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Von Kalle Kappner, ehemaliger Mitarbeiter von Frank Schäffler im Bundestag, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin und Research Fellow bei IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues.

Die Debatte um Einwanderung, Integration und Flüchtlingspolitik wird von fortschrittspessimistischen Schwarzmalern einerseits und faktenresistenten Romantikern andererseits dominiert. Einig sind sich beide darin, Migration primär anhand ihrer Nützlichkeit für den Staat und die Sozialsysteme zu bewerten. Liberale Einwanderungspolitik dagegen baut auf der Überzeugung auf, dass das Ideal der Offenen Gesellschaft nicht an der Staatsgrenze endet.

In einer Publikationsreihe der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ist kürzlich der Sammelband „Offene Grenzen? Chancen und Herausforderungen der Migration” erschienen, herausgegeben von Annette Siemes, Referentin am Liberalen Institut, und Clemens Schneider, mit einem Vorwort von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Der Band lässt sich auf den Seiten der Naumann-Stiftung kostenfrei herunterladen oder bestellen!

Migration und Mehrheitsgesellschaft: Das Spannungsfeld von Selbstschutz und Offenheit

Sabine Beppler-Spahl fragt, weshalb so viele Menschen in den Industriestaaten der Einwanderung gegenüber skeptisch bleiben, obwohl die wirtschaftlich positiven Folgen der Immigration in der Wissenschaft kaum umstritten sind. Es ist die Angst vor dem Verlust der eigenen Identität und der eigenen Werte, die Einwanderungskritiker wie Thilo Sarrazin (“Deutschland schafft sich ab”) oder den britischen Politiker Nigel Farage (“I’d rather be poorer with fewer immigrants.”) so populär macht. Einwanderung bringt Neues, Anstrengendes mit sich und führt nicht selten dazu, dass längst gelöst geglaubte Grundsatzfragen wieder neu diskutiert werden, wie die Debatten um ein mögliches Burka-Verbot zeigen.

Am Beispiel der USA zeigt die Autorin auf, dass Einwanderung nicht mit dem Verlust alter Identitäten einhergehen muss, sondern – im Gegenteil – das Leben und Selbstverständnis der Einheimischen sogar bereichern kann. Doch was unterscheidet die historischen USA vom heutigen Deutschland (und auch von den heutigen Vereinigten Staaten)? Integration sei nicht als Staatsaufgabe angesehen worden, Migration geschah nicht vordringlich unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit und die selbstsichere amerikanische Kultur – der American “Way of Life” – wirkte auf die Immigranten ungeheuer anziehend. Doch heute werde der Umbau Deutschlands zur Einwanderungsgesellschaft als technokratisches Elitenprojekt wahrgenommen, vorbei am Bürger und dessen Wünschen.

Es sei wichtig, zu diesem Schluss kommt die Autorin, dass die Einwanderungspolitik demokratisiert und die Interessen der Abgehängten wieder ernst genommen werden: “Darf eine Bevölkerung also entscheiden, die Grenzen des eigenen Landes zu schließen? Ja, das darf sie.” Aber damit sie es nicht tut, müssen die Befürworter einer Welt offener Grenzen ihre guten Argumente stärker in die Debatte einbringen. Es ist ein Fehler, sich nur auf die wirtschaftlichen Vorzüge verstärkter Einwanderung zu konzentrieren. Stattdessen muss der Einwanderer selbst in den Mittelpunkt der Debatte rücken, denn in letzter Konsequenz geht um persönliche Freiheit: “Menschen dort festzuhalten, wo sie durch Zufall geboren wurden, erinnert an die feudalen Fesseln des Mittelalters, das persönliche Mobilität kaum ermöglichte.”

Offene Grenzen und institutioneller Wandel

Kalle Kappner schildert die Rolle, die offene Grenzen als menschenrechtspolitisches Instrument einnehmen können. Den westlichen Staaten sei daran gelegen, ihr Modell der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Offenen Gesellschaft zu verbreiten und vormoderne Gesellschafts- und Staatsformen die Unterstützung zu entziehen. Doch die Rolle, die freie Migration bei der Beseitigung von Diktaturen und Unrechtsstaaten einnehmen könne, werde stark unterschätzt. Dabei habe sich die Abwanderung (oder deren Androhung) als Druckinstrument unterdrückter Bevölkerungsschichten historisch bewährt und sei auch aktuell in vielen Fällen viel wirkungsvoller als der Versuch, der herrschenden Elite demokratische Mitbestimmungsrechte abzuringen.

Staaten mit extraktiven Institutionen, in denen eine politische Elite die persönliche Bereicherung als oberstes Staatsziel ansieht, seien zum Wandel gezwungen, wenn ihrer Bevölkerung die Möglichkeit zur Abwanderung geboten werde: “Um ihre Privilegien zumindest teilweise zu retten, müssen sie die Institutionen inklusiver gestalten, sodass die Abwanderung für ihre Untertanen relativ weniger lohnenswert erscheint.” Individuelle internationale Mobilität könne so einen gesunden Systemwettbewerb in Gang bringen; Schon die Androhung der Emigration könne in vormodernen Gesellschaften einen Wandel vorantreiben.

