Beiträge

Photo: Unspalsh/Dan Watson

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Die gemeinsame Währungspoltik im Euroraum sorgt für einen einheitlichen Leitzins. Das führt zu großen Problemen, denn die Volkswirtschaften der Eurozone sind zu heterogen dafür. Während er für die einen zu niedirg ist, ächzen die anderen unter der Höhe des EZB-Zinses. Der sogenannte Taylor-Zins macht das Dilemma deutlich.

Seit Einführung des Euros im Jahr 1999 setzt die Europäische Zentralbank den Hauptrefinanzierungssatz für die gesamte Eurozone und legt damit fest, zu welchen Konditionen Geschäftsbanken bei ihr Kredite aufnehmen können. Da die Geschäftsbanken die ihnen gewährten Konditionen an ihre Kunden weitergeben, beeinflusst die EZB über den umgangssprachlich auch als Leitzins bezeichneten Hauptrefinanzierungssatz das Ausmaß der Kreditschöpfung und damit auch die konjunkturelle Entwicklung aller Länder der Eurozone.

Spätestens seit Beginn der Finanzkrise 2008 mehrt sich Kritik an der einheitlichen Zinssetzung der EZB. So halten viele deutsche Kommentatoren den Zinssatz für zu niedrig, während andere vor den negativen Folgen höherer Zinsen für die südeuropäischen Krisenstaaten warnen. Angesichts der Größe der Eurozone und der Verschiedenheit der in ihr zusammengefassten Volkswirtschaften ist es nicht überraschend, dass die einheitliche Geldpolitik zu keinem Zeitpunkt vollständig auf die Bedürfnisse aller Mitgliedsländer abgestimmt ist.

Die Taylor-Regel bietet eine Möglichkeit, um einzuschätzen, wie stark die Diskrepanz zwischen den geldpolitischen Bedürfnissen der Eurozonenstaaten ausfällt. Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass Geldpolitik die Auswirkungen von Zinsänderungen sowohl auf die Inflationsrate als auch auf die konjunkturelle Entwicklung berücksichtigen sollte.

Berechnungen für einige Länder der Eurozone offenbaren starke Abweichungen zwischen dem landesspezifischen Taylor-Zinssatz und dem einheitlichen EZB-Leitzins. Auch 20 Jahre nach Gründung der EZB gibt es weiterhin wenig Anzeichen dafür, dass die Eurozone einen optimalen Währungsraum formt. Deshalb ist zu erwarten, dass der einheitliche Leitzins der EZB auch in Zukunft zu hohen Kosten für die betroffenen Volkswirtschaften führen wird – inklusive weiterer kreditinduzierter Booms und Busts.

Leitzins seit 1999: Von fast 5 % auf 0 %

Mit ihrer Geldpolitik verfolgt die EZB primär das Ziel, das Preisniveau in der Euro-Zone stabil zu halten – in der Praxis strebt sie eine Inflationsrate von 2 % an. Sofern sie die Preisniveaustabilität dabei nicht gefährdet, unterstützt die EZB laut AEU-Vertrag ferner die allgemeinen wirtschaftspolitischen Ziele der EU.

Der Hauptrefinanzierungssatz ist das wichtigste Instrument der EZB. Sie hat ihn seit Einführung des Euros 1999 vielfach angepasst. Lag er 1999 bei 3 %, stieg er im Laufe des Jahres 2000 auf ein Maximum von 4,75 %. Bis 2003 senkte die EZB den Satz auf 3 %, hob ihn anschließend bis Mitte 2008 aber wieder auf 4,25 % an. Seit Krisenausbruch sank der Hauptrefinanzierungssatz. 2016 erreichte er 0 %.

Optimale Sätze nach der Taylor-Regel

Ob die Geldpolitik der letzten Jahre für die Preisentwicklung und die konjunkturelle Lage in den Euro-Staaten angemessen war, wird kontrovers diskutiert. Eine Möglichkeit zur Einschätzung bietet die nach dem Ökonom John Taylor benannte Taylor-Regel. Laut dieser sollte die Zentralbank die Abweichung der aktuellen Inflationsrate von der erwünschten Inflationsrate sowie die konjunkturelle Situation berücksichtigen.

