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Der Neoliberalismus ist am Ende – könnte man meinen. In Wahrheit ist der Neoliberalismus pragmatisch, verbindend und innovativ, und bietet Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit.

Neoliberalismus: Der HSV der Politik?

Wir schreiben das Jahr 1938: In Paris trifft sich eine Gruppe bekannter liberaler Intellektueller und Akademiker. Der Einladung des amerikanischen Publizisten Walter Lippmann folgen unter anderem der spätere Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek und mit Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke zwei Väter der deutschen Sozialen Marktwirtschaft. Die 26 Teilnehmer des „Colloque Walter Lippmann“ treibt eine wichtige Frage um: Wie kann eine liberale Antwort auf Massenarbeitslosigkeit und die totalitären Staaten Hitlers und Stalins aussehen? Schließlich scheinen dem etablierten „Laissez-faire“-Liberalismus die Ideen auszugehen. Das Treffen endet mit der Schöpfung des Wortes „Neoliberalismus“. Dabei handelt es sich nicht um die Begründung eines homogenen Dogmas. Es ging den Teilnehmern des Kolloquium viel mehr darum, freiheitliche Ideen im internationalen Austausch weiterzuentwickeln und daraus passende Politikvorschläge abzuleiten.

Wir schreiben das Jahr 2018: Rechtspopulisten gewinnen überall auf der Welt an Zustimmung. Umweltschutz und Globalisierung offenbaren völlig neue Herausforderungen. Und der Neoliberalismus? Verkommen zum Kampfbegriff, mit dem die meisten Menschen nichts als „entfesselte“ Märkte und überhöhte Managergehälter verbinden. Der Neoliberale sei unsozial und unökologisch; im allerbesten Fall wird ihm noch ein wenig Wirtschaftskompetenz zugeschrieben. In dieser Wahrnehmung ist der Neoliberalismus der HSV der Politik: Irgendwann in den 80er Jahren mal erfolgreich gewesen, verkommen zu einer Truppe überbezahlter Egoisten, die nichts gebacken bekommt und der alle nur das Ende wünschen. Aufgeben wäre nun einfach. Doch stattdessen sollten wir uns für eine neoliberale Renaissance einsetzen. Lassen Sie mich erklären warum.

Der Neoliberalismus ist pragmatisch

Warum ist es so schwer, eine einheitliche Definition für den Neoliberalismus zu finden? Der Grund liegt in seiner Dynamik. Es geht ihm nicht darum, eiserne Gesetze für alle Zeiten festzuschreiben. Stattdessen ist der Neoliberalismus wettbewerbs- und überzeugungsgeleitet. Nur deshalb konnte er so unterschiedliche Ausprägungen wie die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland oder den „Thatcherismus“ im Vereinigten Königreich annehmen. In beiden Fällen boten neoliberale Ideen die nötigen Antworten auf die vorliegenden Probleme. Im Nachkriegsdeutschland war dies der komplette Neuaufbau einer Wettbewerbsordnung, die durch marktwirtschaftliche Anreize und sozialen Ausgleich ein erneutes Abdriften in den Totalitarismus verhindern sollte. Im Großbritannien der 80er Jahre hingegen war dies die Sanierung eines vom Ruin bedrohten Staatshaushaltes durch Privatisierungen und die Senkung der Staatsquote.

Viele politische Ideen verschwinden auch deshalb früher oder später in der Versenkung, weil sie sich dem Wettbewerb verschließen. Einmal entwickelte Lösungen gelten als unumstößlich und werden nicht mehr hinterfragt. Ein Neoliberalismus im Sinne des Colloque Walter Lippmann kennt jedoch keine unumstößlichen Systeme. Im Wettbewerb der Ideen setzen sich diejenigen Lösungen durch, die unter Berücksichtigung neoliberaler Überzeugungen am erfolgversprechendsten scheinen. Wenn überhaupt, dann kann man den erfolgreichen Neoliberalen der 60er und 70er Jahre vorwerfen, auf dem Höhepunkt ihres Erfolges diesem Wettbewerb entflohen zu sein. Dieser Hochmut hat der Marke vielleicht sehr geschadet, ihre Qualität ist davon aber komplett unberührt.

Der Neoliberalismus ist verbindend

Doch was verbindet die Neoliberalen? Der ehemalige Executive Director des Londoner „Adam Smith Institute“, Sam Bowman, beschreibt den Neoliberalen anhand einiger Überzeugungen: Einerseits als marktfreundlichen Verfechter von Eigentumsrechten, andererseits überzeugt von der Notwendigkeit einer gewissen Umverteilung. Dazu undogmatisch, international, empathisch mit denjenigen Menschen, die es weniger gut getroffen haben, und vor allem optimistisch, dass Fortschritt die Menschheit voranbringt. In Zeiten, in denen allerhand politische Kräfte von links und rechts sich vor allem durch gesellschaftliche Spaltung profilieren, könnte eine solche Vision des Neoliberalismus das überall dringend gesuchte Gegengewicht bilden.

