Beiträge

Photo: Hans Hansson from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Von Prof. Roland Vaubel, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre und Politische Ökonomie an der Universität Mannheim.

Der neue britische Premierminister hat die Wahl: Er kann mit Zustimmung des Unterhauses das Austrittsverfahren nach Artikel 50 EUV in Gang setzen, oder er kann versuchen, den Austritt im Rahmen einer Vertragsänderung zu vereinbaren. Das Verfahren nach Artikel 50 erlaubt ihm, den Zeitplan zu bestimmen: Er kann erzwingen, dass Grossbritannien nach zwei Jahren – also innerhalb der laufenden Legislaturperiode – aus der EU ausscheidet. Für das Vertragsänderungsverfahren könnte dagegen sprechen, dass die Austrittsmodalitäten, die er mit den anderen Mitgliedstaaten vereinbaren kann, nicht vom Europäischen Parlament, sondern von den nationalen Parlamenten genehmigt werden müssen.

Eine Änderung der Verträge wird von den verschiedensten Seiten und aus den verschiedensten Motiven gefordert – auch vom deutschen Finanzminister Schäuble und vom französischen Präsidenten Hollande -, aber erst nach den Wahlen im nächsten Jahr. Für den neuen britischen Premierminister könnte das zu lange dauern. Er könnte ad infinitum hingehalten werden. Deshalb wird er sich nicht auf eine Vertragsänderung verlassen wollen, sondern mit beiden Strategien spielen. Die Option der Vertragsänderung kann ihm dazu dienen, das Europäische Parlament unter Druck zu setzen.

Das Austrittsverfahren nach Artikel 50 beginnt mit der Übermittlung der Austrittsentscheidung. Diese Notifikation ist endgültig. Sie kann nicht zurück gezogen werden, wenn die von den Anderen angebotenen Austrittsmodalitäten ungünstiger als erwartet sind. Aber die Verhandlungen können im gegenseitigen Einvernehmen über die zwei Jahre hinaus beliebig verlängert werden. Geht man davon aus, dass die anderen Mitgliedstaaten nicht am Austritt des britischen Nettozahlers interessiert sind, so ist damit zu rechnen, dass sie die Verhandlungen nach Kräften in die Länge ziehen und innerhalb der ersten zwei Jahre kein akzeptables Angebot vorlegen werden, wenn nicht die britische Seite von vorne herein eine Verlängerung der Verhandlungen ausschliesst. Der neue britische Premierminister wird der EU daher vermutlich von Anfang an mitteilen, dass eine Verlängerung der Verhandlungen über zwei Jahre hinaus keinesfalls in Frage kommt.

Interessanterweise haben sich Kommissionspräsident Juncker und Parlamentspräsident Schulz für einen möglichst schnellen Abschluss der Austrittsverhandlungen nach Artikel 50 ausgesprochen. Sie scheinen verhindern zu wollen, dass Grossbritannien noch Mitglied ist, wenn Ende 2017 die geplanten Verhandlungen über die Änderung der europäischen Verträge beginnen. Die Briten sollen nicht die Möglichkeit haben, mit einer Blockierung der Vertragsänderungen zu drohen und damit ihre Verhandlungsposition zu stärken. Diese Befürchtung ist jedoch unbegründet, denn auch die EU kann ja verhindern, dass die Austrittsverhandlungen nach Artikel 50 länger als zwei Jahre dauern. Wenn die Austrittsentscheidung im vierten Quartal dieses Jahres übermittelt wird, kann die Neufassung der europäischen Verträge ab dem vierten Quartal 2018 von den Parlamenten der Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Viel schneller wird es ohnehin nicht gehen.

Artikel 50 EUV sieht vor, dass eventuelle Nachfolgevereinbarungen mit Großbritannien von einer qualifizierten Mehrheit des Rates (ohne Großbritannien) und von einer einfachen Mehrheit des Europäischen Parlaments (kuriosererweise einschliesslich der britischen Abgeordneten) gebilligt werden müssen. Die Kommission darf nicht mitentscheiden. Sie muss aber nach Artikel 218 Absatz 3 AEUV gleich zu Beginn der Verhandlungen dem Rat Empfehlungen vorlegen. Der Rat braucht sich nicht an die Empfehlungen zu halten. Er bestellt einen Verhandlungsführer. Viel hängt davon ab, ob die Verhandlungen vom Ratspräsidenten Tusk oder von einem Mitglied der Kommission geführt werden.