Wird mit π die aktuelle Inflationsrate, mit r der reale Gleichgewichtszins und mit y_gap die prozentuale Abweichung des realen Bruttoinlandprodukts von seinem langfristigen Potential – die sogenannte Outputlücke – bezeichnet, so lautet die Taylor-Regel in ihrer ursprünglichen Form:

i=π+r+0,5y_gap+0,5(π-2)
Die Taylor-Regel basiert auf der Erkenntnis, dass ein niedriger Leitzins stimulierend wirken kann. Niedrige Zinsen können Investitionen und den Konsum staatlicher sowie privater Akteure anregen und so zu steigenden Preisen beitragen. Je niedriger das derzeitige Outputniveau und je niedriger die aktuelle Inflationsrate, desto niedriger fällt der aus der Anwendung der Taylor-Regel resultierende Leitzins aus.

Abweichende Taylor-Zinsen für Euroländer

Mittels Daten des Internationalen Währungsfonds lässt sich der Taylor-Zinssatz für die Eurozonen-Länder berechnen. Als Indikator für den Gleichgewichtszins eines Landes verwenden wir das durchschnittliche Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts einzelner Länder zwischen 1980 und 2010.

Deutlich wird, dass der Hauptrefinanzierungssatz der EZB von 1999 bis zu Beginn der Krise 2009 nahe am für Deutschland optimalen Taylor-Zinssatz lag, wenngleich er ab 2004 auch aus deutscher Sicht zunehmend zu niedrig ausfiel.

2000er: Zu niedrige Zinsen für boomende Länder Südeuropas

Für einige Länder Südeuropas, in denen vor allem in den 2000er Jahren das Bruttoinlandsprodukt deutlich über dem langfristigen Potential und die Inflationsraten deutlich über dem Ziel von 2 % lagen, war der durch die EZB gesetzte Zins dauerhaft deutlich zu niedrig.

So wäre beispielsweise in Griechenland während der Boom-Jahre vor Ausbruch der Finanzkrise nach der Taylor-Regel ein deutlich höheres Zinsniveau angemessen gewesen – 2008 betrug die Differenz 8,6 Prozentpunkte. Die aus Sicht Griechenlands zu niedrigen Zinsen haben maßgeblich zur exzessiven Verschuldung beigetragen, die das Mittelmeerland bis heute belastet.

Wie in Griechenland dürften die relativ zum Taylor-Satz zu niedrigen Zinsen in den Vorkrisenjahren auch in Portugal, Spanien und Irland sowie in geringerem Maße in Frankreich und Italien zu exzessiver Kreditaufnahme durch private und/oder staatliche Akteure geführt haben.

Nach 2009: Zu niedrige Zinsen für Irland und Deutschland

Im Krisenjahr 2009 hätte Deutschland gemäß der Taylor-Regel kurzfristig eine stärkere Zinssenkung benötigt, doch seit 2010 liegt der Zins niedriger als die Taylor-Regel empfiehlt – 2011 betrug die Differenz 4 Prozentpunkte. Der Taylor-Regel folgend liegt das Zinsniveau aus griechischer Sicht hingegen seit 2012 zu hoch – für Griechenland wäre ein negativer Nominalzinssatz angemessen.

Heute befinden wir uns folglich noch immer in einer Situation, in der der einheitliche Leitzins der EZB vom länderspezifischen Taylor-Zins abweicht. Derzeit gehören Deutschland und Irland gemäß der Taylor-Regel zu den Ländern für die der Zins der EZB deutlich zu niedrig ist.

Krisenanfälligkeit bleibt

Langfristige Untersuchungen zeigen, dass niedrige Leitzinsen zu den zentralen Ursachen für durch übermäßiges Kreditwachstum ausgelöste Wirtschaftskrisen gehören. Der zwangsläufig für alle Länder der Eurozone einheitliche Leitzins der EZB hat also das Potential, in Ländern, für die er zu niedrig ist, kreditinduzierte Krisen hervorzurufen. Gleichzeitig hemmt er in jenen Ländern die wirtschaftliche Aktivität, für die der Zins zu hoch ausfällt. Fast 20 Jahre nach Gründung der EZB ist eine einheitliche Geldpolitik für die gesamte Eurozone auch aus diesen Gründen weiterhin nicht sonderlich attraktiv.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: 591360 from pixabay.com (CC0)

Bundesbankpräsident Jens Weidmann hält die Kryptowährung Bitcoin für ineffizient. Mein ehemaliger Kollege und heutiger Vorstand der Bundesbank Carl-Ludwig Thiele versteift sich sogar in der Aussage: „Bitcoin ist kein Geld, sondern ein Spekulationsobjekt“.