So stellt auch Bowman fest, dass diese Beschreibung eines Neoliberalen auf viele Menschen in seiner Umgebung zutrifft. Und tatsächlich braucht es nicht viel Fantasie um sich vorzustellen, wie sich Wähler der unterschiedlichsten Parteien auf diese Werte verständigen. Vieles, was gerade die junge Generation umtreibt, offenbart im Grunde ein neoliberales Weltbild: Der Drang sich international zu vernetzen und die Beschäftigung mit der Armutsbekämpfung. Oder im Besonderen die stetig wachsende Bedeutung der „Sharing Economy“. Schließlich eröffnen Anbieter wie uber und AirBnB nie dagewesene Märkte und Möglichkeiten zum (kapitalistischen) Austausch. Ja, viele wären überrascht, wie neoliberal sie eigentlich denken.

Der Neoliberalismus ist innovativ

In der großen Politik allerdings spielen Neoliberale heute keine große Rolle mehr. Dabei sind die Herausforderungen von heute denen von 1938 gar nicht unähnlich. Fortschritt und Globalisierung haben die Menschheit einerseits auf ein ungeahntes Wohlstandsniveau gehoben. Doch damit einher gehen neue Probleme wie der Umweltschutz oder der Umgang mit Menschen, deren Kinder erst von der Globalisierung profitieren. Wir sollten nicht versuchen, diese Probleme einfach auszusitzen und zu ignorieren, denn das hat noch nie funktioniert.

Die neoliberalen Reformen im 21. Jahrhundert könnten dann auch so ganz anders aussehen als diejenigen Thatchers, Reagans oder Erhards. Seien es polyzentrisch organsierte im Wettbewerb miteinander stehende Privatstädte, Global Skill Partnerships in der Migration oder ein regulierter Organhandel. All diese Ideen sind undogmatisch, problemlösungsorientiert und sie vereinen das, was wir über menschliches Zusammenleben gelernt haben, mit dem Streben nach Fortschritt und Verbesserung. Sie sind neoliberal.

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Von Matthias Still, Unternehmer und PR-Berater, Fackelträger bei Prometheus.

Schon wieder eine Woche rum und der Elektriker hat sich nicht gemeldet! „So ein Mist“, denke ich mir. Allmählich nervt es, ihm hinterher zu telefonieren und zu -mailen. Was war passiert? Vor einem halben Jahr bin ich mit der Familie umgezogen. Die Wohnung ist größer, die Gegend grüner und – hurra! – wir sind jetzt Immobilienbesitzer. Alles prima soweit. Aber es ist dann doch noch nicht alles ganz fertig. Hier und da fehlt ein passendes Möbelstück und – jetzt kommt der Elektriker ins Spiel – die Lampen im Flur neben dem Spiegel müssen noch angebracht werden. Bei einem solchen Auftrag kann der Elektriker natürlich im Anschluss keine dicke Rechnung schreiben, sondern eher eine dünne. Und weil er das weiß, meldet er sich nicht und macht erst einmal die Aufträge mit den dicken Rechnungen. Rein betriebswirtschaftlich kann ich ihm das nicht verübeln, aber die Lampen im Flur, die fehlen einfach!

So wie mir geht es derzeit vielen Tausend anderen Menschen in Deutschland, die auf die Idee kommen zu bauen, zu sanieren, zu renovieren oder einfach nur ein paar Kleinigkeiten von Handwerkern erledigen zu lassen. Denn es geht ihnen gut wie nie. Wer schrauben, hämmern oder sägen kann, wird reich. Zumindest ein bisschen. Der Grund dafür ist der Immobilien-Boom: Alle kaufen wie verrückt Häuser und Wohnungen. Und ein Grund dafür sind wiederum die niedrigen Zinsen, aber das ist ein Extra-Thema.

Weil nun derzeit alle ihr Geld in Immobilien stecken, können sich Handwerker gar nicht retten vor Aufträgen. Der Fachkräftemangel hat sie voll erwischt. Diese Erfahrung ist im Handwerk neu – bei Ingenieuren, Programmierern, Alten- oder Krankenpflegern kennt man das schon länger. Die, die schon da sind, sind ausgelastet und gute Nachwuchskräfte sind so selten wie Rohdiamanten.

