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Photo: Donald Lee Pardue from Flickr (CC BY 2.0)

In der eigenen Partei regt sich kaum Widerstand, die Demokraten antworten auf den neuen Präsidenten mit einem Linksschwenk. Man könnte meinen, die USA wären auf dem Weg in die komplette Irrationalität. Doch wie repräsentativ sind diese Extrem-Entwicklungen wirklich?

Zu erwarten: Unversöhnlichkeit und Angst

Beginnen wir mit einigen weniger überraschenden Erkenntnissen der Demoskopen. Seitdem die Frage nach der Zufriedenheit mit dem neuen Amtsinhaber gestellt wurde, hatte niemals ein Präsident in den ersten Amtswochen eine so niedrige Zustimmungsrate wie Trump (Gallup: 42 %, Pew: 39 %). Wenig überraschend ist die deutliche Polarisierung – auch dies ein historisches Novum: Von den Unzufriedenen sind 77 % äußerst unzufrieden und von den Zufriedenen sind 64 % äußerst zufrieden. Noch nie hatte ein Präsident zu Beginn seiner Amtszeit einen so geringen Anfangsbonus von Anhängern der anderen Partei bekommen wie der neue Amtsinhaber: nur 8 % der Demokraten-Wähler sind der Ansicht, dass er seine Aufgabe ordentlich erfüllt.

Die Zahlen belegen eindeutig, was nun schon seit etwa anderthalb Jahrzehnten deutlich wird: das Land ist zutiefst gespalten. Mit Trump an der Spitze freilich mehr denn je. Eine Untersuchung von Pew Research zeigt, dass die Anhänger der Demokraten prinzipiell die Bedeutung der Gesellschaft und nichtstaatlicher Spieler für erheblich wichtiger für den Erhalt der Demokratie halten als die der Republikaner. Dass zum Erhalt der Demokratie das Recht auf gewaltfreien Protest unverzichtbar ist, glauben 88 % der Demokraten und nur 68 % der Republikaner. Den Schutz, den Menschen mit abweichenden Meinungen genießen sollen, halten 80 % der Demokraten und 66 % der Republikaner für ein Kernelement einer funktionierenden Demokratie. Am eklatantesten ist allerdings der Unterschied, wenn es um die Freiheit der Presse geht, Politiker zu kritisieren: Halten das erschreckenderweise schon nur noch 76 % der Demokraten für ein wesentliches Element für die Stärke der Demokratie, so sind unter den Republikanern lediglich 49 % dieser Ansicht.

In einer sehr breit angelegten Untersuchung über das Wohlbefinden der US-Bürger hat Gallup einen Anstieg an „täglicher Sorge“ um 4,1 % seit letztem Oktober gemessen. Einen solchen Anstieg gab es zuletzt im Jahr 2008, als die Bankenkrise auf die Realwirtschaft durchschlug. Mit Sorge verfolgen viele nicht nur die Situation im eigenen Land, sondern auch das Image der USA im Ausland. Seit der Spätzeit der Bush-Regierung und deren fatalem außenpolitischen Handeln haben nie so viele Amerikaner angenommen, dass ihr Land einen schlechten Ruf hat (derzeit 57 %). Noch krasser sind die Zahlen, wenn es um die Frage geht, ob die Staats- und Regierungschefs anderer Staaten den US-Präsidenten respektieren: nur 29 % glauben, dass Jinping oder Merkel, Trudeau oder Modi dem „mächtigsten Mann der Welt“ gegenüber Respekt empfinden.

Überraschungen: Mexiko, China und – Russland

Mexiko – man müsste meinen, dass die andauernde Krise beim südlichen Nachbarn in Verbindung mit der lautstarken und massiven Kritik des Präsidenten an dem Land sich auch in der generellen Haltung der US-Bevölkerung widerspiegelt. Das Gegenteil ist der Fall: Seit 2006 haben nie so viele Amerikaner geäußert, dass sie Mexiko gegenüber wohlwollende Gefühle empfinden. 64 % empfinden so, 5 % mehr als im letzten Jahr. Und obwohl das Land wohl aus naheliegenden Gründen vor allem unter Demokraten immer mehr Sympathiepunkte sammelt, steigt dessen Ansehen auch bei Republikanern seit ein paar Jahren in ein- bis zwei-Prozent-Schritten.

China steht schon lange weit oben auf der Liste der Länder, die Trump regelmäßig mit Vorwürfen bombardiert. Doch auch Obama hatte bereits sehr aktiv versucht, den Giganten auf der anderen Seite des Pazifik ökonomisch und militärisch einzuhegen. Das Billiglohnland, die Kommunisten und dann auch noch die im Schnitt äußerst erfolgreichen jungen Zuwanderer aus dem Reich der Mitte – es gibt viele Gründe für US-Amerikaner aus allen Lagern, dem Land skeptisch bis feindselig zu begegnen. Weit gefehlt: Seit dem Tian’anmen-Massaker von 1989 haben niemals so viele US-Bürger China gegenüber Wohlwollen empfunden – allein im letzten Jahr ist deren Anteil von 44 auf 50 % der Bevölkerung gestiegen. Und das nicht zuletzt, weil Chinas Beliebtheit unter Republikanern im letzten Jahr um satte 10 % auf 38 % angewachsen ist.

Ein großes Thema rund um die Wahl herum war die Frage, wie die USA mit der russischen Regierung umgehen sollte – und wie die russische Regierung mit den USA umgeht. Unter den Demokraten ist der Anteil derer, die Putin in einem freundlichen Licht sehen, in den letzten zwei Jahren um 5 % auf nur noch 10 % gefallen, während er unter den Unabhängigen um 11 % gestiegen ist auf nunmehr 23 % und unter den Republikanern sogar von 12 % auf 32 % hochgeschnellt ist.