Doch die geschlossenen Grenzen der westlichen Staaten mit ihren attraktiven Staatsmodellen nehmen den Opfern von Diktatur und Unrecht ihr wichtigstes Druckinstrument. Die Weltgesellschaft ist geschlossen. Das Recht der internationalen Mobilität ist nicht nur äußerst ungleich verteilt; Ausgerechnet die Bürger der unfreisten Länder haben auch die geringsten Auswanderungsmöglichkeiten. Ein Ausbau des Asylrechts könne hier keine Abhilfe schaffen, denn dieses habe ganz andere, auf individuelle Schicksale konzentrierte Ziele. Stattdessen müssten offene Grenzen zukünftig bewusst als Instrument der Menschenrechtspolitik eingesetzt werden – nicht um eine globale Völkerwanderung auszulösen, sondern um weltweit Anreize zur Modernisierung und Demokratisierung zu schaffen.

Nation: Fiktion und Konstruktion

Clemens Schneider analysiert  in seinem Beitrag das Konzept der Nation, dessen philosophische Grundlagen und die Überhöhung des Nationalstaates zum metaphysischen, mit einem eigenen Willen und mit Souveränität ausgestatteten Geschöpf. Die Nation habe ihren Ursprung im archaischen Stammesdenken und in der unzulässigen Übertragung von für Kleingruppen angemessenen Regeln und Idealen auf die große Gesellschaft. Der exklusive, auf den Schutz einer homogenen Gemeinschaft ausgelegte Nationalstaat lebe von der “falsche[n] Erwartung, dass die Großgruppe dasselbe Maß und dieselbe Art von Altruismus und Solidarität gewährleisten kann wie die Kleingruppe”.

Als weitere Quelle des Nationalismus sei auch der Rückzug der Religiosität auszumachen, der das Vakuum für den Nationalstaatsglauben schaffe. Auch das populäre Konzept der sogenannten Kulturnation sei bei genauerer Betrachtung kaum von ethnisch-rassistisch begründeten Abgrenzungskriterien zu unterscheiden. Der Wohlfahrtsstaat in seiner derzeitigen Ausprägung schließlich stütze den Nationalismus, denn er mache Abgrenzung und Exklusivität zwingend erforderlich. Die wenig bequeme Schlussfolgerung lautet: “Nationalismus und Sozialismus sind Zwillingsbrüder.”

Dass der Nationalstaat nicht ohne Alternative ist, zeige die Geschichte: Historisch seien alle zivilisierten Staaten inklusiv verfasst gewesen, wie der Verfasser mit Karl Popper feststellt. Persien, Rom, das britische Weltreich, all diesen Staaten ging es um territoriale Expansion und nicht um ethnische Exklusivität: “Weil inklusive Staaten stets auf Ausweitung zielen, ist nicht Abgrenzung das Charakteristikum dieser Staaten, sondern ein verhältnismäßig hohes Maß an Toleranz gegenüber anderen Kulturen.” Heute sei das Konzept des Nationalstaates auf dem absteigenden Ast, Staatlichkeit müsse zukünftig ohne Nation gedacht werden. Dazu bedürfe es einer Rückbesinnung auf die eigentlichen, nicht metaphysisch überhöhten Funktionen des Staates: “Ein Staat, der sich auf die Durchsetzung der Herrschaft des Rechts und die Sicherung der Freiheit und Unversehrtheit seiner Bürger konzentriert, ist ein Staat, der für jeden zugänglich sein kann. Er könnte die moderne, non-imperialistische Variante des inklusiven Staates sein.”

Offene Gesellschaft? Deutschland als Zuwanderungs- und Einwanderungsland

Annette Siemes liefert in einem abschließenden Beitrag einen Überblick über die derzeit stattfindende Migration nach Deutschland und die EU, erläutert rechtliche Grundlagen der Einwanderung und des Asyls, beschreibt die Bedeutung und Zusammensetzung von Migranten in Deutschland und schneidet kontroverse Themen wie das Wahlrecht, die Religionsausübung, Parallelgesellschaften, das fragwürdige Ideal der deutsche Leitkultur und die Erfolge und Misserfolge der Integrationspolitik an. Abschließend skizziert sie, wie eine liberale Reform des deutschen Einwanderungsrechtes aussehen könnte.

Dreh- und Angelpunkt der Immigration sei das deutsche Grundgesetz, das nicht nur Offenheit für Einwanderer nahelege, sondern auch für Immigranten eine fundamentale Bedeutung einzunehmen habe: “Grundbedingung für einen liberalen Integrationsbegriff ist somit immer die Kenntnis des Grundgesetzes und die Respektierung der Gesetze, die bürgerlichen Freiraum gewährleisten.” Der liberale Rechtsstaat habe kulturelle Gewohnheiten und Sitten, ja auch Kleidungsstile zu tolerieren, solange diese nicht mit dem Grundgesetz und den darauf aufbauenden gesetzlichen Grundlagen kollidieren. Fragen des Geschmacks seien nicht politisch zu lösen, sondern in der Zivilgesellschaft auszudiskutieren. Ein wichtiges und distinktives Ziel liberaler Einwanderungspolitik ist also die Begrenzung der Rolle des Staates – sowohl was die Selektion von Einwanderern als auch deren Integration und Entfaltung angeht.

