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David Cameron ist ein wahrer Europäer. Mit seiner Rede beim renommierten Londoner Think Tank „Chatham House“ über seine Vorschläge für eine Reform der Europäischen Union hat er an das appelliert, was Europa stark gemacht hat – seine Vielfalt. „Vor allem muss Europa flexibel wie ein Netzwerk operieren, nicht starr wie ein Block. Vielfalt ist Europas größte Stärke,“ so der britische Premier. So spricht kein Nationalist, der neue Grenzen aufbauen will. So spricht ein europäischer Realist, der eine evolutorische Zusammenarbeit in Europa anstrebt, der aber die demokratische Legitimation nicht permanent durch einen zersetzenden Pragmatismus aushebelt.

Netzwerk der Vielfalt

Er spricht sich für einen intensiveren Binnenmarkt aus, für mehr Wettbewerb, für fiskalische Selbstverantwortung, für Bürokratieabbau, Deregulierung und gegen den wachsenden europäischen Zentralismus. Und er stellt ein Dogma infrage – die immer engere Union, die unumkehrbar sei. Er will sich nicht durch die Eurokrise immer weiter in den Schuldensumpf hineinziehen lassen. Diejenigen im Euroraum, die immer neue Institutionen und Abhängigkeiten schaffen, sollen diese auch verantworten.
Es ist nicht nur eine Abwehrrede, wie ihm leicht unterstellt werden kann. Er will eine intensivere Zusammenarbeit beim freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital. Er reduziert die EU nicht nur auf das Ökonomische. Auch in Sicherheitsfragen will er stärker kooperieren.

Den Verfall Europas stoppen

Seine Rede kommt zum richtigen Zeitpunkt. Denn die EU steckt in einer tiefen Sinnkrise. In der Eurokrise ist der Verfall der Sitten tagtäglich spürbar. Aus bislang guten Nachbarn werden Schuldner und Gläubiger, die sich gegenseitig mißtrauen, hintergehen und erpressen. In der Flüchtlingskrise scheitert gerade die Idee der Personenfreizügigkeit zwischen souveränen Staaten, weil die deutsche Kanzlerin, ihre Vorstellung in der Asylpolitik allen anderen Staaten in Europa oktroyieren will und die Außengrenzen offen sind wie ein Scheunentor.
Großbritannien ist unendlich wichtig für ein Europa der Vielfalt. Seine große Rechtstradition mit der Magna Charta und der Bill of Rights, seine große Tradition an Freiheitsdenkern wie Adam Smith, John Stuart Mill und Edmund Burke und die Weltoffenheit des Vereinigten Königreichs als Wegbereiter des Freihandels und der Marktwirtschaft ist unersetzlich für ein freiheitliches Europa. Das Ausscheiden der Briten aus der EU würde das Koordinatensystem in Richtung noch stärkerer Umverteilung, Rechtsbeugung und Zentralismus verschieben. Das wäre fatal. Es würde den Bürokraten in Brüssel in die Hände spielen. Es ist schon bezeichnend, dass der Frage des Verbleibs von Griechenland und Zypern eine viel größere Aufmerksamkeit in Brüssel zuteil wird, als dem Verbleib Großbritanniens. Wahrscheinlich wären viele in der EU-Kommission froh, wenn die ewigen Querulanten aus London endlich gingen. Doch das sollte uns mißtrauisch machen.

