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Der Sage nach brachte der Titan Prometheus den Menschen das Feuer, das ihnen der Göttervater Zeus als letzte Gabe zu einem guten Leben versagen wollte. Ab heute wollen wir mit „Prometheus – Das Freiheitsinstitut“ bei Ihnen das Feuer der Freiheit entfachen, um den vergötterten Vater Staat in seine Schranken zu weisen.

Wir leben in einer Zeit der geistigen Monokultur, wo der Wert der individuellen Freiheit vergessen scheint. Die Saat der staatlichen Willkür hat überall ihre Wurzeln geschlagen. Heraus kommt immer das gleiche Gestrüpp: Paragraphen und Vorschriften. Doch wenn immer das gleiche Saatgut in den Köpfen der Menschen gepflanzt wird, verkümmert die Bereitschaft, neue, andere Wege zu gehen. Freiheit schwindet und wird vergessen.

Prometheus – Das Freiheitsinstitut“ will Freiheitskeime pflanzen. Diese Freiheitskeime sollen sprießen und sich entwickeln – überall. Wir wollen sie gießen, düngen, hegen und pflegen, so dass sie irgendwann zu großen und starken Pflanzen der Freiheit werden. Diese Pflanzen heißen individuelle Freiheit, Recht und Marktwirtschaft. Sie gedeihen besonders gut auf dem Feld der offenen Gesellschaft. Wir wollen die geistige Monokultur durch eine vielfältige Fruchtfolge bekämpfen. Die verschieden Früchte heißen Freihandel, Non-Zentrismus, Selbstverantwortung, Bürgergesellschaft und offene Grenzen.

Unseren ersten Freiheitskeim pflanzt Dr. Thomas Mayer, der Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute und Kuratoriumsvorsitzender von „Prometheus – Das Freiheitsinstitut“.

Wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen über unsere neue Homepage, auf Facebook, Twitter oder bei einer persönlichen Begegnung.

Helfen Sie uns, Freiheitskeime in Deutschland zu pflanzen. Nur wer pflanzt, kann auch die Früchte der Freiheit ernten.

Photo: Gene Selkov from Flickr

Für eine neue Freiheitsagenda!

Der Beginn des 21. Jahrhunderts scheint als paternalistisches Jahrhundert in die Geschichte einzugehen. Die Marktwirtschaft wird für die Exzesse in der Finanzwelt verantwortlich gemacht und das Eigentum unter staatliche Kuratel gestellt. Kein noch so kleines Sparbuch kann heute eröffnet werden, ohne vorher bibeldicke Verbraucherinformationen zur Kenntnis zu nehmen. Kein Normalverdiener kann heute ausreichend Vorsorge für sein Alter betreiben, weil die Notenbanken den Zins marginalisieren. Jedes private Problem wird vom fürsorgenden Wohlfahrtsstaat „abgeholt“, der Nachwuchs von morgens bis abends betreut, der Erziehungsauftrag verstaatlicht. Das Gesundheitsamt überwacht die Kindervorsorgeuntersuchung, das Schulamt sorgt für ein ökologisch vollwertiges Mittagessen in der verpflichtenden Ganztagsschule und das Jugendamt bespaßt in den Schulferien die daheimgebliebenen Kinder. Mit der „Klimareligion“ gewinnt eine neue okkulte Ersatzreligion die Oberhand. Kein Haus, kein Auto und keine Urlaubsreise kann heute erworben oder angetreten werden, ohne mit einem oktroyierten schlechten Gewissen den eigenen Beitrag zur Rettung des Weltklimas zu leisten und damit dem menschgemachten Fegefeuer zu entgehen.

Es sind aktuell drei Grundlinien, die die Politik in Deutschland bestimmen: Es ist erstens die Furcht vor Veränderung gegenüber der Zuversicht auf Neues und Unbekanntes.

Es ist zweitens der Vorrang der „richtigen“ Autoritäten gegenüber klaren Ordnungsprinzipien. Dabei unterscheiden sich die konservativen Vorstellungen von Union bis AfD nur insofern von der Linken, als dass die Konservativen eine andere Art der Bevormundung des Einzelnen anstreben.