Schnell stellt sich die Frage: Was ist überhaupt Geld und ist es immer effizient? Geld ist das allgemein akzeptierte Zahlungsmittel. Und da fängt es schon an. Denn nicht jede staatliche Währung kann das von sich behaupten. In den meisten Entwicklungs- und Schwellenländern ist nicht die eigene staatliche Währung das allgemein akzeptierte Zahlungsmittel, sondern der US-Dollar oder auch der Euro. Dort existiert meist ein blühender Handel mit diesen beiden Leitwährungen. Die dortigen Notenbanken und auch die Regierungen können gegen diesen Handel nicht wirklich etwas unternehmen. Er findet im Verborgenen statt. Weltweit ist unsere Situation im Euro-Raum oder die der Amerikaner in den USA, dass die eigene Währung das allgemein akzeptierte Zahlungsmittel und damit Geld ist, daher eher die Ausnahme.

Zwar versuchen viele Regierungen und Notenbanken ihre Bürger zur Verwendung ihrer Währung zu zwingen, um damit ihre Währung buchstäblich zu Geld zu machen, doch das ist nicht so einfach. Dies funktioniert meist nur durch Zwangsmaßnahmen. Die weiche Form dieser Repression ist der Annahmezwang. Per Gesetz wird definiert, was das gesetzliche Zahlungsmittel im jeweiligen Land ist. So auch bei uns. Der Euro ist seit 1. Januar 2002 alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel. Jeder Gläubiger muss die Zahlung von Euro zur Begleichung von Geldschulden akzeptieren. Ob dies immer gelingt, ist nicht sicher. In Hochinflationsländern ist das schon schwieriger. In diesen Staaten existieren daher viel stärkere Repressionen. Sie werden als Kapitalverkehrskontrollen bezeichnet und fallen sehr unterschiedlich aus. Doch allen diesen Kontrollen ist eines gemein, sie sollen die Währungshalter zwingen, ihre Zahlungsströme ausschließlich in der heimischen Währung abzuwickeln und Devisen (Dollar oder Euro) nicht ins Ausland zu bringen.

Daher sind die Aussagen von Weidmann und Thiele kein wirklicher Erkenntnisgewinn. Denn jede Währung ist auch ein Spekulationsobjekt. Wer in Venezuela lebt und die dortige Währung „Bolivar“ benutzen muss, spekuliert selbstverständlich auf den weiteren Wertverfall der Währung unter der sozialistischen Regierung Maduro. Seit 2015 hat die Währung 75 Prozent gegenüber dem Euro eingebüßt. Wahrscheinlich ist der „Bolivar“ auch nicht besonders „effizient“, denn die Regierung muss immer mehr davon drucken, um den Schein zu wahren. Und dass Chinas Kapitalverkehrskontrollen effizient sind, lässt sich sicherlich auch bestreiten. Schließlich unterhält China dafür einen teuren Überwachungsstaat, der sämtliche Transaktionen ins Ausland „kontrolliert“.

Wenn Bitcoins und Co. keine attraktiven Alternativen zu den staatlichen Währungen wären, dann würden sich die Notenbanker und Regierungen auf dieser Welt auch nicht so intensiv damit beschäftigen. Tatsächlich ist das Aufkommen der Kryptowährungen der erste wirkliche Großangriff auf das staatliche Geldsystem. Und sie werden das Wirtschaftsleben insgesamt verändern, vielleicht sogar revolutionieren. Wer in China, Venezuela oder sonst wo Kapitalverkehrskontrollen entfliehen will, hat mit Bitcoin und Co. viel bessere Möglichkeiten als früher. Daher helfen in solchen Ländern Kryptowährungen dabei, die Lebensdauer von Diktaturen und freiheitsfeindlichen Regimen zu verkürzen.

Doch nicht nur dort wird es zu Veränderungen kommen. Bitcoin und Co. werden Euro und Dollar nicht ersetzen. Sie wollen und werden nur Teilfunktionen von Geld erfüllen. Die eine Währung dient vielleicht dazu, die Zahlungen im grenzüberschreitenden Handel zu vereinfachen. Andere dienen dazu, den Wertpapierhandel zu vereinfachen und wieder andere sind ein ideales Wertaufbewahrungsmittel.