Die wirklichen Überraschungen: Internationale Kooperation und Freihandel

Dass Donald Trump nicht viel von der NATO hält und insgesamt eine eher abschätzige Haltung gegenüber den traditionellen Verbündeten der USA pflegt, hat offenbar bisher wenig Einfluss auf die öffentliche Meinung gehabt. In den letzten drei Jahren ist der Anteil derer, die glauben, dass es zu den wichtigsten außenpolitischen Zielen der USA gehöre, ihre Verbündeten zu verteidigen, von 60 auf 66 % gestiegen – das ist der höchste Wert seitdem diese Frage gestellt wurde. Und selbst die in den Staaten chronisch schlecht beleumundete Kooperation innerhalb der UNO ist von 58 auf 63 % hochgerückt. Es passt, dass Außenpolitik das Feld ist, auf dem Trump mit 38 % am wenigsten Zustimmung zu seiner bisherigen Arbeit bekommt, obwohl unter den Republikanern die Zustimmung mit 82 % noch sehr hoch ist.

Ein weiterer Lieblingsgegner des Dauer-Wahlkämpfers im Weißen Haus ist das NAFTA-Abkommen, das die nordamerikanische Freihandelszone konstituiert. Dabei steigt die Unterstützung der Bevölkerung für das Abkommen seit 13 Jahren kontinuierlich an und liegt mit 48 gegenüber 46 % seit kurzem über der Ablehnung. Besonders interessant ist zu sehen, wie sich seit 2004 – also lange vor Trump – die Haltungen dazu bei Anhängern der beiden Parteien immer stärker auseinander entwickeln: Während im Jahr 2004 40 % der Republikaner und 39 % der Demokraten das Abkommen positiv bewerteten, sind heute nur noch 22 % der Republikaner dafür, aber 67 % der Demokraten wie auch die Mehrheit der Unabhängigen. Besonders bemerkenswert (und ermutigend) ist die enorme Unterstützung, die das NAFTA unter jungen US-Amerikanern genießt: 73 % der 18- bis 29jährigen halten es für einen Gewinn für ihr Land.

Geradezu sensationell ist angesichts von Trumps Rhetorik das Ergebnis einer Umfrage zur Beurteilung von Außenhandel. Seitdem Gallup danach fragt, haben nie so viele Menschen geäußert, dass sie Handel für eine Wachstumschance halten. Während sich in den letzten beiden Jahrzehnten diejenigen, die Handel für eine Gefahr halten und diejenigen, die darin eine Chance sehen, immer irgendwo im Bereich zwischen 36 und 58 % aufgehalten und bei der Führung abgewechselt haben, ist der Anteil der Handels-Optimisten innerhalb des vergangenen Jahres von 58 auf 72 % hinauf geprescht. Und das trotz der handelspessimistischen Äußerungen von Trump und Bernie Sanders. Interessant ist, dass die Republikaner bis zum Jahr 2011 beständig mit einem moderaten Abstand gegenüber den Demokraten optimistischer waren, seitdem aber stets mehr Skepsis geäußert haben. Derzeit halten 80 % der Demokraten Außenhandel für eine ökonomische Chance (17 % mehr als im Vorjahr), 71 % der Unabhängigen (6 % mehr als im Vorjahr) und 66 % der Republikaner (16 % mehr als im Vorjahr).

Der letzte Paukenschlag: Diversität und Flüchtlinge

Eine der häufigsten Theorien zur Erklärung von Trumps Wahlsieg lautete, dies sei auf eine Übertreibung der Political Correctness, der Multikulturalität und der progressiven Hegemonie zurückzuführen. Die Zahlen, die Pew Research in einer seiner jüngsten Umfragen liefert, sprechen relativ deutlich dagegen: Auf die Frage, welche Auswirkungen eine größere Zahl an Menschen aus unterschiedlichen Rassen und Ethnien auf die USA hätten, antworteten 64 %, dass die USA zu einem besseren Land würden (8 % mehr als vor einem halben Jahr); 29 %, dass sich nichts ändern würde; und nur 5 % glauben, dass es schlimmer würde. Auch in der Gruppe der Menschen mit der geringsten Bildung glauben nur 8 %, dass mehr Diversität dem Land schaden würde. Selbst unter den Republikanern, die sich selbst als konservativ bezeichnen, ist der Anteil der Pessimisten bei dieser Frage im letzten halben Jahr von 15 auf 10 % gesunken.

Dem entspricht auch die Einschätzung verschiedener Religionsgruppen. In den vergangenen zweieinhalb Jahren haben bei der Frage, ob man einer bestimmten Religionsgruppe gegenüber „warme Gefühle“ empfindet, alle Gruppen außer evangelikalen Christen substantiell zugelegt. Und obwohl die Muslime immer noch – knapp hinter den Atheisten – den letzten Platz einnehmen, ist der Anteil der Menschen, der ihnen mit Sympathie begegnet von 40 auf 48 % angestiegen, was wohl unter anderem auch auf die positive Haltung der 18- bis 29-jährigen zurückzuführen ist.

Die Executive Order, mit der Präsident Trump Staatsangehörige etlicher Staaten aus dem arabisch-nordafrikanischen Raum sowie Kriegsflüchtlinge an der Einreise hindern wollte, hat medial hohe Wellen geschlagen. Dabei ist nicht nur die Stimmung gegenüber Muslimen besser geworden, sondern auch die Haltung gegenüber Flüchtlingen hat sich zu einer höheren Aufnahmebereitschaft hin entwickelt: 59 % der Befragten lehnen Trumps Anordnung ab, nur 38 % unterstützen sie. In fast allen demographischen Gruppen war eine Mehrheit gegen die Maßnahme – nur unter den über 65jährigen gab es eine geringe Mehrheit dafür. Auch quer durch die Bildungsschichten hindurch stößt sie auf Ablehnung. Ähnlich verhält es sich bei der Flüchtlingsfrage: 56 % sind der Ansicht, dass die USA in der Pflicht sei, Flüchtlinge aufzunehmen. Die Zahl derer, die eine Verpflichtung insbesondere gegenüber syrischen Flüchtlingen sehen, ist seit Oktober von 40 auf 47 % gestiegen.