Und es ist drittens der  starke und mächtige Staat, den Linke – heißen sie Gabriel, Gysi oder Hofreiter – und Konservative –  heißen sie Schäuble oder Lucke – gemeinsam anstreben. Dies auch um den Preis, dass der Zweck die Mittel heiligt. Sie wollen das Gleiche – den fürsorgenden Sozialstaat. Nur die Handelnden sind andere.

Die Freiheitsidee des 19. Jahrhunderts war eine andere. Die klassischen Liberalen wollten die Macht vom König auf das Parlament und den Einzelnen übertragen. Sie waren für Freihandel und gegen den Schutz der Industrie und Landwirtschaft durch Zölle und Subventionen. Sie waren gegen den aufkommenden Wohlfahrtsstaat und für Hilfe zur Selbsthilfe. Das von ihnen mitbegründete Genossenschaftswesen hat seither alle Staatsformen, Regierungen und selbst Weltkriege überstanden und ist heute noch als Idee im Bankwesen, im Mittelstand und in der Landwirtschaft aktuell. Diese damals als Linksliberale bezeichneten Vorreiter waren gegen die Kolonialpolitik mit ihrem Militarismus – und für ein Selbstbestimmungsrecht aller Völker.

Auf die heutige Zeit übertragen müsste sich eine neue freiheitliche Agenda an festen und unerschütterlichen Grundsätzen orientieren.

Erstens: Machtteilung durch Gegenmacht in Parlament und Gesellschaft. Zweitens: Ein Primat von Recht und Freiheit statt eines Primats der Politik. Drittens: Marktwirtschaft und Freihandel statt einer Willkür und Abschottung durch den Staat.

Und Viertens: Einen Non-Zentralismus als Wettbewerb der Ideen.

Im Deutschland des 19. Jahrhunderts war das Ideal der Fortschrittspartei und später der Freisinnigenpartei, dessen wortgewaltiger Kopf Eugen Richter war,  die Gleichheit vor dem Recht. Später verwässerten Liberale diesen Grundsatz, indem sie Gerechtigkeit nicht mehr als „Gleichheit vor dem Recht“ interpretierten, sondern in „Chancengerechtigkeit“ umdeuteten und damit den Weg in den Wohlfahrtsstaat, dessen Allzuständigkeit und Verschuldung bereiteten. Es sollte zur Versöhnung des Liberalismus mit dem Sozialismus führen, der „Chancengerechtigkeit“ stets als Chance zur Umverteilung verstanden hat, um damit „bessere Ergebnisse“ zu erzielen. Dieser Liberalismus wird in Deutschland, aber auch darüber hinaus nicht mehr gebraucht und ist für die aktuelle „Schwächephase“ der FDP verantwortlich. Was es braucht, ist eine neue liberale Agenda im Eugen Richterschen Sinne: Eine Rückbesinnung auf die große Tradition der Fortschrittspartei und des Freisinns in Deutschland.

Aus den oben genannten Grundsätzen ließe sich eine Freiheitsagenda formulieren, die für Freihandel, offene Grenzen und ein Sezessionsrecht steht. Dabei entscheidet der Einzelne selbst, wo und wie er lebt, arbeitet, konsumiert oder investiert – und nicht der Staat.

Die Vielheit ist das Ziel, nicht deren Abschaffung. Im modernen Staat geht es um eine Begrenzung von Macht durch Teilung derselben. „Dezentral vor zentral“, „klein statt groß“, „Vielfalt statt Einfalt“ und „Privat kommt vor Staat“ sind die Maximen der Machtbegrenzung. Und es ist die direkte Demokratie als Gegenmacht zur Machtkonzentration bei Wenigen im Parlament und Regierung.

Dies gilt auch für die Bildungsfreiheit. Der Einzelne oder seine ihm Nächsten entscheiden über Bildungsinhalt, -zeitpunkt, -ort und –finanzierung – nicht der Staat.