Das war zumindest bei Bitcoin auch die Idee der Initiatoren. Sie wollten eine globale Währung schaffen, deren Umlaufmenge nicht beliebig durch Notenbanken manipuliert und vermehrt werden kann. Die theoretische Basis dafür liefert der Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek. 1976 schrieb er ein Buch darüber: „Die Entnationalisierung des Geldes“. Darin schlägt er vor, Geld wie jedes andere Gut zu betrachten und es dem Wettbewerb auszusetzen. In diesem Wettbewerb würde dann das gute – das knappe und werthaltige – Geld das schlechte – das inflationäre – Geld verdrängen. Die Voraussetzung sei die Aufgabe des staatlichen Geldmonopols und des gesetzlichen Annahmezwangs. Wenn jeder das schlechte Geld jeder Zeit in besseres Geld tauschen könnte, würde niemand lange schlechtes Geld freiwillig halten wollen. Dies würde dann auch die Herausgeber des schlechten Geldes, wohl das staatliche Geld, dazu zwingen, ihr Geld besser, also solider, zu machen. Genau so ist die Situation in Venezuela. Keiner will die schlechte Währung, den Bolivar, lange halten, sondern jeder versucht ihn schnell loszuwerden. Macht die Regierung Maduro so weiter, dann wird die Währung mit ihrem Staatspräsidenten irgendwann verschwinden. Zwischenzeitlich ist die gesamte Bevölkerung verarmt. Das ist der entscheidende Unterschied zu Bitcoin und Co. Hier geschieht alles freiwillig und auf eigenes Risiko.

Photo: Nathan Anderson from Unsplash (CC 0)

Passend rund um das gerade stattgefundene Stelldichein beim Weltwirtschaftsforum in Davos werden von interessierter Seite wieder Verteilungsdebatten angezettelt. Oxfam und jetzt auch das DIW berechnen möglichst spektakuläre Vermögensvergleiche. Soundso viele Vermögende besitzen mehr als die Hälfte oder noch mehr des Vermögens der Weltbevölkerung. Das sei ungerecht. Die einen sprechen sich für globale Umverteilung aus, andere wollen große Vermögen im eigenen Land höher besteuern. In dieser aufgewühlten Zeit ist es daher schon ein Lichtblick, wenn ein Grüner nicht in diese Fanfare bläst. Deren Vordenker Ralf Fücks hat sich in einem erfrischenden Beitrag in der Welt ganz im Erhardschen Sinne für eine Politik ausgesprochen, die „Eigentum für alle“ zum Ziel hat. Also keine Vermögensteuer, sondern die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Beteiligung der Bevölkerung am Produktivvermögen. Das ist schon einmal ein Anfang.

Das Auseinanderfallen von Vermögen und Erwerbseinkommen muss auch eingefleischte Marktwirtschaftler nachdenklich machen. Zwar sind die Ursachen nicht monokausal, sondern wahrscheinlich vielschichtig, aber sehr schnell kommen auch Marktwirtschaftler bei dieser Entwicklung in Erklärungsnot. Zumindest die Entwicklung der Vermögensgüter zeigt das. Allein die Vermögenspreise sind im dritten Quartal 2017 um 8,7 Prozent gestiegen, Betriebsvermögen sogar um 22,9 Prozent und Aktien um 13 Prozent. Und selbst Immobilien sind in diesem Zeitraum um 7,7 Prozent gestiegen. Seit 2009 sind Vermögenspreise insgesamt um rund 50 Prozent gestiegen. (Quelle: FVS Vermögensindex Q3-2017). Da ist im Vergleich die Entwicklung der Reallöhne von 2007 bis 2017 von nominal 22,7 Prozent (preisbereinigt 10 Prozent) dann doch eher überschaubar.

Sehr schnell sind viele da, ob bewusst oder unbewusst, bei den Theorien von Karl Marx, der das Anhäufen von immer mehr Kapital auf Kosten der Arbeiterklasse zum Gesetz erklärte und daher zum Klassenkampf aufrief. Daraus folgten und folgen vielleicht noch immer viele Tragödien des real existierenden Sozialismus. Doch es gibt auch eine marktwirtschaftliche Begründung für diese Entwicklung. Diese hat mit der Intervention des Staates in das Geldwesen zu tun. Geld und dessen Umlaufmenge ist heutzutage ein staatliches Produkt. Der Staat und seine dafür beauftragte Notenbank bestimmt direkt und mittelbar über die Kreditvergabe der Banken die Umlaufmenge des Geldes. Alleine in den letzten 10 Jahren ist im Euroraum die Geldmenge (M3) um jährlich 3,24 Prozent und in den letzten 20 Jahren sogar um 5,35 Prozent pro Jahr angestiegen. Das ist in allen Fällen höher als das jeweilige jährliche Wachstum im Euroraum. Dieses billige Geld sollte Konjunkturen befeuern, trieb aber tatsächlich die Aktien- und Immobilienpreise an. Die Liquiditätsschwemme führte und führt zu Blasen an den Märkten für Vermögensgüter, deren Platzen immer wieder durch noch billigeres Geld abgemildert oder verhindert wurden.