Freizügigkeit: Die Achillesferse der EU

Diese Kreise wollen ein anderes Europa. Sie wollen den europäischen Superstaat durch die kalte Küche erzwingen, ohne dafür demokratisch legitimiert zu sein. Die Eurokrise ist das beste Beispiel. Ein lokales Problem wird zentral gelöst, ohne dafür substanziell die Vertragsgrundlagen zu ändern. Das Recht wird geschoben und gebogen bis es zur Unkenntlichkeit entstellt ist.
Die Personenfreizügigkeit ist die Archillesferse der Cameronschen Rede. Diese will er für neue EU-Mitglieder aussetzen, bis sie ökonomisch aufgeschlossen haben. Hier spricht der Konservative Cameron, der sich vor mehr Wettbewerb im Arbeitsmarkt fürchtet. Doch seine Lösung, EU-Bürger von sozialen Leistungen in Großbritannien für einige Jahre auszuschließen, ist dagegen konsequent und richtig. Europa braucht auch im Blick auf die Sozialsysteme Wettbewerb, bei dem die verschiedenen Systeme mit unterschiedlichen Beitrags- und Leistungsbündeln ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen können und sich langfristig die leistungsstärksten durchsetzen und Vorbildcharakter annehmen.
Der damalige EU-Kommissar Ralf Dahrendorf hat 1971 unter dem Pseudonym Weiland Europa eine scharfe Kritik am damaligen Zustand der Europäischen Gemeinschaft geübt. Im Spiegel schrieb er dazu: „Es ist nicht alles in Europa schon darum gut, weil es europäisch ist. Ein europäisches Europa ist vielmehr auch ein differenziertes, buntes, vielfältiges Europa. Es ist ein Europa, in dem gemeinsam getan und gleichartig geregelt wird, was auf diese Weise besser, ja vielleicht nur auf diese Weise sinnvoll getan und geregelt werden kann.“ So hat es damals der Liberale Dahrendorf und so ähnlich hat es jetzt auch der Konservative Cameron formuliert. Es war und ist der Weg eines freiheitlichen Europas.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Tichys Einblick.

Photo: Michael Panse from Flickr. (CC BY-ND 2.0)

Der 4. September ist ein geschichtsträchtiger Tag. 1989 fand an diesem Tag die erste Montagsdemonstration in Leipzig statt, die entscheidend zum Sturz des DDR-Regimes beigetragen hat. Auch der 4. September 2015 ist ein geschichtsträchtiger Tag. Er könnte das Ende der Amtszeit von Angela Merkel einläuten. Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann und seine deutsche Kollegin Angela Merkel haben an diesem Tag den entscheidenden Schritt getan, den in Ungarn festsitzenden Flüchtlingen die Einreise nach Deutschland und Österreich zu erlauben. Das war eine fatale Entscheidung. Es ist viel spekuliert worden, was die beiden zu diesem Schritt bewogen hat. Bei Angela Merkel war es vielleicht die kleine Palästinenserin Reem, die Anfang Juli im so genannten Bürgerdialog der Kanzlerin in Rostock weinend von der drohenden Abschiebung ihrer Familie berichtete. Merkel konnte nur tröstende Worte finden. Die eigene Hilflosigkeit könnte ihr Schlüsselerlebnis gewesen sein?

Die eigenmächtige Entscheidung der beiden Regierungs-Chefs vom 4. September hebelte jedoch das Dubliner Abkommen, also verbindliches europäisches Recht, endgültig aus. Es war zwar schon vorher löchrig wie ein Schweizer Käse, aber seit diesem Tag schicken nahezu alle Staaten entlang der Balkan-Route die ankommenden Flüchtlinge ohne Registrierung direkt nach Österreich und diese wiederum nach Deutschland (und Schweden) weiter. Innerhalb von nicht einmal zwei Monaten (!) ist damit eine Situation entstanden, die dieses Land und seine staatlichen Ebenen an die Kapazitätsgrenze gebracht hat.

Was hier stattfindet ist keine Zuwanderung, wie sie klassische Einwanderungsländer kennen. Nicht der Arbeitsvertrag zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer ist die Grundlage für die Einwanderung, sondern der Wunsch der Migranten, in das Land einzuwandern, das die langwierigsten Asylverfahren und die höchsten Sozialleistungen hat. Das ist für den Einzelnen verständlich. Dennoch muss ein Gemeinwesen diesen ungebremsten Zuzug stoppen, weil die damit gesetzten Anreize sonst die Gesellschaft aus den Angeln heben.

Es ist auch kein Asylgrund, denn die Einreise erfolgt über sichere Drittstaaten. Und auch die Genfer Flüchtlingskonvention kennt keine unbegrenzte Einwanderung. Diese Einwanderung hat auch nichts mit dem Konzept offener Grenzen zu tun, für die ich sehr bin. Hier findet eine Einwanderung in das Sozialsystem statt, eben nicht in einen Arbeitsmarkt, der die Einwanderer erwartet, weil er sie sofort aufnehmen will und kann.

