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Mehr als jeder vierte französische Wähler hat bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen für rechts- oder linksradikale Politiker gestimmt. Jetzt ist ein gemäßigter Sozialdemokrat die Hoffnung des Landes und des ganzen Kontinents. Dabei hat Frankreich eine bedeutende freiheitliche Tradition.

Republik und Menschenrechte, Marktwirtschaft und Freihandel

Francois Fénelon (1651-1715) war ein wichtiger Vordenker der Menschenrechte und stand im Frankreich des Sonnenkönigs für individuelle Freiheit ein. Montesquieu (1689-1755) war der Begründer der Theorie der modernen Republik und steht mithin an der Wiege aller freiheitlichen Demokratien der jüngeren Geschichte. Nicolas de Condorcet (1743-1794) trat als einer der ersten für die Gleichberechtigung der Frau ein. Jean-Baptiste Say (1767-1832) war ein mächtiger Fürsprecher unternehmerischer Freiheit. Frédéric Bastiat (1801-1850) ist das Kunststück gelungen, die Ideen der Marktwirtschaft und des Liberalismus so anschaulich darzustellen, dass seine Schriften heute noch klassische Einführungstexte sind. Alexis de Tocqueville (1805-1859) formulierte die Theorie der liberalen Zivilgesellschaft. Michel Chevalier (1806-1879) war der kongeniale Partner des großen Freihändlers Richard Cobden auf der französischen Seite. Andere im Sinne der Freiheit wohlklingende Namen sind Richard Cantillon, Turgot, Olympe de Gouges, Lafayette, Charles Comte und Charles Dunoyer.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts und vor allem im 20. Jahrhunderts versiegt diese Tradition zunehmend. In den letzten 100 Jahren stechen mit genialen Gedanken und Schriften noch Bertrand de Jouvenel (1903-1987) und vor allem Raymond Aron (1905-1983) hervor. Danach wird es leider immer dünner … Im Aufbäumen gegen den Absolutismus, Zentralismus und Bürokratismus, der das Land schon vom 17. bis ins 19. Jahrhundert durchdrang, formierte sich zunächst manch anregender und sogar global einflussreicher Widerstand. Ein Denker und ein Ereignis führten jedoch dazu, dass die Idee der Liberté gewissermaßen falsch abbog. Jean-Jacques Rousseau ersetzte den Absolutismus des Königs durch den Absolutismus des Volkswillens. Und die Französische Revolution entartete in eine radikale Tyrannei einer kleinen Gruppe, die sich fatal selbst überschätzte und die Freiheit in einem Blutmeer ertränkte.

Einer der geistigen Führer des Liberalismus des 19. Jahrhunderts

Einer der wichtigsten Kritiker dieser Entwicklung des französischen Liberalismus war der Schriftsteller und Politiker Benjamin Constant (1767-1830), den Friedrich August von Hayek als einen „der geistigen Führer des Liberalismus des 19. Jahrhunderts“ bezeichnete. Constant war ein wahrer Europäer: Geboren in der Schweiz als Abkömmling einer französischen Familie wuchs er unter anderem in den Niederlanden, Brüssel und Großbritannien auf. Er studierte in Erlangen und Edinburgh, wo der Siebzehnjährige mit zentralen Persönlichkeiten der liberalen Geistesgeschichte wie Adam Smith, David Hume und Adam Ferguson Umgang pflegte. Er war mit dem größten deutschen Liberalen jener Zeit, seinem Jahrgangsgenossen Wilhelm von Humboldt, befreundet und übersetzte die Werke Kants ins Französische.