Sie ist auch die Grundlage für eine wirklich Religionsfreiheit. Denn dort entscheidet der Einzelne, ob und wie er seinen Glauben lebt und wie er seine Kirchen, Moscheen oder Tempel  finanziert und unterstützt. Das Eigentum, die Versammlungsfreiheit und die Religionsausübung sind geschützt. Die Finanzierung der Religionsgemeinschaften erfolgt ohne den Staat und seine Mithilfe.

Und dieser konsequente Individualismus muss auch in der digitalen Welt durchgesetzt werden. Der Staat sammelt keine Daten seiner Bürger und es geht ihn auch nichts an, wer über die Autobahnen der digitalen Welt fährt.

Die Liberalen müssen an die Wurzel der immer wiederkehrenden Finanzkrisen heran und dürfen sich nicht mit einer mangelnden oder falschen Regulierung der Finanzmärkte zufrieden geben. Die Verwerfungen sind eine Krise des staatlichen Geldmonopols, das dem Staat über die Banken erlaubt, beliebig billiges Geld in Umlauf zu bringen. Die Folge dieser Alchemie des Geldes sind die immer größeren und schneller wiederkehrenden Blasen an den Immobilien- und Aktienmärkten. Das Platzen dieser Blasen nutzen die Banken, um den Staat und die Steuerzahler fortwährend zu erpressen. Die Antwort darauf muss das Zulassen von Insolvenzen von Staaten und Banken sein, verbunden mit einem Wettbewerb um gutes Geld, das die EZB überflüssig macht und private Geldemittenten nicht diskriminiert.

Und was für das Geld gilt, muss auch in der übrigen Wirtschaft durchgesetzt werden. Eine Marktwirtschaft beruht auf Freiwilligkeit und verträgt sich nicht mit Kammerzwang in Industrie, Handwerk und freien Berufen. Und eine freiheitliche Gesellschaft verträgt sich erst recht nicht mit Zwangsbeiträgen für öffentliche Rundfunkanstalten.

Ebenso muss eine Freiheitsagenda Schluss machen mit einer auf der Klimareligion basierenden Energiewende. Sie ist reine Ideologie, führt zur Zwangsbeglückung der Bürger und zerstört Natur, Umwelt und die Arbeitsgrundlage von Millionen Menschen. Alle diese Eingriffe sind letztlich Verstöße gegen das Recht und den Schutz des Eigentums. Es wird in den Einzelfall eingegriffen und damit das Eigentum beschränkt anstatt allgemeine, abstrakte und für alle gleiche Regeln zu schaffen.

Diese wenigen Leitsätze wären eine Freiheitsagenda für eine neue liberale Partei, die unverwechselbar wäre. Sie wäre eine wirkliche Gegenmacht zu den Sozialisten in allen Parteien – die Herz-Jesu-Sozialisten, die Ökosozialisten, sozialen Zentralisten, die nationalen Sozialisten, die andauernden Steuererhöher, die Subventionsgrabscher, die Ober-Planer, die konservativen Beckenrandschwimmer, die ewigen Geldausgeber und die nimmersatten Umverteiler. Der Kampf für diese Ideen fängt jetzt erst richtig an.

Dieses Essay erschien zuerst in der Samstagsausgabe der Zeitung “Die Welt” am 11.10.2014

Photo: Archana Jarajapu from Flickr

Deutsche sehen die USA oft durch die Hollywood-Brille. Kein Wunder, dass sie sich dann hauptsächlich für die Erzschurken (Bush) und Superhelden (Obama) interessieren. Dabei übersehen sie aber eine Bewegung, die sich jenseits dieser beiden Pole seit längerem sehr erfolgreich entwickelt. Deren Anhänger bezeichnen sich als Libertarians und haben sich den Kampf für die Freiheit auf die Fahnen geschrieben.

Sie wollen einfach in Ruhe gelassen werden

George W. Bush hat acht Jahre lang versucht, die Welt mit Hilfe von Kriegen zu verbessern. Barack Obama versucht sich nun seit sechs Jahren schon daran, sein eigenes Land zu verbessern. Es gibt viele Amerikaner, die von beiden Varianten die Nase voll haben. Sie wollen keine Politiker mehr, die dauernd mit neuen Ideen und Maßnahmen kommen, um etwas zu verändern, und dabei doch nur alles verschlimmbessern. Sie wollen weder bevormundet werden noch andere bevormunden.