Das Asylrecht müsse ausgebaut und stärker in kommunale Verantwortung gelegt werden, die EU-weiten Regelungen diesbezüglich seien stark reformbedürftig. Einwanderern solle zukünftig mittels eines kommunalen Wahlrechts, der doppelten Staatsbürgerschaft und einer Einbürgerungsperspektive nach vier Jahren Aufenthalt auch die politische Bindung an ihre neue Heimat ermöglicht werden, denn der Einwanderer sei als politisch befähigtes und gleichberechtigtes Mitglied des Gemeinwesens und nicht als fremdes und lediglich zu tolerierendes Element wahrzunehmen: “Ein dauerhafter Lebensmittelpunkt bedingt einen Anspruch auf Partizipation und Repräsentation. Wo langfristig gearbeitet wird, wo Steuern und Sozialabgaben gezahlt werden, ist eine höhere Identifikation mit der Gesellschaft zu erwarten. Dieser Identifikation muss eine Gesellschaft freier Bürger mit stärkeren politischen Rechten begegnen.”

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog Offene Grenzen am 17. März 2015.

Welche Rolle auch immer Wladimir Putin im Fall des ermordeten Oppositionellen Boris Nemzow gespielt hat, eines steht zweifellos fest: Seine Politik in den vergangenen 15 Jahren hat wesentlich dazu beigetragen, dass in Russland ein Klima der Gewalt und Brutalität entstehen konnte. Dahinter steckt ein eiskalter Machtwille des Präsidenten. Die Interessen Russlands oder des russischen Volkes verfolgen er und seine Gefährten jedenfalls nicht.

Die Saat des Hasses …

Putins Auftreten auf der großen Bühne der Politik begann mit einer gewaltigen Strafaktion gegen Tschetschenien, die fast zehn Jahre dauern sollte. Kurz nach seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten im August 1999 gab er den Befehl zum Zweiten Tschetschenienkrieg. Das kleine nordkaukasische Land, das – wie angeblich die Krim oder die Ost-Ukraine – die Unabhängigkeit anstrebte, wurde von regulären russischen Truppen und marodierenden Freischärlern über Jahre hinweg mit Krieg überzogen. Entführungen, Folter, Vergewaltigungen und Massenmorde, die dort über Jahre hinweg den Alltag beherrschten, haben den Terrorismus, der bekämpft werden sollte, sicherlich nicht eingedämmt, sondern wohl eher noch verschärft. Nachweislich unterstützte die russische Regierung in Putins Zeit als Präsident und Ministerpräsident außerdem bewaffnete Konflikte und Kriege in den georgischen Teilrepubliken Süd-Ossetien und Abchasien sowie in dem zu Moldawien gehörenden Transnistrien.

Innenpolitisch war und ist die Regierungszeit Putins seit 1999 geprägt von vielerlei Repressalien. Kritische, unabhängige Medien und Journalisten sind immer wieder Schikanen ausgesetzt, die ihre ohnehin schon marginale Stellung gegenüber staatsfinanzierten Medien zusätzlich gefährden. Ein besonders drastisches Beispiel für die Bedrohung der Pressefreiheit sind die zahlreichen Morde an Journalisten, unter denen der Mord an Anna Politkowskaja besonders hervorsticht. Auch wenn keine direkte Verbindung zu staatlichen Stellen gezogen werden kann, ist doch offensichtlich, dass der Staat darin versagt, für die Sicherheit von Journalisten zu sorgen. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich um die Förderung der Menschenrechte sorgen, sind seit 2012 verpflichtet, sich als „ausländische Agenten“ registrieren zu lassen, wenn sie Gelder aus dem Ausland annehmen. Beängstigend sind auch die zum Teil aberwitzigen Prozesse und Urteile gegen Michail Chodorkowski, Pussy Riot, Alexei Navalny und seinen Bruder Oleg sowie die vielen anderen gegen Oppositionelle im ganzen Land, von denen kaum berichtet wird.