An Maßnahmen hat die Regierung jetzt ein Paket verabschiedet, das die Anreize des Sozialstaates und die Dauer der Asylverfahren reduziert. Das reicht jedoch nicht aus. Es muss klar sein, dass kein Einwanderer ohne Zustimmung des Gastlandes darauf bauen kann, vom Gastland versorgt zu werden. Denn kein Mensch kann aus seiner Not den Anspruch ableiten, sich das Sozialsystem seiner Wahl aussuchen zu dürfen. Diese Selbstverständlichkeit muss oberste Maxime des Regierungshandelns werden.

Um diese Maxime durchsetzen, muss Schengen wieder gelten. Wenn dies nicht durchgesetzt werden kann, dann sind Grenzkontrollen und die Zurückweisung von Einwanderern in die sicheren Drittstaaten, aus denen sie ausreisen wollen, die zwingende Folge. Auf Sicht kann die große Idee der Personenfreizügigkeit in Europa nur dann überleben, wenn die Teilnehmerstaaten die Außengrenzen kontrollieren und die finanziellen Lasten gerecht verteilt werden. Wer sich von den Teilnehmerstaaten daran nicht hält, der kann auch nicht die Vorteile der Personenfreizügigkeit in Anspruch nehmen. Er muss also in letzter Konsequenzen den Schengenraum verlassen.

Doch Angela Merkel wird diese Entwicklung nicht zurückdrehen können. Dafür war ihre Entscheidung zu weitreichend. Sie hat die Europäische Union erneut als Rechtsgemeinschaft ad absurdum geführt. Doch wenn die EU keine Rechtsgemeinschaft ist, dann ist sie der Mühe nicht wert. Dann hat sie keine Zukunft.

Deshalb wird Merkel dieses Ereignis nicht von ihrer politischen Zukunft trennen können. Das weiß sie. Daher macht sie erst gar keine Anstalten, auf die Kritik der bayrischen Schwesterpartei einzugehen. Spätestens bei den kommenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz am 13. März 2016 läuft die CDU jedoch Gefahr, von dieser Entwicklung eingeholt zu werden. Dann nimmt der Druck auf sie aus den eigenen Reihen noch mehr zu. Nicht ohne Grund kritisiert Schäuble sie bereits zwischen den Zeilen öffentlich. Er weiß, dass die Koalition in Gefahr ist, wenn die Kanzlerin nach den Landtagswahlen stürzt oder gestürzt wird. Und er weiß, dass Sigmar Gabriel dann sehr schnell auf dem Sprung zum Koalitionswechsel ist und eine linke Mehrheit, vielleicht auch nur mit Tolerierung der Linken, anstrebt. Es wäre aus Sicht Gabriels sicherlich attraktiver, als Kanzler in die Bundestagswahl 2017 zu gehen anstatt nur als Juniorpartner. Wahrscheinlich ist Schäuble in der Union der Einzige der dieses Szenario dann aufhalten kann. Dafür positioniert er sich gerade. Er ist ja ein alter Fuchs.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Tichys Einblick.

Photo: blu-news.org from Flick (CC BY-SA 2.0)

Mindestlohn, Mietpreisbremse, Mütterrente, Tarifeinheitsgesetz: All diese Maßnahmen werden verkauft als Teil eines Kreuzzugs gegen die wachsende Ungleichheit. Tatsächlich sind sie reine Klientelpolitik und sichern nur Besitzstände.

Lobbyismus im sozialen Schafspelz

Lobbyismus hat zu Recht nicht den allerbesten Ruf, geht es doch darum, unter Umgehung des Wettbewerbs und zu Lasten der Allgemeinheit die eigenen Gewinne zu maximieren. Bei Lobbyismus denken die meisten an Banken und Pharmakonzerne, an die Hotelsteuer und die Glühbirne. Dabei finden wir das Phänomen etwa auch bei der Mietpreisbremse. Die schützt nämlich vor allem gut verdienende Bewohner schöner Altbauwohnungen in größeren Städten. Die junge Familie, die in ein neu gebautes Häuschen im Grünen ziehen möchte, muss hingegen gerade wegen der Mietpreisbremse mit noch höheren Kosten rechnen. Angepriesen wird das unter „bezahlbare Mieten“. Tatsächlich ist dieses Produkt aber nur für eine ausgewählte Gruppe zu haben, die ohnehin oft schon privilegiert ist.

