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Photo: Daniel Oines from Flickr (CC BY 2.0)

Sorge treibt in diesen Tagen die deutsche Automobilindustrie um über die wirtschaftliche Entwicklung auf der Welt. Ihr Präsident Matthias Wissmann hat sich jetzt in einem bemerkenswerten Interview in der FAZ „tief besorgt wegen der protektionistischen Tendenzen“ nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in Großbritannien gezeigt. Es ist gut, wenn die heimische Industrie und ihre Verbandsvertreter für Freihandel in der Welt eintreten. Nicht nur, weil sie davon profitieren, sondern auch, weil es guter Wirtschaftspolitik entspricht, wenn der Handel nicht nur im Inland möglichst ungehindert stattfinden kann, sondern auch grenzüberschreitend. Der Kunde soll entscheiden, ob er sich lieber einen Toyota, einen Mercedes, einen Chevrolet oder einen Fiat kaufen will. Wenn ein Land diese Entscheidung durch Einfuhrzölle beeinflusst, dann ist das nicht nur für den Kunden schlecht, der plötzlich mehr für dieses Auto bezahlen muss, sondern es nimmt auch der heimischen Industrie den fortwährenden Anpassungsdruck und macht sie träge und satt.

Schon heute ist es unverständlich, dass Autoimporte aus Amerika in der Europäischen Union mit einem zehnprozentigen Einfuhrzoll belegt werden. Begründet wird das damit, dass auch europäische Hersteller in den USA Einfuhrzölle bezahlen müssen (freilich einen niedrigeren!). Doch das ist eine falsche Sichtweise. Einfuhrzölle der EU schaden direkt den Bürgern in der EU. Sie schaden den Bürgern in den USA nur mittelbar, wenn sie bei dem dortigen Unternehmen arbeiten oder Aktien halten. Doch in der EU sind alle Bürger betroffen. Ihr Angebot am Markt ist unmittelbar verzerrt. Auf bestimmte Waren wird faktisch eine Sondersteuer erhoben, um sie unattraktiver gegenüber anderen zu machen. Das beschränkt und beeinflusst das Angebot für alle Bürger.

Letztlich kassiert die EU von den Bürgern ohne sachlichen Grund ab. Das ist nicht unerheblich. Sämtliche Zolleinnahmen gehen als sogenannte „Eigenmittel“ in den Haushalt der EU. Allein aus dem Warenverkehr mit den USA kassiert die EU so 3 Milliarden Euro von amerikanischen Unternehmen bzw. den europäischen Verbrauchern.

Was Wissmann der Trump-Administration vorwirft, formuliert er in der exakt selben protektionistischen Stimmlage in Richtung London. Einen unbeschränkten Zugang von Unternehmen aus Großbritannien in die Europäische Union will er den Briten nicht zugestehen. Sein Bekenntnis zum Freihandel ist daher so glaubwürdig wie das von Donald Trump. So wie Donald Trump seine neu gewonnene Macht gegenüber kleineren Staaten wie Mexiko, Japan und Deutschland ausspielt, so will Wissmann die Macht der EU gegenüber dem kleineren Großbritannien durchsetzen. „Die Autohersteller hätten „auch eine europapolitische und staatspolitische Verantwortung“ lässt er sich zitieren. Und noch deutlicher: „Ein freier Handel mit Großbritannien ist für uns sehr wichtig. Aber noch wichtiger ist für uns Europa als Ganzes, und dass der EU-Binnenmarkt nicht beschädigt wird.“ In Trump-Sprech würde das heißen: „America First!“ Mehr „Verkumpelung“ mit der Politik geht nicht.

Die Automobilindustrie macht einen fundamentalen Fehler. Sie macht sich zum Büttel der Politik. Sie verteidigt ein System, das sie bei anderen kritisiert. Selbst wenn man sich in die Niederungen der Exportbilanz deutscher Unternehmen begibt, kann ein Lobbyverband eigentlich kein Interesse daran haben, für Abschottung zu plädieren. Der Anteil deutschen Exporte in Schwellenländer hat sich in den letzten 10 Jahren fast verdoppelt und auch in die übrigen Industrieländer außerhalb der EU signifikant erhöht. Und wenn nur der gemeinsame Währungsraum betrachtet wird, dann findet seit der Euro-Einführung 1999 ein ständiger Niedergang der Exportrate in die übrigen 17 Euro-Staaten statt. Aus Eigeninteresse müsste die Automobilindustrie eigentlich für den Abbau von Handelshemmnissen der EU sein.

