Beiträge

Photo: Metro-Goldwyn-Mayer Studios

Stil-Ikone, Kommunistenfresser, Macho, Weltretter – wenige Figuren haben die Pop-Kultur so langfristig geprägt und zu Begeisterung und Entrüstung geführt wie James Bond. Er steht stellvertretend für die enorme Prägekraft westlicher Kultur. Und das ist in der Summe sehr gut so.

Im Angesicht der Todes

James Bond hatte es mit jedem erdenklichen Schurken aufgenommen: Natürlich mit den Sowjets, aber auch mehrfach mit einer Weltverschwörungs-Gruppe, mit Wirtschaftskriminellen, Diktatoren, Drogenbaronen, Öko-Extremisten, Hackern und Medienmogulen. Diese Erzschurken wollen bisweilen die gesamte Menschheit vernichten. Immer aber ist ihre kriminelle Aktivität darauf gerichtet, die Freiheit und den Wohlstand der Menschen zu kapern. Der ebenso furchtlose wie stilsichere Geheimagent nimmt es regelmäßig mit veritablen Menschenfeinden auf. Während er dabei oft genug auch mit den Fallstricken der britischen Bürokratie zu kämpfen hat und auch mit mancherlei moralischen Dilemmata konfrontiert ist, bleibt er im Grunde seines Herzens doch immer ein aufrechter Mensch, der sich nach Kräften bemüht, den Sieg des Bösen zu verhindern.

Freilich sind viele der Filme, die seit 55 Jahren einen Kernbestand der Pop-Kultur bilden, auch sehr zeitverhaftet. Der von Sean Connery verkörperte James Bond der 60er Jahre empfiehlt sich nicht als Vorbild für den Umgang mit Frauen. Der optimistische und selbstsichere Bond Pierce Brosnans passte hervorragend in die Aufbruchsstimmung der 90er Jahre und personifiziert geradezu das Wort des Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama vom „Ende der Geschichte“. Dagegen ist Daniel Craigs Interpretation schon vom Selbstzweifel einer Welt geprägt, die 9/11 und die Finanz- und Wirtschaftskrise hinter sich hat. Man kann sicherlich auch manches kritisieren am Setting der Filme, die eigentlich nur die Welt der Reichen und Schönen darstellen. Aber die Filme waren zur Unterhaltung gedacht – und sie haben über Jahrzehnte hinweg Abermillionen von Menschen großen Spaß bereitet.

Die Welt ist nicht genug

Gerade diese Anziehungskraft des coolen und souveränen Top-Agenten hat aber noch weitaus größere Wirkung als nur die Werbeeffekte für Omega, Sony und Aston Martin. Er ist ein Produkt der Unterhaltungsindustrie, das weltweit konsumiert wird. In China und Indien gehörte der letzte Bond zu den erfolgreichsten Filmen überhaupt. Von kleinen Städtchen im Amazonas bis ins Politbüro von Vietnam – überall kennt man James Bond. Mehr als 90 % der Weltbevölkerung kennt gar keine Welt ohne James Bond-Filme. Die Bedeutung dieses Faktums lässt sich kaum überschätzen. Denn es bedeutet, dass unzählige Menschen rund um den Globus die „westliche“ Lebensart kennenlernen. Die prägende Kraft solcher Erzählungen ist gewaltig. Auch wer nie die politische Geschichte Großbritanniens studiert, die US-Verfassung in der Hand gehabt oder sich mit dem Scheitern von Plan- und Staatswirtschaft auseinandergesetzt hat, bekommt über den Konsum dieser Filme die Botschaft vermittelt, dass es böse Menschen gibt, die Krieg säen und Unfreiheit verbreiten wollen – und dass es wichtig ist, diese Menschen aufzuhalten.

Dadurch wird natürlich noch nicht jeder Bond-Fan zu einem glühenden Anhänger des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates und der Marktwirtschaft. Aber nie war es so leicht wie heute, die Werte zu vermitteln, die für ein friedliches und gedeihliches Miteinander der Menschen grundlegend sind. Der Job, den früher Lehrer und Journalisten, Aktivisten und Politiker in mühseliger und hartnäckiger Kleinstarbeit leisten mussten, unterstützen und übernehmen im Zeitalter der Massenunterhaltungsindustrie Drehbuchautoren und Regisseure, Sängerinnen und Comic-Zeichner. Die Globalisierung der Pop-Kultur ermöglicht schneller, effizienter und breitenwirksamer eine weltweite Vermittlung von freiheitlichen Werten als das regierungsfinanzierte und -organisierte Organisationen je könnte.

