jahren erschütterte, schadete ihm nicht. Von 1995 bis 2003 war Wathelet Richter am EuGH. Von 2012 bis zum 6. Oktober 2018 entsandte ihn die belgische Regierung als einen von elf Generalanwälten an den EuGH. Seine Beschlussempfehlung zum Anleihenkaufprogramm ist zwei Tage vor seinem Ausscheiden datiert. Es war wohl die letzte Beschlussempfehlung für den heute 69jährigen.

Er verliert ein attraktives Amt, das, sollte er neben seinem Sohn, dem früheren belgischen Innenminister, noch mindestens ein weiteres Kind haben, mit über 28.000 Euro im Monat vergütet wird. Anders als am Bundesverfassungsgericht können Richter und Generalanwälte am EuGH wiedergewählt werden, was bei 4 von 11 Generalanwälten derzeit auch der Fall ist. Ein Richter am EuGH kommt bei gleichen familiären Bedingungen auf fast 27.000 Euro im Monat. Die 12jährige Amtszeit am Bundesverfassungsgericht ist der Höhepunkt einer juristischen Karriere, eine Berufung an den EuGH kann dagegen zu einer Dauerbeschäftigung werden. Allein diese Anreizwirkung führt nicht nur bei Richtern und Generalanwälten aus ärmeren Mitgliedsstaaten der EU zu einer Sogwirkung in Richtung Luxemburg, deren Verlängerung man gerne anstrebt. Die Unabhängigkeit des Amtes stärkt dies sicherlich nicht.

Die Krise der EU ist zuerst eine Krise seiner Institutionen. Sie genießen zu wenig Vertrauen. Oftmals zurecht. Doch die Gründe hierfür sind meist nicht individuelle Fehler Einzelner, sondern sind institutionell verankert. Falsche Anreize, unzureichende Machtbalance und Intransparenz führen zu dieser Entwicklung. Die Antwort darauf muss also lauten: Machtbegrenzung durch größtmögliche Transparenz und Offenheit und konstitutionelle Regeln, die der komplexen Struktur der EU angemessen Rechnung tragen.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.