Sie wollen einfach in Ruhe gelassen werden. Sie sind sich sicher, dass sie ihr eigenes Leben schon ganz gut selber in den Griff bekommen. Und dass auch die meisten anderen Menschen dazu im Stande sind. Sie wollen sich nicht mehr vorschreiben lassen, wer wen heiraten darf und wer nicht. Sie wollen kein Kindermädchen Staat, das ihnen erklärt, wie sie gesund leben. Sie wollen nicht von Regulierungen und Verbraucherschutz erstickt werden. Sie glauben auch nicht, dass die Vereinigten Staaten ihr politisches System in die ganze Welt exportieren sollten – oder auch nur könnten. Dem Staat, den Politikern und den Bürokraten stehen sie misstrauisch gegenüber.

Vertrauen in den Menschen

Sie sind aber keine grundsätzlich misstrauischen Menschen – ganz im Gegenteil! Dem Menschen trauen sie prinzipiell so viel zu, dass sie nicht glauben, der Staat müsse sich um ihn kümmern. Der normale Bürger ist weder dümmer als Politiker noch moralisch unterlegen. Außerdem weiß er selber wesentlich besser, was er will und was gut für ihn ist als das irgendjemand an einem weit entfernten Schreibtisch jemals könnte. Ihr Menschenbild ist so viel positiver als das derjenigen, die danach rufen, dass der Staat etwas regeln solle.

Sie glauben auch nicht, dass man Menschen kontrollieren und im Zaum halten muss. Der englische Philosoph Thomas Hobbes hatte einst das heute noch gern zitierte Wort geprägt: „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“. Was er damit sagen wollte: Grundsätzlich befinden wir Menschen uns in einem ständigen, aggressiven Konkurrenzkampf untereinander. Seine Schlussfolgerung: Es braucht einen Staat, der diese Aggressionen einhegt. Das Menschenbild der Libertarians geht von dem Gegenteil aus: Sie sind überzeugt, dass Kooperation ein wesentliches Merkmal des Menschen ist. Wir Menschen wissen schon instinktiv, dass es besser ist, mit unserem Nachbarn zusammenzuarbeiten als ihm eins über die Rübe zu ziehen.

Freie Menschen, freier Markt

Wenn man in ein Geschäft mit jemand anderem eintritt, erhofft man sich davon einen Vorteil, sonst würde man das Geschäft nicht eingehen. Das gilt aber genauso für den anderen. Aus einem freien Handel zwischen zwei Menschen gehen also zwei Gewinner hervor. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, was passiert nachdem sie in einem Laden etwas gekauft haben? Der Verkäufer bedankt sich bei Ihnen und Sie bedanken sich beim Verkäufer! Dieses „doppelte Dankeschön“ zeigt besonders anschaulich, dass der Markt ein Ort ist, an dem Menschen sich in der Regel besser stellen als vorher. Deswegen sind Libertarians auch der Ansicht, dass man dem Markt Freiheit lassen muss – damit er auch weiterhin zum Vorteil aller funktioniert.

Wer jetzt glaubt, Libertarians seien die Freunde eines zügellosen Finanzkapitals, das in regelmäßigen Abständen die Welt an den Rand des Abgrunds bringt, der hat sich massiv getäuscht. Das Problem besteht ja gerade darin, dass Zocker in den Banken vom Staat gedeckt werden. Wenn der Staat nicht immer wieder in die Bresche springen würde, um sie in letzter Minute zu retten, könnten sie sich ein solches Gebaren gar nicht leisten. Libertarians sind große Gegner dieser Verquickung aus Wirtschaft und Staat, weil das den Markt verzerrt.