Der Spion, der uns liebt

Historiker schreiben einem Unterhaltungskünstler wie David Hasselhoff eine bedeutende Rolle auf dem Weg zur Wiedervereinigung zu. Junge Chinesen können heute durch Superhelden wie Batman oder Captain America ein Verständnis dafür bekommen, dass ein übergriffiger Staat und eine korrupte Bürokratie nicht Normalität sein müssen. Und Schauspielerinnen, Sänger und Models vermitteln in Interviews, die millionenfach im Internet gelesen oder angesehen werden, jungen Menschen Selbstwertgefühl und Hoffnung. Manche mögen diese Statements mit einem gewissen Dünkel als Banalitäten oder Selbstinszenierung abtun. Vermutlich leisten ein paar solcher Äußerungen jedoch für die persönliche Emanzipation von Jugendlichen in autoritären Staaten und reaktionären Gesellschaften mehr als 66 Jahre Goethe-Institut.

Ideen verändern die Welt. Dass es heute so vielen Menschen möglich ist, sich als Individuum zu entfalten, liegt ganz wesentlich daran, dass sich diese Ideen verbreitet haben. Und Ideen sind enorm zäh: wenn sie einmal in der Welt sind, wird man sie kaum mehr los – weder mit Geheimpolizisten, noch mit Gefängnissen oder mit Gegenpropaganda. Der Beitrag, den so scheinbar banale Gestalten wie die Superheldin Wonder Woman, der Star Wars-Protagonist Luke Skywalker oder eben James Bond zur Verbreitung der Ideen unserer Offenen Gesellschaft leisten, ist immens. Sie sind nicht nur in der Welt auf Zelluloid Superhelden. Sie sind es auch im wahren Leben. Sie sind Agenten im Geheimdienst ihrer Majestät – ihrer Majestät der Freiheit.

Photo: SidewaysSarah from Flickr (CC BY 2.0)

Bei der Abstimmung in der Türkei hat sich einmal wieder eine starke Spaltung innerhalb eines Landes offenbart. Um dieses weltweite Problem in den Griff zu bekommen, müssen zwei Ideen wieder stark gemacht werden: Dezentralisierung und Depolitisierung.

Die Polarisierung eskaliert

Februar 2014. Die Schweiz stimmt mit knapper Mehrheit für eine Initiative „Gegen Masseneinwanderung“. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass es eine tiefe Kluft gibt zwischen der Bevölkerung in den urbanen Gegenden und der Landbevölkerung. In Basel stimmen über 60 Prozent der Wahlberechtigten gegen die Initiative, im Tessin stimmen nahezu 70 Prozent dafür. Ähnlich dramatische Unterschiede zwischen einzelnen Landesteilen – meist aufgeteilt in Stadt und Land – konnte man bei den Präsidentenwahlen 2013 in Tschechien, 2015 in Polen und zuletzt vor wenigen Monaten in Österreich erkennen. Bei der Abstimmung zum Brexit im vergangenen Juni sprachen sich im Großraum London 60 Prozent der Urnengänger dagegen aus, während die Befürworter eines Austritts aus der EU in ländlichen Gegenden zum Teil ebenso deutliche Zustimmung verzeichnen konnten. Bei der Wahl in den USA konnte Clinton in Kalifornien, Hawaii und im Nordosten der USA bis zu 60 Prozent der Wählerstimmen holen während Trump ähnliche und noch bessere Ergebnisse im Landesinneren erzielte. Die Abstimmung über die Verfassungsreform in der Türkei folgte diesem Trend. Und bei der bevorstehenden Wahl in Frankreich dürften auch ähnliche Tendenzen zu beobachten sein.

Dass es einen zum Teil erheblichen Unterschied im Wahlverhalten zwischen Stadt- und Landbevölkerung gibt, hätte keinen besonderen Nachrichtenwert. Die Wähler in ländlicheren Gegenden waren schon immer etwas konservativer als ihre Mitbürger in den Städten. Mit der jüngsten Verschärfung der politischen Auseinandersetzungen radikalisieren sich aber auch die entsprechenden Milieus in zunehmendem Maße. Persönlichkeiten wie Trump oder Erdogan, aber auch der tschechische Präsidentschaftskandidat Karel Schwarzenberg oder der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen polarisieren. Und je stärker sich die eine Seite des Spektrums aus Empörung über die andere in ihrem Lager verschanzt, umso mehr sieht sich die Gegenseite zu einer ganz ähnlichen Reaktion gedrängt. Die Gräben vertiefen sich immer mehr und die Fliehkräfte innerhalb der Gesellschaften nehmen an Dynamik zu.