Das hat mit Marktwirtschaft nichts zu tun. Denn in einer Marktwirtschaft gehört das Ausscheiden einzelner Marktteilnehmer ebenso dazu wie deren Erfolg. Wer die Insolvenz von Unternehmen, Banken und Staaten verhindert, versündigt sich daher an der Marktwirtschaft und trägt zur ungerechtfertigten Schonung von Vermögen bei.

Die Wirkung der Geldmengenvermehrung auf die Marktteilnehmer und ihre Verteilungseffekte sind nicht neu. Der irische Ökonom Richard Cantillon beschrieb dies bereits im 18. Jahrhundert. Cantillon war der Meinung, dass eine Geldmengenausweitung nicht für alle gleichzeitig vorteilhaft sei, sondern diejenigen, die das neue Geld zuerst erhalten, profitieren zuerst von dieser Geldmengeninflation. Sie können zuerst mit dem neuen Geld arbeiten, bevor die Geldvermehrung bei allen Wirtschaftsteilnehmern angekommen ist. Die Nutznießer sind der Staat, die Banken und eben Vermögensbesitzer. Diejenigen die am Ende der Verwertungskette des neuen Geldes stehen, müssen höhere Preise bezahlen, sei es als Konsument, sei es als Mieter oder sei es als jemand, der Handwerkerleistungen in Anspruch nehmen will. Dieser Cantillon-Effekt ist Ursache dafür, dass Staat, Banken und auch Vermögensbesitzer tendenziell profitieren und Konsumenten, Handwerker und Arbeitnehmer eher die Nachteile zu tragen haben.

Die Ursache für das Auseinanderfallen des Vermögens im Verhältnis zum Arbeitseinkommen hat daher mit der Marktwirtschaft sehr wenig zu tun. Denn in einer Marktwirtschaft würde ein Marktzins existieren, der das Marktrisiko abbildet und gleichzeitig die Zeitpräferenz berücksichtigt. Das heißt, der zeitliche Verzicht des Geldhalters wird durch einen Preis (den Zins) belohnt, den der Kreditnehmer zu zahlen hat.

Und es ist auch deshalb keine Marktwirtschaft, weil in einer Marktwirtschaft die Insolvenz von Unternehmen, Banken und Staaten eine zwingende Voraussetzung ist. Das Ausscheiden aus dem Markt ist ebenso wichtig wie das Aufsteigen. Es ist die andere Seite der Medaille der Marktwirtschaft. Schließt man das Ausscheiden aus, dann können Banken mit sehr viel weniger Eigenkapital wirtschaften, Risiken zu Niedrigzinsen eingehen und ein viel größeres Rad drehen. Am Ende sind sie dann so groß, dass sie bei einer drohenden Schieflage immer wieder den Steuerzahler erpressen können. Wer die Marktwirtschaft retten will, muss hier ansetzen und die Manipulation des Zinses beenden.

Erstmals veröffentlicht bei Tichys Einblick.

Photo: Tim Green from Flickr (CC BY 2.0)

Die deutsche Regierung hat die Schlacht um die Sozialisierung der Einlagensicherung in der Europäischen Union längst verloren. Sparkassen und Volksbanken, aber auch Privatbanken in Deutschland und letztlich die Einleger bei diesen Banken, haften bald für die Schieflage von Banken in Griechenland, Italien oder Spanien. Lange galt die Institutssicherung der Volksbanken und Sparkassen als rote Linie in den Verhandlungen in Brüssel. Volksbanken und Sparkassen retten dabei nicht den einzelnen Sparer bei der Schieflage eines Instituts, sondern sie stützen das jeweilige Institut in Eigenregie und damit mittelbar auch dessen Einleger und Sparer. Die Logik dahinter ist, dass Sparkassen in Deutschland nicht Volksbanken und Privatbanken im eigenen Land helfen, sondern jede Sparte für sich haftet.