Im Übrigens sind sie auch gar nicht nur an ökonomischen Fragen interessiert. Freiheit ist ja mitnichten ein Konzept, das nur im Bereich der Wirtschaft eine Rolle spielen sollte. Libertarians setzen sich auch in vielen anderen Bereichen ein, in denen Freiheit bedroht ist: Sie lehnen den tödlichen Krieg gegen die Drogen ab. Viele von ihnen wünschen sich Bewegungsfreiheit nicht nur für Menschen aus der Ersten Welt, sondern Offene Grenzen für alle. Sie kämpfen gegen einen Überwachungsstaat, der seinen Bürgern misstraut und sie unter Generalverdacht stellt. Sie sind der Ansicht, dass unsere Schlafzimmer niemanden etwas angehen und dass der Staat nicht definieren sollte, was eine Ehe ist.

Libertarians auf dem Vormarsch

Lange Zeit waren die Libertarians in den USA eher eine belächelte Randgruppe. Das ändert sich aber seit einigen Jahren rapide. Es gibt immer mehr Menschen, denen Demokraten und Republikaner zu restriktiv sind: erstere in wirtschaftspolitischen, letztere in gesellschaftspolitischen Fragen. Die letzten beiden Wahlen haben sehr viele Abgeordnete in Senat und Repräsentantenhaus gebracht, die sich zu diesen Libertarians zählen. Zum Beispiel der junge Abgeordnete Justin Amash, dem es im vergangenen Jahr im Alleingang fast gelungen wäre, ein Gesetz gegen Vorratsdatenspeicherung durchzubringen. Bei den letzten Vorwahlen der Republikaner konnte der damals 77 Jahre alte Ron Paul, ein Urgestein der Libertarian-Bewegung, einen Achtungserfolg erzielen – vor allem mit Hilfe der jungen Wähler. Sein Sohn Rand Paul, der seit 2012 im Senat sitzt und auch zu den Libertarians gehört, gilt als Topfavorit in der Republikanischen Partei für die nächste Präsidentschaftswahl in zwei Jahren.

Die Bewegung der Libertarians ist vor allem jung. Das macht sowohl ihren Charme als auch ihre Dynamik aus. Man begegnet dort nicht alten Damen und Herren, die sich seit Jahrzehnten in einer politischen Blase bewegen. Man begegnet jungen Menschen, die tatsächlich etwas verändern wollen. Edward Snowden zum Beispiel kommt aus diesem Umfeld. Seit 2008 gibt es in den USA die Organisation Students for Liberty, die sich der Verbreitung dieser Ideen widmet. Seit 2011 sind sie auch in Europa tätig. Im Frühjahr trafen sich auf einer großen Konferenz in Berlin fast 600 junge Frauen und Männer aus ganz Europa, um sich auszutauschen.

Viele Trends aus den Vereinigten Staaten kommen etwas zeitverzögert auch bei uns an. Wer weiß, was uns da noch erwartet!

 

Die Vorstellung, dass Politiker etwas gestalten, ist ein Atavismus, der aus der Zeit der Kaiser und Könige herrührt. Natürlich pflegen Politiker diesen Mythos nach Kräften. Man tut gut daran, ihnen nicht auf den Leim zu gehen. Denn Politiker in einem demokratischen System tun nicht viel mehr als auf die Impulse zu reagieren, die die Gesellschaft ihnen vorgibt. Sie sind nicht treibende Kraft, sondern Getriebene. Nicht Politiker verändern etwas, sondern Intellektuelle.

Politik bedient eine Nachfrage

In seinem jüngsten Beitrag zu unserem Dialog äußert Christopher Gohl die Befürchtung, wer argumentiere, dass Liberalismus sich von der Politik fernhalte solle, der gebe „die politische Freiheitsordnung der liberalen Demokratie zur Adoption frei“.Tatsächlich hatte ich argumentiert: „der Liberalismus kann die vom politischen Geschäft an ihn gerichteten Erwartungen nicht erfüllen, ohne sich selbst aufzugeben.“ Keineswegs geht es darum, dem von Gohl zitierten Hans-Hermann Hoppe zu folgen, der die Demokratie ablehnte. Es geht im Gegenteil darum, die Demokratie ernst zu nehmen.