Nur wer glaubhaft die Idee der Marktwirtschaft vorlebt, kann andere davon überzeugen. Vielleicht sollte sich der ehemalige Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann am ersten Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard ein Beispiel nehmen. Erhard wäre am kommenden Samstag 120 Jahre alt geworden. An die Adresse des ersten BDI-Präsidenten und heftigen Gegenspieler Erhards, Fritz Berg, Anfang der 1950er Jahre sagte der Wirtschaftsminister: „Es gibt keinen freien Markt ohne freie Preise und freien Wettbewerb. Der Marktpreis ist der einzig faire. Er lässt sich nicht errechnen, weder von Vertretern des Staates noch der Industrie.“

Photo: kees torn from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Viele, die den Ausgang der US-Präsidentschaftswahl anders vorhergesagt haben, bemühten sich nach der Wahl von Donald Trump zum neuen US-Präsidenten um Relativierung. So schlimm werde es sicherlich nicht kommen, Senat und Repräsentantenhaus würden Trump schon einhegen. Im Wahlkampf würde viel gefordert und erzählt, nachher sei man bestimmt realistischer. Die wenigen Tage Trumps im Amt lassen ganz anderes vermuten. Er macht, was er sagt. Das ist in der Politik schon einmal viel wert. Man erinnert sich noch vage an den Bundestagswahlkampf 2005, als Kanzlerkandidatin Angela Merkel eine Mehrwertsteuererhöhung von maximal zwei Prozentpunkten ankündigte und sie anschließend drei Prozent mit dem Koalitionspartner SPD, der eigentlich gar keine Erhöhung wollte, beschloss.

Vieles wird hierzulande auch übertrieben dargestellt. So ist sein Bekenntnis zu „America first“ kein Paradigmenwechsel. Im Zuge der Finanzkrise 2007/2008 verschärfte die Obama-Administration 2009 die bereits bestehende „Buy American“-Klausel für das öffentliche Beschaffungswesen. Solange das Angebot des amerikanischen Anbieters nicht 25 Prozent teurer als ein vergleichbares Wettbewerbsangebot ist, muss der amerikanische Anbieter den Zuschlag erhalten. Dieses industriepolitische Vorgehen für die heimische Industrie ist auch nicht auf Amerika beschränkt. Frankreich verband seine Hilfe für die Automobilindustrie in dieser Zeit mit der Forderung, dass keine Werke in Frankreich geschlossen werden dürften.

Doch nur, weil man im Wahlkampf die Wahrheit gesagt hat, heißt das noch lange nicht, dass das, was gesagt wurde, zu begrüßen ist. Es zeigt nur, dass Geschichte sich zuweilen auch wiederholen kann. In der Weltwirtschaftskrise in den 1920er und -30er Jahren veranlasste die amerikanische Politik, ähnlich zu reagieren wie heute. Nach einem Konjunktureinbruch 1924 ermöglichte die amerikanische Notenbank eine massive Kreditausweitung der Banken, die zu einer Blase an den Finanzmärkten führte, die dann 1929 im Börsencrash ihren Höhepunkt fand. Anschließend senkte die Fed die Notenbankzinsen auf ein historisch niedriges Niveau von zuletzt zwei Prozent und kaufte massiv US-Staatsanleihen auf. Innerhalb eines Jahres stieg deren Bilanz um 350 Prozent. Die Regierung Hoover und das Parlament reagierten mit dem Schutz der heimischen Industrie vor ausländischen Wettbewerbern. Es war das Ende des Freihandels auf der Welt. Der Smoot-Hawley Tariff Act im Juni 1930 führt für über 20 000 Artikel Schutzzölle ein, auf die die betroffenen Staaten mit Gegenmaßnahmen reagierten. Das bereits wiedereinsetzende Wachstum brach jäh zusammen. Der Welthandel schrumpfte. 1938 lag dessen Volumen um 60 Prozent unter dem Wert von 1929.