Ein fast noch krasseres Beispiel für erfolgreichen Lobbyismus zu Lasten des Wettbewerbs ist das kürzlich vom Bundestag beschlossene Tarifeinheitsgesetz. Andrea Nahles beschwor die Gefahr, die bestehende Koalitionsfreiheit würde „die Arbeitnehmerseite entsolidarisieren und damit die Sozialpartnerschaft insgesamt schwächen. Deshalb stärken wir das Mehrheitsprinzip.“ Dass Arbeitnehmer frei ihre Interessenvertretung wählen, wird als ein Akt wider die Solidarität uminterpretiert. Dabei werden durch das Gesetz mitnichten Individuen gestärkt, sondern vielmehr nur die Besitzstände der großen Gewerkschaften gesichert. Diese Gewerkschaften benehmen sich nicht anders als die großen Konzerne, deren Lobbyisten in Behörden, Ministerien und Parlamenten in Berlin und Brüssel ein und aus gehen. Auch wenn sie gerne so tun, als seien sie der Gegenentwurf zu diesen bösen Konzernen.

Die Sache mit dem Kuchen

Diese Inkonsistenzen wiederholen sich dann auf einer noch viel größeren Ebene. Die Rachegötter der Ungleichheit sind nicht selten auch diejenigen, die vor den Gefahren der Globalisierung warnen, Freihandel pauschal als brandgefährlich einstufen und erbitterte Kritik an der „Wachstumsbesessenheit“ des Kapitalismus üben. Mit anderen Worten: diejenigen, die finden, dass ein Teil der Bevölkerung mehr vom Kuchen abbekommen sollte, sind zugleich auch diejenigen, die verhindern wollen, dass günstigere Kuchen ins Land kommen und dass mehr Kuchen gebacken werden. Sie wollen Armut beseitigen und schließen zugleich all jene Mittel aus, die das besonders effektiv tun. Wenn man Armen die Möglichkeiten nimmt, ihr Leben zu verbessern, bleibt eben nur noch die Möglichkeit, Reichen etwas wegzunehmen.

Die Globalisierung und der Rückzug sozialistischer Wirtschaftssysteme haben weltweit zu einem absolut atemberaubenden Anstieg des Lebensstandards geführt. Der Anteil der Menschen, die in absoluter Armut leben, also 1,25 Dollar oder weniger pro Tag zur Verfügung haben, ist in den Jahren 1990 bis 2010 von 36 auf 18 Prozent der Weltbevölkerung zurückgegangen. Gleichzeitig haben technische Neuerungen von Mobiltelefonen bis zu genetisch verbesserten Nahrungsmitteln das Leben von hunderten von Million Menschen in Entwicklungsländern substantiell verbessert. Einen Großteil dieser Entwicklung verdanken wir dem beständigen Wirtschaftswachstum und dem Abbau von Handelsschranken.

Globale Ungleichheit durch Abschottung

Dieser globale Blick lässt uns auch viel deutlicher die Absurdität der Ungleichheitsdebatte erkennen. Klar, es geht auch in unserem Land vielen Menschen substantiell schlechter als anderen. Aber diese Menschen haben eben sauberes Wasser, Zugang zu Bildung und können auf ein sehr fortschrittliches Gesundheitssystem zugreifen. Zudem genießen sie den Schutz des Rechtsstaats, haben die Möglichkeit zu wählen und sich frei zu äußern und haben prinzipiell Zugang zu einem gigantischen, die gesamte EU umfassenden Arbeitsmarkt. All das haben die Menschen in Burma, Venezuela und Sudan nicht.