Die Radikalisierung der Französischen Revolution betrachtete er mit zunehmender Sorge. Als die Schreckensherrschaft endete, engagierte sich der Endzwanziger publizistisch für den Aufbau einer freiheitlichen Republik. Nach anfänglicher Unterstützung wurde er auch zu einem scharfen Kritiker Napoleons und nach der Wiederherstellung der alten Monarchie 1815 war er einer der intellektuellen und politischen Führungspersönlichkeiten der liberalen Opposition. Zeit seines Lebens warnte er vor den Gefahren absoluter Herrschaft – ob in Form einer Monarchie oder Demokratie. Er war ein glühender Verfechter von Freiheit der Meinung, der Rede und der Presse. Er verteidigte Markt und Unternehmertum und sprach sich für Non-Zentralismus und Föderalismus aus. Nach seinem Tod rühmten ihn die ehemaligen Sklaven in den französischen Kolonien für seinen Einsatz zu ihrer Befreiung. In Wort und Tat, als Publizist und Politiker war er einer der Leuchttürme in der Geschichte des Liberalismus.

Das Prinzip der Freiheit braucht auch heute Verteidiger

Gegen Ende seines Lebens blickt Constant zurück: „Vierzig Jahre lang habe ich dasselbe Prinzip verteidigt: Freiheit in allen Dingen – in der Religion, der Philosophie, der Literatur, der Wirtschaft, der Politik. Und mit Freiheit meine ich den Sieg des Individuums über eine Autorität, die despotisch herrschen will, wie auch über die Massen, die für sich beanspruchen, eine Minderheit der Mehrheit untertan zu machen. Die Mehrheit hat das Recht, die Minderheit darauf zu verpflichten, die öffentliche Ordnung zu respektieren. Doch alles, was die öffentliche Ordnung nicht stört, was rein persönlich ist wie unsere Meinungen, was als Meinungsäußerung anderen keinen Schaden zufügt, alles was im Bereich der Wirtschaft einem Konkurrenten erlaubt, sich frei zu entwickeln – bei all dem handelt es sich um Ausdrucksformen des Individuums. Und es gibt keinen legitimen Grund, dies staatlicher Gewalt zu unterwerfen.“

Nicht nur für Frankreich, sondern für ganz Europa und die westliche Welt muss man hoffen, dass diese Ideen und Ideale wieder an Bedeutung gewinnen. In einer Zeit, in der die Debatten nur noch um Fragen wie die Leitkultur oder noch mehr Umverteilung kreisen, sind die Stimmen der Freiheit besonders dringend gefragt. Frauen und Männer wie Constant und die anderen oben angeführten Persönlichkeiten haben oft unter erheblichen persönlichen Opfern die Sache der Freiheit verteidigt und vorangebracht. Sie sind das geistige Fundament, auf der unsere freiheitliche Demokratie, unser Rechtsstaat, unsere Marktwirtschaft und unsere offene Gesellschaft stehen. Es ist unsere Aufgabe, dieses Fundament zu erweitern und darauf weiterzubauen – in Frankreich und überall. Denn, so Constant, „ohne die Freiheit gibt es für die Menschen keinen Frieden, keine persönliche Würde, kein Glück.“

Photo: Dean Hochman from flickr (CC BY 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus und Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre, ehemaliger Praktikant bei Prometheus.

Die Europäische Zentralbank hat das Ziel, in der Eurozone eine Inflationsrate von jährlich 2 % herbeizuführen. Obwohl sie dieses Ziel in den letzten Jahren deutlich nach unten verfehlte, überrascht es nicht, dass die nominellen Preise von Konsumgütern über die Zeit steigen. Allerdings misst die Inflationsrate den Preisanstieg eines repräsentativen Warenkorbs und die Preise der darin enthaltenen Güter und Dienstleistungen entwickelten sich über die vergangenen 25 Jahre sehr unterschiedlich.

So fiel beispielsweise der Preis der Nachrichtenübermittlung relativ zu den Preisen der übrigen Güter um etwa 60 %, während der relative Preis von Bildungsdienstleistungen um etwa 45 % stieg. Diese beiden Beispiele passen ins Muster. Tendenziell stiegen die relativen Preise in Branchen, die der Staat durch seine eigenständige Bereitstellung von Leistungen oder spezifische Regulierungen dominierte. Die relativen Preise fielen hingegen tendenziell in Branchen, in denen der Staat eher wenig Einfluss nahm oder seine Aktivitäten zurückbaute.