… auf dem Nährboden der Angst

Putin und seine Helfer arbeiten zunehmend mit Feindbildern. Das ist eine bewährte Methode von Herrschern, um die eigene Bevölkerung hinter sich zu bringen. Waren es zu Beginn seiner Herrschaft noch die realen islamistischen Terroristen im Nordkaukasus, so wurden die Feinde im Laufe der Zeit immer virtueller. So konnte man im Laufe der letzten Jahre ein massives Anwachsen der Ausländerfeindlichkeit gegenüber den Gastarbeitern aus dem Kaukasus und den zentralasiatischen Staaten beobachten. Seit Juni 2013 gibt es ein Gesetz zum Verbot „homosexueller Propaganda“, das sich nahtlos einfügt in Putins Selbstdarstellung als Bewahrer traditioneller Werte. „Der Westen“ wird nicht nur als militärische oder ökonomische Bedrohung dargestellt. Es werden auch Ängste geschürt, dass Russland infizieren werden könnte durch die moralische Korruption der sogenannten „Liberasten“ (eine Wortneuschöpfung aus Liberalen und Päderasten).

Die wenig zielführenden Sanktionen der EU und der USA gegenüber Russland seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine sind für Putin ein höchst willkommenes Mittel, um Angst zu verbreiten. Die real zu fühlende rapide Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in den vergangenen Monaten kann als Teil der wachsenden Bedrohung durch den Westen dargestellt werden, obwohl die Ursachen für die ökonomische Misere wesentlich vielfältiger sind. Von innen und von außen erscheint Russland immer mehr Bedrohungen ausgesetzt, gegen die nur ein starker Mann wie Putin Land und Leute wirkungsvoll verteidigen kann. Die gelungene Inszenierung trägt maßgeblich dazu bei, dass selbst im Ausland viele Putins Politik als legitime Reaktion auf eine reale Bedrohung ansehen.

Die Saat geht blutig auf

In Nemzows letzten Interview, das er wenige Stunden vor seiner Ermordung gab, stellte dieser die Situation ganz anders dar. Der Krieg in der Ukraine ist für ihn ein Bürgerkrieg. Die Konfrontation mit dem Westen sinnlos. Die Wirtschaftspolitik selbstmörderisch. Und überhaupt: die gesamte russische Politik verrückt. Putin hat, so Nemzow, „die Russen mit dem Virus eines Minderwertigkeitskomplexes gegen den Westen infiziert; mit dem Glauben, dass wir einzig durch Gewalt, Terror und Aggression die Welt beeindrucken können. Er hat meine Mitbürger darauf konditioniert, Fremde zu hassen. Er hat ihnen eingeredet, dass wir die alte sowjetische Ordnung wiederherstellen müssen, und dass Russlands Stellung in der Welt komplett davon abhängt, wie sehr die Welt uns fürchtet.“

Es ist dieses Klima der Bedrohung und Angst, das dazu geführt hat, dass gewaltlose Oppositionelle wie Nemzow auf offener Straße erschossen werden – von wem auch immer. Die Saat, die Putin und seine Ideologen über Jahre gesät haben, ist am Abend des 27. Februar 2015 auf der Großen Moskwa-Brücke einmal wieder aufgegangen. Nemzow hat dort sein Eintreten für Recht und Freiheit mit dem Leben bezahlt. Selbst wenn Putin nichts von den Absichten des Mörders gewusst haben sollte, trägt er die Hauptverantwortung dafür, dass es zu solchen Taten kommen kann, weil er den Nährboden gelegt hat, auf dem diese blutige Saat aufgehen konnte.

Ein anderer Weg ist möglich

Der Weg, den Putin und seinen Verbündeten seit über 15 Jahren in Russland gehen, ist nicht der einzig mögliche. Auch der Weg demokratischer, rechtsstaatlicher und marktwirtschaftlicher Reformen wäre immer eine Option gewesen. Das zeigen deutlich die Beispiele von Politikern wie Boris Nemzow, der diesen Weg in den 90er Jahren einschlagen wollte. Bis in die Regierungszeit Putins hinein gab es in der russischen Politik Menschen, die für diesen Weg plädiert haben. Dafür stehen Namen wie Jegor Gaidar, Anatolij Tschubais oder Michail Kasjanow. Diese Menschen haben den Westen nicht als Bedrohung empfunden, sondern als Partner beim Aufbau einer friedlichen und wohlhabenden Welt. Putin hat sich gegen diesen Weg entschieden, weil ihm nur ein autoritäres Russland seine Macht zu sichern scheint.

Die Wirkung breiter Wirtschaftssanktionen ist zweifelhaft. Eine finanzielle oder auch nur logistische Unterstützung der russischen Opposition bringt diese im Zweifel in mehr Schwierigkeiten als sie nutzt. Was also kann getan werden, um das andere Russland zu unterstützen in seinem Kampf gegen Angst und Unterdrückung?

Drei praktische Vorschläge

1. Nicht von Russland sprechen, wenn man Putin meint: Die russische Bevölkerung mag im Augenblick stark hinter ihrem Präsidenten stehen. Viele von ihnen sind aber seit 15 Jahren einer massiven Propaganda-Maschine ausgesetzt und können sich in dieser Informationsasymetrie nur schwer eine fundierte Meinung bilden. Wer pauschal „Russland“ verantwortlich macht für den Krieg in der Ukraine oder die Verfolgung von Oppositionellen, Ausländern und Homosexuellen, der bereitet nur weiteren Ressentiments auf Seite der russischen Bevölkerung den Boden. Nennen wir die Schuldigen beim Namen: Putin und seine Helfershelfer.