Zusammenfassung

Es ist noch viel zu früh, um eine umfassende Einschätzung abgeben zu können, welchen Einfluss die außergewöhnliche Präsidentschaft Donald Trumps auf die USA haben wird. Dennoch liefern die hier vorgestellten Zahlen mancherlei interessante Einsicht. (Auch wenn die Demoskopie insgesamt nach dem Brexit-Votum und der Wahl Trumps etwas in Misskredit geraten ist.) Besonders bemerkenswert ist die ideologische Verschiebung, die sich zwischen den Wählern der beiden großen Parteien andeuten – und die nicht untypisch wäre für die USA, wo sich eine solche Neujustierung immer wieder einmal ereignet hat. Waren die Republikaner über lange Zeit die Partei der Globalisierung, so besteht die Möglichkeit, dass diese Rolle jetzt den Demokraten zufällt. Bedeutsam ist wohl auch die Beobachtung, dass die vielbeschworene ideologische Dimension der Wahl unter Umständen doch weniger Einfluss hatte als das oft angenommen wurde: Während Konservative das Ende der progressiven Hegemonie bejubelten, starrten Linke wie versteinert auf den Sieg der Rassisten. Doch auch wenn Stephen Bannon und seine Mitstreiter durchaus das Zeug haben, das Land auf ein anderes Gleis zu setzen, und mithin eine sehr ernstzunehmende Gefahr für die Werte der offenen Gesellschaft darstellen, war die Wahl selber noch nicht unbedingt ein Zeichen von tiefgreifendem Wandel. Nicht jeder Trump-Wähler ist ein radikaler Rechter – das legen die Umfragen deutlich nahe. Die Ideologie der Breitbart-Front hinter Trump ist noch lange nicht mehrheitstauglich.

Trumps Präsidentschaft könnte den Beginn einer neuen Epoche markieren – oder eine (für die meisten unangenehme) vorübergehende Erscheinung sein. In welche Richtung es sich entwickeln wird, hängt vor allem von drei Faktoren ab: Wie tief verwurzelt ist in der US-Bevölkerung die Wertschätzung von Rechtsstaat, Marktwirtschaft und freiheitlicher Demokratie? Erliegen die Demokraten derselben Versuchung wie die Labour Party in Großbritannien oder entwickeln sie sich zu einer modernen Kraft der Mitte? Und setzt sich in der Republikanischen Partei die Einschätzung durch, dass sich eine Neuorientierung der Partei hin zu Protektionismus und Isolationismus langfristig auszahlen könnte? Die Spannung bleibt, aber eines ist relativ sicher: Die Würfel sind noch nicht gefallen.

Photo: Warner Bros Entertainment Inc

Um unsere Wirtschaftsordnung, die Soziale Marktwirtschaft, ist es nicht gut bestellt. Wenn man die Bürger im Lande fragt, ob die Soziale Marktwirtschaft die Reichen reicher und die Armen ärmer macht, dann stimmen 77 Prozent der Bürger dieser Aussauge zu. Für die Ungerechtigkeit in Deutschland machen 52 Prozent die Soziale Marktwirtschaft verantwortlich. Eine Mehrheit von 51 Prozent fordert sogar eine grundlegende Veränderung des Wirtschaftsmodells. Trotz Beschäftigungsrekorden, trotz historisch einmaligem Wohlstand in Deutschland, auch in breiten Schichten der Bevölkerung, herrscht großes Misstrauen.

Diese Einschätzungen fallen nicht vom Himmel, sondern haben einen kulturellen Hintergrund, dessen Wurzeln zu Beginn des letzten Jahrhunderts zu suchen sind, und die sich heute in breiten Bevölkerungsschichten niederschlagen. In Deutschland gibt es also seit sehr langer Zeit eine kritische, zuweilen sogar ablehnende Position gegenüber der Marktwirtschaft. Dies hat sich auch mit dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus der DDR nicht wirklich geändert.

Dass diese kritische Haltung sich durchsetzen konnte, hat viel mit der so genannten „Frankfurter Schule“ zu tun, die sich um das Institut für Sozialforschung an der Universität Frankfurt gebildet hat. Max Horkheimer und Theodor Adorno waren die Ikonen dieser Schule. Das Institut war vor der Zeit des Nationalsozialismus und erst recht in den 1950er und 60er Jahren die ideologische Kaderschmiede der Marxisten in der westlichen Welt und trug maßgeblich zur Ablehnung der Marktwirtschaft bei. Generationen von Studenten wurde weltweit davon beeinflusst, die heute an den Schaltstellen des Staates, der Parteien, Medien und Unternehmen sitzen. Der berühmte Marsch durch die Institutionen ist vollbracht. Der Kampf der Ideen scheint gewonnen.

Doch wer die Basis dieser Entwicklung, das Institut für Sozialforschung, näher betrachtet, stößt sehr schnell auf den Argentinier Felix Weil, der die finanzielle Basis gelegt hatte. Das privat finanzierte An-Institut der Universität Frankfurt wurde von seinem Geld errichtet. Als Sohn und Erbe des Multimillionärs und Getreidehändlers Hermann Weil, hat er „sein gesamtes Vermögen in das Projekt eines interdisziplinären, marxistischen Theorien verpflichteten Instituts gesteckt“, wie die Autorin Jeanette Erazo Heufelder in dem gerade erschienen Buch mit dem Titel „Der argentinische Krösus“ schreibt. Nicht ohne Erfolg, wie man leider feststellen muss.