Ursache: Das Wuchern der Politik

Die Unaufgeregtheit oder gar Langeweile der Politik nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und während der rasanten Globalisierung der letzten 25 Jahre ist nicht nur vorbei, sie verkehrt sich zurzeit ins Gegenteil. Am rechten und linken Rand werden die Profite dieser Entwicklung eingesackt. Und manch ein vernünftiger Mensch stellt gar mit zynischem Masochismus fest, es sei doch zu begrüßen, dass nun endlich wieder Bewegung in die Debatten komme. Das Gegenteil ist der Fall: Gerade die Öde der Politik in den vergangenen Jahren war eine Grundlage für ungestörtes Handeln und Wandeln der Bürger und mithin auch des wachsenden Wohlstands. Weil wir diese apolitische Ära aber nicht künstlich wiederherstellen können, müssen wir nun nach anderen Möglichkeiten suchen, die Spirale der gegenseitigen Radikalisierung auszubremsen.

An der Wurzel des Problems sind zwei Phänomene zu finden, die in den vergangenen Jahrzehnten immer wirkmächtiger geworden sind: Die Verlagerung von Kompetenzen auf Zentralregierungen, insbesondere in klassischerweise föderal strukturierten Staaten wie Deutschland und den Vereinigten Staaten. Und zweitens, auch in traditionell zentralistisch regierten Staaten: Die beständige Ausweitung des Tätigkeitsfeldes von Politik durch Regulierungen und Transfers. Je mehr Entscheidungen getroffen werden und je spezifischer sie sind, umso mehr Gelegenheiten bieten sich für die eine oder andere Gruppe, daran Anstoß zu nehmen. Wenn etwa in der Bildungspolitik die linksliberale urbane Elite für ein ganzes Land die verbindlichen Leitlinien vorgibt, verärgert das verständlicherweise traditionsbewusste Familien. Wenn konservative Politiker ein Betreuungsgeld einführen, stoßen sie damit progressive Bevölkerungsgruppen vor den Kopf.

Frieden durch weniger Politik

In der Politik gilt eben nicht nur das Prinzip: Je mehr man regelt und umverteilt, desto mehr Wählergruppen kann man sich erschließen. Sondern auch: … desto mehr Menschen kann man erzürnen. So entstehen die Gefühle, nicht ausreichend beachtet zu werden, ungerecht behandelt zu werden, marginalisiert oder gar aktiv bekämpft zu werden. Jede politische Entscheidung, die spezifische Vorgaben macht und konkret wird, erhöht irgendwo in der Bevölkerung das Wut-Potential. Und diese Wut richtet sich natürlich gegen die Gruppe, die vermeintlich oder tatsächlich von dieser Entscheidung profitiert. Anstatt nach friedlichem Konsens zu suchen, wird das wichtigste Ziel von Politik nun die Hegemonie, also das Gewinnen von Mehrheiten, um die Gesellschaft im eigenen Sinne fundamental umzugestalten.

Um die Spaltung zu überwinden, müssen wir vor allem an den zwei oben beschriebenen Phänomenen ansetzen: Eine Dezentralisierung, also die Rückverlagerung von Entscheidungskompetenzen auf niedrigere Ebenen kann mehr Pluralismus ermöglichen. Wer mit der politischen Großrichtung in seinem Bundesland, seiner Stadt oder seinem Kanton nicht zufrieden ist, hat bei kleinen Einheiten eine wesentlich einfachere Möglichkeit, dorthin zu wechseln, wo sie oder er sich wohler fühlt. Ebenso wichtig ist eine Depolitisierung. Indem weniger detailliert geregelt wird und weniger umverteilt wird, reduziert man die Gelegenheiten zu Konfrontation. Eine freiheitliche Demokratie ist nicht dann gut, wenn die Leute sich streiten wie die Kesselflicker. Sie ist vielmehr umso besser, je weniger Anlässe es zum Streiten gibt. Denn dort, wo Politik sich einmischt und dem Bürger nicht die eigene Entscheidung überlässt, drohen meist Ungerechtigkeiten, Wut, Spaltung und niemals endende Kämpfe.