2. Dem anderen Russland eine Stimme geben: Menschen wie die „Soldatenmutter“ Ella Poljakowa oder der junge Oppositionsführer Ilja Jaschin sind hierzulande kaum bekannt. Sie verdienen aber unsere Aufmerksamkeit. Sie haben uns etwas zu erzählen über das andere Russland. Im eigenen Land fällt es ihnen enorm schwer, sich eine Stimme zu verschaffen. Das kann leicht zu großer Frustration führen, weil man sich vollkommen einsam vorkommt. Wenn es gelingt, ihrer Stimme in den demokratischen und freien Ländern dieser Welt Gehör zu verschaffen, können sie erkennen, dass sie nicht allein sind, sondern dass überall Menschen ihre Werte teilen und mit ihnen fühlen. Zeigen wir ihnen, dass sie nicht alleine sind.

3. Alternativen entwerfen: Solange wir uns nur mit dem Status Quo beschäftigen, können Putins Sprachrohre ohne Probleme ihre Geschichte weiterstricken, dass der Westen eine Bedrohung für Russland darstelle. Wenn von Russland stets nur gesprochen wird im Zusammenhang mit der Unterstützung der Separatisten in der Ukraine oder mit Überlegungen zu weiteren Sanktionen, ist nicht unbedingt plausibel, dass allein Putin ein Interesse an dem Konflikt hat und nicht auch westliche Regierungen. Deutschland, Europa, „der Westen“ sollten konkrete Alternativen aufzeigen: Wir würde eine Welt aussehen, in der Russland und der „Westen“ Partner sind? Mit ganz konkreten Ideen müssen wir aufzeigen, wie ein friedliches und gedeihliches Miteinander möglich sein kann: mit Freihandelsabkommen, Visa-Freiheit für russische Bürger, dem Angebot der Kooperation in Fragen der globalen Sicherheit, des Umweltschutzes und der weltweiten Bekämpfung von Krankheiten. Es muss sich herumsprechen, dass wir Frieden wollen – mit einem Russland, in dem die Bürger in Freiheit und unter dem Schutz des Rechts leben können.

Am Ende seines letzten Interviews wurde genau diese Vision von Boris Nemzow gezeichnet: „Wir brauchen eine alternative Vision, eine andere Idee von Russland. Unsere Idee ist die eines demokratischen und offenen Russland. Eines Landes, das sich gegenüber seinen eigenen Bürgern und seinen Nachbarn nicht wie ein Bandit verhält.“

Photo: Игорь Титаренко from Flickr

Im Rahmen der Regional Conference der European Students for Liberty in Köln am 25. Oktober 2014 hat Frank Schäffler das erste Mal ausführlich einer breiteren Öffentlichkeit das Projekt „Prometheus“ vorgestellt. Der freiheitsliebende Nachwuchs, der sich bei den Students for Liberty sammelt und bildet, ist die große Hoffnung für unser Land und weit darüber hinaus. Auf diese jungen Menschen bauen auch wir mit „Prometheus“ nachdrücklich. Deswegen war es nur passend, bei dieser Veranstaltung das Projekt erstmals zu präsentieren und die Grundlinien unserer Arbeit zu skizzieren.

Schäffler erklärt in dem Vortrag das Konzept des „gesellschaftlichen Wandels„, das weit über tagespolitisches Klein-Klein hinausgeht. Er stellt dar, wie sich „Prometheus“ von vielen anderen Initiativen fundamental unterscheidet, die auf den ersten Blick ähnliche Ziele verfolgen mögen: „Prometheus“ will eben nicht nur einen Ausschnitt aus dem freiheitlichen Meinungsspektrum abbilden, sondern verschreibt sich einem ganzheitlichen Freiheitsverständnis. „Wir wollen natürlich auch ökonomische Fragen beantworten“, so Schäffler. „Aber eben nicht nur. Was in Deutschland fehlt: Think Tanks, die die Vielfalt darstellen.“ Themen wie Drogenlegalisierung, Rundfunkbeiträge oder offene Grenzen hängen eng mit dem freiheitlichen Welt- und Menschenbild zusammen und müssen mit einer freiheitlichen Sitimme im öffentlichen Diskurs angesprochen werden.

Auch bezüglich der Kommunikationsmethoden gilt es, neue Wege zu begehen: Viel lernen können wir von den Erfolgen anderer Organisationen, die inhaltlich sehr weit entfernt sind von „Prometheus“, wie zum Beispiel „Campact“. Unsere Arbeit darf sich nicht darin erschöpfen oder darauf konzentrieren, umfangreiche Studien zu erstellen, möglichst viele Erwähnungen in Zeitungen zu bekommen und nur immer die eigene Klientel zu bedienen. Vielmehr muss man als Graswurzelbewegung eine breitere Wirkung in der Gesellschaft entfalten, auf die Straßen hinausgehen und unterschiedliche Gruppen adressieren: „Wir wollen das nach außen tragen; auch dahin gehen, wo es weh tut“, fordert Schäffler.