Und was besonders unglücklich ist: Das wird sich auch in absehbarer Zeit nicht ändern. Ganz im Gegenteil! Warum das so ist, ist recht schnell erklärt: Es gibt immer mehr ältere Menschen in Deutschland und immer weniger junge. Auch wenn die Zahl der Geburten derzeit minimal nach oben geht, ändert das am Gesamttrend nichts. Zumal rund die Hälfte der Deutschen im nachwuchsproduzierfähigen Alter gar kein Interesse an Kindern hat, wie das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung herausgefunden hat.

Die Folge davon: Es gibt schlichtweg viel zu wenig junge Menschen, die Programmierer, Ingenieure, Alten- oder Krankenpfleger werden könnten. Oder eben Handwerker. Heute ist das schon so und morgen wird sich das wohl nicht ändern. Auch die Zuwanderung durch Flüchtlinge seit 2015 dreht den Trend nicht, bestenfalls wird er verlangsamt.

Fachkräftemangel überall – und kein Ausweg. Oder? Doch! Es gibt Licht am Ende des Tunnels und zwar elektrisches Licht. Es sind die freundlich strahlenden Augen eines Roboters, die da glühen – denn genau er wird uns aus der Patsche helfen. Warum? Das wollen wir uns einmal genauer ansehen.

Wirft man das Stichwort „Digitalisierung“ in eine politische Diskussions-Runde, dann wachsen anwesenden Berufs-Pessimisten noch während der Debatte graue Haare: Oh Schreck, diese ganze Automatisierung! Und die Arbeitsplätze, die dann wegfallen! Und die ganzen Arbeitslosen! Und dann geht das alles auch noch so schnell! Schließlich ist die eine oder andere Prognose in Umlauf, die zunächst einmal ganz nüchtern besagt, dass durch die Digitalisierung in Unternehmen ein bestimmter Prozentsatz an Arbeitsplätzen verloren geht. Tja, und was ganz besonders gemein ist: Das sind nicht nur die ollen Fließband-Jobs, die da wegfallen, sondern auch hoch qualifizierte Tätigkeiten: Piloten gehören beispielsweise dazu. Sogar manch ein Richter schlottert unter seiner Robe schon wie ein Zitterrochen, denn es soll auch ihn treffen, sagt zumindest die wohl bekannteste Studie zur Digitalisierung der Arbeitswelt, „The Future of Employment“. Denn Rechtsurteile können zukünftig auch von Algorithmen getroffen werden und das sogar zuverlässiger als von Juristen.

Lässt man einmal die extremen Vorhersagen außer Acht, dann gehen Experten wie zum Beispiel das für Deutschland wichtige Forschungsinstitut IAB davon aus, dass rund 15 Prozent unserer derzeitigen Beschäftigungsverhältnisse von Robotern und anderen digitalen Arbeitskräften übernommen werden. Das macht nach derzeitigem Beschäftigungsstand rund 7 Millionen Jobs.

Und das ist auch gut so. Denn der Roboter ist damit unsere schlagkräftigste Waffe gegen den Fachkräftemangel! Das Schließen der Fachkräftelücke wird in vielen Branchen nicht mehr durch junge Berufseinsteiger zu schaffen sein. Aber durch Robotik und Künstliche Intelligenz durchaus. Schon heute haben Roboter einen beachtlichen Anteil an der industriellen Wertschöpfungskette. Der digitale Fortschritt vollzieht sich in Quantensprüngen, so dass eine Übernahme von Tätigkeiten auch in vielen anderen Wirtschaftssektoren wahrscheinlich ist. Und das hat gleich mehrere positive Effekte: Nicht nur, dass die Robos die vielen offenen Stellen besetzen. Sie sorgen auch dafür, dass Arbeitsprozesse schneller und effizienter sind: Schließlich machen die Kollegen aus Blech und Stahl keine Pausen, keinen Urlaub und sie arbeiten rund um die Uhr. Dadurch werden viele Produkte und Dienstleistungen wesentlich billiger als sie heute sind. Und das hat wiederum zur Folge, dass wir mehr Geld für andere Ausgaben zur Verfügung haben.

In der Berufswelt könnte der Siegeszug der Digitalisierung eine weitere, bislang völlig unbeachtete Folge haben: Roboter und Algorithmen sind für logisch-rationale Aufgaben ideal. Mit sozialer und emotionaler Intelligenz haben sie aber nichts am Hut. Als Erzieher im Kindergarten, als Sozialarbeiter oder Seelsorger sind sie ungeeignet. Dass die derzeit oft schlecht bezahlten Berufstätigen im sozialen Bereich oder im Bildungssektor auf Dauer nicht ersetzt werden, kann zu ihrer deutlichen Aufwertung führen.