Photo: Bart Everson from Flickr (CC BY 2.0)

Mit dem jüngsten Gesetzentwurf zu Hasskommentaren öffnet die Bundesregierung eine Schleuse. Wir brauchen nicht noch mehr staatliche Aufsicht im Netz, sondern eine starke Zivilgesellschaft, die Hass und Verleumdung ächtet.

Nicht noch mehr Machtinstrumente!

Seitdem der neue amerikanische Präsident das Mittel der „executive order“ anwendet, um seine politischen Vorstellungen unkompliziert zu verwirklichen, dämmert es auch seinen Gegnern, die wenige Monate vorher noch begrüßt hatten, dass Obama das Mittel verwendete, um die Kontrolle durch die Abgeordneten zu umgehen: Ein Machtinstrument, einmal geschaffen, bleibt im Arsenal des Staates und kann von unterschiedlichsten Leuten genutzt werden. Genauso wie mit Steuern, die in den seltensten Fällen abgeschafft und auch kaum einmal gesenkt werden, verhält es sich mit Gesetzen, Behörden und Ämtern. Gesetze werden ergänzt, erweitert und geklont. Und Behörden entwickeln häufig Eigendynamiken, indem sie für sich selbst immer neue Aufgabenbereiche finden.

In der Regel steigert sich auch die Frequenz der Nutzung dieser politischen Instrumente. Die Bürger gewöhnen sich eben daran, dass bestimmte Produkte gesondert besteuert werden oder dass Eingriffe in ihre individuellen Entscheidungen gemacht werden. Viele sind zu bequem, um sich aktiv zu wehren – und am Anfang sehen viele Maßnahmen ja auch noch verhältnismäßig harmlos aus. Nur wenige denken schon perspektivisch an die Möglichkeiten, diese Eingriffe auszuweiten. Viele der Maßnahmen wirken auch auf den ersten Blick sinnvoll oder zumindest hilfreich, um ein von vielen geteiltes Anliegen zu erreichen: vom Soli bis zu den Schockbildern auf Zigarettenschachteln. Mit der zunehmenden Digitalisierung gerät auch dieser Bereich natürlich immer mehr in den Fokus der Politik.

Die Vergiftung der Kommunikation ist zurecht auf der Agenda

Justizminister Maas hat sich schon länger an die Spitze der Bewegung gesetzt, die das Chaos und die Spontaneität des Internets in geordnete Bahnen lenken will. Wo immer es darum geht, sich öffentlichkeitswirksam gegen amerikanische Großkonzerne in Szene zu setzen oder dafür zu sorgen, dass die Neuen Medien nicht zur Verbreitung von Hassbotschaften verwendet werden – Heiko Maas ist nicht weit. Und tatsächlich: Wenn man sich als zivilisierter und halbwegs gutmütiger Mensch einmal mit den Aussagen beschäftigt, die jeden Tag in Massen ins Netz gestellt werden, kann einem angst und bange werden. Wer würde sich nicht auch ein öffentliches Forum wünschen, das von einer fairen und respektvollen Kommunikation geprägt ist? Dass Handlungsbedarf besteht, würde kaum einer bestreiten. Die Enthemmung und mitunter Vergiftung der Kommunikation ist zurecht auf der Agenda.

Der jetzige Gesetzesvorschlag ist allerdings in vielerlei Hinsicht kontraproduktiv. In den letzten Tagen ist schon viel darüber geschrieben worden, welche Gefahren der Vorschlag birgt. Was freilich bisweilen fehlt, sind konstruktive Vorschläge, wie man mit dem bestehenden Problem umgeht ohne die Bataillone der Netz-Nannies in Bewegung zu setzen. Der Minister selbst hat erst vor zwei Monaten in einem Kommentar zum NPD-Verbotsverfahren einen guten Vorschlag gemacht: „Politik, Zivilgesellschaft und jeder einzelne Bürger haben die Verantwortung, bei Extremismus und Gewalt nicht wegzuschauen: sei es Zuhause, am Arbeitsplatz, in der Kneipe, in der U-Bahn oder auf dem Fußballplatz.“ Und, so möchte man ergänzen, eben auch im Internet.