Ich kaufe gerne mal die Obdachlosenzeitung. Das erscheint mir prinzipiell ein sehr sinnvolles Projekt. Als ich die Dezember-Ausgabe des „strassenfeger“ aufschlug, fiel mir eine Überschrift ins Auge: „Freihandels-Nostalgie?! – Oder wie eine Idee des 19. Jahrhunderts unsere modernen europäischen Demokratien bedroht und warum wir das nicht wollen“. Leider geht es in dem Artikel selbst dann nur um das Investitionsschutzabkommen. Mich hätte vielmehr interessiert, wie die Autorin „Julia“ die „Freihandels-Nostalgie“ definiert. Im Zuge der Proteste gegen TTIP ist Freihandel zu einem Schreckenswort geworden. Als bekennender Freihandels-Nostalgiker finde ich das verstörend …

Demokratie und Freihandel: Geschwister im Kampf gegen die Mächtigen

Wie immer, wenn Politiker und Bürokraten ein Projekt angehen, ist Wachsamkeit gefordert. Sicherlich gibt es an Verfahren und Inhalt von TTIP manches zu hinterfragen. Gleichzeitig laufen aber auch viele der Kritikpunkte an dem Investitionsschutz ins Leere. Viele TTIP-Kritiker tappen allerdings leider in dieselbe Falle wie „Julia“: sie meinen Intransparenz und Demokratiedefizit, schießen aber auf den Freihandel. Das ist ein fataler Fehler, denn Freihandel und Demokratie teilen die gleichen Eltern: beide sind Ausdruck des Kampfes für die Freiheit gegenüber den Großen und Mächtigen.

Demokratie wurde als System der Machtkontrolle und -beschränkung entwickelt. Vor 2500 Jahren war es das Gegenkonzept zur Tyrannis. Heute sollen demokratische Prozesse diejenigen kontrollieren und beschränken, denen zeitweise bestimmte Vollmachten eingeräumt werden. Immer geht es darum, die Freiheit und Selbstbestimmung des einzelnen vor der Willkür der Herrschenden in Schutz zu nehmen. Das gilt natürlich auch dann, wenn eventuell Deals in die Freihandelsabkommen mit hinein kommen, die bestimmte Gruppen bevorzugen und vielleicht gar im Geheimen abgeschlossen werden (wenn das der Fall sein sollte).

Freihandel gegen Hungersnot

Zur Willkür der Herrschenden gehörte auch immer schon das Instrument der Handelskontrolle. Zölle wurden erhoben, um den Staatssäckel zu füllen. Aber Zölle wurden auch erhoben, um die eigene Industrie zu schützen. Und zwar meistens die Großen, die es geschafft haben, bei den Herrschenden für ihren Schutz zu werben. Heute nennt man solche Leute Lobbyisten. Zölle sind wesentlich auch Beschränkungen der Handels- und Vertragsfreiheiten der einzelnen Bürger. Im Endeffekt wirken die Preisaufschläge durch Zölle oft wie ein Kaufverbot. Das führt dazu, dass der einheimische Verbraucher eine geringere Auswahl haben oder höhere Kosten tragen muss.

Die „Idee des 19. Jahrhunderts“, vor deren Schrecken „Julia“ warnt, war genau gegen diese Handelsbeschränkungen gerichtet. Richard Cobden, ein Mann aus sehr einfachen Verhältnissen, wurde zu einem der ersten Begründer einer Graswurzelbewegung. – Also vom Prinzip her, wenn auch nicht von den Überzeugungen, ein Vorläufer von attac, Occupy und Campact. – Die Zölle, die es zu seiner Zeit in Großbritannien auf Getreide gab, schützten die Großgrundbesitzer vor dem Import von günstigerem Getreide aus Russland und den USA. Die Leidtragenden waren die Industriearbeiter, die zum Teil schwere Hungersnöte durchmachen mussten, weil die Nahrungsmittelpreise zu hoch waren. Cobdens Bewegung für den Freihandel hat die Abschaffung dieser Zölle durchgesetzt und so Millionen von Menschen aus Elend, Not und Hunger geholfen. Die Bewegung nannte man übrigens Manchester-Liberalismus

Fair Trade für uns und andere

Handel ist prinzipiell für alle Beteiligten gut: Der Anbieter kann Geld verdienen, indem er etwas verkauft. Und der Käufer kann etwas erwerben, das er braucht oder will. Beschränkungen des Handels sind somit für beide Seiten schlecht: Der eine wird am Geldverdienen gehindert, der andere am günstigen Erwerb von wertvollen oder vielleicht gar lebenswichtigen Gütern. Wer gegen Freihandel ist, sollte sich dessen bewusst sein.