Demokratie ist nämlich ganz besonders eines: die Entmachtung der Politiker zugunsten des Bürgers. Während in autoritären Staatsformen tatsächlich der Herrscher oder die Herrscherkaste die Leitlinien der Politik bestimmen, tut dies in der Demokratie vermittelt jeder Bürger. Weil der Wähler den Politiker in seine Position hinein oder aus ihr hinaus befördert, richten sich Politiker in Demokratien nicht primär nach dem eigenen Willen, sondern nach der öffentlichen Meinung. Statt wie in einer Planwirtschaft ein Angebot zu verordnen, richten sie sich wie in einer Marktwirtschaft nach der Nachfrage. Wer Einfluss ausüben will, tut gut daran, an der Nachfrage-Seite zu arbeiten.

Veränderung kommt von der Straße, nicht von Ministersesseln

Zentrale freiheitliche Veränderungen in unserer Welt wurden genau auf diese Art und Weise erreicht. Menschen, die wirklich etwas verändert haben, saßen nicht auf Ministersesseln, sondern durchstreiften die Straßen. Die Abschaffung des Sklavenhandels in Großbritannien verdankt sich der unermüdlichen Arbeit des William Wilberforce und seiner Mitstreiter. Die Ausweitung des Freihandels, der hunderttausende Arme im England des 19. Jahrhunderts aus Hunger und Elend rettet, verdankt sich dem Kampf der Manchesterliberalen um Richard Cobden. Und dass wir heute ein hohes Maß an Toleranz für die unterschiedlichsten Lebensentwürfe aufbringen, ist wesentlich ein Verdienst der Hippies und 68er.

Wie wenig Politiker in ihrem Handeln den Überzeugungen folgen, für die sie angeblich stehen, zeigen sehr anschaulich die letzten fünfzehn Jahre Bundespolitik: Da gab es eine rot-grüne Regierung, die den NATO-Einsatz im Kosovo mit beschlossen hat und die einschneidende Reformen der Arbeitsmarktpolitik durchgesetzt hat. Und da gab es eine schwarz-gelbe Regierung, die sich dauerhaft über die No-Bailout-Klausel der Maastricht-Verträge hinweggesetzt hat und die Energiewende erst richtig in Schwung gebracht hat. Warum kam es zu diesen ungewöhnlichen Entscheidungen? Weil die öffentliche Meinung die Politiker dazu getrieben hat.

Die Demokratie stößt den Politiker vom Thron

Was heißt das für Liberale? Wenn sie sich im Politik-Geschäft aufreiben, werden sie oft genug die eigenen Überzeugungen über Bord werfen müssen. Sie werden in einem Sumpf von Kompromissen langsam einsinken und untergehen. Wenn sie sich stattdessen auf die Aufgabe konzentrieren, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, werden eines Tages sozialdemokratische oder konservative Politiker liberale Politik machen müssen.

Gohl konstatiert, der von mir vertretene Liberalismus „singt nur noch die Sirenengesänge eines Eunuchen“. Das stimmt nicht. Nicht der Intellektuelle ist kastriert, sondern der Politiker. Und zwar durch das demokratische Prinzip. Denn das demokratische Prinzip ermächtigt den Intellektuellen und stößt den Politiker vom Thron. Kein König trifft mehr eine einsame Entscheidung. Vielmehr gibt es einen öffentlichen Diskurs, der die Politiker dazu bringt, sich an diesem Diskurs auszurichten. Das gibt dem Intellektuellen eine herausragende Stellung. Denn er ist ein Diskursexperte.