Aus diesem Grund stellen sich die Institute in Deutschland berechtigt die Frage, warum sie und deren Sparer für Banken und deren Sparer in Nikosia, Athen oder Palermo haften sollten, wenn dies nicht einmal im eigenen Land vorgesehen ist? Diese Frage ist sehr berechtigt, denn auf das wirtschaftliche Gebaren in den übrigen Euro-Ländern hat das Genossenschaftsmitglied der örtlichen Volksbank oder der Aktionär eines kleinen Geldhauses in Deutschland gar keinen Einfluss. Und auch der Deutsche Bundestag hat auf die nationale Gesetzgebung in Griechenland, Italien oder Spanien keinen Einfluss. Ob die Finanzaufsicht dort lax, streng oder korrupt ist, kann von hier aus nicht wirklich verändert werden.

Dem geschäftsführenden Finanzminister Peter Altmaier wird deshalb vorgeworfen, er würde die Einlagensicherung auf dem Altar der EU opfern. Das stimmt! Denn die Roadmap bis zum Sommer, die er jetzt beim Treffen der Finanzminister in Brüssel vorgeschlagen hat, ist die Fortsetzung des Rückzugsgefechts, das bereits sein Vorgänger Wolfgang Schäuble eingeleitet hat. Altmaier stellt vier Vorbedingungen für die Zustimmung Deutschlands für eine europäische Einlagensicherung auf: Notleidende Kredite sollen im Euroraum weiter abgebaut, die Insolvenzordnungen für Banken im Euro-Raum harmonisiert, Risikopuffer in den Bankbilanzen aufgebaut und der hohe Bestand an Staatsanleihen des eigenen Landes in den Bankbilanzen reduziert werden. Das ist alles richtig und vernünftig.

In Griechenland und Zypern wird fast jeder zweite Kredit nicht mehr oder nicht mehr regelmäßig bedient. Auch in Italien ist das Problem der faulen Kredite besorgniserregend hoch. Im Zweifel wird gerade dort immer wieder ein Auge zugedrückt, wenn es um die Abwicklung von Banken und die Beteiligung der Eigentümer und Gläubiger der Banken geht. Wer viele faule Kredite in der Bilanz hat, muss sie irgendwann wertberichtigen und zu Lasten des Eigenkapitals abschreiben. Doch gerade das Eigenkapital der Banken ist nur mager vorhanden. Schon deshalb flüchten Banken in die Staatsanleihen, insbesondere des eigenen Landes, da hierfür, anders als bei Unternehmenskrediten, kein Eigenkapital bereitgestellt werden muss. Es ist also ein dankbares Geschäft sowohl für die überschuldeten Staaten als auch für die Banken. Erstere werden ihre Anleihen los und Zweitere müssen kein Eigenkapital für den Kauf bereitstellen. Beide sind wie siamesische Zwillinge, die sich gegenseitig brauchen. Wenn das alles nicht hilft, dann hilft die EZB, die bis Ende des Jahres für 2.500 Milliarden Euro Anleihen von Staaten, Banken und Unternehmen gekauft haben wird. Inzwischen ist der Markt dafür fast leergefegt, daher kauft die EZB bevorzugt die Anleihen, die noch verfügbar sind. Das sind die Länder, die ihre Verschuldung weiter ausweiten, also die Problemländer.

Deutschland ist auch deshalb auf dem Rückzugsgefecht, weil die europäische Einlagensicherung auch gegen Deutschland durchgesetzt werden kann. Bereits Anfang 2016 hat der Wissenschaftliche Dienst des Europäischen Rates die von der Europäischen Kommission gewählte Rechtsgrundlage für den Richtlinienentwurf gebilligt. Danach braucht es keine Einstimmigkeit im Europäischen Rat, sondern lediglich eine qualifizierte Mehrheit. Es müssen mindestens 55 Prozent der Staaten also mindestens 15 bei 28 Staaten mit mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU zustimmen. Für eine Sperrminorität sind die Stimmen von mindestens vier Ratsmitgliedern, die mindestens 93 Stimmen im Rat aufbringen, notwendig. Dies gelingt nur, wenn sich ein Teil der bevölkerungsreichen Staaten Frankreich, Spanien oder Italien dem deutschen Widerstand anschließen. Das ist schon deshalb nicht zu erwarten, weil ja gerade diese Länder die Vergemeinschaftung anstreben.