Ein Grund mehr, warum wir uns darauf freuen können, wenn Kollege Roboter zum Job antritt.

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Als Reaktion auf Chemnitz fordert die Bundesregierung ein neues Demokratie-Gesetz. Das verkennt das wahre Problem und überfrachtet die Demokratie mit vollkommen falschen Erwartungen.

Mehr Demokratie, weniger Chemnitz?

Die Bilder von Chemnitz haben viele Menschen in Deutschland und im Ausland erschüttert. Nicht nur die rassistischen Ausfälle gegenüber anders aussehenden Menschen, sondern auch die ausufernde Wut von Menschen, denen man so etwas einfach nicht zutraut. Inmitten von Skinheads und Thor Steinar Pullovern liefen, skandierten und schimpften jene Mitbürger, die man bis vor Kurzem noch uneingeschränkt zur sogenannten „bürgerlichen Mitte“ zählen konnte. Wähler der großen Volksparteien, die zwar nie mit allem zufrieden waren, doch um jede NPD-Demonstration einen großen Bogen gemacht hätten. Es wird gefährlich, wenn die Grenzen zwischen rechts, konservativ und fremdenfeindlich verwischen.

Das alles ist eine Katastrophe und sollte nicht wie von Sachsens Ministerpräsident Kretschmer mit linguistischen Feinheiten vom Tisch gewischt werden. Es ist eine Katastrophe, weil menschenverachtende Ideen zunehmend auch außerhalb des rechtsextremen Milieus verfangen. Und wie bei jeder Katastrophe, führt auch diese zu Hochkonjunktur in der Politik. Neben den üblichen und abgenutzten Forderungen nach mehr Polizei und besserer Integration wird auch die Demokratie wieder ins Spiel gebracht. So fordert Bundesfamilienministerin Giffey ein „Gesetz zur Demokratieförderung“: „Es ist auch die Aufgabe des Staates, die demokratische Bildung junger Menschen auf allen Ebenen zu organisieren“, so Giffey. Was auf den ersten Blick vernünftig klingt, offenbart ein fatales Missverständnis.

Die Demokratie ist ein Verfahren, kein Wert

Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen dem, was die Demokratie als Institution leisten kann, und dem was die meisten Menschen ihr zuschreiben. Allzu häufig wird Demokratie gleichgesetzt mit den Werten, die in westlichen Demokratien verankert sind. Werte wie Freiheit, Gleichheit, Respekt. Werte, die der offenen Gesellschaft zu Grunde liegen. Das ist nichts Neues. Schon 1971 schrieb der österreichische Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek in der „Verfassung der Freiheit“:

Obwohl das Wort „demokratisch“ heute oft gebraucht wird, um gewisse gerade populäre Ziele, besonders gewisse egalitäre, zu bezeichnen, besteht kein notwendiger Zusammenhang zwischen Demokratie und irgend einer Ansicht darüber, wie die Macht der Mehrheit gebraucht werden soll.

Giffeys Forderung nach einem Demokratie-Förderungs-Gesetz zeigt: Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Demokratie ist das beste bekannte Verfahren, um zustimmungsfähige politische Entscheidungen zu treffen und sie ermöglicht zumeist einen friedlichen Herrschaftswechsel. Die Demokratie ist eine Institution, die den geordneten Wettbewerb zwischen politischen Ideen und deren Verfechtern ermöglicht. In Chemnitz hat derweil weder die gewaltvolle Machtergreifung eines Diktators noch eine gefälschte Wahl stattgefunden. Was haben pöbelnde und aggressive Mitbürger in Chemnitz also mit einem Demokratiedefizit zu tun? Wenig.

Das Problem der überladenen Demokratie

Dass nun die Bundesfamilienministerin die Vorfälle von Chemnitz auf mangelnde Demokratieerziehung in den Schulen zurückführt, ist nicht nur grundfalsch sondern auch fatal in der Wirkung. Eine derart mit falschen Erwartungen überladene Demokratie kann nämlich nur scheitern. Schließlich führt die Einführung von formellen Institutionen wie Wahlen, Gewaltenteilung und Minderheitenschutz nicht automatisch dazu, dass auch die Werte der offenen Gesellschaft Einzug in die Köpfe halten. Die Liste der formellen Demokratien, die weit davon entfernt sind, offene Gesellschaften zu sein, wird derzeit leider länger: Man denke nur an Russland, die Türkei oder gar Venezuela.