Ein Index, viele Preise und unterschiedliche Preisentwicklungen

Das Statistische Bundesamt berechnet regelmäßig, wie sich die Preise in Deutschland verändert haben. Der sogenannte Verbraucherpreisindex misst, wie sich die Preise für einen Warenkorb einer Vielzahl von Gütern und Dienstleistungen, die ein repräsentativer Verbraucher konsumiert, entwickeln.

Von 1992 bis 2016 stiegen in Deutschland die Preise für den vom Statistischen Bundesamt als repräsentativ identifizierten Warenkorb um ca. 45 %. Das entspricht einer durchschnittlichen Inflationsrate von etwa 1,6 %.

Allerdings entwickelten sich die Preise der in den Warenkorb aufgenommen Güter und Dienstleistungen bisweilen sehr unterschiedlich. Das Statistische Bundesamt gliedert den Warenkorb in zwölf Abteilungen und stellt Preisdaten für jede dieser Warengruppen bereit.

Verbraucherpreisindex_Preisentwicklung_verschiedene Güter__relative preise

Hier dargestellt sind die Preise für die zwölf Warengruppen relativ zur Entwicklung des Verbraucherpreisindex. Daraus wird ersichtlich, um wie viel teurer oder günstiger Warengruppen relativ zum gesamten Warenkorb über die Zeit wurden. So sind die Preise im Bildungswesen um etwa 45 % stärker gestiegen als die Preise im Durchschnitt über alle Warengruppen hinweg. Der relative Preis für alkoholische Getränke und Tabakwaren nahm um etwa 30 % zu.

Die Preise für die Nachrichtenübermittlung gingen hingegen relativ zum Preis für den repräsentativen Warenkorb um etwa 60 % zurück. Ebenfalls deutlich − um etwa 20 % − sank der relative Preis für „Freizeit, Unterhaltung und Kultur“. Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke sind im Zeitverlauf ebenfalls etwas günstiger geworden – um etwa 5 %.

 Weniger Staat, niedrigere relative Preise

Es zeichnet sich ein Muster ab: Relativ günstiger sind vor allem die Güter und Dienstleistungen geworden, deren Anbieter miteinander in intensivem Wettbewerb um die Gunst von Kunden stehen. Wettbewerb sorgt für fallende Preise und Qualitätssteigerungen. Relativ teurer geworden sind dagegen vorwiegend jene Güter und Dienstleistungen, deren Märkte durch staatliche Eingriffe geprägt sind – durch wettbewerbshemmende Regulierung, hohe Besteuerung oder die Bereitstellung der Leistungen durch den Staat selbst.

Beispiel Kommunikation

Nach dem relativen Preisrückgang für Nachrichtenübermittlungen seit 1992 um ca. 60 % ist es heute sogar nominell günstiger als je zuvor, mit anderen Menschen zu kommunizieren − auch auf sehr weite Entfernungen. Im Mobilfunksektor gibt es seit Jahrzehnten einen starken Wettbewerb um Kunden und durch ihn induzierte fallende Preise. Bahnbrechende Innovationen und stetige Qualitätsverbesserungen haben die Kommunikation mit anderen Menschen zudem deutlich vereinfacht. Das gute alte Fax wurde von der E-Mail abgelöst. Grüße aus dem Auslandssemester werden nicht mehr von der Bundespost zugestellt. Via Internet kann heute ein jeder mit seinen Nächsten skypen.

Beispiel Bildung

Anders als in der Telekommunikation ist der Einfluss des Staates auf die Bereitstellung der relativ deutlich teurer gewordenen Bildungsdienstleistungen allgegenwärtig. Bildungsangebote werden in Deutschland entweder staatlich bereitgestellt oder im hohen Maße vom Staat reguliert.

Insbesondere der relative Preis für Leistungen im tertiären Bildungsbereich (Universitäten, Fachhochschulen, Berufsakademien) stieg über die vergangenen 25 Jahre. Hier lag die Preissteigerung relativ zum Konsumentenpreisindex bei über 100%.