Die tatsächliche Ungleichheit finden wir eben nicht innerhalb der hochindustrialisierten Länder, sondern weltweit. Quelle dieser Ungleichheit ist aber nicht etwa das Fehlen eines globalen Umverteilungsapparates. Das Ausmaß dieser Ungleichheit rührt vor allem daher, dass sich die Länder des Nordens und des Westens abschotten. Die Agrarpolitik, die Handelsbeschränkungen, die ausufernden Verbraucherschutznormen und die teilweise Abschottung der Arbeitsmärkte sind Schutzmaßnahmen der Besitzstandwahrenden. Sie zementieren weltweite Ungleichheit.

„Auf den Kapitalismus zu vertrauen bedeutet vor allem, an die Menschheit zu glauben.“

Das Ziel der Rachegötter der Ungleichheit ist nicht die Beseitigung von Armut, sondern die Beseitigung von Unterschieden. Die Globalisierung, der weltweite Anstieg des Wirtschaftswachstums und der technische Fortschritt haben hingegen in den letzten Jahrzehnten einen großen Teil der Weltbevölkerung aus der bittersten Armut geholt. Wenn wir sie nicht hemmen, ist da noch sehr viel Raum nach oben. Wenn es den Rittern wider die Ungleichheit nicht um die Beseitigung von Unterschieden ginge, sondern um die Beseitigung von Not und Armut, dann sollten sie sich dem Kapitalismus zuwenden …

Der schwedische Journalist Johan Norberg schrieb in seinem Buch „Verteidigung des Globalen Kapitalismus“:

„Genau genommen glaube ich weder an Kapitalismus noch an Globalisierung. Ich glaube eher an die Fähigkeit des Menschen, Großes zu erreichen, und an die Dynamik, die aus Begegnung und Austausch entsteht. Ich plädiere für mehr Freiheit und eine offenere Welt, weil so das Individuum und dessen Kreativität frei gesetzt werden. So wird die Dynamik in Gang gesetzt, die den menschlichen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und technischen Fortschritt hervorgebracht hat und auch weiter hervorbringen wird. Auf Kapitalismus zu vertrauen, bedeutet nicht, an Wachstum, Wirtschaft oder Effizienz zu glauben. So erstrebenswert sie sind – sie sind nur das Ergebnis des Kapitalismus. Auf den Kapitalismus zu vertrauen bedeutet vor allem, an die Menschheit zu glauben.“

Hunderte von jungen Menschen aus ganz Europa kamen am vergangenen Wochenende in Berlin zusammen, um über die Freiheit in all ihren vielen Facetten zu diskutieren und neue Freunde zu gewinnen, die ihre Ideale teilen. Zum vierten Mal fand die „European Students for Liberty Conference“ statt und die Zahl der Teilnehmer wächst und wächst. 2008 in den USA ins Leben gerufen und seit 2011 in Europa aktiv hat dieses Netzwerk inzwischen weltweit hunderte von Mitgliedsgruppen und ist zu einem der großen globalen Verbreiter der freiheitlichen Idee geworden. Es war uns eine Ehre, dass wir auch die Gelegenheit hatten, Prometheus in diesem Rahmen vorzustellen.

Die Jugend: ein entscheidendes Ass im Ärmel der Freiheit

Nachhaltige Veränderungen brauchen Zeit. Darum ist es in der Regel sehr hilfreich, wenn sich insbesondere junge Menschen für solche Veränderungen engagieren. Denn sie haben Zeit. Und sie wollen und werden von den Veränderungen auch dann profitieren, wenn diese erst in ein, zwei Jahrzehnten durchschlagenden Erfolg haben. Und sie haben natürlich auch oft den Idealismus, den man aufbringen muss, um Ziele zu verfolgen, die noch nicht in unmittelbarer Reichweite liegen. Deshalb sind die Students for Liberty als Organisation, wo sich diese Menschen sammeln können, ein entscheidendes Ass im Ärmel der Freiheit. Weltweit.

