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Photo: Donald Lee Pardue from Flickr (CC BY 2.0)

In der eigenen Partei regt sich kaum Widerstand, die Demokraten antworten auf den neuen Präsidenten mit einem Linksschwenk. Man könnte meinen, die USA wären auf dem Weg in die komplette Irrationalität. Doch wie repräsentativ sind diese Extrem-Entwicklungen wirklich?

Zu erwarten: Unversöhnlichkeit und Angst

Beginnen wir mit einigen weniger überraschenden Erkenntnissen der Demoskopen. Seitdem die Frage nach der Zufriedenheit mit dem neuen Amtsinhaber gestellt wurde, hatte niemals ein Präsident in den ersten Amtswochen eine so niedrige Zustimmungsrate wie Trump (Gallup: 42 %, Pew: 39 %). Wenig überraschend ist die deutliche Polarisierung – auch dies ein historisches Novum: Von den Unzufriedenen sind 77 % äußerst unzufrieden und von den Zufriedenen sind 64 % äußerst zufrieden. Noch nie hatte ein Präsident zu Beginn seiner Amtszeit einen so geringen Anfangsbonus von Anhängern der anderen Partei bekommen wie der neue Amtsinhaber: nur 8 % der Demokraten-Wähler sind der Ansicht, dass er seine Aufgabe ordentlich erfüllt.

Die Zahlen belegen eindeutig, was nun schon seit etwa anderthalb Jahrzehnten deutlich wird: das Land ist zutiefst gespalten. Mit Trump an der Spitze freilich mehr denn je. Eine Untersuchung von Pew Research zeigt, dass die Anhänger der Demokraten prinzipiell die Bedeutung der Gesellschaft und nichtstaatlicher Spieler für erheblich wichtiger für den Erhalt der Demokratie halten als die der Republikaner. Dass zum Erhalt der Demokratie das Recht auf gewaltfreien Protest unverzichtbar ist, glauben 88 % der Demokraten und nur 68 % der Republikaner. Den Schutz, den Menschen mit abweichenden Meinungen genießen sollen, halten 80 % der Demokraten und 66 % der Republikaner für ein Kernelement einer funktionierenden Demokratie. Am eklatantesten ist allerdings der Unterschied, wenn es um die Freiheit der Presse geht, Politiker zu kritisieren: Halten das erschreckenderweise schon nur noch 76 % der Demokraten für ein wesentliches Element für die Stärke der Demokratie, so sind unter den Republikanern lediglich 49 % dieser Ansicht.

In einer sehr breit angelegten Untersuchung über das Wohlbefinden der US-Bürger hat Gallup einen Anstieg an „täglicher Sorge“ um 4,1 % seit letztem Oktober gemessen. Einen solchen Anstieg gab es zuletzt im Jahr 2008, als die Bankenkrise auf die Realwirtschaft durchschlug. Mit Sorge verfolgen viele nicht nur die Situation im eigenen Land, sondern auch das Image der USA im Ausland. Seit der Spätzeit der Bush-Regierung und deren fatalem außenpolitischen Handeln haben nie so viele Amerikaner angenommen, dass ihr Land einen schlechten Ruf hat (derzeit 57 %). Noch krasser sind die Zahlen, wenn es um die Frage geht, ob die Staats- und Regierungschefs anderer Staaten den US-Präsidenten respektieren: nur 29 % glauben, dass Jinping oder Merkel, Trudeau oder Modi dem „mächtigsten Mann der Welt“ gegenüber Respekt empfinden.

Überraschungen: Mexiko, China und – Russland

Mexiko – man müsste meinen, dass die andauernde Krise beim südlichen Nachbarn in Verbindung mit der lautstarken und massiven Kritik des Präsidenten an dem Land sich auch in der generellen Haltung der US-Bevölkerung widerspiegelt. Das Gegenteil ist der Fall: Seit 2006 haben nie so viele Amerikaner geäußert, dass sie Mexiko gegenüber wohlwollende Gefühle empfinden. 64 % empfinden so, 5 % mehr als im letzten Jahr. Und obwohl das Land wohl aus naheliegenden Gründen vor allem unter Demokraten immer mehr Sympathiepunkte sammelt, steigt dessen Ansehen auch bei Republikanern seit ein paar Jahren in ein- bis zwei-Prozent-Schritten.

China steht schon lange weit oben auf der Liste der Länder, die Trump regelmäßig mit Vorwürfen bombardiert. Doch auch Obama hatte bereits sehr aktiv versucht, den Giganten auf der anderen Seite des Pazifik ökonomisch und militärisch einzuhegen. Das Billiglohnland, die Kommunisten und dann auch noch die im Schnitt äußerst erfolgreichen jungen Zuwanderer aus dem Reich der Mitte – es gibt viele Gründe für US-Amerikaner aus allen Lagern, dem Land skeptisch bis feindselig zu begegnen. Weit gefehlt: Seit dem Tian’anmen-Massaker von 1989 haben niemals so viele US-Bürger China gegenüber Wohlwollen empfunden – allein im letzten Jahr ist deren Anteil von 44 auf 50 % der Bevölkerung gestiegen. Und das nicht zuletzt, weil Chinas Beliebtheit unter Republikanern im letzten Jahr um satte 10 % auf 38 % angewachsen ist.

Ein großes Thema rund um die Wahl herum war die Frage, wie die USA mit der russischen Regierung umgehen sollte – und wie die russische Regierung mit den USA umgeht. Unter den Demokraten ist der Anteil derer, die Putin in einem freundlichen Licht sehen, in den letzten zwei Jahren um 5 % auf nur noch 10 % gefallen, während er unter den Unabhängigen um 11 % gestiegen ist auf nunmehr 23 % und unter den Republikanern sogar von 12 % auf 32 % hochgeschnellt ist.

Die wirklichen Überraschungen: Internationale Kooperation und Freihandel

Dass Donald Trump nicht viel von der NATO hält und insgesamt eine eher abschätzige Haltung gegenüber den traditionellen Verbündeten der USA pflegt, hat offenbar bisher wenig Einfluss auf die öffentliche Meinung gehabt. In den letzten drei Jahren ist der Anteil derer, die glauben, dass es zu den wichtigsten außenpolitischen Zielen der USA gehöre, ihre Verbündeten zu verteidigen, von 60 auf 66 % gestiegen – das ist der höchste Wert seitdem diese Frage gestellt wurde. Und selbst die in den Staaten chronisch schlecht beleumundete Kooperation innerhalb der UNO ist von 58 auf 63 % hochgerückt. Es passt, dass Außenpolitik das Feld ist, auf dem Trump mit 38 % am wenigsten Zustimmung zu seiner bisherigen Arbeit bekommt, obwohl unter den Republikanern die Zustimmung mit 82 % noch sehr hoch ist.

Ein weiterer Lieblingsgegner des Dauer-Wahlkämpfers im Weißen Haus ist das NAFTA-Abkommen, das die nordamerikanische Freihandelszone konstituiert. Dabei steigt die Unterstützung der Bevölkerung für das Abkommen seit 13 Jahren kontinuierlich an und liegt mit 48 gegenüber 46 % seit kurzem über der Ablehnung. Besonders interessant ist zu sehen, wie sich seit 2004 – also lange vor Trump – die Haltungen dazu bei Anhängern der beiden Parteien immer stärker auseinander entwickeln: Während im Jahr 2004 40 % der Republikaner und 39 % der Demokraten das Abkommen positiv bewerteten, sind heute nur noch 22 % der Republikaner dafür, aber 67 % der Demokraten wie auch die Mehrheit der Unabhängigen. Besonders bemerkenswert (und ermutigend) ist die enorme Unterstützung, die das NAFTA unter jungen US-Amerikanern genießt: 73 % der 18- bis 29jährigen halten es für einen Gewinn für ihr Land.