Die Regierung hat bislang versäumt, die Rechtsgrundlage generell anzuzweifeln und dafür Verbündete in der EU zu suchen. Das fällt uns jetzt auf die Füße. Der nächste Schritt des Zentralismus in der EU ist daher vorbereitet. Mit dem ESM wurden erst die Schulden kollektiviert und mit der europäischen Einlagensicherung folgt bald das Sparvermögen. Sobald die neue Regierung in Berlin vereidigt ist, kann die Kommission einen Gang zulegen und muss keine Rücksicht mehr nehmen.

Erstmals veröffentlicht in Tichys Einblick.

Photo: Flickr, Mike Mozart

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Kevin Spur, Student der Ökonomie an der Freien Universität Berlin.

Die Politik von Mario Draghi und der EZB hat die Märkte während der Eurokrise stabilisiert und Unternehmens- und Bankinsolvenzen reduziert beziehungsweise vermieden. Doch man sollte dies nicht leichtfertig als Erfolg feiern. Hohe Summen sind in nicht überlebensfähige Zombiefirmen geflossen. Dieses Geld hätte man weit produktiver einsetzen können.

Als die Zinssätze auf Staatsanleihen strauchelnder Regierungen im Euroraum bis zum Sommer 2012 enorm stiegen, kündigte EZB-Präsident Mario Draghi am 26. Juli 2012 an, dass die EZB „innerhalb ihres Mandats alles Erforderliche tun [werde], um den Euro zu erhalten“. Das bis heute ungenutzte OMT-Programm war geboren, das einen unbegrenzten Ankauf europäischer Staatsanleihen am Sekundärmarkt ermöglicht. Die Ankündigung ließ den Kurs von Staatsanleihen steigen. Auch Banken hielten diese Staatsanleihen und wurden so indirekt rekapitalisiert. Sie konnten wieder mehr Kredite vergeben. Statt an profitable Firmen gingen viele dieser Kredite jedoch an unprofitable und im Grunde kreditunwürdige Unternehmen. Sichtbar mag das OMT-Programm die Teilnehmer an den Finanzmärkten beruhigt haben, unsichtbar hat es jedoch die Finanzierung lukrativer Firmen erschwert, Investitionen gehemmt und somit das Wachstum geschwächt.

„Whatever it takes“

Im Juni 2012 befanden sich die Refinanzierungskosten für die Regierungen Griechenlands, Irlands, Italiens, Portugals und Spaniens (GIIPS) auf einem Höhepunkt: Der Zinssatz auf 10-jährige griechische Staatsanleihen betrug beispielsweise etwa 28 %. Investoren verloren nicht nur das Vertrauen in die Regierungen, sondern auch in die Banken der GIIPS-Staaten, die viele Staatsanleihen ihrer jeweiligen Regierung hielten und unter deren Kursrückgang litten. Speziell an kleine und mittlere Unternehmen vergaben Banken angesichts ihrer eigenen schwachen Eigenkapitalausstattung kaum noch Kredite.

 

Die Ankündigung Mario Draghis, dass die EZB „alles Erforderliche tun [werde], um den Euro zu erhalten“, spätestens jedoch der Beschluss des OMT-Programms am 6. September 2012, machte die Staatsanleihen strauchelnder Staaten wieder attraktiver. Anschließend schätzten die Marktteilnehmer das Risiko eines Zahlungsausfalls als deutlich niedriger ein. Seitdem vertrauen die Marktteilnehmer darauf, dass die EZB im Notfall die Staatsanleihen eines schlingernden Staates kaufen wird. Das Bankensystem der Eurozone wurde so kurzfristig stabilisiert. Anscheinend verbesserte die Ankündigung Draghis kurzfristig auch den Zugang zu Krediten für Firmen in den GIIPS-Staaten.

Künstliche Beatmung von Zombie-Firmen

Ökonom Viral Acharya von der New York University und weitere Autoren finden ebenfalls Hinweise darauf, dass die OMT-Ankündigung der EZB den europäischen Bankensektor stabilisierte und die teilweise rekapitalisierten Banken wieder mehr Kredite vergaben. Aber welche Unternehmen profitierten durch zusätzliche Bankkredite vom Kursanstieg der GIIPS-Staatsanleihen? Acharya und seine Kollegen präsentieren überzeugende Hinweise darauf, dass Banken mehr Kredite an Unternehmen mit schlechter Bonität vergaben, während sie ihre Kredite an Unternehmen mit guter Bonität nach der OMT-Ankündigung nicht ausweiteten. Gemäß Acharya und seine Mitautoren sind dafür zumindest zum Teil Banken verantwortlich, die nach der OMT-Ankündigung weiterhin schwach kapitalisiert waren und einen Anreiz hatten, Kredite vor allem an sogenannte Zombie-Firmen zu vergeben.