Politiker aller Parteien schreiben sich regelmäßig das Ziel besserer Bildung auf die Fahnen. Die Ausgaben für Bildung und Forschung im Verhältnis zu den Gesamtausgaben des Staates sind in den letzten Jahren jedoch relativ konstant geblieben. Hauptproblem scheinen nicht fehlende Investitionen in Bildung zu sein, sondern eine niedrige Qualität der Leistungen relativ zu den Kosten der bereitgestellten Bildung.

Die vermehrte Bereitstellung von Bildungsdienstleistungen durch private Anbieter könnte dazu beitragen, die relativen Preise von Bildungsleistungen zu senken und die Qualität zu steigern. Eine Möglichkeit, privaten Anbietern den Marktzutritt zu erleichtern und damit für Schüler, Eltern und Studenten mehr Wahlmöglichkeiten auf den verschiedenen Bildungsmärkten zu schaffen, wäre die Einführung von Bildungsgutscheinen. Sie würden die Finanzierung von der Bereitstellung von Bildungsleistungen trennen. Finanziert würde der Konsum von Bildungsleistungen weiterhin aus Steuermitteln, aber der Staat würde die Leistungen nicht mehr notwendigerweise bereitstellen.

Auch Steuern beeinflussen Preise für Endverbraucher

Mangelnder Wettbewerb ist nicht der einzige Grund für steigende Preise. Steuern und Abgaben verteuern Kraftstoffe, obwohl es Hinweise darauf gibt, dass es auf den Märkten für Öl und Benzin der Wettbewerb intensiv ist.  Vom Preis  jeder morgendlichen Tasse Kaffee gehen rund 28% direkt an den Fiskus. So trägt der schwarze Kaffee zur schwarzen Null bei. Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Strompreis. Maßgeblicher Preistreiber sind die steigenden Abgaben für Ökoenergie.

Auch bei Alkohol und Tabakwaren, deren relativer Preis seit 1992 um ca. 30 % stieg, fällt auf, dass es sich um Produkte handelt, die nicht nur stark reguliert, sondern auch hoch besteuert werden.

Wettbewerb zwischen Unternehmen schützt Konsumenten

Die in den letzten 25 Jahren bei jährlich durchschnittlich 1,6 % liegende Inflationsrate ist moderat, doch sie verdeckt, dass die Preise für einige Güter und Dienstleistungen im gleichen Zeitraum weitaus stärker gestiegen sind. Es ist kein Zufall, dass es sich dabei um Wirtschaftsbereiche handelt, in denen staatliche Eingriffe besonders stark ausgeprägt sind. Geringer fielen die Preisanstiege dagegen tendenziell für jene Güter und Dienstleistungen aus, die seit langem durch private Unternehmen bereitgestellt werden können oder – wie im Fall der Kommunikationsdienstleistungen – in jüngster Zeit dereguliert und privatisiert wurden.

Wettbewerbshemmende Regulierungen, Staatsbeteiligungen und Steuern mögen ausgewählten Interessengruppen nützen und bei Zeiten politischen Zielen dienen. Doch gesamtgesellschaftlich sind sie kostspielig. Werden neue Anbieter vom Markteintritt abgehalten, werden Ressourcen vergeudet, weil überlegene Produktionsmethoden nicht zum Einsatz kommen und die Einführung neuer Produkte verhindert wird. „Wettbewerb belebt das Geschäft“ – ein Blick auf die Verbraucherpreisdaten zeigt, dass der Volksmund dieses Mal Recht behält.

Erstmals erschienen bei IREF.

Am 20. März ist in der „Edition Prometheus“ beim FinanzBuch Verlag München das Buch „Wie wir wurden, was wir sind. Einführung in den Klassischen Liberalismus“ von Eamonn Butler erschienen.

Die Übersetzung des Buches „Classical Liberalism“ von Eamonn Butler erscheint unter dem deutschen Titel „Wie wir wurden, was wir sind“ und zur rechten Zeit. Denn der Klassische Liberalismus in Deutschland kann eine Selbstvergewisserung gut gebrauchen, ist er doch eine der Quellen dessen, wer wir sind. Eamonn Butler ist Gründer und Leiter des Londoner Adam Smith Institute, Englands führender Denkfabrik für Marktfreiheit und Klassischen Liberalismus. Sein Buch ist aus allgemeiner, doch angelsächsisch gefärbter Sicht verfasst, und das ist kein Nachteil.