Geradezu sensationell ist angesichts von Trumps Rhetorik das Ergebnis einer Umfrage zur Beurteilung von Außenhandel. Seitdem Gallup danach fragt, haben nie so viele Menschen geäußert, dass sie Handel für eine Wachstumschance halten. Während sich in den letzten beiden Jahrzehnten diejenigen, die Handel für eine Gefahr halten und diejenigen, die darin eine Chance sehen, immer irgendwo im Bereich zwischen 36 und 58 % aufgehalten und bei der Führung abgewechselt haben, ist der Anteil der Handels-Optimisten innerhalb des vergangenen Jahres von 58 auf 72 % hinauf geprescht. Und das trotz der handelspessimistischen Äußerungen von Trump und Bernie Sanders. Interessant ist, dass die Republikaner bis zum Jahr 2011 beständig mit einem moderaten Abstand gegenüber den Demokraten optimistischer waren, seitdem aber stets mehr Skepsis geäußert haben. Derzeit halten 80 % der Demokraten Außenhandel für eine ökonomische Chance (17 % mehr als im Vorjahr), 71 % der Unabhängigen (6 % mehr als im Vorjahr) und 66 % der Republikaner (16 % mehr als im Vorjahr).

Der letzte Paukenschlag: Diversität und Flüchtlinge

Eine der häufigsten Theorien zur Erklärung von Trumps Wahlsieg lautete, dies sei auf eine Übertreibung der Political Correctness, der Multikulturalität und der progressiven Hegemonie zurückzuführen. Die Zahlen, die Pew Research in einer seiner jüngsten Umfragen liefert, sprechen relativ deutlich dagegen: Auf die Frage, welche Auswirkungen eine größere Zahl an Menschen aus unterschiedlichen Rassen und Ethnien auf die USA hätten, antworteten 64 %, dass die USA zu einem besseren Land würden (8 % mehr als vor einem halben Jahr); 29 %, dass sich nichts ändern würde; und nur 5 % glauben, dass es schlimmer würde. Auch in der Gruppe der Menschen mit der geringsten Bildung glauben nur 8 %, dass mehr Diversität dem Land schaden würde. Selbst unter den Republikanern, die sich selbst als konservativ bezeichnen, ist der Anteil der Pessimisten bei dieser Frage im letzten halben Jahr von 15 auf 10 % gesunken.

Dem entspricht auch die Einschätzung verschiedener Religionsgruppen. In den vergangenen zweieinhalb Jahren haben bei der Frage, ob man einer bestimmten Religionsgruppe gegenüber „warme Gefühle“ empfindet, alle Gruppen außer evangelikalen Christen substantiell zugelegt. Und obwohl die Muslime immer noch – knapp hinter den Atheisten – den letzten Platz einnehmen, ist der Anteil der Menschen, der ihnen mit Sympathie begegnet von 40 auf 48 % angestiegen, was wohl unter anderem auch auf die positive Haltung der 18- bis 29-jährigen zurückzuführen ist.

Die Executive Order, mit der Präsident Trump Staatsangehörige etlicher Staaten aus dem arabisch-nordafrikanischen Raum sowie Kriegsflüchtlinge an der Einreise hindern wollte, hat medial hohe Wellen geschlagen. Dabei ist nicht nur die Stimmung gegenüber Muslimen besser geworden, sondern auch die Haltung gegenüber Flüchtlingen hat sich zu einer höheren Aufnahmebereitschaft hin entwickelt: 59 % der Befragten lehnen Trumps Anordnung ab, nur 38 % unterstützen sie. In fast allen demographischen Gruppen war eine Mehrheit gegen die Maßnahme – nur unter den über 65jährigen gab es eine geringe Mehrheit dafür. Auch quer durch die Bildungsschichten hindurch stößt sie auf Ablehnung. Ähnlich verhält es sich bei der Flüchtlingsfrage: 56 % sind der Ansicht, dass die USA in der Pflicht sei, Flüchtlinge aufzunehmen. Die Zahl derer, die eine Verpflichtung insbesondere gegenüber syrischen Flüchtlingen sehen, ist seit Oktober von 40 auf 47 % gestiegen.

Zusammenfassung

Es ist noch viel zu früh, um eine umfassende Einschätzung abgeben zu können, welchen Einfluss die außergewöhnliche Präsidentschaft Donald Trumps auf die USA haben wird. Dennoch liefern die hier vorgestellten Zahlen mancherlei interessante Einsicht. (Auch wenn die Demoskopie insgesamt nach dem Brexit-Votum und der Wahl Trumps etwas in Misskredit geraten ist.) Besonders bemerkenswert ist die ideologische Verschiebung, die sich zwischen den Wählern der beiden großen Parteien andeuten – und die nicht untypisch wäre für die USA, wo sich eine solche Neujustierung immer wieder einmal ereignet hat. Waren die Republikaner über lange Zeit die Partei der Globalisierung, so besteht die Möglichkeit, dass diese Rolle jetzt den Demokraten zufällt. Bedeutsam ist wohl auch die Beobachtung, dass die vielbeschworene ideologische Dimension der Wahl unter Umständen doch weniger Einfluss hatte als das oft angenommen wurde: Während Konservative das Ende der progressiven Hegemonie bejubelten, starrten Linke wie versteinert auf den Sieg der Rassisten. Doch auch wenn Stephen Bannon und seine Mitstreiter durchaus das Zeug haben, das Land auf ein anderes Gleis zu setzen, und mithin eine sehr ernstzunehmende Gefahr für die Werte der offenen Gesellschaft darstellen, war die Wahl selber noch nicht unbedingt ein Zeichen von tiefgreifendem Wandel. Nicht jeder Trump-Wähler ist ein radikaler Rechter – das legen die Umfragen deutlich nahe. Die Ideologie der Breitbart-Front hinter Trump ist noch lange nicht mehrheitstauglich.

Trumps Präsidentschaft könnte den Beginn einer neuen Epoche markieren – oder eine (für die meisten unangenehme) vorübergehende Erscheinung sein. In welche Richtung es sich entwickeln wird, hängt vor allem von drei Faktoren ab: Wie tief verwurzelt ist in der US-Bevölkerung die Wertschätzung von Rechtsstaat, Marktwirtschaft und freiheitlicher Demokratie? Erliegen die Demokraten derselben Versuchung wie die Labour Party in Großbritannien oder entwickeln sie sich zu einer modernen Kraft der Mitte? Und setzt sich in der Republikanischen Partei die Einschätzung durch, dass sich eine Neuorientierung der Partei hin zu Protektionismus und Isolationismus langfristig auszahlen könnte? Die Spannung bleibt, aber eines ist relativ sicher: Die Würfel sind noch nicht gefallen.

Photo: Sascha Kohlmann from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Dr. N. Christian Hesse, wirtschaftspolitischer Referent und Redenschreiber.

Wie konnte es zu Trump und Brexit kommen, obwohl doch die Meinungseliten nachdrücklich vor den Folgen gewarnt haben? Von den zwei wichtigsten Erklärungssträngen – dem ökonomischen und dem kulturellen – wäre vor allem der politischen Linken die ökonomische Erklärung lieber, da sie dann ihre bekannten Umverteilungsinstrumente ins Spiel bringen könnten.  In Umfragen ist allerdings der kulturelle Erklärungsstrang bedeutender. Weder für Trump-Wähler noch für Brexiteers war die ökonomische Ungleichheit wahlentscheidend. In der Brexit-Kampagne wurde der Widerstandsgeist gegen eine als paternalistisch, regelbrechend und abgehoben dargestellte Brüsseler Elite geweckt. Der Hauptslogan der Brexiteers war „take back control“, nicht „increase taxes and redistribution“. Gegen welche Art von Elite sich die amerikanischen Wähler richteten, zeigt der Kandidat Trump. Er zählt zwar zur ökonomischen, nicht aber zur kulturellen Elite. Auch seine Wähler sind im Durchschnitt keineswegs so ökonomisch unterprivilegiert, wie oft behauptet wird.