In der Tat gibt es kaum ein besseres Mittel, um eine Situation des Fair Trade herzustellen als den Abbau von Handelsbeschränkungen. Denn plötzlich bekommen alle Zugang zu einem Markt, der bisher nur wenigen vorbehalten war. Und gleichzeitig können Großkonzerne ihre marktbeherrschende Stellung nicht mehr so gut schützen, wenn es keine Zölle mehr gibt. Nicht nur der Produzent im anderen Land kann endlich seine Ware loswerden, auch der Konsument im eigenen Land kann einkaufen ohne den Preisaufschlag bezahlen zu müssen, der durch Zölle entsteht. Gerade für die Menschen aus ärmeren Ländern ist Freihandel (und in der Folge am besten auch freie Migration) eine enorme Chance. Es liegt wesentlich an der mit Handelsliberalisierung verbundenen zunehmenden Globalisierung, dass der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt, von 1990 bis 2010 um die Hälfte zurückgegangen ist.

Freihandel nicht als Nostalgie, sondern als Vision

Viele Gegner des Freihandels sind auch Idealisten. Sie verfolgen hehre Ziele wie zum Beispiel den Schutz der Umwelt, Wohlstand für alle oder weltweiten Frieden. Das ist gut und das ist ehrenwert. Aber auch der Manchesterliberale Richard Cobden hat für solche Ziele gekämpft. Er hat sich für mehr Bildungschancen eingesetzt. Und er war geradezu radikaler Pazifist, was ihm in der Hochzeit der Imperialismus im 19. Jahrhundert auch sehr viele Feinde eingebracht hat. Wäre es nicht wunderbar, wenn die Gegner von Freihandel erkennen könnten, dass sie gegen den falschen Feind anlaufen, wenn sie ihre Ziele erreichen wollen?

Freihandel sollte für uns alle eine Vision sein, auf die wir hinarbeiten. Das heißt nicht, dass wir die Probleme der aktuellen Abkommen kleinreden sollten. Auch dort gibt es sehr viele Entwicklungen, die dem eigentlichen Prinzip des Freihandels widersprechen. Es werden neue Schutzmaßnahmen eingerichtet, Sonderregeln eingeführt und TTIP droht natürlich auch, sich seinerseits gegenüber anderen Märkten abzuschotten. Aber diese Probleme dürfen nicht dazu führen, dass wir verkennen, welch ein Segen Freihandel weltweit schon ist – und ein wieviel größerer Segen er erst sein wird, wenn er sich weiter durchsetzt. Die Geschichte der EU zeigt durchaus eindrücklich, wie ein freier Markt zu Wohlstand und Frieden führt. Dafür lohnt es sich zu kämpfen – weltweit!

Photo: barockschloss from Flickr

Die Geschichte des gesetzlichen Mindestlohns war eigentlich ein großes Ablenkungsmanöver. Nicht so sehr der jetzigen großen Koalition in Berlin, die den Mindestlohn von 8,50 Euro zum 1.1.2015 einführte, sondern von Franz Müntefering bereits im Sommer 2004. Ein dreiviertel Jahr vor der wichtigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wollte „Münte“ in die Offensive gehen, um die SPD aus dem Umfragetief zu holen, in das sie die Agenda 2010 gebracht hatte.

In dieser Schlussphase der rot-grünen Koalition stand die SPD mit dem Rücken zur Wand. Der Widerstand gegen die Kappung des Arbeitslosengeldes auf 12 Monaten und die Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen brachte die Gewerkschaften auf die Barrikaden. Im Sommer kamen bei Demonstrationen unter dem Motto: „Reformen Ja. Sozialabbau nein danke!“ 90.000 Gewerkschafter zusammen. Ver.di-Chef Frank Bsirske sagte damals, was als Reformpolitik verkauft werde, sei blanker Sozialabbau. Er rechnete vor, dass die rot-grünen Arbeitsmarktreformen rund 100.000 Arbeitsplätze kosten würden. Das Gegenteil war die Folge. Heute sind in Deutschland noch nie so viele sozialversicherungspflichtige Beschäftigte in Lohn und Brot.

Doch „Münte“, der mit „Volksschule Sauerland“ seinen eigenen Sozialaufstieg charakterisierte, galt nicht ohne Grund als gewiefter Taktiker. Sein offizielles Argument war, dass der Staat ein Lohnuntergrenze gegen Lohndumping einziehen müsse. Doch die Nachteile eines Mindestlohnes waren ihm dennoch bewusst. Deshalb formulierte er zur Höhe auch: „Ob dieser bei 4 oder bei 7 Euro je Stunde liegt, entscheidet darüber, ob bestimmte Tätigkeiten legal oder in Schwarzarbeit oder überhaupt nicht mehr in Deutschland verrichtet werden“. Seitdem begann der Aufstieg der Mindeslohn-Idee in Deutschland. Von 4 Euro war seitdem nie wieder die Rede. Schon in der letzten Legislaturperiode war der gesellschaftliche Druck so groß, dass selbst die Freien Demokraten – zu meinem Unwillen – ein Mindeslohn-Light-Modell beschlossen. Sie nannten es differenzierte Lohnuntergrenze.