Hermann Weil hat sehr früh erkannt, dass es in einer Gesellschaft um den Kampf der Ideen geht. Auch die Idee der Sozialen Marktwirtschaft ist nicht vom Himmel gefallen, sondern hat ihre Wurzeln in den 1920er und 30er Jahre. Erst die Vorarbeiten von Wilhelm Röpke, Walter Eucken und anderen versetzen Ludwig Erhard nach dem 2. Weltkrieg in die Lage, durch die Freigabe der Preise und die Einführung der D-Mark, eine marktwirtschaftliche Ordnung durchzusetzen.

Ein weiteres, und besonders ermutigendes Beispiel ist das von Antony Fisher. Fisher kam als Hühnerzüchter zu Vermögen und las nach dem 2. Weltkrieg das Buch „Der Weg zur Knechtschaft“ von Friedrich August von Hayek, in dem Hayek hart mit den braunen und roten Sozialisten ins Gericht ging. Fisher ging anschließend zu Hayek und teilte ihm mit, nach der Lektüre seines Buches in die Politik gehen zu wollen, um eine ähnliche Entwicklung in Großbritannien aufzuhalten. Hayek riet ihm jedoch davon ab und empfahl ihm, ein Institut zur Verbreitung freiheitlicher Ideen zu gründen. Diesem Rat folgend gründete Fisher und 1957 das Institute of Economic Affairs in London. Großbritannien war zu dieser Zeit ein halb-sozialistisches Land. Die Industrie war überwiegend verstaatlicht worden und die Spitzensteuersätze lagen bei über 90 Prozent. Das Institut beeinflusste in den Folgejahren die Stimmung und trug zur marktwirtschaftlichen Erneuerung Großbritanniens in den 1980er Jahren unter Margaret Thatcher maßgeblich bei. Milton Friedman sagte später über die IEA: „Ich bezweifle, dass es ohne das IEA eine Thatcher-Revolution gegeben hätte.“ Die Macht der Ideen und der Wettbewerb um die Köpfe und Herzen der Menschen entscheidet über unsere Zukunft!

Photo: Sven Gaedtke from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Das Reformationsjubiläum stellt in diesem Jahr den 200. Jahrestag des Wartburgfestes in den Schatten, das einen spannenden Einblick gewährt in die Licht- und Schattenseiten des Liberalismus in Deutschland. Gerade in einer sich radikalisierenden Zeit wie der unseren ist der Blick auf diese Geschichte wichtig.

Zensur bekämpfen und Bücher verbrennen?

Hunderte von Studenten und auch etliche Professoren zogen am 18. Oktober 1817 auf die Wartburg, um ein deutliches politisches Signal auszusenden in einer Zeit, als viele politische Kräfte in Europa die alte Ordnung wiederherstellen wollten. Viele der „35 Grundsätze und 12 Beschlüsse“, die im Nachgang festgehalten wurden, gehören zum Kernbestand freiheitlichen Denkens auf der ganzen Welt. Nach dem 1792 erschienenen Meisterwerk „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen“ des ersten deutschen Liberalen Wilhelm von Humboldt sind diese Grundsätze und Beschlüsse das zweite umfassende Dokument des deutschen Liberalismus. Zu den Forderungen gehörten individuelle Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte, Freihandel, Meinungsfreiheit und die Abschaffung von Geheimpolizei und Zensur.

Freilich hatte das Fest auch sehr bittere Schattenseiten. Im Anschluss an den offiziellen Teil griffen einige der Teilnehmer zu einer besonders drastischen Variante der ihnen doch eigentlich verhassten Zensur: sie verbrannten Bücher. Im Feuer landeten Werke ihrer erklärten Feinde – der „Reaktionäre“ und „Kleinstaater“. Doch nicht nur die politischen Gegner standen im Fokus. Einem der Bücher, die den Flammen übergeben wurden, wurde hinterhergerufen: „Wehe über die Juden, so da festhalten an ihrem Judenthum und wollen über unser Volksthum und Deutschthum spotten und schmähen!“ Kein Wunder, dass der Dichter Heinrich Heine in gewohnt bissiger Weise über das Wartburgfest urteilte:

Auf der Wartburg krächzte die Vergangenheit ihren obskuren Rabengesang, und bei Fackellicht wurden Dummheiten gesagt und getan, die des blödsinnigsten Mittelalters würdig waren! Auf der Wartburg herrschte jener beschränkte Teutomanismus, der viel von Liebe und Glaube greinte, dessen Liebe aber nichts anders war als Haß des Fremden, und dessen Glaube nur in der Unvernunft bestand, und der in seiner Unwissenheit nichts Besseres zu erfinden wußte, als Bücher zu verbrennen!

Die Falle des deutschen Einheitsstrebens

Seit den frühesten Tagen hatten liberale Bewegungen in Deutschland immer damit zu kämpfen, dass sich in ihrem Umfeld Leute befanden, die zumindest einige ihrer Grundüberzeugungen nicht teilten. Dazu trugen mancherlei unglückliche Umstände bei: Etwa, dass das Prinzip des Föderalismus und der Subsidiarität, das über unsere Geschichte einer der wichtigsten Beiträge zu einer liberalen Institutionen-Kultur wurde, im Donner der National-Begeisterung des 19. Jahrhunderts als „Kleinstaaterei“ zum Feind Nummer Eins wurde. Die autokratische Herrschaft vieler Fürsten trieb freiheitliche Geister in die Arme eines völlig illiberalen Ideals des allumfassenden Gesamtstaates. Was sie bekamen, war am Ende der preußisch dominierte Militär- und Wohlfahrtsstaat.