Die Politologen Inglehart und Norris haben sich die Motive von Trump-Anhängern und Brexiteers genauer angesehen.[1] Sie erkennen einen kulturellen backlash und ein tiefes Misstrauen gegen das linksliberale Establishment. Sowohl in den USA als auch in Großbritannien gibt es eine verbreitete, große Sorge vor illegaler Migration, vor allem aus wenig entwickelten Ländern. Aus dieser Sorge lässt sich noch keine generelle Fremdenfeindlichkeit und erst recht keine rassistische Einstellung ablesen, wohl aber eine Skepsis an der von vielen Kommentatoren gepriesenen Multi-Kulti-Gesellschaft.

Bei der nach diversen Gleichheitsidealen strebenden Meinungselite in Politik und Medien löst derartige Skepsis befremden aus. Denn die konkreten Probleme bei der praktischen Umsetzung der gut gemeinten Ideale dringen in die Elitenblasen kaum vor. Solche Blasen, in der sich jeder seine politische Meinung und moralische Erhabenheit bestätigen lässt, gab es freilich schon immer. Die heutige Blase der Meinungseliten ist aber nicht nur besonders groß, sondern auch besonders homogen. In der US-Hauptstadt Washington haben ganze 92,8 Prozent der Wähler Hilary Clinton gewählt. Unter US-Hauptstadtjournalisten sind die Präferenzen traditionell noch pro-demokratischer.[2]

Die Parteienpräferenz deutscher Meinungseliten ist zwar auch stark linkslastig, aber immerhin etwas gleichmäßiger verteilt. Für die Meinungspluralität bringt dies dennoch wenig, wenn sich alle im Bundestag vertretenen Parteien – mit einigen Abstrichen bei CSU und Linke – bei den entscheidenden europa-, gesellschafts-, migrations- und energiepolitischen Fragen weitgehend einig sind. Ein politisch korrekter Sprachcode erschwert es zusätzlich, die ohnehin ähnlichen Positionen zu unterscheiden. Es verwundert nicht, wenn in einer solchen Blase die Diskussionskultur leidet, der politische Wettstreit erlahmt und der Kontakt zur Außenwelt mehr und mehr abreißt. Die Kluft zwischen Journalisten und Lesern wächst genauso wie die zwischen Politikern und Wählern. Die resultierende Verdrossenheit beruht dann oft auf Gegenseitigkeit.

Es scheinen also weniger Neid und materielle Sorgen, auch kein (Fremden-)Hass zu sein, der viele Briten und US-Amerikaner bei ihrer Wahlentscheidung leitete. Eher eine Mischung aus Ohnmacht, Ärger und Verunsicherung. Ohnmacht, den Eliten in Washington bzw. Brüssel ausgeliefert zu sein. Ärger, sich für den eigenen Lebensstil und die eigenen Wertvorstellungen von diesen Eliten noch beschimpfen zu lassen. Verunsichert sind viele Menschen, wenn die Globalisierung, die EU-Integration und die internationalen Flüchtlingsströme abseits sanktionsbewährter Regeln über sie hereinbrechen. Vor allem die illegale Zuwanderung bereitet vielen Menschen große Sorgen. Forget the economy. It’s immigration, stupid.

Die Antworten der Meinungseliten, auch in Deutschland, fallen nun unterschiedlich aus. Einige wollen mit staatlichen Transfers die Gemüter beruhigen. In Österreich steckt die Regierung den Rentnern vor der kritischen Präsidentenwahl noch schnell 100 Euro zu. Andere verfolgen hartnäckig einen pädagogischen Ansatz. Die Politik müsse nur noch besser erklärt werden. Wieder andere werden pathetisch, geschichtsvergessen und maßlos. Nicht jede Kritik am Euro ist gleich eine Kriegserklärung, nicht jeder Tweet Trumps das Ende des Westens und nicht jeder rechte Kommunalpolitiker die Reinkarnation Hitlers.

Ordoliberale Ideen drohen im Wettstreit zwischen linken Meinungseliten und rechtem Protest unter die Räder zu kommen, wenn Protektionismus, Umverteilung und Konjunkturprogramme den scheinbar kleinsten gemeinsamen Nenner bilden. Wer weder den Bürgern, noch den selbst gesetzten Regeln, noch dem Markt mehr traut, dem bleiben nur politische Lösungen. Dabei wäre gerade hier mehr Skepsis angebracht.

Ordoliberale haben ein Grundvertrauen in die Bürger, in das Recht und in den Markt. Ihre Prinzipien und Werte können viele Menschen überzeugen, die sich enttäuscht von den Eliten abwenden. Sie müssen nur glaubhaft vertreten werden.

Freihandel

Der marktwirtschaftliche Wettbewerb und freier Handel, auch über Ländergrenzen hinweg, sind ebenso zentrale wie umstrittene Prinzipien der ordoliberalen Konzeption.  Zahlreiche Missverständnisse rund um den Freihandel halten sich hartnäckig. Während sein Beitrag zur weltweiten Armutsbekämpfung und zum friedlichen Miteinander beharrlich unterschätzt wird, wird er für globale Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht, mit denen er oft gar nichts zu tun hat. Ob wachsende Ungleichheit, globale Finanzkrisen oder Klimawandel: Ein Freihandel im ordoliberalen Sinne ist Teil der Lösung, nicht des Problems. So waren für die Finanzkrise 2008 nicht unregulierte, sondern fehlregulierte Märkte ursächlich. Man kann für den Freihandel sein, und die organisierte Verantwortungslosigkeit auf den internationalen Finanzmärkten kritisieren. Ordoliberale tun dies. Es würde schon helfen, den freien Güterhandel gedanklich stärker vom freien Personenverkehr zu trennen. Mehr Freihandel muss nicht mit mehr Migration einhergehen. Ganz im Gegenteil. Die internationale Arbeitsteilung macht Migration oft entbehrlich. Zudem kann Freihandel den Migrationsdruck mindern, indem er die wirtschaftlichen Perspektiven in den Herkunftsländern verbessert.

Doch ganz ohne Zumutungen ist auch der globale Freihandel nicht zu haben. Auf kulturelle Spannungen bietet der Freihandel alleine keine passende Antwort. Denn er beschleunigt den Strukturwandel und verändert damit den Alltag vieler Menschen oft schneller, als es ihnen recht ist. Dabei entwickelt er eine Eigendynamik, die zum Ohnmachtsgefühl der Bürger beiträgt. Doch diese Ohnmacht lässt sich begrenzen, ohne das ordoliberale Freihandelsprinzip aufzugeben. Es kommt darauf an, wie der Freihandel vertreten wird, unter welchen Spielregeln er stattfindet und wie diese Regeln durchgesetzt werden.

Demut

Das entscheidende ordoliberale Bewertungskriterium sind die Regelinteressen der souveränen Bürger. Die einzelnen Gesellschaftsmitglieder sind der Ausgangs- und Zielpunkt, keine Kollektive. Denn jeder Einzelne hat bestimmte Werte, Bedürfnisse, Kenntnisse, Fähigkeiten. Das Wissen einer Gesellschaft ist daher in Millionen Köpfen verteilt und, wie Hayek betonte, in den Traditionen, Sitten und Moralvorstellungen gespeichert. Kein Mensch kann sich in seiner kurzen Lebensspanne mehr Wissen aneignen als ein über Jahrhunderte währender Selektionsprozess. Einen anderen Eindruck zu erwecken, ist anmaßend. Doch die oben beschriebenen Eliten tun oft genau das. Wissensanmaßend sind zum Beispiel Politiker, die glauben, die Technologien der Zukunft zu kennen, Volkswirte, die auf zwei Nachkommastellen genau berechnen, wie viele Arbeitsplätze durch eine Subvention angeblich geschaffen wurden oder wie viel Euro und wie viel Cent der Brexit kostet, und Journalisten, die vom postfaktischen Zeitalter sprechen, ganz so, also hätte es jemals ein faktisches Zeitalter gegeben. Wissensanmaßend sind aber auch Bürger, die hinter jeder Hecke eine groß angelegte Verschwörung vermuten. Unwissen mag ärgerlich sein. Gefährlich aber ist, es sich nicht einzugestehen.