Eine Gesellschaft ist nur so lange lebendig, wie die Bürger Verantwortung übernehmen

Der Kampf gegen Hasskommentare und Fake-News ist eine Aufgabe für jeden, dem an einem friedvollen und vernünftigen Miteinander gelegen ist. Aber nicht in dem Sinne, dass man sich als Hilfs-Sheriff betätigt. Der Vorschlag von Maas würde Menschen dazu motivieren, das Instrument des „Meldens“ zu nutzen – und vermutlich wären es nicht die angenehmsten unserer Zeitgenossen, die sich zu besonders bereitwilligen Netz-Warten entwickeln würden. Die Betreiber von Plattformen würden überschwemmt mit Anträgen zur Löschung oder Sperrung. Es entstünde eine Atmosphäre des Misstrauens, die Zahl von Fake-Profilen würde weiter explodieren und im Zweifel verlagern sich die „Hasskommentatoren“ in geschützte Räume, wo sie eine noch weniger mit denjenigen in Kontakt kommen, die ihre Ansichten in Frage stellen und ihren Ton kritisieren könnten. Am Ende wird es nur noch mehr Kontrollen geben – und wie heute schon vom Justizministerium staatliche „Marktwächter“ eingesetzt werden so müssen wir dann irgendwann mit „Netzwächtern“ rechnen.

Anstatt Anstand zu verstaatlichen sollte der Minister lieber die Bürger ermutigen, selber Zivilcourage zu zeigen. Den Einsatz für ein respektvolles Miteinander an Unternehmen und Behörden abzugeben, ist der erste Schritt zu dem Wegschauen, das Maas in seiner oben zitierten Äußerung zurecht kritisiert. Es ist unsere Aufgabe als Internetnutzer, gegen Hass und Verleumdung die Stimme zu erheben. Eine Gesellschaft ist nur so lange lebendig und stark wie die Bürger Verantwortung übernehmen. Es muss uns gelingen, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass man Aggression nicht mit Aggression beantworten sollte, und dass wir nicht schweigen dürfen, wenn andere beschimpft werden. Nur dann kann man wirklich nachhaltig etwas gegen die Verrohung des Diskurses tun. Das Ziel dürfen nicht Einzelsanktionen sein, sondern eine Änderung des Bewusstseins bei den zornigen Nutzern. Das erfordert Geduld, Optimismus und Zeit. Aber nur wenn „Hasskommentatoren“ ihren Hass verlieren, wird das Problem wirklich gelöst.

Photo: Marco Verch from Flickr (CC BY 2.0)

Werden das Roboter- und Computer-Zeitalter einen erheblichen Teil der Menschheit arbeitslos machen? Wohl kaum. Vielmehr können wir eine zunehmende Humanisierung der Arbeitswelt erwarten. Die Dienstleistungsgesellschaft kommt unserem Drang zu Austausch und Kooperation entgegen.

Innovation und Technik sind nicht die Ursachen der Rückschläge für die Menschheit

In regelmäßigen Abständen skandalisieren und dramatisieren Zeitungen, Magazine und Fernsehdokumentationen den Untergang der gewohnten Arbeitswelt, weil die Digitalisierung immer mehr Arbeitsplätze vernichte. Der österreichische Kanzler und der Präsidentschaftskandidat der Sozialisten in Frankreich forderten kürzlich eine Maschinensteuer. Diese Ausbrüche der Zukunftsangst sind nichts Neues. Es fällt einem nicht wirklich schwer, sich vorzustellen, wie vor Zehntausenden von Jahren die Lastenträger und Eseltreiber panisch auf die Einführung des Lastkarrens reagiert haben müssen. Schon der römische Kaiser Vespasian verbot den Gebrauch technischer Innovation, um den Arbeitern zu garantieren, dass sie auch weiterhin in ihren alten Berufen ihr Brot verdienen können. Durch die Menschheitsgeschichte haben Politiker immer wieder eingegriffen, um Innovation zu behindern oder zumindest zu verlangsamen: aus Angst vor Massenarbeitslosigkeit und vielleicht mitunter auch aus echter Sorge um die Arbeiter. Oft nahmen die Arbeiter, die sich durch Maschinen und Technologie bedroht fühlten, die Sache in die eigenen Hände. Insbesondere in der Zeit der Industriellen Revolution gab es regelmäßige Aufstände sogenannter Maschinenstürmer.