Wie ein roter Faden zog sich diese Ambivalenz des deutschen Liberalismus bis zum Ende des Deutschen Kaiserreiches durch. Während in der ersten Hälfte des Jahrhunderts und insbesondere während der Revolution von 1848 ein eher romantisch-sentimentaler Patriotismus viele Liberale zu Freunden des deutschen Gesamtstaates werden ließ, änderte sich dies in der zweiten Hälfte: Einem weltweiten Trend folgend wandelten sich immer mehr Liberale zu veritablen Nationalisten. Die meisten verzichteten lieber auf Staatsskepsis als auf ihr Nationalgefühl.

Aufgerieben zwischen links und rechts

In einem Graubereich fand sich über die ganze Zeit ihrer Existenz (1866-1918) die Nationalliberale Partei, deren Vertreter sich für Rechtsstaat, Verfassung und Parlamentarismus einsetzten. Zugleich war sie aber auch eine starke Klientelpartei, die sich die Interessen des Großbürgertums und der Industrie zu eigen machte – eine unglückliche Allianz, die erst Ludwig Erhard zerbrochen hat. Sie bildete die wichtigste Machtbasis des ganz und gar nicht liberalen Bismarck und unterstützte leidenschaftlich seinen Kampf gegen Sozialisten und Katholiken, der jeglicher freiheitlichen Überzeugung Hohn sprach. Zunehmend fanden in ihr begeisterte Verfechter von Kolonialismus, Militarismus und sogar Antisemitismus eine Heimat. Ab Mitte der 1880er Jahre war sie, wie der Historiker Hans-Ulrich Wehler schrieb, eine „bismarcktreue, stramm nationale, etatistische und imperialismusfreundliche“ Partei.

Auf der anderen Seite wandte sich etwa der Historiker Theodor Mommsen, in vielem ein aufrechter Liberaler und einer der wichtigsten Kämpfer gegen den Antisemitismus, im Alter zunehmend der Sozialdemokratie zu. Auch andere Liberale wie Johann Jacoby oder der mit 69 Jahren im KZ Buchenwald ermordete Rudolf Breitscheid fanden letztlich bei den Sozialdemokraten eine Heimat. Es waren in der Zeit des Kaiserreichs nur wenige Liberale um Eugen Richter und Franz August von Stauffenberg, die weder nach links noch nach rechts ausschwenkten.

„Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“

Was liegt der Versuchung zugrunde, die sich seit jenem Treffen auf der Wartburg durch den deutschen Liberalismus zieht, rechte oder linke Positionen zu übernehmen oder sich ihnen gar ganz anzuschließen? Es war ein Zusammenspiel aus drei Faktoren: An erster Stelle stehen mangelnde Selbstgewissheit und Durchhaltevermögen. Damit hängt die zweite Ursache zusammen, dass sich Liberale zu oft dem Zeitgeist angeschlossen haben – gleich, ob er nun links oder rechts wehte. Und schließlich kommt noch die banale Sehnsucht hinzu, mitspielen zu wollen, und der Wunsch, an die Töpfe und Räderwerke der Macht gelassen zu werden.

Das 300jährige Reformationsjubiläum führte damals die Studenten auf die Wartburg, wo Luther einst Unterschlupf gefunden hatte. Die Person Luthers kann aus freiheitlicher Sicht höchst kritisch gesehen werden, ist er doch einer der Begründer des modernen Etatismus. Doch eines kann auch nach 500 Jahren noch ein Vorbild sein: Sein Mut und seine Standfestigkeit als er 1521 beim Reichstag zu Worms vor dem Kaiser und den versammelten Herrschern des Reiches seine Positionen und Überzeugungen verteidigte. Man hat ihm später die Worte in den Mund gelegt „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“ Diese Geisteshaltung hätte vielen Liberalen in der Vergangenheit gutgetan und steht ihnen auch heute noch gut zu Gesichte. Mögen Mut, Überzeugungstreue und Konsistenz auch kurzfristig unangenehm und gefährlich sein – langfristig sind sie die Grundlage dafür, die Welt zu verändern.

Eine ausführlichere Darstellung der Geschichte des Liberalismus in Deutschland finden Sie im Nachwort des Buches „Wie wir wurden, was wir sind“ von Eamonn Butler, das im März in der „Edition Prometheus“ erscheint.

Photo: Bruce Guenter from Flickr (CC BY 2.0)

Freihandel hat im Augenblick keinen besonders guten Ruf. Weder bei Demonstranten in deutschen Großstädten noch bei Wählern in den alten Industrieregionen der USA. Höchste Zeit, mit einem kleinen Ausflug in die Geschichte daran zu erinnern, was der Freihandel bringt: Frieden und Wohlstand für alle.

Das Elend der Armen im Großbritannien des 19. Jahrhunderts

In diesen Tagen begegnet uns immer wieder die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens – vielfach verfilmt (besonders anrührend in der Version mit den Muppets). Die Geschichte erinnert uns daran, wie wichtig es ist, dass wir auch auf unseren Nächsten schauen. Sie legt den Finger in die Wunde der Indifferenz, des Egoismus und der Gier. Charles Dickens ist der Chronist der Armen und Notleidenden im Großbritannien des 19. Jahrhunderts schlechthin. Keiner konnte so anschaulich und einfühlsam die Nöte der Armen schildern wie er – ganz besonders der Kinder.

Doch wo lag die Verantwortung für dieses Elend? Waren es die kapitalistischen Ausbeuter, die Miethaie, erbarmungslosen Geldverleiher und all die anderen Schurken, deren Gier und Boshaftigkeit Dickens so eindrücklich geschildert hat? Ja. Aber nicht nur. Natürlich gab und gibt es unter den Besitzenden und Reichen viele rücksichtslose Menschen. Aber ebenso gibt es unter ihnen verantwortungsvolle, fürsorgliche und hilfsbereite Menschen, die ihren Nächsten im Blick behalten. Eine Menschengruppe pauschal zur Verantwortung zu ziehen, ist immer eine sehr schlechte Idee.