Letztendlich wenden sich enttäuschte Bürger, die ihre Wertvorstellungen nicht umgesetzt sehen, von der Demokratie ab, weil sie nicht das Gefühl haben, das diese Staatsform ihre Wünsche respektiert. Oder aber die Demokratie wird zum allumfassenden Rechtfertigungsinstrument. Glaubt man daran, dass demokratische Prozesse per se gute politische Ergebnisse nach sich ziehen, ist de facto jede Mehrheitsentscheidung wünschenswert. Etwas ist dann gut, weil es demokratisch beschlossen wurde. Beides ist gleichermaßen unheilvoll und mündet zwangsläufig in einer Beschränkung der individuellen Freiheit.

Es fehlt an Selbstverantwortung, nicht an Besuchsfahrten in den Bundestag

Sicher, eine gute Schulbildung muss die Kenntnis der staatlich-demokratischen Institutionen beinhalten. Doch eine solche Kenntnis schützt schwerlich vor Vorkommnissen wie in Chemnitz. Stattdessen bietet der Verweis auf mangelnde Demokratieerziehung eine willkommene Möglichkeit, Verantwortung abzugeben an Schulen und staatliche Organisationen. Das sollte gerade jemandem wie Ministerin Giffey doch zu denken geben, die als ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Neukölln die Probleme sehr viel besser kennt als beflissene ARD-Kommentatoren. Viel wichtiger als jede weitere Besuchsfahrt in den Bundestag wäre es, die Werte der offenen Gesellschaft zu leben und vorzuleben.

Seien es die Eltern, die ihren Kindern erklären, warum es keinen Unterschied macht, welche Hautfarbe der Klassenkamerad hat. Sei es der Kollege, der beim Feierabendbier darauf hinweist, dass „die Flüchtlinge“ „uns“ keine Jobs „wegnehmen“. Oder sei es der Politiker, der aus Überzeugung für Toleranz und Humanität eintritt, und dies auch rechtfertigt, wenn die getroffenen Entscheidungen einmal unpopulär werden sollten. Letztendlich führt die Demokratie nur zu einer freiheitlichen Gesellschaft, wenn genügend Menschen für deren Werte einstehen. Und diese Aufgabe kann weder der Schullehrer noch die Bundeszentrale für politische Bildung übernehmen, sie obliegt uns allen.

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Mit Mächtigen vom Schlage Seehofers und Trumps verschiebt sich das Verständnis der Politik. Diese modernen Gladiatoren stehen für Symbolpolitik und persönliche Eitelkeiten anstatt ihrer eigentlichen Aufgabe gerecht zu werden.

Die Gladiatoren betreten das politische Kolosseum

Es braust Jubel auf, als die Gladiatoren das Innere des politischen Kolosseums betreten. Zuerst zeigt sich Bundesinnenminister Horst Seehofer als „Retiarius“, bewaffnet mit Dreizack und Wurfnetz. Sein Spezialgebiet: Das Einfangen von fliehenden Widersachern, erst kürzlich fing er 69 auf einen Schlag. Auf der anderen Seite betritt Donald Trump das große Rund. In der schweren Rüstung des „Provocator“ beeindruckt er die Zuschauer. Nicht immer zu seinem Vorteil, denn häufig scheint es ihm schwer zu fallen, durch seinen gold-glänzenden Helm Freund und Feind voneinander zu unterscheiden. Zuletzt betritt Boris Johnson als „Murmillo“ die Arena. Sein Helm wird geschmückt von bunten Federn, die in alle Richtungen abstehen. Er stolziert kurz voller Erhabenheit an den Zuschauern vorbei, um hier und da einen abfälligen Kommentar loszuwerden – da ist er auch schon wieder im Inneren des modernen Kolosseums verschwunden.

Tatsächlich ähnelt das Schauspiel, das die Mächtigen vieler westlicher Demokratien in den letzten Monaten aufführen, immer stärker dem Schaulauf römischer Gladiatoren. Seehofer, Trump und Johnson stehen dabei nur exemplarisch für eine grundlegende Wesensveränderung in der Politik. Statt Problemlösung entwickeln sich Eitelkeiten und abstrakte Souveränitätsbegriffe zum Kerngegenstand der Politik. Grund genug, um für eine Rückkehr auf den Marktplatz der Politik zu plädieren!