So weit sind wir noch nicht. Aber die Gefahr besteht wieder. Nach dem letzten Börsencrash 2008 liegt der US-Notenbankzins unter ein Prozent. Die Fed-Bilanz hat sich seitdem um 350 Prozent erhöht und Donald Trump präferiert „Amerika first“. Er will als Macher dastehen wie Herbert Hoover und noch mehr Franklin D. Roosevelt. Bald täglich verkündet er, dass dieses oder jenes Unternehmen seine Standortverlagerung ins Ausland zurückgenommen hat und in den USA investieren will. Für alle anderen droht er mit Schutzzöllen. Er suggeriert damit, er könne Strukturprobleme durch politischen Druck auf die Unternehmen beseitigen. Das wird auf Dauer nicht funktionieren. Angenommen, er würde so jeden Tag ein anderes Unternehmen dazu zu bringen, dass tausend Jobs im eigenen Land erhalten bleiben, dann wären es im Jahr dennoch weniger als 400 000. Bei einer arbeitsfähigen Bevölkerung von fast 250 Millionen wären dies 0,16 Prozent und damit nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Wie sollte man auf diese Politik als deutsche Regierung reagieren? Sollte man, wie 1930 weltweit geschehen, ebenfalls mit Schutzzöllen für amerikanische Waren antworten? Nein, es würde wahrscheinlich ebenso enden wie im letzten Jahrhundert. Der Handelskrieg damals trug auch zum handfesten Krieg wenige Jahre später bei. Auf Schutzzölle darf nicht mit Schutzzöllen reagiert werden, sondern mit deren einseitigem Abbau im eigenen Land. Wer für das eigene Land auf die internationale Arbeitsteilung verzichtet, schädigt sich selbst, weil er sich abkapselt. Wir sollten auf einen drohenden Handelskrieg deshalb mit einem Handelspazifismus antworten, denn Freihandel schafft nicht nur Wohlstand, sondern ist friedensstiftend.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 28. Januar 2017.

Photo: Wikimedia Commons (CC 0)

Viele unterstellen der Marktwirtschaft, sie sei inhärent unmoralisch, ihr ginge jede Moral ab. In ihr würde es nur um Gewinnstreben zu Lasten der Umwelt, der Arbeitsplätze oder der Gesundheit gehen. Deshalb brauche es eine höhere Instanz, die (moralische) Standards für alle festlegt. Das ist eine der häufigsten Begründungen für den „Primat der Politik“ und die politische Intervention der Regierung und des Parlaments. Ihre moralischen Maßstäbe sollen von allen akzeptiert werden. Diese moralische Überlegenheit führt leicht zur Überheblichkeit über andere – über Bürger im eigenen Land, aber auch in anderen Ländern.

Die Bundeskanzlerin hat vor der Industrie- und Handelskammer Köln einen Einblick in ihr moralisches Weltbild gegeben. Zwar sprach sie sich in ihrer Rede im Allgemeinen für ein „Konzept der Offenheit“, ein „Prinzip des Sich-Auseinandersetzens mit den Wettbewerbern“ aus, doch im Konkreten sieht sie ihre Rolle und die Rolle des Staates ganz anders.

Für sie ist die Europäische Union kein offenes Konzept, sondern ein abgeschotteter Raum. Wer Waren in diesen Wirtschaftsraum liefern will, muss auch die Personenfreizügigkeit im eigenen Land akzeptieren. Es gilt das Prinzip: alles oder nichts. Ihre große Sorge ist, “wenn sich plötzlich herausstellt, dass man den vollständigen Zugang zum EU-Binnenmarkt auch bekommen kann, wenn man sich nur bestimmte Dinge aussucht, dann wird der Binnenmarkt, …, als solcher sehr schnell in Gefahr geraten, weil sich jedes Land dann seine Rosinen herauspickt.“ Warum sollte ein Markt in Gefahr geraten, weil Unternehmen ungehindert Waren dorthin liefern können? Andersherum wird ein Schuh daraus. Abgeschottete Märkte verlieren die Akzeptanz der Bürger, weil diese nicht alle Waren und Dienstleistungen erhalten oder nur zu einem erhöhten Preis.