Auch wenn die herbei beschworenen apokalyptischen Szenarien wieder und wieder ausgeblieben sind, finden sich doch zu jeder Zeit Politiker und Wissenschaftler, die argumentieren, nun sei aber wirklich der Zeitpunkt erreicht, wo Maschine, Roboter oder Computer den Menschen ersetzen. Und natürlich finden diese Theorien auch immer dankbare Abnehmer bei den Amateur- und Profi-Pessimisten dieser Welt. Angst ist eben immer ein gutes Geschäftsmodell. Und Katastrophenszenarien geben einem auch noch das erhebende Gefühl, in einer ganz besonderen Zeit zu leben, die anders sei als alles, was die Menschheit bisher erlebt habe. Die enttäuschende Realität: so besonders ist man dann doch nicht und auch die Katastrophen bleiben aus. Die wirklichen Rückschläge für die Menschheit kommen nicht aus Innovation und Technik, sondern aus politischen Entscheidungen, die sich von Ressentiments und Angst ernähren.

Es gibt immer mehr entlohnte Arbeit

Auch die Zahlen sprechen deutlich gegen die Theorie, dass Arbeit durch technischen Fortschritt verschwindet. Trotz des zunehmenden Grades an Automatisierung und des Niedergangs vieler Produktionszweige steigt die Zahl der Menschen, die einer Erwerbsarbeit nachgehen, in Deutschland und anderen vergleichbaren Ländern kontinuierlich an. Und das obwohl in den vergangenen Jahrzehnten auch noch immer mehr Frauen in den Arbeitsmarkt eingestiegen sind. 1882 hatte Deutschland 45,2 Millionen Einwohner und knapp 19 Millionen gingen einer Erwerbsarbeit nach (42,0 %). 25 Jahre später waren bei einer Bevölkerung von 62 Millionen bereits 28,1 Millionen in Lohn und Brot (45,5 %). Im Jahr 1991 gab es 38,7 Millionen Erwerbstätige bei einer Gesamtbevölkerung von 80,3 Millionen (48,2 %) und 25 Jahre später waren es 43,4 von 82,2 Millionen (52,8 %).

Der Anteil der Bevölkerung, der einer Arbeit nachgegangen ist, die zum eigenen Lebensunterhalt beigetragen hat, ist kontinuierlich gestiegen. Zwar gibt es heute weniger junge Menschen als vor 135 Jahren, aber auch das durchschnittliche Einstiegsalter in den Beruf ist konstant gestiegen, die Zahl der Über-65jährigen geradezu explodiert und der Anteil von berufstätigen Frauen an der weiblichen Gesamtbevölkerung in dieser Zeit von 24,4 auf 47,3 Prozent hochgegangen. Besonders spannend ist die Entwicklung der einzelnen Wirtschaftssektoren: Der primäre Sektor (also Landwirtschaft und Rohstoffproduktion) ist als Arbeitsplatz-Lieferant schlichtweg atomisiert worden. Der sekundäre Sektor (Industrie, Handwerk u. ä.) ist nach einem zwischenzeitlichen Aufstieg in der Hochphase der Industrialisierung auch im raschen Niedergang begriffen während der tertiäre Sektor (Dienstleistungen) beständig wächst – wohlgemerkt bei steigender Erwerbstätigenquote.

Erwerbstätige in den verschiedenen Wirtschaftssektoren

Erwerbstätige in den verschiedenen Wirtschaftssektoren

Es geht immer menschlicher zu am Arbeitsplatz

Welche Jobs gingen denn verloren durch die Industrialisierung und die Digitalisierung? Diejenigen, in denen man hart und lange arbeiten musste. Die Berufe, in denen man sich den Rücken krumm und die Lunge staubig geschuftet hat. Jene monotonen Aufgaben, bei denen menschliche Interaktion auf kurze Zurufe beschränkt war. Das Wachstum des tertiären Sektors hingegen bedeutet letztlich eine zunehmende Humanisierung der Arbeitswelt. Denn in der Dienstleistung sind Kooperation und Kommunikation gefragt. Es sind Berufe, in denen das Wichtigste ist, sich auf andere Menschen einzulassen: Verkäufer, Fahrerinnen, Pfleger, Beraterinnen oder Lehrer – all diese Menschen stehen in dauernden sozialen Kontakten. Wenn wir Menschen, wie es etwa die Philosophen der Schottischen Aufklärung häufig dargestellt haben, uns tatsächlich dadurch auszeichnen, dass wir auf Gemeinschaft ausgelegt sind, ist diese Form der Arbeit uns sehr viel angemessener als wenn wir alleine auf der Scholle oder am Fließband vor uns hin ackern.