Freiheit im Herzen statt im Parteiprogramm

Friedrich August von Hayek hat diesen Auftrag an die Intellektuellen bereits im Jahr 1949 in seinem Aufsatz „Die Intellektuellen und der Sozialismus“ beschrieben:

Wir brauchen intellektuelle Führungspersönlichkeiten, die bereit sind, sich für ein Ideal einzusetzen, mögen die Aussichten auf ihre baldige Umsetzung auch noch so gering sein. Es müssen Menschen sein, die bereit sind, an ihren Prinzipien festzuhalten und für deren volle Verwirklichung zu kämpfen, mag der Weg auch noch so lang erscheinen. Pragmatische Kompromisse müssen sie den Politikern überlassen. Freihandel oder Chancenfreiheit sind Ideale, die vielleicht immer noch die Vorstellungskraft von vielen Menschen anregen können, aber bloße ‚pragmatische Ansätze im Freihandel‘ oder eine bloße ‚Lockerung der Regulierungen‘ sind weder intellektuell ernst zu nehmen noch werden sie wohl irgendwelche Begeisterung auslösen.

Die wesentliche Lektion, die ein echter Liberaler vom Erfolg der Sozialisten lernen kann, ist, dass sie durch ihren Mut zum Utopismus die Unterstützung der Intellektuellen bekommen haben. Dadurch erhielten sie Einfluss auf die öffentliche Meinung und können so Tag für Tag verwirklichen was erst vor kurzem völlig abwegig erschien.

Es ist die große zivilisatorische Errungenschaft der Demokratie, dass in ihr die Feder mächtiger geworden ist als das Schwert. Darum tut der Liberale gut daran, das stumpf gewordene Schwert der Politik abzulegen und die Feder in die Hand zu nehmen. Die Freiheit gewinnt nicht in der Arena der Parlamente, Ausschüsse und Gremien. Die Freiheit tritt ihren Siegeszug auf den Straßen an, auf den Marktplätzen, in den Zeitungen, Klassenzimmern und Hörsälen. Die Freiheit siegt, wenn sie in den Worten, Köpfen und Herzen der Menschen lebt.

Photo: Anonymous Account from Flickr

Politik bietet gerne Lösungen an. In unserem demokratischen System sind Lösungen das Kapital, mit dem Politiker arbeiten, um sich ihre Wahl zu sichern. Deshalb ist das Nachdenken über politische Fragen meist geprägt von der Suche nach Lösungen. Anders als Konservative und Sozialisten haben Liberale aber keine konkreten Lösungen zu bieten.

Das erschwert das Verhältnis zwischen Politik und Liberalismus nachhaltig. Der Liberalismus kann die vom politischen Geschäft an ihn gerichteten Erwartungen nicht erfüllen, ohne sich selbst aufzugeben. Das zeigt besonders deutlich die Geschichte der FDP. Aber hier soll es nicht um die FDP gehen, sondern um den Liberalismus.

Liberale sind Skeptiker

In einem sehr freundlichen Artikel begrüßt Christopher Gohl, einer der wichtigen Vordenker der FDP in den letzten Jahren – und ein Freund -, die Gründung von „Prometheus – Das Freiheitsinstitut“ durch den ehemaligen BundestagsabgeordnetenFrank Schäffler und mich.

Er ruft zum Gespräch auf zwischen den „liberalen Pragmatikern“ und den „liberalen Lehrmeistern“ und beklagt die Trennung zwischen Theorie und Praxis. In diese Klage kann ich in gewissem Maße mit einstimmen. Es gibt eine große Versuchung, sich aus der frustrierenden Realität einer illiberalen Politik und Gesellschaft in die Nestwärme der reinen Lehre zu flüchten. Die liebevolle Pflege dieser reinen Lehre, die bisweilen auch ihre zelotische Verteidigung gegen Verwässerungen von außen umfassen kann, ist jedoch nicht nur fruchtlos. Sie hat auch wenig mit dem zu tun, was den Liberalismus im Kern ausmacht. Ja, sie steht sogar in einem Gegensatz dazu.

Die Wurzeln des liberalen Weltbildes liegen in der Skepsis: Die Warnung davor, den eigenen Verstand zu überschätzen – insbesondere wenn man ihn nutzt, um für andere Menschen Entscheidungen zu treffen. Diese Skepsis hat zwei Folgen:

Ein Liberaler kann sich nicht auf Seiten der Wächter über die Bewahrung der reinen Lehre wiederfinden. Sein Ziel ist nicht Selbstbestätigung, sondern Lernen. Kaum jemand hat das so brillant formuliert wie die großen Denker der Freiheit Friedrich August von Hayek und Karl R. Popper.