Angela Merkel macht letztlich einen ähnlichen Fehler wie Donald Trump. Es tun sich Parallelen auf zu Trumps Verständnis von Wirtschaftspolitik: Er unterstellt den Autoherstellern in Japan und Deutschland auch Rosinenpicken. Wer einfach den US-Markt mit Produkten beliefern will, ohne dass er in den USA Arbeitsplätze schafft, soll bald Strafzölle bezahlen müssen. Mit nichts Anderem droht die EU und indirekt jetzt auch Angela Merkel den Briten. Sie sollen einen Strafzoll, die EU nennt diesen „Beitrag zur Finanzierung des Binnenmarktes“, bezahlen müssen, damit die britischen Unternehmen Zugang zum EU-Binnenmarkt bekommen. Das erinnert einen an die Willkürabgaben der niedergehenden Ostblockstaaten, die an der eigenen Grenze von jedem Einreisenden eine „Infrastrukturabgabe“ verlangten, deren Sinn schon damals als ein reines Abkassieren empfunden wurde.

Merkel beklagt in ihrer Kölner Rede auch, dass es in der Vergangenheit bei der Aushandlung von Freihandelsabkommen zu häufig nur um den Abbau von Zöllen ging. Sie habe es als Umweltministerin bedauert, dass zu wenig darauf geschaut wurde, „ob auch in anderen Ländern nachhaltige Landwirtschaft betrieben wird“. Sie spricht sich dafür aus, dass sich die Regierung mit Gewerkschaften, Unternehmern und Nicht-Regierungsorganisationen über nicht-tarifäre Handelshemmnisse im Bereich Soziales, Verbraucherschutz und Umweltschutz besser abstimmen müsse. Konkret sagte die Kanzlerin: „Wenn hochentwickelte Länder wie die Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada und wir in Europa gemeinsame Standards entwickeln, wird es der Rest der Welt schwer haben, unter diesen Standards zu bleiben.“

Das ist eine sehr gefährliche Sichtweise. Wenn man diesen Gedanken Merkels zu Ende denkt, dann wird bald Bedingung für den Zugang zum EU-Binnenmarkt sein, dass die Mindestlöhne der EU auch in China bezahlt werden müssen. Und dann werden demnächst die Luftreinhaltungsstandards der EU auch in Indien oder Afrika gelten müssen, damit deren Unternehmen Waren nach Europa liefern dürfen. Entwicklungsländer würden dann dauerhaft von einem wirtschaftlichen Aufstieg abgeschnitten. Diese Handelshemmnisse würde Afrika und andere Regionen dieser Welt in ihrem Entwicklungsstand konservieren. Deren gerade beginnender Aufschwung würde abrupt beendet. Soviel zur Moral …

In der Kölner Rede Merkels kommt ein Mangel an Verständnis der Marktwirtschaft zum Ausdruck. Dabei ist die Marktwirtschaft als Ordnungsprinzip bestechend. Sie lässt es nicht zu, dass moralische Maßstäbe von anderen festgelegt werden als vom Konsumenten selbst. Der Konsument entscheidet in einer Marktwirtschaft, welche individuellen Präferenzen er wie gewichtet und welche Anforderungen er an ein Produkt oder eine Dienstleistung stellt. Für den einen ist es wichtig, dass Bekleidung in China nach bestimmten Umweltstandards und Arbeitsbedingungen hergestellt wird. Für den anderen ist es vielleicht entscheidend, dass die Ware im eigenen Land hergestellt wird. Wiederum einem anderen ist die Herkunft völlig egal, weil er sich nicht mehr leisten kann. Kaufentscheidungen und deren Gründe sind immer individuell. Ihnen mit staatlicher Zwangsgewalt einen moralischen Überbau zu geben, seien es Arbeitsplätze in den USA oder die dauerhafte Existenz der EU, ist mindestens gefährlich, wenn nicht sogar brandgefährlich, weil das zwangsläufig zu Gegenreaktionen führt, die sich immer weiter hochschaukeln. Dieser Protektionismus ist die moderne Form des Imperialismus. Der Unterschied ist lediglich, dass er im Gewand der – höheren – Moral daherkommt.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: Fraktion DIE LINKE. im Bundestag from Flickr (CC BY 2.0)