Oft wird auch argumentiert, dass mit dem Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft Jobsicherheiten und gute, beständig ansteigende Bezahlung verschwinden würden. Tatsächlich ist der lebenslange Arbeitsplatz inzwischen wohl hauptsächlich ein Privileg von Beamten. Doch schon heute begreifen viele junge Menschen diese erhöhte Flexibilität als Chance. Sobald wir uns an die veränderten Umstände angepasst haben, bieten sich eben auch sehr viel mehr Möglichkeiten, unser Potential zu entfalten, als wenn wir unser Leben lang in einer Firma und in einem Bereich verharren. Und wenn über stagnierende oder sinkende Reallöhne geseufzt wird, kann man nicht oft genug daran erinnern, dass immer mehr und immer bessere Produkte zu immer günstigeren Preisen verfügbar sind. Während der Stahlarbeiter früher zwei Jahre auf die Urlaubswoche in Rimini sparen musste, kann heute die Kassiererin für den Lohn von fünf Arbeitstagen eine Woche Urlaub bestreiten.

Arbeiten, wo das häufigste Wort lautet: „Danke!“

Sicherlich wird der Transformationsprozess in der Arbeitswelt nicht ohne Verlierer vonstattengehen. Und natürlich hängt eine positive Entwicklung auch von anderen Faktoren ab – etwa davon, wie sehr die Politik im Stil von Kaiser Vespasian versucht, die Entwicklung der neuen Arbeitswelt durch Regulierungen, Verbote und Abgaben zu drosseln. Aber am Ende des Tages werden höchstwahrscheinlich alle besser dastehen. Die Entwicklung aufzuhalten, um die Privilegien von einigen zu schützen, geh jedoch fast immer zu Lasten von allen anderen. Wer den Verlierern helfen will, muss andere Wege finden als Interventionen durch eine Schutz- und Verbotspolitik, um zu vermeiden, dass dann andere Verlierer produziert werden.

Die Welt ist noch nie besser geworden durch die, welche die Vergangenheit schönreden und die Zukunft in düsteren Farben malen. Sie ist besser geworden durch diejenigen, die sich angepasst haben und nach Lösungen gesucht haben. Denjenigen, die von der guten alten Zeit träumen, muss man deutlich entgegenhalten: Wenn der Enkel des Kohlekumpels und der Näherin morgen sein Geld mit einer Halbtagsstelle bei einer Massage-Praxis, einigen Uber-Fahrten und einem Trödelmarkt-Stand verdient während seine Freundin in einem Catering-Unternehmen und als Stadtführerin arbeitet, dann ist das ein gewaltiger Fortschritt. Lebensqualität steigt nicht parallel zu Reallöhnen und ist auch nicht abhängig von der völligen Planbarkeit des eigenen Lebens. Lebensqualität hat auch viel zu tun mit sinkenden Preisen, höherer Produktvielfalt – und insbesondere mit einer Arbeitswelt, die uns Menschen nicht an den Rand der Erschöpfung bringt, sondern in jenes Umfeld, in dem das häufigste Wort lautet: „Danke!“

Photo: bloggybulga from Flickr (CC BY 2.0)

Der Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron ist der Shootingstar der französischen Politik. Wenn man sich dagegen den Kanzlerkandidaten der SPD ansieht, muss man feststellen: er ist der Anti-Schulz. Nicht nur, weil er den französischen Sozialisten den Rücken gekehrt hat und seine eigene Bewegung „En Marche!“ gegründet hat, sondern auch, weil er ein modernes sozialdemokratisches Programm verkörpert. Er ist dabei wesentlich näher beim späten Gerhard Schröder als bei Oskar Lafontaine. Schulz ist dagegen inhaltlich näher beim Saarländer Lafontaine, als beim Agenda-Kanzler. Schulz will Deutschland in der Wirtschafts- und Sozialpolitik französischer machen. Macron will Frankreich in der Wirtschafts- und Sozialpolitik deutscher machen. Macrons Agenda 2017 macht durchaus Sinn, denn wie Deutschland 2003 ist Frankreich heute der kranke Mann Europas.