Es sind oft einfache Dinge, an die es zu Erinnern gilt: Politiker sollten nicht so tun, als ob sie ihr eigenes Geld, und nicht das der Steuerzahler, verteilen. Journalisten sollten zwischen Meinung und Nachricht, Wissenschaftler zwischen normativer und positiver Analyse unterscheiden können und diesen Unterschied auch kenntlich machen. Wir alle sollten die Regeln des anständigen Umgangs nicht vergessen, auch wenn wir uns bei Facebook einloggen. Im gleichen Maße, in dem sich Meinungseliten und Wutbürger zurücknehmen, gehen auch Ärger bzw. Überheblichkeit ihnen gegenüber zurück. Gegenseitiges Vertrauen kann wieder wachsen. Denn demütiges Auftreten bedeutet immer auch, dem anderen ein eigenes, souveränes Urteil zuzutrauen.

Subsidiarität

Um nicht nur dem Ärger, sondern auch dem Ohnmachtsgefühl der Menschen zu begegnen, hilft das Subsidiaritätsprinzip. Die Möglichkeiten, den globalen Freihandel lokal steuern zu können, mögen begrenzt sein. Dafür gibt es viele andere Politikfelder, über die die Menschen vor Ort am besten entscheiden können. Die Schweizer zeigen, wie das geht. Hier stimmen die Bürger direkt über viele Sachfragen ab. Wenn die Bürger aber nur alle Schaltjahre an die Urnen dürfen, entlädt sich die aufgebaute Frustration, oft recht unabhängig vom Anlass der Wahl.

In kleineren, dezentralen politischen Einheiten bekommen die Bürger so Kontrolle zurück. Sie können vor Ort die Konsequenzen von lokalen Entscheidungen und Regeln spüren und die handelnden Politiker für diese Konsequenzen haftbar machen. Fehler werden schneller erkannt und können entsprechend schneller korrigiert werden. Ein Wettbewerb um die besten Regeln wird möglich. Damit Entscheidungskompetenz nach unten abgegeben wird, braucht es oben die Einsicht, nicht alles regeln zu können – Demut also – und Vertrauen in die Bürgersouveränität, möglichst vor Ort über gute Regeln des Zusammenlebens entscheiden zu können.

Rechtsstaatlichkeit

Diese Regeln muss im ordoliberalen Ansatz der Staat durchsetzen und sich vor allem selbst an sie halten. Im Großen wie im Kleinen: Völkerrechtswidrige Kriege, gebrochene Verträge (Schengen), Klauseln (No-Bail-Out), Verbote (EZB-Staatsfinanzierung) und Abkommen (Dublin) tragen ebenso zur Erosion des Rechtsstaats bei wie No-Go-Areas, Abschiebeversagen, fehlender Respekt vor Polizisten und Delikte, bei denen erst gar keine Anzeige mehr aufgenommen wird. Das fatale Signal kommt bei den Bürgern an. Bei denen, die schon länger hier leben und bei denen, die es erst seit kurzem tun. Erodierendes Recht trug so zu erschütternden Taten vom Kölner Hauptbahnhof, der Freiburger Dreisam und dem Berliner Breitscheidplatz bei.

Um Regeln durchzusetzen und um, wie Wilhelm Röpke es ausdrückte, das Allgemeine und Dauernde zu bewahren, braucht es starke, unabhängige Institutionen. In einem funktionierenden Rechtsstaat mit einer starken Verfassung können einzelne Interessensgruppen wenig Einfluss nehmen und einzelne Politiker wenig bleibenden Schaden anrichten. Der Rechtsstaat hat seit dem 8. November 2016 deshalb auch bei den US-Demokraten neue Anhänger gefunden. Die Institutionen in den USA werden in den nächsten Jahren Gelegenheit haben, ihre Stärke zu beweisen. Die Institutionen der EU und insbesondere der Eurozone haben diesen Beweis bislang nicht erbracht. Mit jedem Regelbruch verlieren sie weiter an Vertrauen. Es mangelt in der Eurozone an glaubwürdigen Sanktionsmechanismen und letztlich an Exit-Optionen auch für Staaten, die sich an die Regeln dauerhaft nicht halten können oder wollen.

Fassen wir zusammen

Ohnmächtig, verärgert und verunsichert haben viele Menschen Donald Trump gewählt oder für den Brexit gestimmt. Darüber kann man sich echauffieren. Oder man kann mit ordoliberalen Prinzipien antworten. Der Freihandel bietet wirtschaftliche Perspektiven gerade für die Ärmsten. Gegen die Ohnmacht hilft die Rückverlagerung von Kompetenzen auf untere Ebenen. Die Antwort auf den Vertrauensverlust der Meinungseliten ist mehr Demut und eine konsequent rechtstaatliche Politik.

Die Chance ist da, für eine glaubwürdig vertretene ordoliberale Politik als Gegenentwurf zur linksliberalen Meinungselite und als Gegen-Gegenentwurf zum rechtsnationalen Protest Mehrheiten zu gewinnen. Das zeigt sich selbst im sozialistisch geprägten Frankreich und am Kandidaten Fillon. Dieser hatte es mit einer wirtschaftsliberalen und wertkonservativen Agenda zum aussichtsreichen Kandidaten gebracht. Sein Beispiel zeigt aber auch, wie schnell die Glaubwürdigkeit wieder weg ist, wenn man die eigenen Prinzipien nicht auch vorlebt. In Großbritannien und den USA sieht der Economist[3] die Regierungschefs vor dem Dilemma, nicht gleichzeitig populistische und marktwirtschaftliche Konservative sein zu können, wenn sie nicht entweder die Wähler oder die Märkte enttäuschen wollen. Die hier beschriebenen Prinzipien weisen einen Ausweg, den zumindest Theresa May vielleicht auch nutzen wird. Währenddessen vertiefen sich innerhalb der EU die Gräben weiter. Um diesen Prozess zu stoppen, sollten wir uns allen voran in Deutschland, dem Land Ludwig Erhards, wieder auf ordnungspolitische Prinzipien und damit auf die Erfolgsfaktoren der Sozialen Marktwirtschaft besinnen.


[1] Vgl. Inglehart, R. und P. Norris (2016): Trump, Brexit, and the Rise of Populism: Economic Have-Nots and Cultural Backlash.

[2] Vgl. Tim Groseclose (2011): „Left turn: How Liberal Media Bias Distorts the American Mind.“

[3] http://www.economist.com/blogs/buttonwood/2017/01/fatal-contradictions?fsrc=scn/fb/te/bl/ed/

Erstmals erschienen auf The European.

Photo: Sludge G from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Was bewegt den französischen Autohersteller PSA, Opel zu kaufen? Vielleicht ist es die Elektrostrategie der Rüsselsheimer, vielleicht ist es der Preis oder vielleicht ist es auch nur das dichte Vertriebsnetz Opels in Deutschland. Wir wissen es nicht. Ebenso wissen wir nicht, was das chinesische Unternehmen Midea bewegt hat, den Augsburger Roboterhersteller Kuka zu übernehmen. Ex-Wirtschaftsminister Gabriel wusste es jedoch gleich, so dass er einen Ausverkauf „deutscher Hochtechnologie“ heraufbeschwor. Gibt es denn „deutsche Hochtechnologie“? Nein, natürlich nicht.