Die Ursprünge des Klassischen Liberalismus liegen nämlich im Schottland des 18. Jahrhunderts. Die schottische Aufklärung brachte Persönlichkeiten wie Adam Smith, David Hume und Adam Ferguson hervor, deren Strahlkraft bis heute reicht. Ihre Schriften erreichten im 18. und 19. Jahrhundert auch Kontinentaleuropa und die deutschen Länder. Zur damaligen Zeit galten die klassisch Liberalen als politisch links, weil sie sich gegen die etablierten Autoritäten auflehnten. Sie kämpften für die Herrschaft des Rechts und gegen die Willkür der Obrigkeit.

Ihr entschiedenes Eintreten für den Freihandel sollte nicht den Reichen und Vermögenden zugutekommen, sondern Armut bekämpfen und Frieden stiften. Die Liberalen waren allesamt Marktwirtschaftler und kämpften für die Meinungsfreiheit. Der deutsche Sprachraum wurde ein Hort des Klassischen Liberalismus: Im 18. Jahrhundert waren seine bekanntesten Vertreter Immanuel Kant und Wilhelm von Humboldt, im 19. Jahrhundert John Prince-Smith, Eugen Richter und Hermann Schulze-Delitzsch. Jeder von ihnen stand für etwas, das heute noch Grundlage für eine liberale Gesellschaft ist.

John Prince-Smith machte die Freihandelsidee in Preußen populär. Er gründete Freihandelsvereine und saß im Preußischen Abgeordnetenhaus, später auch im Reichstag. Eugen Richter war der kompromisslose Kämpfer für die klassisch liberale Deutsche Fortschrittspartei im Kaiserreich. Als politischer Gegenspieler des Reichskanzlers Otto von Bismarck, ging er gleichzeitig mit den aufkommenden Sozialdemokraten hart ins Gericht. Er wandte sich vehement gegen die Sozialistengesetze Bismarcks auf der einen Seite, aber auch gegen die Einführung der gesetzlichen Sozialversicherung auf der anderen Seite. Hermann Schulze-Delitzsch war der entscheidende Begründer und Antreiber des Genossenschaftswesens in Deutschland – Hilfe zur Selbsthilfe für Gewerbetreibende, Handwerker und Landwirte, die keinen Zugang zu Krediten hatten. Dieser Grundgedanke des Genossenschaftswesens ist bis heute im Bankwesen, im Gesundheitswesen und im Einzelhandel verankert.

Der Klassische Liberalismus damals wie heute hatte und hat viele Gegner. Sie kommen aus der konservativen wie auch aus der sozialistischen Ecke – die beide dazu neigen, das Althergebrachte zu konservieren und im Neuen nicht die Chance, sondern die Gefahr zu vermuten. Selbstverständlich gilt das nicht überall und im gleichen Maße. Die Konservativen sind häufig ökonomisch aufgeschlossener als die Sozialdemokraten, aber gesellschaftlich rückwärtsgewandt. Die Sozialdemokraten sind oft gesellschaftlich offener für Veränderungen als die Konservativen, aber ökonomisch wollen sie die alte Welt möglichst lange behalten. Letztlich vereint sie aber derselbe Irrtum: Sie trauen dem Einzelnen wenig zu. Sie glauben, dass der Staat die Dinge regeln muss, weil der Einzelne ökonomisch, geistig oder körperlich dazu nicht in der Lage ist.

Wie sieht also die Situation des Klassischen Liberalismus heute in Deutschland aus? Haben die Marktwirtschaft, der Freihandel, der Rechtsstaat und das Individuum noch eine Lobby? Aber ja! Ähnlich wie schon einmal im 19. Jahrhundert weht seit einiger Zeit, inspiriert aus dem angelsächsischen Raum, ein neuer klassisch-liberaler Wind nach Deutschland hinein. Diese Szene ist bunt, jung – und sie wächst. Dem Netzwerk „Students for Liberty“ etwa, 2008 in den USA gegründet, gehören derzeit weltweit über 2000 und in Deutschland über 20 Studentengruppen an, die dem Liberalismus verpflichtet sind.