Der ungeschriebene Roman von Charles Dickens

Es gibt eine Geschichte, die Charles Dickens hätte schreiben können. Schade, dass er das nie getan hat, denn er hätte seine Sprachgewalt und sein Talent damit durchaus in den Dienst einer sehr guten Sache stellen könne. Es wäre eine Erzählung gewesen, in der, wie in so vielen seiner Geschichten, ein Unternehmer eine große Rolle spielt. In der es um Arme und Notleidende geht und um die Gier der Reichen und ihre Besitzstandswahrung. In der es um ein paar sehr sympathische Helden geht und um die sonderbaren Verstrickungen, die zu ihrem Erfolg führen. Es ist die Geschichte der Freihandelsbewegung.

Die Globalisierung war schon seit Beginn der Neuzeit für manch einen bedrohlich. Mit dem rasant wachsenden Handel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs diese Bedrohung. Eine Gruppe, die das Gefühl hatten, dass ihnen die Felle wegschwimmen, waren die englischen Großgrundbesitzer. Diese kleine und enorm wohlhabende Gruppe von überwiegend Adligen hatte mit sinkenden Getreidepreisen zu kämpfen, weil dank des technischen Fortschritts nunmehr günstigeres Getreide aus Deutschland oder den Ländern Osteuropas importiert werden konnte. Sie nutzten ihren leichten Zugang zur Macht, um sich für höhere Zölle auf Getreide-Importe (die sogenannten Corn Laws) stark zu machen – mit Erfolg. Selbst in Zeiten schwerer Hungersnöte waren die Menschen im Land gezwungen, das überteuerte einheimische Getreide zu kaufen.

Zwei reale Helden

Auftritt unseres Helden: Richard Cobden wird 1804 als viertes von elf Kindern eines armen Bauern im äußersten Süden Englands geboren. Mit 15 Jahren geht er nach London, um im Warenhaus seines Onkels zu arbeiten. Der sieht den Bildungshunger seines Neffen mit einer Mischung aus Unverständnis und Missfallen. – Dickens hätte sich die Szenerie nicht besser ausdenken können. – Der junge Richard arbeitet sich nach oben: mit 24 gründet er seine erste eigene Firma. Doch auch wenn die Geschäfte gut laufen, kann unser Held die Finger nicht von den großen Fragen seiner Zeit lassen. Er ist einfach ein klassischer Weltverbesserer, ein Gutmensch.

1835 veröffentlicht er sein erstes Buch: „England, Ireland, and America“. Es ist ein flammendes Plädoyer für die Begrenzung öffentlicher Ausgaben, Freihandel und Pazifismus. Darüber hinaus macht er sich stark für ein besseres Bildungswesen – schließlich hatte er selbst die Erfahrung gemacht, wie wichtig Bildung ist. Nun braucht aber auch jeder Held einen Freund, der ihm zur Seite steht: Sherlock Holmes seinen Watson, Winnetou seinen Old Shatterhand und Frodo seinen Sam. Dieser Freund ist der sieben Jahre jüngere John Bright, den Cobden in dieser Zeit in der Nähe von Manchester trifft. Die beiden teilen dieselben Ideale, für die sie ihr Leben lang eintreten sollten – in guten wie in bösen Tagen: Freiheit, Frieden und Wohlstand für alle.

Eine Graswurzelbewegung für den Freihandel

In der Schutzpolitik für Großgrundbesitzer sehen sie eine Maßnahme, die diesen Idealen diametral entgegenstand. Darum gründen sie im Jahr 1838 die Anti-Corn Law League – eine der frühesten Graswurzelbewegungen der Geschichte. Während Cobden der strategische Kopf der Bewegung ist, wird der sehr begnadete Redner Bright das Aushängeschild. Sie haben gelernt von den Männern und Frauen um William Wilberforce, die einige Jahrzehnte zuvor erfolgreich die Sklavenbefreiung durchgesetzt hatten. Sie verteilen über neun Millionen Pamphlete, um ihr Anliegen zu erklären, führen im ganzen Land Versammlungen und Demonstrationen durch und können Millionen von Unterschriften für ihre Petitionen sammeln. Die Basis ihrer Bewegung sind die Arbeiter und Armen, von deren Nöten uns Charles Dickens so eindrucksvoll berichtet.

Nachdem die Anti-Corn Law League 1846 an ihr Ziel gekommen ist und die Zölle beseitigt wurden, folgen in den nächsten Jahrzehnten viele weitere Maßnahmen zugunsten des Freihandels, die zu einem erheblichen Wirtschaftsausschwung führen – und damit eben auch zu einer substantiellen Verbesserung der Lage einfacher Arbeiter. Cobden ist später der Chef-Unterhändler für den britisch-französischen Freihandelsvertrag im Jahr 1860. Dieser Vertrag ist der Startschuss für ein Freihandelssystem in Europa, das in seinen Grundzügen bis 1914 Bestand hat.

Unerschrockene Pazifisten

Doch mit dem Erfolg von 1846 ist die Geschichte unseres Helden noch nicht zu Ende. Es liegen noch heftigere Herausforderungen vor ihm. Dass ihn eine Zeit lang nicht nur große Teile der britischen Bevölkerung, sondern auch Menschen in ganz Europa begeistert feiern, ist nicht von langer Dauer. Cobden und sein Freund Bright haben nämlich ein Anliegen, das ihnen vielleicht noch wichtiger ist als der Freihandel: sie sind radikale Pazifisten und Anti-Imperialisten. Der Zeitgeist ist hier freilich nicht auf ihrer Seite.