Wie üblich bei den Students for Liberty war die Themenbandbreite bemerkenswert. Mit Themen wie Bitcoin, Euro-Krise oder Globalisierung hätten Außenstehende wohl gerechnet. Auf den ersten Blick ungewöhnlicher sind da schon die Frage nach der Beseitigung von Armut, ein Plädoyer für Multikulturalismus und auch das Hauptthema der Konferenz: Offene Grenzen. Auch handelte es sich bei der Konferenz mitnichten um ein Treffen von lauter Elfenbeintürmern. Eine große Rolle spielt die Förderung unternehmerischen Bewusstseins.

Freiheit braucht Menschen, die anpacken

Zwei außerordentlich eindrucksvolle Beispiele für Unternehmertum wurden im Rahmen der Konferenz vorgestellt: Am Freitagabend berichtete der Malteser Martin Xuereb über die privat finanzierte und organisierte Flüchtlings-Rettungsaktion MOAS, die seit einigen Monaten im Mittelmeer unterwegs ist, um Flüchtlinge vor dem sicheren Tod zu retten. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Freiheitsinsel! Am Sonntagmorgen sprach Flemming Rose, der dänische Publizist, der für die Veröffentlichung der Mohamed-Karikaturen im Jahr 2005 verantwortlich zeichnete. Die strengen Sicherheitsvorkehrungen haben allen Teilnehmern sehr anschaulich vor Augen geführt, in welchem Maße auch heute in unserem Land die Freiheit immer wieder Bedrohungen ausgesetzt ist – und dass es sich doch dafür zu kämpfen lohnt!

Diese Initiativen spiegeln den Geist wieder, der unter den jungen Menschen herrscht, die aus Athen und Reykjavik, aus Kiew und Lissabon zu der Konferenz gekommen waren. Es sind eben nicht die üblichen „Besserverdiener“, mit denen viele (leider noch zurecht) rechnen würden, wenn sie von einer „Liberty Conference“ hören würden. Es sind junge Menschen, die selber anpacken wollen, um etwas zu verändern. Deren Blick zum Teil weit hinausgeht über den Rand des eigenen Portemonnaies. Tom G. Palmer, einer der Vordenker der Students for Liberty, zitierte in seinem Vortrag Joaquim Nabuco, der sich im 19. Jahrhundert in Brasilien für die Abschaffung der Sklaverei einsetzte:

„Erzieht eure Kinder, erzieht euch selbst, die Freiheit der anderen zu lieben. Denn nur so ist sichergestellt, dass eure eigene Freiheit nicht nur ein Zufallsgeschenk des Schicksals ist. Dann werdet ihr ihren Wert erkennen und den Mut finden, sie zu verteidigen.“

Außerhalb des Rechts-Links-Schemas

Die Sache der Freiheit ist nicht selten in einer etwas unbequemen Minderheitenposition. In dieser Lage gehen ihre Streiter immer mal wieder Koalitionen ein mit den anderen beiden großen politischen Strömungen: dem Konservatismus und dem Sozialismus. In einzelnen Fällen mag es klug und richtig sein, sich gemeinsam für ein Anliegen einzusetzen. Gefährdet ist die Freiheit freilich, wenn aus diesen kurzfristigen gemeinsamen Projekten eine dauerhafte Bindung wird. Dann finden sich manche Liberalen plötzlich mitten in der Sozialdemokratie wieder und andere haben unversehens den Habitus der Konservativen übernommen. Beides ist der Freiheit alles andere als dienlich.

Den Students for Liberty gelingt es erfreulicherweise sehr gut, die grundsätzliche Distanz zu beiden politischen Strömungen zu wahren, auch wenn man bisweilen Bündnisse schmiedet, bei denen gemeinsame Anliegen auf der Agenda stehen. Wenn es um die Freiheit der Marktakteure geht, können die Konservativen durchaus einmal hilfreiche Partner sein. Und wenn die Rechte von Frauen oder Ausländern verteidigt werden müssen, steht einer Kooperation mit Sozialisten nichts entgegen. Immer aber wird klar kommuniziert, dass die freiheitliche Idee eine eigenständige Strömung ist. Dass es zwar gemeinsame Anliegen geben kann – allerdings nur obwohl man ganz andere Gründe dafür hat, dieses Anliegen zu verfolgen.