Nicht erst seit den Wirtschaftssanktionen gegen Russland, die im Zuge der Krim-Annexion durch den Westen verhängt wurden, ist das Thema Protektionismus, Abschottung oder gar Handelskriege wieder aktuell. Die Sanktionen waren schon damals falsch, weil sie Putin eine billige Entschuldigung für die desolate ökonomische Lage in Russland geboten und ihn damit eher gestärkt haben. Außerdem wurde die Landwirtschaft in Deutschland und der EU vom wichtigen Russland-Markt abgeschnitten. Der Tiefstpreis für Milch in Deutschland ist zum großen Teil dieser Maßnahme geschuldet. Die Landwirte hierzulande mussten das bezahlen.

Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten leitet jedoch eine völlig neue Stufe ein. Schon vor seiner Vereidigung am 20. Januar hat Trump per Twitter Toyota aufgefordert, das geplante Werk für die Produktion des Corolla nicht in Mexico, sondern in den USA zu bauen. Andernfalls drohte er den Japanern mit Strafzöllen. Gleiches hat er Fiat-Chrysler, Ford und General Motors ins Stammbuch geschrieben. Die klare Botschaft an alle in der Welt: nur wer in den USA produziert, geht ungeschoren davon. Wer „nur“ seine Waren in Amerika verkaufen will und anderswo „billig“ produziert, muss mit Strafzöllen rechnen. Was heute Toyota ist, kann morgen sehr schnell BWM, Siemens oder SAP sein.

Diese Wirtschaftspolitik bringt eine neue Qualität in die Handelsbeziehungen weltweit, die zugleich auch alt ist und in Realität und Theorie hundertfach widerlegt wurde. Im 16. bis zum 18. Jahrhundert nannte man diese Wirtschaftsform Merkantilismus. Die „eigene“ Wirtschaft sollte gegenüber der ausländischen Wirtschaft bevorteilt werden, um den Reichtum des Staates insgesamt zu mehren. Wirtschaft verstand man als Nullsummenspiel. Erst als die Idee des Freihandels langsam im 19. Jahrhundert Fuß fasste, begann eine Zeit des großen weltweiten Aufschwungs. Plötzlich sah man, dass die Wirtschaft kein Nullsummenspiel des einen zulasten des anderen ist, sondern eine win-win-Situation. Beide profitierten.

Sie profitierten nicht immer gleichzeitig und in gleichem Maße, aber beide profitieren. Der eine kann die Waren preiswerter kaufen als sonst und der andere findet neue Absatzmärkte, die er vorher nicht hatte und umgekehrt. Die Erfolge in der Bekämpfung der Armut in China und Südostasien in jüngster Zeit hätte es ohne den Freihandel nicht gegeben. Ohne den Freihandel hätte es den Aufstieg der osteuropäischen Länder nach dem Zusammenbruch des Kommunismus nicht geben. Und ohne Freihandel wären deutsche Unternehmen auf einen kleinen Markt mit 82 Millionen Menschen beschränkt. Ein Blick auf Venezuela kann verdeutlichen, wohin das führt. Millionen, wahrscheinlich Milliarden Menschen weltweit wurden und werden so aus bitterster Armut befreit.