Kuka gehörte nicht Sigmar Gabriel, der Bundesregierung oder allen Deutschen, sondern war im Streubesitz. Jeder konnte daher das Unternehmen kaufen. Die jeweiligen Beweggründe können dabei sehr unterschiedlich sein, warum ein chinesisches Unternehmen letztlich in das Augsburger Unternehmen investierte. Doch ist Midea eigentlich ein chinesisches Unternehmen? Immerhin sind 20 Prozent der Eigentümer nicht-chinesische Investoren. Wem gehört Opel? Neu-Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries, den Opelanern in Rüsselsheim oder allen Deutschen? Nein, seit 1929 gehört die Adam Opel AG mehrheitlich zu General Motors in den USA. Ist PSA ein französisches Unternehmen, nur weil es Peugeots und Citroëns herstellt? Auch nicht so ganz, immerhin ist daran zu fast 13 Prozent ein chinesischer Investor beteiligt. Ist die Deutsche Bank eine deutsche Bank, nur weil sie so heißt und ihre Gründung in Deutschland war? Auch nicht ganz, immerhin sind 44 Prozent des Grundkapitals in ausländischem Eigentum.

Wer in solchen Kategorien denkt, ist nicht nur fremdenfeindlich, sondern offenbart auch ökonomische Blindheit. Letztlich unterstellen die Kritiker den Investoren destruktive Absichten. Das mögen Regierungen untereinander so handhaben, bei Wirtschaftsunternehmen ist das nicht sehr wahrscheinlich. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Investor seine Investitionssumme mindestens mittel- bis langfristig vermehren will, ist weitaus größer, als dass er freiwillig Geld verbrennt. Unternehmen wollen wachsen, wollen ihre Ertragskraft erhöhen und neue Märkte erobern. Sie wollen ihre Aktionäre und Eigentümer nicht ärmer, sondern reicher machen. Alles andere ist ein Hirngespinst einer konstruktivistischen Industriepolitik. Seit 2000 soll General Motors in Europa mit Opel und anderen Marken über 15 Milliarden Dollar Verlust gemacht haben. Es ist nicht verwunderlich, dass GM so langsam die Geduld verliert. Für Opel mag die Zusammenarbeit mit PSA auch neue Chance bieten, hat GM doch bislang verhindert, dass Opel auch in Übersee seine Autos verkaufen konnte. Daher sind die Reflexe der Politik in den betroffenen Ländern besorgniserregend.

Gerade hat Gabriels Nachfolgerin Brigitte Zypries mit Italien und Frankreich einen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt, wie die EU künftig den „Ausverkauf europäischer Expertise“ verhindern kann. Es dürften künftig nicht nur Sicherheitsaspekte und die mögliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung als Untersagungsgrund möglich sein, sondern auch ökonomische Kriterien. Da fragt man sich, welche? Die Standorte, die Frauenquote oder die Anzahl der Unisex-Toiletten? Wo fängt es an und wo hört der Eingriff in die Vertragsfreiheit und das Eigentum auf?

Grundsätzlich müsse auch die Reziprozität gelten, so der Plan. Also nur, wenn das Land, aus dem der Käufer stammt, ebenfalls ausländische Übernahmen ermöglicht, dann sei das auch im eigenen Land in Ordnung. Es lässt tief blicken, dass die Nachfolgerin von Ludwig Erhard so argumentiert. Sie hat das Einmaleins der Marktwirtschaft nicht verstanden. Wieso darben denn Länder wie Griechenland oder Portugal vor sich hin? Warum ist die Arbeitslosigkeit in Italien so hoch? Weshalb hinkt Frankreich beim Wachstum anderen hinterher? Sicher nicht, weil in diesen Ländern zu viel investiert wird. Ganz im Gegenteil, weder Investoren aus dem eigenen Land noch von außen wollen ihr Geld in diesen Ländern ausreichend anlegen. Es herrscht überall in diesen Ländern Investitionsmangel. Die Ursachen dafür sind vielschichtig. Der Arbeitsmarkt ist zu starr, die Bürokratie zu lähmend, der Staatseinfluss zu dominant oder die Steuern zu hoch. Es ist die europäische Krankheit, dass Auslandsinvestitionen als Gefahr und nicht als Ausdruck der Attraktivität des Standortes betrachtet werden. Wenn die deutsche Regierung sich die Industriepolitik der Länder mit sozialistisch geprägter Wirtschaftspolitik wie Italien und Frankreich zum Vorbild nimmt, die nachweislich zurückgefallen sind, dann gefährdet sie letztlich unser aller Wohlstand.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: Wikimedia Commons (CC 0)

Von Dr. Titus Gebel, Unternehmer, Mitgründer der Deutschen Rohstoff AG, Gründer der Initiative “Free Private Cities“.

Vor vielen hundert Jahren waren die Menschen in Deutschland eingeengt durch Landesherren, Lokalfürsten und Bischöfe, die hohe Steuern forderten und das tägliche Leben bis ins kleinste regulierten. Der Kaiser war fern und hatte wenig Macht. Wer Freiheit, Selbstbestimmung und wirtschaftliche Verbesserung suchte, für den gab es nur einen Weg. Er musste in eine Freie Reichsstadt gelangen. Denn der Spruch „Stadtluft macht frei“ galt zu jener Zeit wörtlich. Der Leibeigenschaft konnte entgehen, wer entflohen und nach einer Frist von einem Jahr und einem Tag nicht wieder gefasst wurde. Am besten verließ man die Stadt während dieses Zeitraums nicht; „nach Jahr und Tag“ galt man als freier Mann.

Wieso konnten Freie Reichsstädte überhaupt existieren? Wieso ließen die Fürsten das zu? Tatsächlich waren „Freie und Reichsstädte“ das Ergebnis eines langen Kampfes ihrer Bewohner um mehr Selbstbestimmung. Dieses Abtrotzen von Rechten vom jeweiligen Stadtherrn, von vielen Rückschlägen gezeichnet, mündete schließlich in eine Art Stadtverfassung bis hin zur weitgehenden Unabhängigkeit (Freie Städte) bzw. Direktunterstellung unter kaiserliche Hoheit (Reichsstädte).

In der Stadt Köln etwa fand erstmals 1074 ein größerer Aufstand gegen den herrschenden Erzbischof statt, aufgrund von dessen Ungerechtigkeiten gegenüber Kölner Kaufleuten. Dieser wurde brutal niedergeschlagen. Aber der Drang zu mehr Eigenständigkeit war nicht aufzuhalten. 1103 ist ein eigenes Gericht erwähnt, das Schöffenkolleg, das vom erzbischöflichen Stadtherrn unabhängig war. Ab 1130 bezeichneten sich die Schöffen nach römischem Vorbild als Senatoren. 1216 konnte erstmals ein Stadtrat gegen den Widerstand des Erzbischofs eingerichtet werden. Schließlich verbündeten sich die Kölner 1288 mit einem der umliegenden Territorialfürsten gegen ihren Erzbischof, und besiegten diesen in der Schlacht von Worringen. Seitdem verwalteten sich die Kölner selbst.

Ähnliche Entwicklungen fanden anderswo statt. Die Freien Reichsstädte blühten auf und zogen scharenweise neue Siedler an. Und dann geschah etwas Überraschendes. Die bisherigen Stadtherren versuchten auf einmal nicht mehr, die städtische Unabhängigkeit zu verhindern, sondern versprachen im Gegenteil Ansässigen und Neusiedlern verbriefte Stadtrechte auf ihrem Territorium. Sie wussten um die wirtschaftliche Prosperität freier Städte und rechneten sich dadurch einen eigenen Vorteil aus. Die Städte wiederum bildeten im Laufe der Zeit mächtige Bündnisse wie den Süddeutschen Städtebund oder die Hanse, welche in ganz Nordeuropa Mitgliedstädte hatte und auch Großmächten trotzen konnte.

Vor diesem Hintergrund soll ein Vorschlag gemacht werden, wie wir in Anknüpfung an historische Vorbilder und unter Zuhilfenahme moderner Entwicklungen unser Zusammenleben in Zukunft gestalten könnten. Die Rede ist von Freien Privatstädten.