Neue Ideen lassen sich nicht unterdrücken

Es besteht sehr viel Anlass zur Hoffnung für die Sache der Freiheit, wenn man Veranstaltungen wie die Students for Liberty Conference besucht. Noch mag die Bewegung verhältnismäßig klein erscheinen. Sie hat noch nicht die Größe von Woodstock oder der Castor-Proteste. Aber neue Ideen lassen sich – wenn sie einmal in der Welt sind – nicht mehr wirklich unterdrücken. Und Ideen sind der Wesenskern dieser Bewegung. Überzeugende allemal. Ludwig von Mises hatte wohl Recht in dem, was er 1927 in seinem Buch „Liberalismus“ schrieb. Es sei den Students for Liberty ins Stammbuch geschrieben:

„Aller Fortschritt der Menschheit vollzog sich stets in der Weise, dass eine kleine Minderheit von den Ideen und Gebräuchen der Mehrheit abzuweichen begann, bis schließlich ihr Beispiel die anderen zur Übernahme der Neuerung bewog.“

Angela Merkel hat sie nicht, Francois Hollande wohl auch nicht und Jean-Claude Juncker erst recht nicht: Eine Vision für Europa. Alle reagieren mit den alten Rezepten auf neue Herausforderungen. Junckers Investitionsprogramm ist so ein alter Hut, dass es schon gedanklich Schmerzen bereitet. Draghis Schuldenankaufprogramm ist wie eine Schrotflinte. Ihr wird die Treffsicherheit schon vor dem Abschuss abgesprochen. Und die Eurorettung in Griechenland per Befehl aus Brüssel und Europas Hauptstädten hinterlässt auch kein heimeliges Gefühl in den Köpfen der Menschen. Um es mit Shakespeare zu sagen: „Etwas ist faul im Staate Dänemark.“ Die Europäische Union, ihre Institutionen und ihre Regierungen scheitern an ihrer Größe, am Zentralismus und ihrer Komplexität. Es ist jedoch noch nicht zu spät, um aus den Fehlern der Vergangenheit die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Denn es ist unbestritten, dass das vereinte Europa von seinen Gründungsvätern Konrad Adenauer, Robert Schuman, Jean Monnet, Alcide De Gasperi und anderen als ein Hort der Freiheit gegen alle Formen von Diktatur, Unfreiheit und Planwirtschaft erträumt wurde. Das heutige Europa ist jedoch auf dem Weg in die monetäre Planwirtschaft und den politischen Zentralismus. Deshalb ist es notwendig, wieder den Blick auf die Gründerväter zu richten. Sie wollten ein Europa des Rechts und der Rechtsstaatlichkeit. Die heutigen Regierungen des Euroraums, die EU-Kommission und die EZB verabreden sich hingegen zu einem fortgesetzten kollektiven Rechtsbruch, obwohl die EU-Kommission als Hüterin der Verträge und die nationalen Regierungen zum Schutz des Rechts verpflichtet sind.

Neben den ökonomischen Aspekten kommen zunehmen außen- und sicherheitspolitische Interessen mit ins Spiel. So liest man allenthalben, Griechenland dürfe auch deshalb nicht aus dem Euro ausscheiden, weil damit die „Südostflanke“ der NATO gefährdet sei. Und Lettland wurde sicherlich nicht Anfang 2014 das 18. Euro-Mitglied, weil die Gemeinschaftswährung so wenig krisenanfällig ist, sondern weil es die Balten aus sicherheitspolitischen Überlegungen noch stärker gen Westen drängte.

Die Europäische Union braucht eine neue Vision, die eine Machtbeschränkung der Politik durch Verfahrensregeln und eine institutionellen Ordnungsrahmen in einem non-zentralen Raum sichert. Diese Union darf nicht als Bedrohung in den Ländern empfunden werden, die sich nicht anschließen können oder wollen. In ihr darf nicht das Primat der Politik vorherrschen, sondern ein Primat von Recht und Freiheit. Es geht um die Begrenzung der Macht durch das Zurückdrängen der Politik und ihres Einflusses.