Sogar Ludwig von Mises’ „Nationalökonomie“ und Friedrich August von Hayeks „Verfassung der Freiheit“ werden wieder neu aufgelegt und von jungen Lesern entdeckt. Die Kenntnisse dieser Klassiker tun gut; denn der deutsche Liberalismus ist in seiner Geschichte bisher niemals an seiner Prinzipientreue und Standfestigkeit gescheitert, sondern immer an seiner Beliebigkeit. Deshalb ist ein festes theoretisches Fundament so notwendig. Und als ein verlässlicher und informativer Stein in diesem Fundament dient das Buch von Eamonn Butler.

Erstmals erschienen in Der Hauptstadtbrief.

 Photo: Dmitry P from Flickr (CC BY 2.0)

Noch im März will Premierministerin Theresa May den offiziellen Antrag auf Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union stellen. Mindestens zwei Jahre wird dann über die Modalitäten des Austritts verhandelt. Damit vollzieht May das, was viele Eurokraten in Brüssel ihr nicht zugetraut haben. Großbritannien geht den Weg außerhalb der EU. Sie gehen nicht einmal den Weg Norwegens oder der Schweiz. Sie wollen in ihrem Land den übrigen EU-Staaten keine Personenfreizügigkeit zubilligen und auch noch Tribut an die EU bezahlen müssen, um vollen Zugang zum EU-Binnenmarkt zu erhalten. Die Briten gehen einen völlig neuen, aber eigentlich einen sehr traditionellen Weg. Sie wollen über ein Freihandelsabkommen die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Mitgliedsstaaten der EU und Großbritannien regeln. Das ist ihr gutes Recht und wir sollten alles dafür tun, ein möglichst liberales Freihandelsabkommen mit den Briten zu erzielen.

So sehr Deutschland auf gute Wirtschaftsbeziehungen mit Großbritannien angewiesen ist, so sehr verändert der Austritt Großbritanniens die Statik innerhalb der Europäischen Union. Die Briten waren innerhalb der EU ein notwendiges Korrektiv gegen die Zentralisierungsbestrebungen der Brüsseler Bürokratie und die Umverteilungsphantasien der Südstaaten, deren gewichtigster Befürworter Frankreich ist. Und der Zentralisierungsdruck droht unaufhaltsam weiter zu wachsen.

Eine Blaupause dieser Zentralisierungsbestrebungen könnte der bislang wenig beachtete Fünf-Präsidentenbericht sein, den die Präsidenten des EU-Parlaments, der EU-Kommission, der EZB, des Rates der EU und der Euro-Gruppe am 1. Juli 2015 vorgelegt haben. Unter Mitwirkung des damaligen Parlamentspräsidenten und heutigen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz wurde ein Plan vorgelegt, wie die Wirtschafts- und Währungsunion weiterentwickelt werden soll. Darin wird ein „Schatzamt“ für die Eurozone, eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung und ein „strategischer Investitionsfonds“ zur Angleichung der ökonomischen Verhältnisse innerhalb des Währungsraums vorgeschlagen. Kurzum: es geht um eine größere Zentralisierung und eine größere Umverteilung innerhalb des Euro-Clubs.

Gegen dieses Ansinnen hat sich Deutschland bislang erfolgreich gewehrt. Weder wurde ein europäischer Finanzminister mit einem Schatzamt installiert (ein Schatz ist eh nicht da), noch wurde die Einlagensicherung der Banken zentralisiert. Und auch beim strategischen Investitionsfonds ist, abgesehen vom bislang überschaubaren Juncker-Fonds (16 Milliarden Garantien aus dem EU-Haushalt), nicht viel passiert. Doch wie immer auf der Ebene der EU geht es für die Eurokraten darum, ein Fuß in die Tür zu bekommen – und das ist gelungen. Der Fünf-Präsidentenbericht bietet dafür die Grundlage und ist passend vorbereitet worden.