Analysieren wir zunächst den „Markt des Zusammenlebens“: Staaten existieren, weil offenbar eine Nachfrage nach ihnen besteht. Eine staatliche Ordnung schafft einen Rahmen, innerhalb dessen der Mensch sozial interagieren und friedlich Leistungen und Güter tauschen kann. Das Bestehen von Sicherheit und festen Regeln macht es möglich, dass Menschen in grosser Zahl mit- und nebeneinander leben können. Ein derartiges Zusammenleben ist so attraktiv, dass dafür auch erhebliche Freiheitseinschränkungen akzeptiert werden. Vermutlich würden selbst die meisten Nordkoreaner das Verbleiben in ihrem Land dem freien, aber einsamen Robinson-Dasein vorziehen.

Wenn man nun die Leistungen des Staates bieten und gleichzeitig dessen Nachteile – immer mehr Besteuerung, Bevormundung und Gängelung bei gleichzeitig permanenter Änderung der Spielregeln – vermeiden könnte, hätte man ein besseres Produkt geschaffen. Mein persönliches Fazit nach über 30 Jahren politischer Aktivität lautet, dass echte Freiheit im Sinne von Freiwilligkeit und Selbstbestimmung auf demokratischem Wege nicht zu erreichen ist. Diese Werte werden schlicht nicht ausreichend nachgefragt.

Aber warum nicht ein entsprechendes Nischenprodukt anbieten? Hat es Erfolg, werden mehr Menschen Vergleichbares wollen. Und warum sollten „Staatsdienstleistungen“ nicht rein privatwirtschaftlich von Unternehmen angeboten werden können? All das, was wir vom Markt her kennen, ließe sich auf unser Zusammenleben übertragen: die enorme Vielfalt des Produktangebotes, das Recht etwas nicht zu kaufen, was uns nicht gefällt, schliesslich der Wettbewerb zwischen den verschiedenen Modellen, der dafür sorgt, dass diese immer billiger und immer besser werden. Der „Staatsdienstleister“ bietet auf einem abgegrenzten Territorium ein bestimmtes Modell an und nur derjenige, dem dies zusagt, siedelt sich dort an. Solche Konzepte müssen attraktiv sein, sonst kommt niemand bzw. wandert wieder ab in andere Systeme.

Freie Privatstädte sind aus bekannten Elementen zusammengesetzt, stellen für sich genommen jedoch eine neuartige Alternative zu bisherigen Regierungssystemen dar. Sie sind herkömmlichen Staaten in mehreren Bereichen überlegen und haben daher auch eine Aussicht auf Umsetzung. Sie sind wie folgt charakterisiert:

1. Freie Privatstädte sind souveräne oder zumindest teilautonome Gebiete, welche als gewinnorientierte Unternehmen geführt werden. Für einen Jahresbeitrag gewährleistet die Betreibergesellschaft als Staatsdienstleister Schutz von Leben, Freiheit und Eigentum in einem abgegrenzten Gebiet. Die Teilnahme ist freiwillig.

2. Alle Bewohner haben mit der Betreibergesellschaft einen schriftlichen „Bürgervertrag“ geschlossen, der die gegenseitigen Rechte und Pflichten abschließend regelt. Dieser umfasst die vom Betreiber zu erbringenden Leistungen und die dafür zu bezahlende Summe, daneben die in der Freien Privatstadt geltenden Regeln. Dieser Bürgervertrag kann nicht einseitig geändert werden. Im Übrigen können die Bürger tun, was sie möchten, solange sie anderen nicht schaden.

3. Im Falle von Konflikten über Einhaltung oder Auslegung des Bürgervertrages ist jeder Bürger berechtigt, unabhängige Schiedsgerichte anzurufen, die nicht der Organisation des Betreibers angehören.

Diese Konstruktion hat den Vorteil, das sie bereits erprobt und bewährt ist. Sie entspricht dem, was wir aus den privaten Geschäften des täglichen Lebens kennen. Sei es der Brötchenkauf beim Bäcker, der Abschluss einer Versicherung oder die Beauftragung eines Steuerberaters. Stets liegt ein gegenseitiger, einvernehmlich geschlossener Vertrag zu Grunde. Dieser regelt, welches Produkt oder welche Dienstleistung zu welchen Bedingungen und zu welchem Preis zu liefern ist. Das gilt selbst dann, wenn der Vertrag – wie beim Bäcker – nur durch schlüssiges Verhalten zustande gekommen ist. Der Käufer weiß, dass sein Vertragspartner ein wirtschaftliches Interesse hat; dieser muss ihm weder Gemeinwohl noch Menschheitsrettung als Motive vorgaukeln. Bei Streitigkeiten kann man sich an unabhängige Gerichte oder Schiedsstellen wenden. Kein Verkäufer würde damit durchkommen, dass er nachträglich einseitig den Vertragsinhalt ändert oder eine Streitschlichtung ausschließlich durch eigene Einrichtungen erlaubt.

Auch in einer Freien Privatstadt bezahlt der Bürger nur für das, was er bestellt hat. Er hat einen Rechtsanspruch darauf, dass der Vertrag eingehalten wird, sowie einen Schadensersatzanspruch bei Schlechterfüllung. Streitigkeiten zwischen Bürgern und dem Betreiber werden vor neutralen Schiedsgerichten verhandelt. Ignoriert der Betreiber die Schiedssprüche oder missbraucht er seine Macht auf andere Weise, wandern seine Kunden ab, und er geht in die Insolvenz. Als privater Staatsdienstleister trägt er ein eigenes wirtschaftliches Risiko. Er kann die Kunden auch nicht zwingen, sein Produkt abzunehmen, sondern muss allein durch die Attraktivität seines Angebots Nachfrager finden.

Um eine Freie Privatstadt umzusetzen, ist eine Autonomie im Sinne territorialer Souveränität notwendig. Dies bedeutet nicht zwingend vollständige Unabhängigkeit, aber erfordert zumindest das Recht, die eigenen Angelegenheiten selbständig regeln zu dürfen. Zur Etablierung einer Freien Privatstadt bedarf es daher einer vertraglichen Vereinbarung mit einem bestehenden Staat. In diesem Vertrag räumt der Mutterstaat der Betreibergesellschaft das Recht ein, auf einem abgegrenzten Territorium die Freie Privatstadt zu den vereinbarten Bedingungen zu errichten.

Bestehende Staaten können für ein solches Konzept gewonnen werden, wenn sie sich Vorteile davon versprechen. Insofern unterscheiden sie sich nicht von den Fürsten aus der Zeit der Freien Reichsstädte. Um die Stadtstaaten Hong Kong, Singapur oder Monaco hat sich ein Kordon von dicht besiedelten und wohlhabenden Gegenden gebildet. Dessen Einwohner versteuern in den Mutterstaat. Wenn nun in einem vormals strukturschwachen oder unbesiedelten Gebiet derartige Gebilde entstehen, dann ist dies auch für den Mutterstaat ein gutes Geschäft. Dies ist auch einer der Gründe, weshalb Hongkong nach 1997 nicht von China einverleibt wurde.

Spinnt man den Gedanken weiter, könnten Freie Privatstädte auch ein Ausweg für unterdrückte Minderheiten und Flüchtlinge in Krisenregionen werden.

Wem gehört nun eine Freie Privatstadt? Sie gehört zunächst einmal allen, die dort Eigentum haben. Und wem gehört die Betreibergesellschaft? Hier ist von der Einzelfirma über die Aktiengesellschaft bis hin zur Genossenschaft alles denkbar. Vorstellbar ist, dass jeder Bewohner mit Ansiedlung einen Anteil an der Betreibergesellschaft erwirbt. Er hätte damit teil am wirtschaftlichem Erfolg und auch Mitspracherecht auf den Gesellschafterversammlungen, die über die Besetzung der Verwaltung entscheiden. Ebenso vorstellbar ist, dass der Staatsdienstleister nur einer Privatperson oder ausschließlich den Bewohnern gehört. Und auch alle Arten von Zwischenformen sind denkbar.