Schon sind die Linken in diesem Land bemüht, ihre Fremdscham für ihren neuen Verbündeten schönzureden. Deren schlagkräftigste Truppe, „Campact“, ist schon peinlich berührt, dass sie jetzt im selben Boot sitzt wie Donald Trump. Nicht sie haben mit ihren Unterschriften und Protesten TTIP und CETA verhindert, sondern die Wahl von Trump verändert nun alles. Auf dem falschen Fuß erwischt, versuchen sie jetzt, kosmetische Unterschiede herauszuarbeiten. Sie seien, anders als Trump, für einen „fairen“ Handel. Dabei ist doch exakt das auch das Argument des neuen US-Präsidenten. Er glaubt, dass Unternehmen in China, Japan und anderswo ihre billigen Produkte lediglich durch eine manipulierte Währung auf den großen US-Markt werfen können. Das sei „unfair“, beklagte Trump bereits im Wahlkampf. Nein, Trump und „Campact“ sitzen im selben Boot.

Und nicht nur das. Auch in Deutschland ist es so, dass die Verbündeten beim Kampf gegen den Freihandel von links und rechts kommen. Sowohl Campact als auch Pegida lehnen TTIP und andere Freihandelsabkommen ab. 2015 traten stramme Pegida-Anhänger auf einer DGB-Demo vor dem Brandenburger Tor mit einem Galgen und einer Guillotine auf, an dem Sigmar Gabriel aufgehängt werden oder einen Kopf kürzer gemacht werden sollte. Abschottung führt zu Ressentiments und letztlich zu Hass. Auch bei den Parteien sitzen linke Parteien mit rechten im Boot. Es ist die gleiche Sauce. Morgens essen sie noch ihre Cornflakes zum Frühstück, mobilisieren anschließend über ihr I-Phone oder I-Pad die nächste Demo gegen den Freihandel und abends schlürfen sie dann den guten Rotwein aus Übersee.

Das erste Freihandelsabkommen wurde 1860 auf Anregung von Richard Cobden zwischen England und Frankreich formuliert. Es schaffte nicht alle Zölle und Handelsbeschränkungen auf einen Schlag ab, sondern reduzierte diese sukzessive. In dieser Tradition hat Ludwig Erhard 1959 das erste Freihandelsabkommen unterzeichnet – damals mit Pakistan. Er war wohl zu optimistisch, als er in seinem Buch „Wohlstand für alle“ formulierte: „Ich glaube, dass es der Denkkategorie einer hoffentlich überwundenen Vergangenheit angehört, die Handelspolitik als eine Dienerin der Außenpolitik oder gar als ein Instrument staatlicher Machtpolitik aufzufassen.“

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: Robyn Edge from Flickr (CC BY 2.0)

Von Maximilian Wirth, Ökonom, arbeitet in Washington D.C. im Bereich Handelspolitik und internationale Entwicklung.

Die Schlagzeilen im letzten Jahr waren schockierend: Terror von Berlin bis Bangkok, der Syrienkrieg, Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken, und die weiterhin ungelöste Eurokrise. Die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung und erstarkende Populisten auf der ganzen Welt kommen somit wenig überraschend. Viele waren dementsprechend froh, 2016 endlich hinter sich zu lassen. Und dennoch: 2016 war das beste Jahr in der Menschheitsgeschichte.

Wir sind reicher als jemals zuvor. Einkommen steigen und Waren werden zunehmend erschwinglich. Anfang des 19. Jahrhunderts musste der durchschnittliche Arbeiter noch 6 Stunden arbeiten, um das Sesamöl zu kaufen, welches er für eine Stunde Leselicht benötigte. Die Kerosinlampe senkte diese Kosten bis 1880 auf 15 Minuten Arbeit pro Stunde Licht. Heute wird weniger als eine halbe Sekunde Arbeitszeit benötigt, um eine Stunde zu lesen.

Armut sinkt auf der ganzen Welt. Der Anteil der Weltbevölkerung, die von weniger als 1,90 US$ pro Tag leben muss, ist seit 1980 von 40 auf 10 Prozent gesunken. Das Ende der absoluten Armut ist somit kein Traum mehr, sondern könnte noch zu unseren Lebzeiten Wirklichkeit werden.