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist vielmehr geprägt von einem rasanten Aufstieg von Nationalismus und Militarismus. Kolonien und Eroberungen werden sowohl aus Prestigegründen begrüßt als auch, weil man glaubt, davon als Land wirtschaftlich zu profitieren. Überall wittert man Feinde und man sieht sich inmitten eines globalen Machtkampfes. Der Krimkrieg (1853-1856) und der Zweite Opiumkrieg (1856-1860) versetzen Großbritannien in Kriegsbegeisterung und beim Amerikanischen Bürgerkrieg finden sich die meisten auf Seiten der Südstaaten wieder.

Weltverbesserer, die tatsächlich die Welt verbessern

In diese Stimmung platzen unsere Helden mit ihren Forderungen nach Abrüstung, Diplomatie, konsequenter militärischer Zurückhaltung und einem Rückzug aus den Kolonien herein. Spielverderber. Nachdem sie wenige Jahre zuvor von der Bevölkerung begeistert gefeiert wurden, werden sie nun plötzlich Gegenstand des öffentlichen Hasses. Cobden, Bright und ihre Freunde sind allesamt eigentlich keine Politiker. Sie sind eher überzeugte Aktivisten. Für sie stehen ihre Ideale im Vordergrund. Und deshalb halten sie stand und dienen als Mahnung in einer verrückten Zeit, die im 20. Jahrhundert auf einen schrecklichen Höhepunkt zulaufen wird.

Mit ihrem Pazifismus sind sie leider weniger erfolgreich als mit ihrem Kampf um den Freihandel. Mit diesem freilich haben sie einen wesentlichen Anteil daran, dass Millionen von Menschen – zunächst in Großbritannien, aber dann auch in ganz Europa – den Weg aus der Armut finden. Sie haben dafür gesorgt, dass nicht nur eine kleine Elite von den Segnungen des Fortschritts, der Technik und der Globalisierung profitieren, sondern alle. Sie haben den Mächtigen und Reichen wesentliche Instrumente der Unterdrückung aus der Hand geschlagen. Und sie haben den Armen einen Weg eröffnet zu einem besseren Leben. Ihr Einsatz für Freihandel und Frieden ist immer auch ein Einsatz für andere. Sie sind Weltverbesserer, die tatsächlich die Welt verbessern. Wenn das mal nicht eine großartige Erzählung geworden wäre, wenn sich Dickens nur daran gemacht hätte …

„Ich habe einen Traum“

Gerade in Zeiten wie den unseren, wo eine unheilige Allianz aus Politikern auf der Rechten wie Donald Trump und fanatischen Aktivisten auf der Linken wie Campact und Attac zum Generalangriff auf Freihandel und Globalisierung ruft, sollte man sich wieder die wunderbaren Worte in Erinnerung rufen, die Richard Cobden im Jahr 1846 fand, und mit denen er ein Vorläufer jener berühmten „Ich habe einen Traum“-Rede Martin Luther Kings wurde:

Ich richte meinen Blick weiter. Ich sehe, dass das Freihandelsprinzip die moralische Welt bestimmen wird wie das Gravitationsprinzip unser Universum: indem es Menschen einander nahebringt; indem es den Gegensatz der Rassen, Bekenntnisse und Sprachen beseitigt; indem es uns in ewigem Frieden aneinander bindet. Und ich habe noch weiter geschaut. Ich habe spekuliert, ja wohl geträumt, von einer fernen Zukunft, vielleicht in tausend Jahren.

Ich habe darüber spekuliert, was das Ergebnis davon sein mag, dass dieses Prinzip obsiegt. Ich glaube, dass es das Antlitz der Erde verändern wird, indem es ein Prinzip des Regierens hervorbringen wird, das sich vollständig vom derzeitigen unterscheidet. Ich glaube, dass das Streben nach großen und mächtigen Reichen absterben wird; das Streben nach gigantischen Heeren und bedeutenden Flotten; nach den Mitteln, die benutzt werden, um das Leben zu zerstören, und um die Früchte der Arbeit zu verwüsten. Ich glaube, dass all das nicht mehr nötig sein wird und auch nicht mehr angewandt wird, wenn die Menschheit erst eine Familie geworden ist und Mensch mit Mensch aus freien Stücken die Früchte seiner Arbeit brüderlich austauscht.

Erstmals erschienen auf dem Ökonomen Blog.

Photo: DIE LINKE. Landesverband Baden-Württemberg from flickr.com (CC BY-ND 2.0)

Seit einiger Zeit treffen Wähler unerwartete, unkonventionelle und für manch einen unbequeme Entscheidungen. Politiker und Journalisten analysieren eine Vertrauenskrise des Establishments. Ist eine Ursache dieser Vertrauenskrise womöglich das mangelnde Vertrauen der Politiker in ihre Bürger?

Leben wir in einer Diktatur?

Die Politik ist in Verschiss – selbst bei den Bürgern, die nicht sofort mit Vorwürfen wie Lüge oder Betrug operieren. Die Einschätzung, dass sich der Abstand zwischen Politikern und Normalbürgern immer mehr vergrößert, wird inzwischen von vielen dieser Politiker selbst geteilt und kommuniziert (in der Regel mit der Floskel, man müsse Politik nun besser erklären). Das aufkommende Misstrauen hat allerdings auch relativ wenig mit der gesunden Politik- und Staatsskepsis zu tun, die aufgeklärten Bürgern gut zu Gesichte steht. Es ist oft an der Grenze zum pauschalen Hass auf „die da oben“. Der zivilisierte Diskurs, der eine freiheitliche Demokratie und eine Offene Gesellschaft ausmacht, gerät dadurch zunehmend in die Defensive. Doch liegt das an der Verrohung der Bevölkerung? Oder spielt vielleicht die Politik eine wesentlich größere Rolle als die Rede vom „Wutbürger“ vermuten ließe?