Die Eigentumsverhältnisse an der Betreibergesellschaft und die Regelung der Mitsprache sind gar nicht der entscheidende Punkt. Entscheidend ist, dass der Betreiber oder auch ein von der Mehrheit gewähltes Gremium nicht immer mehr Befugnisse an sich ziehen und den Bewohnern in ihre Lebensgestaltung hineinreden kann. Daher sind der Vertrag mit jedem einzelnen und die entsprechende Rechtsposition so wichtig. Es geht um größtmögliche Selbstbestimmung, nicht um größtmögliche Mitbestimmung. Wenn jeder frei entscheiden kann, was er tun und wie er leben möchte, gibt es auch für Mitbestimmungsorgane wie Parlamente keinen wirklichen Bedarf. Diese laufen zudem immer Gefahr, von Interessengruppen oder der Regierung für ihre Zwecke gekapert zu werden.

Im Grunde stellt der Betreiber als Dienstleister nur den Rahmen, innerhalb dessen sich die Gesellschaft ergebnisoffen entwickeln kann. Die einzige Veränderungssperre zugunsten von Freiheit und Selbstbestimmung ist der Bürgervertrag. So können sich zwar die Bewohner auf eine Interessenvertretung einigen und etwa einen Gemeinderat etablieren. Aber auch wenn 99% der Bewohner dort mitmachen und sich freiwillig den Mehrheitsentscheidungen unterwerfen, hat dieses Gremium kein Recht, den übrigen 1%, die damit nichts zu tun haben wollen, seine Ideen aufzuzwingen. Das ist der Punkt, an dem bisherige Systeme regelmäßig gescheitert sind: die dauerhafte Gewährleistung der individuellen Freiheit.

Weder Demokratie, noch Verfassung, noch Gewaltenteilung, noch ausgeklügelte Checks and Balances haben sich als geeignet erwiesen, die Rechte des Einzelnen dauerhaft zu schützen. Stets reißen im Laufe der Zeit Gruppen oder Einzelpersonen die Macht an sich und missbrauchen diese nach eigenem Gutdünken.

Das liegt allerdings auch daran, dass alle bisherigen Ordnungen auf einem Über-/ Unterordnungssystem beruhen. Eine Seite ordnet an, die andere muss parieren. Eine Seite ändert ständig die Spielregeln, die andere kann nichts dagegen tun. Das betrifft leider auch die Regeln, die zum Schutz des Einzelnen gedacht sind. Die jeweiligen Machthaber tragen zudem kein eigenes wirtschaftliches Risiko für Fehlentscheidungen, sind rechtlich immun gegen Haftung und haben gegenüber den Regierten keine einklagbaren Verpflichtungen. Eine derartige Macht ohne Haftung korrumpiert am Ende jeden.

In der Freien Privatstadt hingegen ist jeder Souverän Seiner Selbst, der aufgrund freiwilliger Vereinbarung einen echten Vertrag mit einem mehr oder weniger gewöhnlichen Dienstleister abgeschlossen hat. Beide Parteien sind formal gleichberechtigt und somit rechtlich auf Augenhöhe. An die Stelle des Verhältnisses Obrigkeit-Untertan tritt das Verhältnis Kunde-Dienstleister. In herkömmlichen Systemen ist der Bürger zur Steuerzahlung verpflichtet, ohne ein korrespondierendes Leistungsrecht zu haben. In einer Freien Privatstadt stehen Leistung und Gegenleistung in einer direkten Beziehung. Beide Vertragspartner haben einen Anspruch auf Vertragserfüllung, d.h. der Betreiber kann vom Bürger die Zahlung des festgesetzten Beitrags verlangen, aber eben keine zusätzlichen Beträge. Der Bürger wiederum kann vom Betreiber einklagen, dass dieser seinen vertraglichen Verpflichtungen nachkommt, indem er etwa Sicherheit und ein funktionierendes Zivilrechtssystem gewährleistet. Wer der Betreibergesellschaft gerade vorsteht und wem diese gehört, ist für das Funktionieren des Modells ohne Belang.

Im Ergebnis weisen Freie Privatstädte gegenüber den Staaten wie wir sie kennen, erhebliche Wettbewerbsvorteile auf:

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Photo: Dennis AB from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Dr. Matthias Bauer, Senior Economist beim European Centre for International Political Economy (ECIPE), Brüssel. Dr. Bauer ist auch verantwortlich für die sehr ausführliche Analyse „Manufacturing Discontent – The Rise to Power of Anti-TTIP-Groups„.

Ein Wesensmerkmal von totalitären Regierungen ist es, dass sie das Denken von Menschen in ihrem Sinne zu beeinflussen versuchen. Erfolgreich sind sie am ehesten, wenn nicht nur möglichst viele Menschen anfangen, an die Positionen und Ziele dieser Regierungen zu glauben, sondern sich tiefgreifend und auf Dauer mit ihnen identifizieren. Donald Trump ist sicher kein mustergültiger Autokrat. Der Wahlkampf und die ersten Regierungstage des jüngst vereidigten US-Präsidenten zeigen indessen unübersehbare Züge eines Kommunikationsverhaltens, das man am ehesten bei autokratischen Machthabern und Klientelpolitkern vermuten würde, die in aller Regel nicht das Gemeinwohl im Blickfeld haben.

Man muss kein Experte für politische Kommunikation sein, um in der Arte und Weise, wie Trump mit Fakten und der Vereinfachung von komplexen Sachverhalten umgeht, Ähnlichkeiten zur (deutschen) Anti-TTIP-Bewegung zu erkennen. Mit anmaßender Zweifellosigkeit, katastrophischen Gedanken, Gruppendenken (WIR!), der bewussten Unterschlagung von Fakten und dem Heraufbeschwören von Misstrauen und Neid gegenüber ausgemachten Feinden der Gesellschaft kämpfen beide effektiv für dieselben Ziele: Wirtschaftliche Abschottung und die Rückbesinnung auf das Nationale.

Würde die Freiheitsstatue fühlen können, es würde ihr die Tränen in die Augen treiben. Würde sie sprechen können, hätte sie sich angesichts der Missachtung ordnungspolitischer Prinzipien durch die Politik vergangener Jahrzehnte – denn daraus ziehen diese und andere nationalistische Bewegungen ihren Erfolg – mahnend zu Wort gemeldet.

Über jeden Zweifel erhaben: Gehasst wird stets ungenau

In ihrem Buch „Gegen den Hass“ fragt die Autorin Carolin Emcke, ob sie hassende Menschen beneiden sollte. Schließlich sei Hass ein Phänomen, das absoluter Gewissheit bedürfe, ein Gefühl, das ohne genaues Hinsehen auskomme. In diesem Lichte betrachtet erscheinen die griffigen Kampagnen-Slogans der Anti-TTIP-Bewegung als Ausdruck eines tiefsitzenden Hasses, der sich gegen die Gesellschaft, so wie sie ist, als Ganzes richtet und der über jeden Zweifel erhaben scheint. Ob die Kampagnenmanager von attac, BUND, Campact, Greenpeace und auch den ihnen verbundenen Parteien diejenigen sind, bei denen der Hass am tiefsten sitzt, lässt sich nicht ohne weiteres attestieren. Nicht zuletzt seit Machiavelli weiß man allerdings, dass man mit der Heraufbeschwörung von Hass gute Geschäfte machen und politische Wahlen beeinflussen kann. Vor allem die an den TTIP-Protesten maßgeblich beteiligten Nichtregierungsorganisationen haben finanziell von der Verbreitung und Heraufbeschwörung griffiger Hass-Metaphern wie „Kapitalismus geht über Leichen“, „TTIP ist böse“, „TTIP ist unfairhandelbar“ und „Stopp TTIP“ profitiert.