Dieser Fortschritt wird möglich durch Innovation: Leute erzielen höhere Einkommen, weil Maschinen ihre Arbeit unterstützen und somit die Produktivität steigern. Wir leben länger und gesünder, weil Krankheiten, die in der Vergangenheit den sicheren Tod bedeutet hätten, heute durch Impfung verhindert oder einfach geheilt werden können. Milliarden Menschen, die einmal am Rande des Verhungerns gelebt haben, konnten sich selbst aus der Armut befreien, als vor allem asiatische Länder Teil der globalen Wirtschaft wurden.

Menschen haben die beeindruckende Fähigkeit, ihr Leben durch Innovationen zu verbessern und 2016 war da keine Ausnahme. Die Verbesserungen von Prothesen durch den Gebrauch von 3D-Druckern hätte man vor wenigen Jahren noch als Science Fiction bezeichnet. Inzwischen werden diese zunehmend zum Massenprodukt. Selbstfahrende Autos könnten unsere Gesellschaft so tiefgreifend verändern wie das Fahrzeug selbst vor hundert Jahren. Von künstlicher Intelligenz über die Sharing Economy bis zu Nano-Sensoren: die Liste der technologischen Verbesserungen letztes Jahr war so lang wie begeisternd.

Technischer Fortschritt und steigende Lebensstandards sollten allerdings nicht als selbstverständlich angesehen werden. Beides entsteht nur in einer Gesellschaft mit freiem Handel und gesicherten Eigentumsrechten. Eigentumsrechte erlauben dem Erfinder, einen Teil der Gewinne zu behalten, was ihn antreibt, ständig nach Verbesserungen zu streben. Profit und Verlust sind nötig, damit er weiß ob seine Eingebungen tatsächlich so genial sind wie er dachte. Nur wenn wir mit weit mehr Leuten als unseren direkten Nachbarn handeln können, haben wir die Möglichkeit, von den Ideen von Milliarden von Menschen anstatt nur einer Handvoll zu profitieren. Nur wenn Waren und Dienstleistungen Grenzen überqueren dürfen, können Soldaten zu Hause bleiben.

Freihandel und Kapitalismus haben unsere Welt zu einem besseren Ort gemacht. Aber sie ist weiterhin alles andere als perfekt. Bei aller Freude über die Verbesserungen sollte man die weiterhin bestehenden Probleme nicht aus den Augen verlieren. Ganze demographische Gruppen haben das Gefühl, in einer Gesellschaft zu leben, in der jeder außer ihnen seinen Lebensstandard erhöht. Vor allem wenn der Eindruck entsteht, dass einem Migranten den Job wegnehmen, oder dass der Arbeitslatz ins Ausland ausgelagert wurde, wirkt Globalisierung, der Motor unserer Wirtschaft, dann schnell wie eine Attacke auf Identität und Wohlstand. Besonders ältere Generationen wollen zudem ihre Kultur bewahren in einer Welt, die einem Wandel unterworfen ist, den sie so nie gewollt geschweige denn gewählt haben. Fast jeder ist besorgt wegen der Aggressionen innerhalb der Staaten und zwischen ihnen.  Und so steigt der Unmut über das politische „Establishment“ und die „Eliten“ aus Wirtschaft und Medien, welche unfähig scheinen, die Probleme zu adressieren.

Lösungen dafür werden dringend benötigt. Nur sollten wir uns bei der Suche danach immer die Prinzipien vor Augen halten,die unsere Gesellschaft groß gemacht haben.  Problemlösung darf nicht zur Panikmache verkommen. Globale Herausforderungen erfordern mehr internationale Kooperation, nicht weniger. Mit sinkender globaler Nachfrage sollte Handel, nicht Protektionismus auf der politischen Agenda stehen. Die Welt ist kein Nullsummenspiel. Wir können alle davon profitieren, enger zusammenzuarbeiten anstatt uns zu isolieren. Nur dann können diejenigen, die im Wandel zurückbleiben, angemessen unterstützt werden. Nur dann ist eine friedvolle Koexistenz mit unseren Mitmenschen auf Dauer möglich. Wenn diese Prinzipien bedacht werden, dann kann auch 2017 das beste Jahr in der Menschheitsgeschichte werden.