Zombie-Firmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht in der Lage sind, die Zinszahlungen laufender Kredite zu tätigen – von der Tilgung der Darlehen ganz zu schweigen. Durch frische Kredite an Zombie-Firmen kann eine Bank vermeiden, dass bestehende Kredite an Zombie-Firmen als „non-performing“ klassifiziert oder gar abgeschrieben werden müssen. So kann eine Bank durch erneute Kredite an zahlungsunfähige Firmen ihre Eigenkapitalquote künstlich hoch halten und den Anforderungen an ihre eigene Kapitalausstattung genügen.

Laut IWF entfielen im Jahr 2013 in Portugal, Spanien und Italien 50 %, 40 % bzw. 30 % der Schulden auf Firmen, die ihre Zinszahlungen nicht aus ihren Vorsteuereinkünften begleichen konnten.

Profitable Unternehmen: Weniger Investition, weniger Wachstum

Endloskredite an Zombie-Unternehmen haben in den GIIPS-Ländern nicht nur Zombie-Firmen vor der Insolvenz bewahrt, sondern zudem den Anteil an Zombie-Firmen erhöht. Darunter leiden ihre gesunden Wettbewerber ebenso wie die übrigen Mitglieder der Gesellschaft. Zum einen treiben Zombie-Firmen die Kreditnachfrage und damit auch den Zinssatz für kreditwürdige Unternehmen in die Höhe. Zum anderen binden die ineffizienten Zombie-Unternehmen Ressourcen an sich, die andere profitable Unternehmen effizienter eingesetzt hätten. Investitionen und Beschäftigungswachstum profitabler Firmen werden so durch die Kreditvergabe unterkapitalisierter Banken beeinträchtigt.

Ähnliches geschah während der 1990er in Japan, als eine lockere Geldpolitik und Bank-Bailouts der japanischen Regierung immer mehr Zombie-Unternehmen entstehen ließen, wie Ricardo Caballero und andere Ökonomen zeigen.

Die Zerstörung der Schöpferischen Zerstörung

Natürlich ist die Insolvenz für Anteilseigner und Beschäftigte unprofitabler Unternehmen nicht erfreulich – und doch ist sie gesamtgesellschaftlich wünschenswert. Durch ihre Kaufentscheidungen teilen Kunden in Insolvenz geratenen Unternehmen mit, dass sie die Ressourcenverwendung anderer Unternehmen höher wertschätzen. Eine verschwenderische Ressourcenverwendung von Unternehmen wird so in einem Lernprozess des Versuchs und Irrtums minimiert.

Dieser von Joseph Schumpeter beschriebene Prozess der Schöpferischen Zerstörung beschreibt die fortwährende Neukombination von Produktionsfaktoren, durch die Fortschritt ermöglicht wird, während alte und ineffiziente Produktionsstrukturen samt den sie nutzenden Unternehmen verschwinden.

Die Finanzierung von Zombie-Firmen, die zum Teil durch die implizite Preisgarantie der EZB für Anleihen von Staaten der Eurozone ermöglicht wird, verlangsamt den Prozess der Schöpferischen Zerstörung.

OMT-Ankündigung: Sichtbar und unsichtbar

Die OMT-Ankündigung mag das europäische Bankensystem stabilisiert haben. Dieser kurzfristige Effekt war gut sichtbar. Ebenfalls gut sichtbar waren die durch die OMT-Ankündigung vermiedenen Entlassungen. Auf den ersten Blick unsichtbar hingegen sind die verlorenen Innovationen und das nicht erfolgte (Beschäftigungs-)Wachstum, das die Schließung unproduktiver Unternehmen und das stärkere Wachstum effizienterer Unternehmen mit sich gebracht hätten. Dass Draghis „Whatever it takes“ gepaart mit der Ankündigung des OMT-Programms den wirtschaftlichen Aufschwung nach der Krise hemmte und es vermutlich noch heute tut, wird erst bei genauerer Betrachtung sichtbar.

Erstmals veröffentlicht bei IREF.