Damit richteten sich die pfiffigen Kampagnenmanager vor allem an diejenigen Menschen, die gegenüber Politik, Staat, Gesellschaft – und Amerika – gemeinhin skeptisch bis ablehnend eingestellt und zugleich zugänglich für einfache Wahrheiten sind. Wie in einer Kurzreportage des ARD-Magazins Plusminus vom 14. Dezember 2016 in erschreckender Weise deutlich wird, zielten die von den Kampagnen-NGOs entwickelten Banner und Schlagzeilen ganz bewusst nicht darauf ab, Bürger ausgewogen und evidenzbasiert zu informieren. Richtig aufklären, das wollten sie nie. Und dies eint sie mit der politischen Rechten. Ihre Zwecke, in der Regel Organisationsinteressen (Spenden) oder die Aussicht auf politisches Mandate, scheinen dabei alle Mittel zu heiligen.

Und was macht Donald Trump? Auch in der Rhetorik Donald Trumps und seiner Anhänger wird das Wunderbare, nämlich die sozialen und materiellen Errungenschaften eines international möglichst freien Handels, zum Wundersamen und Ablehnungswürdigen herabgesetzt. Trump fordert nicht nur genau das, was sich linke Parteien und die Kampagnen-NGOs in den Protesten gegen TTIP so groß auf die Fahnen geschrieben haben; mit der Aufkündigung von Handelsabkommen und der Einführung von Zöllen und Strafsteuern für Importeure will er es für die USA nun auch politisch umsetzen. Sozial und national soll es sein. Oder auch umgekehrt.

Die Tatsache, dass sich Trump auf eine politisch dann doch eher diskriminierende Einwanderungspolitik eingeschossen hat, müsste den Spin-Doktoren der Anti-TTIP-Kampagnen-NGOs, noch vielmehr allerdings den leichtgläubigen Unterstützern der Anti-TTIP-Bewegung, zu denken geben. In Trumps „America First“-Vision wird, genauso wie in den Protest-Aktionen gegen TTIP, vieles vermischt. Mit Hasspredigen gegen TTIP und die USA und dem bewussten Diffamieren und Dämonisieren der politischen Gegner (neudeutsch: bullying) haben sie dem Trumpismus auf beiden Seiten des Atlantiks einen fruchtbaren Boden bereitet.

Verbreitung katastrophischer Gedanken und bewusstes Unterschlagen von Fakten

Attac schreibt: „Freihandelsfalle TTIP“. Greenpeace schreibt, es handele sich bei Investitions-Schiedsgerichten per se um eine „Paralleljustiz für Konzerne“. Und die Katholische Arbeiterbewegung sagt in Anlehnung an Papst Franziskus, und ganz im Sinne befreiungstheologischer Rhetorik, „Nein zu einer Wirtschaft die tötet – Nein zum transatlantischen Freihandelsabkommen!“ Kaum jemand in Deutschland hat mittlerweile nicht mitbekommen, dass TTIP einen Angriff auf unsere Demokratie darstellt und US-Konzerne zukünftig unsere Gesetze nicht nur schreiben, sondern diese auch gegen den Willen der Bürger durchsetzen werden. Dies sind die Narrative, die den Bundesbürgern von den Kampagnenorganisationen und deren federführenden Protagonisten seit 2013 mit Kalkül in den Mund gelegt wurden.

Dabei erlebten die Kampagnenmacher nicht nur in den sozialen Online-Medien Facebook und Twitter, wo sich ihre Positionen viral verbreiteten, etliche Sternstunden; sie schafften es auch, deutsche Vereinssäle und Gemeinderäume zu füllen. Etwa 60 Prozent aller zwischen Februar 2015 und Februar 2016 stattfindenden TTIP-Veranstaltungen in Deutschland wurden von erklärten Anti-TTIP-Bündnisorganisationen veranstaltet. Knapp 50 Prozent aller selbsternannten Experten wurden von den Bündnisorganisationen entsendet. Die mit Abstand am häufigsten auftretenden TTIP-Gegner haben indessen so gut wie keinen Bezug zu Unternehmen, geschweige denn Importeuren und Exporteuren. Sie wurden beruflich ausnahmslos in politischen Parteien, staatlichen Institutionen, Gewerkschaften oder sog. Nichtregierungsorganisationen sozialisiert. Gleichwohl sind sie ganz besonders gewiefte Geschäftemacher: Sie leben gut vom Protest gegen das System. Dabei vereinfachen sie, unterschlagen Fakten und gängeln diejenigen, die nicht ihren Meinungen folgen mit dem Ziel ein Meinungsmonopol zu schaffen.

Die Tatsache, dass Donald Trump Menschen aus der Wirtschaft in hohe politische Ämter gehoben hat, gibt Anlass zur Hoffnung, dass mit ihnen ein gemäßigterer Ton in die politischen Debatten der USA eingekehrt. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass auch Donald Trump im Rahmen seiner Wahlkampfreden und -tiraden die amerikanische Gesellschaft bewusst tief gespalten hat. Auch er hat mit griffigen Metaphern komplexe wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenhänge berechnend vereinfacht. Auch er hat berechnend polarisiert, diffamiert und die Sorgen, Nöte und Vorbehalte vieler Bürger in festsitzende Ressentiments im Sinne neidisch-feindseligen Denkens gekehrt.

Die Antworten einer gemäßigten, gemeinwohlorientierten Politik sind die Antworten des Ordoliberalismus 

Auch wenn Donald Trump und die Strippenzieher hinter den Anti-TTIP-Protesten zur Wirklichkeitsillusion neigen, trafen sie innerhalb breiter Teile der Bevölkerungen doch einen Nerv. Den Grundstein für den Erfolg beider Bewegungen – zu denen man auch die Pro-Brexit-Kampagnenbewegung ins Verhältnis setzen kann – haben in der Vergangenheit jedoch andere gelegt, nämlich diejenigen Politiker, die sich naiv von ordnungspolitischen Prinzipien abgewendet und somit das Vertrauen vieler Bürger in Staat und Politik leichtfertig aufs Spiel gesetzt haben.

Die Kampagnen gegen TTIP (oder für den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union) waren nur deshalb so erfolgreich, weil durch die Europapolitik der vergangenen Jahre gewaltige Umverteilungsmechanismen in Gang gesetzt und zugleich Regelbindung und Rechtsstaatlichkeit nach wie vor systematisch missachtet werden. Auch in den USA scheint der schon lange schwelende Konflikt zwischen staatlich verordneter Solidarität und Eigenverantwortung – aus europäischer Perspektive zugegebenermaßen einigermaßen schwer nachzuvollziehen – eine treibende Kraft gewesen zu sein.

Für Europa lassen sich die Umverteilungs- und Rechtsstaatsprobleme exemplarisch an der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, der Nichtbeachtung der immer wieder aufgeweichten Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sowie gegenwärtigen politischen Bestrebungen, eine europäische Arbeitslosenversicherung oder eine europäische Einlagensicherung zu schaffen, festmachen. Auch wenn jedes dieser Problemfelder gesondert betrachtet werden muss: Individualpsychologisch geht damit die Wahrnehmung einher, man verliere die Kontrolle über das eigene Leben, sein Eigentum und würde von den „Elitären“ geschröpft, reglementiert und systematisch über den Tisch gezogen.

Um es mit den Worten Goethes zu sagen: Solange es die Politik versäumt, Gesetze zu verabschieden, in denen Eigenverantwortung, Subsidiarität und die Durchsetzung von Regeln Vorrang gegenüber ausufernden und faktisch unkontrollierbaren Umverteilungsmechanismen haben, werden die ideologischen Skizzisten, die immer nur entwerfen ohne etwas fertig zu machen, und die Punktierer, die das Große und Ganze aus den Augen verlieren, auch zukünftig in breiten Teilen der Bevölkerung (unvernünftige) Leidenschaften heraufbeschwören können. Den politischen Neblern, die das Ahnungsvolle bevorzugen, muss prinzipiengeleitet entgegengetreten werden, um die Säulen, auf denen unsere freiheitliche und pluralistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung aufbaut, vor Erosion zu bewahren. Die dauerhafte Orientierung an ordoliberalen Prinzipien würde der Gefährlichkeit politisch linker und rechter Ideen dauerhaft die Gefahr nehmen.