Gerade dies ist heute nicht gewährleistet. Die Kommission und das Parlament der Europäischen Union mischen sich in alle Einzelfragen ein und fühlen sich dafür zuständig. Unveräußerliche Bürgerrechte werden bei der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung beschränkt, die Dezentralität der Marktwirtschaft wird durch eine zentrale Investitionslenkung ersetzt und die Altersvorsorge der Bürger wird durch den Geldsozialismus der EZB vernichtet. Selbst die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union dienen im Zweifel immer dem Machtzuwachs der Institutionen der Europäischen Union gegenüber den Mitgliedsstaaten. Diese Entwicklung in die Unfreiheit und Knechtschaft dient einem höheren Ziel: der Vollendung des europäischen Superstaates. Es sind diese kollektivistischen Ideen, die den Gründungsmythos der europäischen Einigung gefährden und letztlich zerstören.

Deshalb ist eine Diskussion über „Welches Europa wollen wir?“ dringender denn je. Wollen wir ein Europa des Zentralismus und der Unfreiheit oder ein Europa der Vielfalt und der Freiheit. Um diese grundsätzliche Weichenstellung geht es – um nicht mehr und nicht weniger.

Will man das Europa der Vielfalt und der Freiheit, dann braucht es einen institutionellen Ordnungsrahmen, der Recht und Freiheit gegenüber politischer Willkür schützt und sichert. Und es braucht Regeln, die allgemein, abstrakt und für alle gleich sind, damit sie nicht umgangen oder interpretiert werden können. Bereits 1993 hat die „European Institutional Group“, ein Zusammenschluss liberaler Wissenschaftler in Europa, Vorschläge dazu gemacht. Angepasst auf die heutige Zeit könnte eine neue Agenda folgende Punkte umfassen:

  1. Ein Sezessionsrecht für Mitglieder der Währungsgemeinschaft und der Europäischen Union (letzteres existiert bereits).
  2. Eine Ausschlussmöglichkeit aus EU und Euro-Raum gegenüber Mitgliedern, die sich dauerhaft nicht an die gemeinsam geschaffenen Regeln halten.
  3. Der Einrichtung einer zweiten Kammer, die von den nationalen Parlamenten entsandt wird. und die die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips überwacht. Dies ist zu verbinden mit einer Reduzierung des Parlaments der Europäischen Union auf 500 Mitglieder, die in allgemeinen, gleichen und unmittelbaren Wahl gewählt werden.
  4. Eine klare Aufgabentrennung zwischen EU und Nationalstaaten.
  5. Keine Steuerhoheit und keine eigene Verschuldungsmöglichkeit der EU.
  6. Ein klares Bekenntnis zur Kapitalverkehrs-, Niederlassungs-, Waren- und Dienstleistungs- und Reisefreiheit in der Europäischen Union
  7. Eine Reduktion der Kommission der EU auf 12 Kommissare.
  8. Die Schaffung eines Überprüfungsgerichts, dessen Richter von den höchsten nationalen Gerichtshöfen entsandt werden, und die über alle Fälle verhandeln, die die Zuständigkeiten zwischen Union und Mitgliedsstaaten betreffen können.
  9. Eine Verlagerung des Initiativrechts für die EU-Gesetzgebung von der Kommission auf den Europäischen Rat. Eine Kammer des Parlaments kann den Rat auffordern, in einem bestimmten Punkt gesetzgeberisch aktiv zu werden. Der Rat hat ein Vetorecht gegen Gesetzgebungsvorhaben.
  10. Ein Konvent mit einer anschließenden Volksabstimmung in allen Mitgliedsstaaten soll die notwendige Legitimation bei den Bürgern einholen.

Die Europäische Union ist am Scheideweg. Deshalb muss die öffentliche Debatte um „Welches Europa wollen wir?“ die verkürzte Diskussion um Ölkännchen, Glühbirnen und Chlorhühner verlassen. Das sind lediglich Ergebnisse des institutionellen Versagens der Union. Eine Diskussion wird nur dann Erfolg haben, wenn sie sich nicht nur auf das beschränkt, was jetzt politisch möglich ist, sondern konsequent die Idee der Gründerväter im Blick hat – eine Vision Europas, die Recht und Freiheit durch Non-Zentralismus schützt.

Photo: Nico Kaiser from Flickr