Die Politik sollte ein Marktplatz sein, kein Kolosseum

Die liberalen Demokratien des Westens sind ein beispielloses Erfolgsmodell. Sie zeichnen sich aus durch Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenschutz und inklusive demokratische Institutionen. Dieses institutionelle Gerüst kann selbst die Wirrungen eines Donald Trump abfedern – für einige Zeit zumindest. Ebenso wichtig ist allerdings das (Selbst-)Verständnis von Politik. Im Laufe der Menschheitsgeschichte und in der Tradition der athenischen, polnischen, britischen, niederländischen, amerikanischen und vieler anderer Republiken wurde Politik immer stärker geprägt von einer Art Marktplatz-Mentalität. Auf dem Marktplatz werden Probleme gelöst; auch wenn der Problem-Begriff häufig etwas – teils auch deutlich – zu weit gefasst wird. Auf dem Marktplatz ist der Umgangston nicht egal. Es geht nicht darum, Ängste zu schüren, und Eitelkeiten stehen zumindest nicht für denjenigen an erster Stelle, der ein vorteilhaftes Geschäft machen möchte. Der Marktplatz ist kein Spektakel, hier wird auf der Grundlage von Fakten debattiert und es wird schlicht gearbeitet.

Den modernen Gladiatoren der Politik ist der politische Marktplatz fremd. Sie empfinden gar Verachtung für die Art und Weise wie hier in zähen und langwierigen Verhandlungen die scheinbar unbedeutendsten Probleme gelöst werden. Trump und Co wollen die großen Erfolge und die großen Gefühle. Was interessiert es da, welche konkreten Auswirkungen Handelsbeschränkungen oder der Brexit auf die eigene Volkswirtschaft haben? Es geht schließlich beiderseits des Atlantiks darum, das ‘eigene Land zurückzugewinnen‘. Souveränität und Kollektivismen werden zum Selbstzweck, dessen Umsetzung, wenn überhaupt, nur wenigen etwas bringt. Das verklärt auch die Sinne der Zuschauer, die über all dem Spektakel mitunter ihre tatsächlichen Probleme vergessen. Ein Effekt, den sich schon die römischen Kaiser gern zu eigen machten: Brot und Spiele.

Nelson Mandela zeigte der Welt, dass es auch anders geht

Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Nelson Mandelas, der in dieser Woche 100 Jahre alt geworden wäre. 1990, nach 28 Jahren in Haft, kommt er frei und leitet gemeinsam mit dem letzten südafrikanischen Präsidenten des Apartheid-Regimes, Frederik de Klerk, die friedliche Transition ein. Nach einem Jahrhundert der brutalen Unterdrückung dürstet es vielen der über 30 Millionen Schwarzen, Farbigen und Asiaten nach Rache an der rücksichtlosen weißen Minderheitsregierung – und Mandela ist ihr unantastbarer Volksheld. Es wäre nur verständlich gewesen, wenn Mandela dem Drängen der Massen (und der eigenen Frau) nachgegeben und eine rassistische Umkehrungspolitik umgesetzt hätte, wie kurz darauf Simbabwes berüchtigter Ex-Diktator Robert Mugabe.

Doch anstatt den Unterdrückten scheinbar ‚ihr Land zurückzugeben‘, setzte Mandela auf Versöhnung und die Lösung von tatsächlichen Problemen. Unter einer Regierung der nationalen Einheit arbeitete eine von Desmond Tutu geleitete Kommission Verbrechen Stück für Stück auf und entschädigte viele Opfer. Gleichzeitig verantwortete Mandelas Regierung eine neue Verfassung und den Anschluss von Millionen Haushalten an das Strom- und Wassernetz. 1990 hatte Mandela nicht nur jeden Grund, sondern sogar eine gewisse Legitimation zum Spektakel. Dass er den Weg über den politischen Marktplatz wählte, prägt Südafrikas erfolgreiche Entwicklung bis heute.

Wir sollten das Kolosseum einfach verlassen

Dass Politiker vom Schlage Donald Trumps einen ähnlichen Weg gehen könnten wie einst Nelson Mandela, davon träumen wohl nicht einmal die Kühnsten unter uns. So amüsierend das Schauspiel der Gladiatoren häufig wirkt – die echten Probleme und Anliegen sollten nicht in Vergessenheit geraten. Vor allem sollten sich die Bürger von dem Spektakel nicht ablenken lassen. Selbst wenn Abschiebungen rechtmäßig sein sollten – was tragischerweise in letzter Zeit nicht immer der Fall war – sollte das Seehofer‘sche Gejubel darüber nicht davon ablenken, dass Deutschland noch immer kein richtiges Einwanderungsgesetz hat. Dass Donald Trump sich immer wieder auf der internationalen Bühne blamiert, sollte nicht die echten Krisen, Machtverlagerungen und Spaltungen, die er auslöst, überlagern. Dass Boris Johnson die biedere Theresa May auf groteske Weise hilflos aussehen lässt, sollte nicht verdecken, dass der Brexit für die EU und Großbritannien eine gigantische administrative Herausforderung darstellt. Für all das braucht es wieder mehr Politiker, die die Werte des Marktplatzes leben. Und es braucht uns Zuschauer, die das Kolosseum einfach mal verlassen.