Die Einlagensicherung kann inzwischen mit einer qualifizierten Mehrheit im Europäischen Rat auch gegen Deutschland beschlossen werden. Mit einem erneuten Aufbrechen der Bankenkrise in Südeuropa würde der Ruf nach mehr öffentlichen Investitionen und für die Euro-Gruppe wieder hochkommen. Eine Krise war für EU-Kommissionspräsident Juncker bislang immer der Anlass, das Rad in Richtung Zentralismus zu drehen. 1999 sagte er dem Spiegel: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“

Ein Ersatz für die korrigierende Funktion, die bisher die Briten in der EU häufig übernommen hatten, könnte die nächste niederländische Regierung unter dem Liberalen Mark Rutte sein. Seine Wiederwahl am vergangenen Mittwoch ist ein ermutigendes Zeichen für ganz Europa. Es ist keine Gesetzmäßigkeit, dass die Gegner der EU automatisch die Wahlen gewinnen. Das gilt auch in Frankreich, Italien und auch Deutschland. Rutte ist kein EU-Romantiker. Er ist ein Europa-Realist, der den EU-Superstaat und den überbordenden Zentralismus ablehnt, aber den gemeinsamen Markt und die Freizügigkeit als große historische Errungenschaft Europas begreift und zu schützen bereit ist.

Die Niederlande müssen in einer EU der 27 die freihändlerische und marktwirtschaftliche Rolle einnehmen, die bisher oft von Großbritannien ausgeübt wurde. Aus einem deutsch-niederländischen Tandem kann, ja muss ein neuer Impuls für Europa entstehen, der nicht die Extreme bedient: auf der einen Seite „zurück in den Nationalstaat“ und auf der anderen Seite „hinein in den europäischen Superstaat“. Beides währe fatal, weil es das friedliche Zusammenleben, das gemeinsame Wirtschaften und den Austausch von Ideen in Europa bedrohen würde. Neue Grenzen innerhalb Europas können nicht die Antwort auf die Probleme sein. Man muss nicht alles teilen, was die 2016 in Frankfurt gegründete Bewegung „Pulse of Europe“ verkörpert. Aber dass inzwischen in 34 Städten tausende von Bürgern für die europäische Idee auf die Straße gehen, ist ein ermutigendes Zeichen dafür, dass  viele Bürger die Zukunft Europas in die eigenen Hände nehmen wollen. Sie wollen diese wichtige Aufgabe weder „fünf Präsidenten“ überlassen noch das Feld räumen für die Nationalisten. Politiker wie Mark Rutte haben das Zeug, den Pulsschlag für ein gesundes Europa vorzugeben.

Photo: bloggybulga from Flickr (CC BY 2.0)

Der Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron ist der Shootingstar der französischen Politik. Wenn man sich dagegen den Kanzlerkandidaten der SPD ansieht, muss man feststellen: er ist der Anti-Schulz. Nicht nur, weil er den französischen Sozialisten den Rücken gekehrt hat und seine eigene Bewegung „En Marche!“ gegründet hat, sondern auch, weil er ein modernes sozialdemokratisches Programm verkörpert. Er ist dabei wesentlich näher beim späten Gerhard Schröder als bei Oskar Lafontaine. Schulz ist dagegen inhaltlich näher beim Saarländer Lafontaine, als beim Agenda-Kanzler. Schulz will Deutschland in der Wirtschafts- und Sozialpolitik französischer machen. Macron will Frankreich in der Wirtschafts- und Sozialpolitik deutscher machen. Macrons Agenda 2017 macht durchaus Sinn, denn wie Deutschland 2003 ist Frankreich heute der kranke Mann Europas.

Die Arbeitslosenzahl liegt offiziell bei 3,5 Millionen, tatsächlich sind fast 6,4 Millionen Franzosen arbeitssuchend. Fast 60 Prozent der Wirtschaftsleistung Frankreichs geht durch die Hände des Staates. Die Industrieproduktion im Nachbarland liegt rund 13 Prozent unter dem Hoch von April 2008 und ist auf dem Niveau von vor 20 Jahren. Was Gerhard Schröder damals mit der Agenda 2010 vollbrachte und Martin Schulz jetzt zurückdrehen will, steht also Frankreich erst noch bevor.