In der Staatsform der Demokratie, wo der Bürger der Souverän ist, ist es von zentraler Bedeutung, dass Politiker den Bürgern – ihren Wählern! – vertrauen. Schwindet dieses Vertrauen, besteht nicht nur die Gefahr, dass die Bürger ihrerseits das Vertrauen entziehen. Es wird letztlich auch an den Grundfesten unseres Gemeinwesens gerüttelt – ist es doch Kennzeichen despotischer und autoritärer Herrschaft, dass ein Herrscher den Untertanen misstraut. Natürlich ist keine der westlichen Demokratien eine Tyrannei oder Diktatur. Mit Blick auf Länder wie Nordkorea, Syrien oder Venezuela sind solche Vergleiche mehr als zynisch. Doch mangelndes Vertrauen der politischen Verantwortlichen in die Bürger löst bei manchem jenes Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins aus, das auch der Untertan eines Gewaltherrschers empfindet. Drei Aspekte stehen exemplarisch für diesen Vertrauensverlust: die Terrorbekämpfung, die Eurokrise und der neue Paternalismus.

„Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.“

Deutschland ist erfreulicherweise eines der Länder, in dem Bürger am sensibelsten auf staatliche Überwachung reagieren, und in dem ein sehr waches Gespür für Fragen des Datenschutzes herrscht. Regierungen anderer Länder, wie etwa der USA oder Großbritanniens, sind da weniger zimperlich. Für die einen mögen Email- und Telefonüberwachung, unzählige Überwachungskameras und komplizierte Einreise-Formalitäten das Gefühl von Sicherheit hervorrufen. Viele aber fühlen sich als unbescholtene Bürger schikaniert und mitunter auch bedroht durch einen wachsenden Überwachungsstaat. Im Zweifel ist es, wie bei der NSA-Affäre, ja nicht einmal der eigene Staat, der das Privateste der Menschen durchschnüffelt. Wer liest unsere Daten? Wozu werden sie genutzt? Ist Terrorbekämpfung der einzige Grund für die Sammelwut?

Als 2010 die Eurokrise ausbrach, stand vor allem Beschwichtigung auf der Tagesordnung. Es bedurfte eines medialen Schwergewichts wie Hans-Werner Sinn, um die Risiken der Target-Salden aufzudecken. Haftungsmechanismen wurden verschleiert. Selbst viele Bundestagsabgeordnete waren ahnungslos, wieviel Geld wieder einmal für eine Rettung krisenbedrohter Staatshaushalte in der EU aufgewandt werden mussten. Und die Politik der EZB ist nicht nur für Laien kaum mehr nachvollziehbar. Während die verantwortlichen Politiker beschwichtigend behaupteten, sie hätten alles im Griff, wuchs unter den Bürgern das mulmige Gefühl, dass ihnen eine realistische Perspektive vorenthalten werde. Viele hatten damals schon den Eindruck, den Innenminister de Maizière im November 2015 mit seinem berühmten Diktum hervorrief: „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.“

Eigenverantwortliche Bürger

Ein bereits länger anhaltender Trend des Misstrauens gegenüber der eigenen Bevölkerung findet sich in den mannigfaltigen Ausprägungen des Paternalismus. Immer mehr politische Maßnahmen werden ergriffen, um Bürger zum „verantwortlichen“ Konsum, zur „gesunden“ Ernährung oder zu „richtigen“ Entscheidungen hinzuführen. All diese Initiativen suggerieren, dass Politiker und Bürokraten den einfachen Bürgern an Wissen, Einsicht und eventuell auch moralischer Größe überlegen sind, was sie dazu prädestiniert, diese auf den rechten Weg zu weisen. Man hat nicht mehr das Gefühl, als selbstverantwortliches Individuum ernstgenommen zu werden. Die Botschaft, die durch den wachsenden Paternalismus bei vielen ankommt, lautet: „Wir vertrauen Dir eigentlich nicht …“

Unser freiheitlich-demokratisches Gemeinwesen wird gefährdet durch das mangelnde Vertrauen der Politik in den Bürger. Eine Kehrtwende in der politischen Kultur tut Not. Politiker können ihren Bürgern nicht nur bittere Wahrheiten zutrauen, sie müssen es auch – sie haben eine Rechenschaftspflicht gegenüber ihren Wählern. (In Frankreich erlebten wir vor kurzem bei der Wahl von François Fillon zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, dass das funktionieren kann.) Unter Umständen gehört dazu auch bisweilen das Eingeständnis, selber nicht genau zu wissen, was die richtige Lösung ist. Alles ist besser, als sich in Nebel zu hüllen, um niemanden zu „verunsichern“. Die staatliche Überwachung muss immer wieder auf den Prüfstand und muss der Prämisse unterworfen sein, dass eine überwältigende Mehrheit der Menschen unbescholtene Bürger oder Gäste sind, deren Privatsphäre zu schützen zu den obersten Pflichten des Staates gehört.

Und schließlich müssen politische Entscheidungsträger wieder mehr Respekt vor den eigenverantwortlichen Entscheidungen ihrer Bürger haben. Ihre eigenen Ansichten darüber, was gut und richtig ist, dürfen nicht der Maßstab für politische Maßnahmen sein. Der Griff zur Zigarette, zum Schokoriegel oder zum Steak ist Teil der Privatsphäre der Menschen und zugleich Ausdruck ihrer eigenen Entscheidungsfähigkeit. Wer ihnen diese abspricht, sägt letztlich am eigenen Ast: denn in einer Demokratie ist diese Entscheidungsfähigkeit der Grund dafür, dass Politiker im Amt sind. Die Politik muss sich das Vertrauen der Bürger verdienen – der beste Weg dorthin besteht darin, wenn die Politik wieder den Bürgern vertraut. Es mag helfen, wenn sich Politiker wieder bewusstmachen, wer der Souverän ist.