Doch die Zurückhaltung, die Müntefering nunmehr vor über 10 Jahre an den Tag legte, wird heute von der Wissenschaft bestätigt. So hat jetzt die Universität Linz und das Tübinger Institut für angewandte Wirtschaftsforschung festgestellt, dass erstmalig seit vielen Jahren die Schwarzarbeit in Deutschland wieder zunimmt – insgesamt um 1,5 Milliarden Euro. Sie führen dies auf die aktuelle Einführung des Mindestlohnes zurück.

Meine persönlichen Erfahrungen bestätigen die negativen Wirkungen ebenfalls. Anfang des Jahres war ich zu einem Vortrag im mittelsächsischen Döbeln, einer Stadt mit 20.000 Einwohner. Als ich am Bahnhof nach einem Taxi Ausschau hielt, sagte mir der Kioskbetreiber, es gäbe hier keine mehr. Die wenigen würden nur noch zum 80 Kilometer entfernten Flughafen Leipzig fahren. Die Kurzstrecken würden sich nicht mehr lohnen. Den Weg zum Hotel musste ich zu Fuß gehen. Mit ein wenig Schadenfreude kann man vielleicht anmerken, dass dies meiner Fitness und Figur sicherlich gut getan hat. Geschenkt! Doch wenn die Taxiversorgung auf dem Land zusammenbricht, dann betrifft dies auch viele alte und kranke Bürger, die bei Behördengängen oder Arztbesuchen auf das Taxi angewiesen sind.

Und wer heute einen Mitarbeiter einstellt, steht mit dem neuen Mindestlohngesetz mit einem Bein im Gefängnis. Arbeitszeiten müssen wöchentlich – gerade bei geringfügig Beschäftigten – minutiös dokumentiert und zwei Jahre archiviert werden, sonst kommt der gerade um 1600 Stellen aufgestockte Zoll, der eigentlich anderes zu tun hat, und verfolgt die Arbeitgeber, als wären Sie potentielle Verbrecher.

Das ist die Wirklichkeit im Deutschland des Franz Münteferings mehr als 10 Jahre später. Eigentlich ist die Mindestlohnidee nicht falsch. Jeder Beschäftigte sollte einen Lohn erhalten, der ihm ein auskömmliches Leben ermöglicht. Doch was ist auskömmlich? Wo fängt es an und wo hört es auf? Wer in München wohnt, zahlt 15 Euro und mehr pro Quadratmeter Wohnfläche, in Fulda 6 Euro und in Frankfurt/Oder unter 5 Euro. Wer in Bayern beschäftigt ist, hat im Durchschnitt ein Nettoeinkommen von 3.009 Euro, im Saarland von 2.548 Euro und in Mecklenburg-Vorpommern von 2.140 Euro. Selbst innerhalb eines Bundeslandes gibt es extreme Unterschiede. So ist das Lohngefüge in Frankfurt oder Darmstadt höher als in im tiefsten Nordhessen. Und selbst innerhalb einer Stadt gibt es diese Unterschiede. Wer bei einem Automobilhersteller arbeitet, hat eine andere Verdienstmöglichkeit als im Friseurgewerbe.

Doch wieso akzeptiert es der Gesetzgeber eigentlich, dass die Waren und Dienstleistungen die im Ausland hergestellt und nach Deutschland exportiert werden, nicht auch nach deutschem Mindestlohn vergütet werden müssen. Lohndumping findet doch auch aus dem Ausland heraus statt? Keine Angst, ich werde jetzt nicht gleich zum Sozialisten.

Doch so weit ist der Gedanke von der Wirklichkeit nicht weg. Denn die neue Regelung gilt auch für Spediteure im Ausland, die Waren nach Deutschland bringen. Auch Sie müssen Ihren Fahrern künftig den deutschen Mindestlohn zahlen. Für viele ehemalige Ostblockstaaten ein schwieriges Unterfangen, denn der um die Kaufkraft bereinigte Bruttomonatsverdienst beträgt in Bulgarien 644, in Litauen 960 und in Lettland 968 Euro, das entspricht einem Stundenlohn zwischen 4 und 6 Euro.

Münteferings Idee von 2004 ist fatal. Der Mindestlohn fördert die Schwarzarbeit, führt zu noch mehr Bürokratie und macht den Staat noch größer und mächtiger. Und er schadet der europäischen Idee. Die Idee des Binnenmarktes war es nicht, mit einseitigen Handelsbeschränkungen oder Restriktionen eines einzelnen Landes in die Vertragsfreiheit von Individuen einzugreifen. Nein, der gemeinsame Markt fußt auf der Idee der Freiheit, in dem Menschen grenzüberschreitend Waren und Dienstleistungen austauschen können. Und übrigens hat sie selbst Müntefering und seiner SPD nicht geholfen. 2005 war die Koalition trotzdem am Ende.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Fuldaer Zeitung am 7. Februar 2015.

Photo: blu-news.org from Flickr