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Von Ryan Khurana.

Künstliche Intelligenz und Automatisierung gelten als für viele Menschen als große Arbeitsplatzbedrohung. Doch die Geschichte macht Mut: Automatisierung führte oft dazu, dass die Menschen sich auf ihren komparativen Vorteil fokussieren konnten und unproduktive Arbeiten von der Technik erledigt wurden. Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, zu einem großen Produktivitätstreiber zu werden, wenn sie nicht durch starre Regulierung auf den Arbeitsmärkten ausgebremst wird.

Viele Menschen treibt die Sorge um, dass zukünftig immer mehr Arbeitsplätze von Künstlicher Intelligenz getriebenen Automatisierung zum Opfer fallen und die Arbeitslosigkeit zunehmen wird. Wenngleich diese Sorgen unbegründet sind, könnten sie schädliche politische Maßnahmen in Gang setzen und so die segensreiche Automatisierung behindern – erste Ansätze einer solchen Überregulierung zeichnen sich bereits im Rahmen des momentan diskutierten EU-Regelwerks für Robotik ab. Bereits John Maynard Keynes prägte die Vorstellung, dass technologischer Fortschritt Arbeitslosigkeit hervorrufen könne. Doch Arbeitslosigkeit und sinkende Löhne drohen nur, wenn die Politik den Wandel behindert. Auf Arbeitsmärkten mit flexiblen Löhnen und Arbeitsbedingungen können Arbeitnehmer weiterhin von KI-getriebener Automatisierung profitieren.

KI-Technologien versprechen Produktivitätsschub

Die Sorge um technologisch bedingte Arbeitslosigkeit entspringt einer engen Sichtweise auf menschliche Fähigkeiten und wirtschaftlichen Bedürfnisse. In produktivitätssteigernden Technologien wie Künstlichen Intelligenzen liegen enorme Chancen, die dazu beitragen können, die derzeitige Wachstumsflaute zu überwinden.

Eine Studie des McKinsey Global Institute kommt zu dem Schluss, dass von Künstlicher Intelligenz getriebene Automatisierung die aufgrund zunehmender Alterung und sinkender Geburtenraten drohenden Produktivitätsverluste in westlichen Gesellschaften abfedern können. Werden Technologien basierend auf Künstlicher Intelligenz früh (d.h. bereits ab 2025) in nennenswerter Weise ausgebaut, könnten sie den Studienergebnissen zufolge das weltweite BIP-Wachstum um jährlich 1,4 Prozentpunkte stärken. Im Wettbewerb agierende Unternehmen sähen sich veranlasst, die Produktivitätsgewinne in Form von Qualitätssteigerungen und niedrigeren Preisen an die Konsumenten weiterzugeben. Die Reallöhne würden also steigen.

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Arbeitnehmer für wertvollere Tätigkeiten frei

Ein weiteres Ergebnis der McKinsey-Studie ist, dass ca. 30 % aller Tätigkeiten in etwa 60 % aller Berufsfelder automatisierbar sind. Dieser vielzitierte Befund lässt bei Skeptikern der Künstlichen Intelligenz die Alarmglocken läuten. Die Konsequenzen sind allerdings unklar. Ein typischer Arbeitnehmer verbringt den größten Teil seiner Arbeitszeit eben nicht mit jenen Tätigkeiten, mit denen er am meisten zum Erfolg des Unternehmens beiträgt. Werden im Zuge der Automatisierung einige Tätigkeiten durch Künstliche Intelligenzen automatisiert, so können sich Arbeitnehmer stärker auf jene Tätigkeiten konzentrieren, durch die sie am meisten beitragen können. Menschliche Arbeit wird durch den technologischen Fortschritt also nicht ersetzt, sondern ergänzt.

Ein anschauliches Beispiel liefert der Effekt von Geldautomaten auf das Bankkundengeschäft: Obwohl Geldautomaten dafür gesorgt haben, dass kaum noch Personal zum Zählen und Aushändigen von Bargeld in Banken beschäftigt werden muss, ist die Nachfrage nach Bankkaufmännern und -frauen nicht gesunken. Vielmehr konzentrieren sich letztere nun stärker auf Tätigkeiten, in denen sie einen komparativen Vorteil haben, etwa den Kundenservice und die Kundenakquise. Gleichzeitig senken Geldautomaten die Miet- und Investitionskosten der Banken, sodass diese mehr Filialen unterhalten können.