Die Agenda Macrons ist in Teilen durchaus marktwirtschaftlich. Er will die 35-Stunden-Woche lockern, 120.000 Beamtenstellen streichen, das Parlament verkleinern, die Vermögensteuer in weiten Teilen beseitigen, Unternehmensteuern senken, Industriebeteiligungen des Staates privatisieren und das Staatsdefizit und die Verschuldung zurückführen. Als Wirtschaftsminister unter Francois Hollande konnte er viele Reformvorschläge zwar nicht durchsetzen, aber an der einen oder anderen Stelle hat er seine tendenziell marktfreundlichen Ansichten durchaus zu erkennen gegeben. So gehen die Zulassung von Sonntagsarbeit und die Liberalisierung des Fernbusmarktes auf seine Initiative zurück. Macron hat ein positives Bild von der Globalisierung und sieht in der Digitalisierung eher die Chancen als die Risiken.

Was ihn auch von Schulz unterscheidet, ist seine realistische Perspektive für die EU und den Euro. Er ist weniger „europabesoffen“ als Martin Schulz, aber dennoch weiß er die Bedeutung eines zusammenwachsenden Europas zu schätzen. Das lässt hoffen. Die Europäische Union und deren gemeinsame Währung, der Euro, stehen vor enormen Herausforderungen. Wer die EU und den Euro nicht abwickeln, sondern, trotz aller derzeitigen Schwächen, zukunftsfähig machen will, muss eigentlich auf Macron setzen. Er ist ein Euro-Realist, der weiß, dass sich das Schicksal des Euro und der EU erst recht an der ökonomischen Zukunft Frankreichs festmachen. Mit ihm ließe sich wahrscheinlich eine atmende Eurozone in Angriff nehmen, in der Mitglieder, die nicht mehr im Euro bleiben wollen oder können, wie Griechenland, aus der gemeinsamen Währung ausscheiden können. Als jemand, der Verständnis für den Markt hat, wird er auch den gemeinsamen europäischen Markt hochhalten und sich wahrscheinlich auch für mehr Haushaltsdisziplin einsetzen.

Die Alternative wäre Marine Le Pen, die auf Abschottung und Protektionismus setzt. Nicht ohne Grund sitzt sie deshalb auch mit der AfD in der gleichen Fraktion des Parlaments der Europäischen Union. Auch diese lehnt bekanntlich die gerade verhandelten Freihandelsabkommen kategorisch ab. Le Pens sozialpolitisches Programm ist dagegen sehr nahe bei Martin Schulz. Sie will die 35-Stunden-Woche erhalten, das Pensionsalter auf 60 reduzieren. Mehr noch: Martin und Marine sprechen auch die gleiche Sprache. Wenn der eine von „neoliberalem Mainstream“ fabuliert, verlangt die andere ein „Ende des Ultraliberalismus“. Ganz anders Macron.

Er plädiert dafür, „liberal“ in Frankreich nicht mehr als Synonym für „Raubtierkapitalismus“ zu sehen, sondern als Lebenseinstellung. Er will ein modernes Frankreich, das nicht die Risiken zuerst sieht, sondern die Chancen des Liberalismus. Während Marine Le Pen zurück zur Todesstrafe will und damit mehr in der Tradition der Jakobiner steht, ist Emmanuel Macron zwar noch kein neuer Frédéric Bastiat, aber er sieht dennoch die größten Herausforderungen Frankreichs darin, wie es „die Beziehung zur Arbeit, zum Geld, zur Innovation, zur Globalisierung, zu Europa, zu Ungleichheiten“ angeht. So spricht kein Pessimist, sondern einer, der selbst ins Risiko geht und den Fortschritt will. Diese Haltung der Hoffnung brauchen wir gerade heute, wo überall Politiker das Erreichte schlecht reden und die Zukunft düster malen.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.