Wer sich auf diese Denker beruft, kann sich nicht gleichzeitig zum Großinquisitor des Liberalismus aufschwingen. Die Menschheitsgeschichte wie das Leben jedes Einzelnen sind beständige Lernprozesse. Fortschritt und Verbesserung erreicht man nicht, indem man Recht behält, sondern indem man lernt. Soviel zu den „Idealisten“.

Bei den „Realisten“ sieht es jedoch nicht besser aus. Wenn es mit dem eigenen Verstand vielleicht doch nicht so weit her ist, dann wird es eben auch viel schwieriger, Lösungen für andere anzubieten. Das schränkt den Spielraum der Realisten natürlich stark ein.

Während Konservative und Sozialisten vielerlei Lösungen anzubieten haben, bleibt dem Liberalen dann meist nur die Rolle des Spielverderbers, der nicht viel mehr anzubieten hat als die unbequeme Aufforderung, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Oder er verabschiedet sich von seiner Haltung der Skepsis und wird zu einem Konservativen oder Sozialisten mit liberaler Rhetorik.

Nicht „negative Freiheit“ sondern Respekt

Weder Idealismus noch Realismus sind Optionen für den Liberalen. Was aber ist der Liberalismus, wenn er weder Gralshüter noch Straßenkämpfer ist? Der Liberalismus ist eine Haltung. Er ist die Haltung der Demut und Selbstbescheidung. Der Begriff der „negativen Freiheit“ ist etwas irreführend: er klingt – eben – negativ.

Dabei ist die Haltung, sich zurückzunehmen und dem anderen Raum zu bieten, alles andere als negativ. Christopher Gohl erwähnt in seinem Artikel, dass neben „erwartbaren Namen wie Hayek, Popper und Buchanan“ auch Denker wie Martin Buber und Emmanuel Lévinas zu meinen intellektuellen Leitpersönlichkeiten gehören.

Was diese beiden Denker besonders auszeichnet, ist die philosophische Begründung des Respekts vor dem Anderen. Sie passen mithin besser zu Denkern wie Popper und Hayek, als man auf den ersten Blick meinen möchte. Die intellektuelle Demut, die jene fordern, formulieren diese im existentialistischen und ethischen Bereich.

Letztlich lässt sich diese Haltung zusammenfassen mit den Worten: „Nimm Dich selber nicht zu wichtig.“ Oder in Variation für den Idealisten: „Du hast die Weisheit auch nicht mit Löffeln gefressen“; und für den Realisten: „Misch Dich nicht immer in anderer Leute Angelegenheiten ein.“

Würde durch Selbstverantwortung

Wenn wir mit Prometheus für eine Veränderung in unserer Gesellschaft werben, dann wollen wir nicht wirklich viel mehr als dies: Grenzen aufzeigen und zu Zurückhaltung aufrufen. Der Nährboden der Freiheit ist der Respekt, den wir anderen entgegenbringen.

Der Respekt, der daher rührt, dass man jedem Menschen etwas zutraut. Die Würde des Menschen liegt ganz wesentlich darin begründet, dass er für sein eigenes Leben Verantwortung übernehmen kann. Um diese Würde geht es uns. Die Geschichte unseres „Namenspatrons“ Prometheus steht dafür: Er hat den Göttern das Feuer entrissen, um es den Menschen zu geben, damit sie selbst für ihre Leben sorgen können.

Wir richten uns gegen die Götter, die die Menschen in Abhängigkeit bewahren wollen. Anders als sie bieten wir nicht Lösungen, sondern fordern Respekt ein. Und wir wollen werben für eine Tugend, die in Zeiten der Macher und Fürsorger unpopulär geworden ist: die Demut.

Ich freue mich und bin gespannt auf den Dialog mit Christopher Gohl! Ich freue mich auf gemeinsames Lernen und gemeinsames Fortschreiten – denn dieses Lernen ist das Herz des Liberalismus.

Photo by David Robert Bliwas on Flickr