Die Arbeitslosenzahl liegt offiziell bei 3,5 Millionen, tatsächlich sind fast 6,4 Millionen Franzosen arbeitssuchend. Fast 60 Prozent der Wirtschaftsleistung Frankreichs geht durch die Hände des Staates. Die Industrieproduktion im Nachbarland liegt rund 13 Prozent unter dem Hoch von April 2008 und ist auf dem Niveau von vor 20 Jahren. Was Gerhard Schröder damals mit der Agenda 2010 vollbrachte und Martin Schulz jetzt zurückdrehen will, steht also Frankreich erst noch bevor.

Die Agenda Macrons ist in Teilen durchaus marktwirtschaftlich. Er will die 35-Stunden-Woche lockern, 120.000 Beamtenstellen streichen, das Parlament verkleinern, die Vermögensteuer in weiten Teilen beseitigen, Unternehmensteuern senken, Industriebeteiligungen des Staates privatisieren und das Staatsdefizit und die Verschuldung zurückführen. Als Wirtschaftsminister unter Francois Hollande konnte er viele Reformvorschläge zwar nicht durchsetzen, aber an der einen oder anderen Stelle hat er seine tendenziell marktfreundlichen Ansichten durchaus zu erkennen gegeben. So gehen die Zulassung von Sonntagsarbeit und die Liberalisierung des Fernbusmarktes auf seine Initiative zurück. Macron hat ein positives Bild von der Globalisierung und sieht in der Digitalisierung eher die Chancen als die Risiken.

Was ihn auch von Schulz unterscheidet, ist seine realistische Perspektive für die EU und den Euro. Er ist weniger „europabesoffen“ als Martin Schulz, aber dennoch weiß er die Bedeutung eines zusammenwachsenden Europas zu schätzen. Das lässt hoffen. Die Europäische Union und deren gemeinsame Währung, der Euro, stehen vor enormen Herausforderungen. Wer die EU und den Euro nicht abwickeln, sondern, trotz aller derzeitigen Schwächen, zukunftsfähig machen will, muss eigentlich auf Macron setzen. Er ist ein Euro-Realist, der weiß, dass sich das Schicksal des Euro und der EU erst recht an der ökonomischen Zukunft Frankreichs festmachen. Mit ihm ließe sich wahrscheinlich eine atmende Eurozone in Angriff nehmen, in der Mitglieder, die nicht mehr im Euro bleiben wollen oder können, wie Griechenland, aus der gemeinsamen Währung ausscheiden können. Als jemand, der Verständnis für den Markt hat, wird er auch den gemeinsamen europäischen Markt hochhalten und sich wahrscheinlich auch für mehr Haushaltsdisziplin einsetzen.

Die Alternative wäre Marine Le Pen, die auf Abschottung und Protektionismus setzt. Nicht ohne Grund sitzt sie deshalb auch mit der AfD in der gleichen Fraktion des Parlaments der Europäischen Union. Auch diese lehnt bekanntlich die gerade verhandelten Freihandelsabkommen kategorisch ab. Le Pens sozialpolitisches Programm ist dagegen sehr nahe bei Martin Schulz. Sie will die 35-Stunden-Woche erhalten, das Pensionsalter auf 60 reduzieren. Mehr noch: Martin und Marine sprechen auch die gleiche Sprache. Wenn der eine von „neoliberalem Mainstream“ fabuliert, verlangt die andere ein „Ende des Ultraliberalismus“. Ganz anders Macron.

Er plädiert dafür, „liberal“ in Frankreich nicht mehr als Synonym für „Raubtierkapitalismus“ zu sehen, sondern als Lebenseinstellung. Er will ein modernes Frankreich, das nicht die Risiken zuerst sieht, sondern die Chancen des Liberalismus. Während Marine Le Pen zurück zur Todesstrafe will und damit mehr in der Tradition der Jakobiner steht, ist Emmanuel Macron zwar noch kein neuer Frédéric Bastiat, aber er sieht dennoch die größten Herausforderungen Frankreichs darin, wie es „die Beziehung zur Arbeit, zum Geld, zur Innovation, zur Globalisierung, zu Europa, zu Ungleichheiten“ angeht. So spricht kein Pessimist, sondern einer, der selbst ins Risiko geht und den Fortschritt will. Diese Haltung der Hoffnung brauchen wir gerade heute, wo überall Politiker das Erreichte schlecht reden und die Zukunft düster malen.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.