Bisherige Studien übertreiben Auswirkungen

Eine OECD-Studie über die Auswirkungen der Automatisierung betont, dass Arbeitsplätze hochgradig heterogen sind, etwa hinsichtlich der Länder und Märkte, in denen sie ausgeübt werden, sowie hinsichtlich des Qualifizierungsniveaus, das sie beanspruchen. Viele ältere Studien ignorieren diese Heterogenität. Wird sie in den Schätzungen berücksichtigt, fällt der Anteil der Jobs mit hohem Automatisierungsrisiko merklich. Das höchste Automatisierungsrisiko besteht demnach in Deutschland und Österreich, wo 12 % der Arbeitsplätze automatisiert werden könnten, vornehmlich im produzierenden Gewerbe. Aber auch das ist kein Grund zur Sorge.

Pflegerische Tätigkeiten schwer automatisierbar

Seit Beginn der Finanzkrise leidet die Weltwirtschaft unter schwachem Produktivitätswachstum, das die Reallohnentwicklung hemmt. Angesichts der voranschreitenden Alterung der Bevölkerung in den meisten OECD-Staaten birgt die Produktivitätsflaute langfristig die Gefahr deutlicher Wohlstandseinbußen. Mit steigendem Durchschnittsalter einer Gesellschaft wächst die Nachfrage nach medizinischen und pflegerischen Dienstleistungen. Für das Vereinigte Königreich gehen Schätzungen beispielsweise davon aus, dass im Jahr 2037 750.000 Arbeitskräfte in diesen Sektoren fehlen werden.

Die Anwendung neuer Technologien auf Basis Künstlicher Intelligenz steigert nicht nur die Produktivität in Branchen mit hohem Automatisierungspotenzial. Zusätzlich wirkt sie auch produktivitätssteigernd in anderen Branchen, in denen menschliche Arbeitskräfte weiterhin wichtig bleiben werden. Wenn etwa der Transportsektor weiter automatisiert und somit effizienter wird, werden zusätzliche Ressourcen für andere Branchen mit geringerem Automatisierungspotenzial frei. So ist die Nachfrage nach Tätigkeiten, die ein hohes Maß an sozialer Kompetenz erfordern, seit 1980 stark gestiegen. Von Künstlicher Intelligenz getriebene Automatisierung wird diesen Trend vermutlich weiter befördern.

Arbeitsmarktregulierung behindert Anpassung

Damit neue Technologien ihre produktivitätssteigernde Wirkung auf dem Arbeitsmarkt realisieren können, müssen die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Auf Arbeitsmärkten – besonders für medizinische und pflegerische Dienstleistungen – sollten Regulierungen dem Beschäftigungszuwachs nicht maßgeblich im Wege stehen. Das Risiko wachsender Arbeitslosigkeit besteht nur dann, wenn die Löhne und Arbeitsbedingungen in den betreffenden Märkten starr reguliert sind und ein Mangel an Ausbildungsmöglichkeiten besteht. Letzteres ist ein entscheidender Faktor, denn die Vorstellung ist weit verbreitet, dass Menschen lediglich jene Tätigkeiten ausüben könnten, für die sie ursprünglich ausgebildet wurden. In einer dynamischen Marktwirtschaft verschwinden zwar permanent Arbeitsplätze, doch es kommt noch schneller zur Entstehung neuer Arbeitsplätze.

Allzu strikte Arbeitsmarktregulierung birgt die Gefahr, die Entstehung neuer Arbeitsmöglichkeiten im Keim zu ersticken und so Arbeitslosigkeit und ein sinkendes Lohnniveau zu befördern. Arbeitnehmer und Unternehmen sollten die Gelegenheit haben, mit Vertrags- und Beschäftigungsbedingungen zu experimentieren, die neue Möglichkeiten zur Aus- und Umbildung enthalten.

Künstliche Intelligenz und flexible Automatisierung

Insbesondere der Markt für medizinische und pflegerische Dienstleistungen sowie andere Sektoren, in denen die Nachfrage nach menschlichen Arbeitskräften zukünftig steigen wird, könnten von Deregulierung profitieren. In diesen Märkten werden Löhne und Arbeitsbedingungen heute in hohem Maße staatlich beeinflusst. Bei steigender Nachfrage würden die Marktlöhne für Arbeiter im Gesundheitssektor steigen und Anreize geben, umzuschulen und in die boomenden Sektoren zu wechseln. Unflexible Löhne führen zu künstlich erzeugtem Nachfrageüberschuss auf Arbeitsmärkten.

Nicht die durch Künstliche Intelligenz getriebene Automatisierung mit ihrer produktivitätssteigernden Wirkung bedroht Arbeitsplätze und Löhne, sondern schlechte Politik und rigide Arbeitsmärkte.

Zuerst erschienen bei IREF (deutsch/englisch)