Der neue britische Premierminister wird vermutlich ein Engländer sein. Er hat kein Interesse daran, dass Schottland vor dem hoffentlich erfolgreichen Abschluss der Austrittsverhandlungen – oder wenn es nicht dazu kommt, vor Ablauf der Zwei-Jahres-Frist – erneut über seine Unabhängigkeit abstimmt.

Jede Sezession – die britische, aber auch eine schottische – ist ein Akt der politischen Dezentralisierung. Sie stärkt den Wettbewerb zwischen den Regierungen der verschiedenen Staaten, eröffnet den Bürgern mehr Wahlmöglichkeiten und hält daher die staatliche Besteuerung und Regulierung im Zaum. Sie stärkt die Innovation und die Freiheit des Einzelnen. Das setzt natürlich voraus, dass die Freiheit des Handels und Kapitalverkehrs erhalten bleibt.

Photo: KylaBorg from Flickr (CC BY 2.0)

Liebe britische Freunde,

wenn Ihr im Sommer über den Brexit entscheidet, dann geschieht dies aus einer Stimmung der Verärgerung und Resignation über die Entwicklung der Europäischen Union heraus. Es stimmt: die EU ist in keiner guten Verfassung. Sie wird ihrem eigenen Anspruch, den sie im Jahr 2000 in der Lissabon-Strategie formuliert hat, nicht gerecht. Sie wollte „ein Vorbild für den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fortschritt in der Welt sein“. 16 Jahre später ist die Bilanz niederschmetternd.

Die Gesamtverschuldung der Mitgliedsstaaten der EU war noch nie so hoch, das Wachstum lahmt und die Arbeitslosigkeit im Süden Europas ist besorgniserregend. Die Reaktion der Funktionäre auf diese Entwicklung ist noch mehr Zentralismus, noch mehr Planwirtschaft und noch mehr Gängelung des Einzelnen. Offensichtlich wird diese Entwicklung bei der Euro- und Flüchtlingskrise. Der Ursprung beider Krisen ist der gleiche. Die EU ist keine Rechtsgemeinschaft. Europäische Verträge sind Schönwetter-Recht. Bei Wind und Wetter werden sie gebrochen, geschleift und umgedeutet.

Zentralplanerische Projekte nahmen historisch sehr oft diese Entwicklung. Die Mitgliedsstaaten in Osteuropa können ein Lied davon singen, aber auch Großbritannien selbst ging diesen Weg vom Zweiten Weltkrieg bis Ende der 1970er Jahre. Erst die Eiserne Lady Thatcher beendete dieses sozialistische Experiment. Thatchers Weg war steinig und hart, aber erfolgreich.

Es ist sicherlich so, dass das, was Premierminister Cameron beim Europäischen Rat verhandelt hat, im Ergebnis sehr bescheiden ist. Ja, Ihr könnt in den nächsten Jahren EU-Ausländer von Sozialleistungen ausschließen. Okay, auch die Aufsicht über Eure Banken und Versicherungen könnt ihr behalten. Und ihr bekräftigt nochmals, dass Ihr NIE, NIE, NIE den Euro einführen werdet. Ja, Cameron ging in die Verhandlungen wie ein adrenalingeschwängerter Boxer und kam mit zwei blauen Augen aus dem nächtlichen Fight. Und als er nach Hause kam, verpasste ihm sein Parteifreund Boris Johnson noch einen Leberhaken obendrauf. Das tat weh.

Vielleicht hätte er den anderen Regierungschefs, wie einst Maggy Thatcher bei anderer Gelegenheit, Hayeks „Verfassung der Freiheit“ auf den Tisch knallen und sagen sollen: „This is what we believe“ und anschließend vorübergehend den Verhandlungstisch verlassen müssen. Vielleicht hätte er zuvor in der EU Allianzen für eine grundlegende Überarbeitung der Verträge schließen müssen. Vielleicht wären die osteuropäischen Staaten dafür Verbündete gewesen, vielleicht sogar auch Deutschland, die Niederlande oder die skandinavischen Staaten. Doch schon ein gewisser Peer Steinbrück sagte einmal: „Hätte, hätte, hätte Fahrradkette“.

Klar ist: entscheidet Ihr Euch für den Brexit, dann überlasst Ihr weite Teile Europas dem Zentralismus, der Planwirtschaft und dem Paternalismus. Bei aller Distanz zum Festland ist die Tradition Großbritanniens eine andere. Großbritannien hat über Jahrhunderte den Rest Europas immer wieder befruchtet und inspiriert.

Großbritannien steht nicht nur für die große Rechtstradition der Magna Charta und der Bill of Rights, die die Herrschaft des Rechts über die der Herrschenden stellte. Aus Großbritannien stammen bedeutende Vordenker der Freiheit wie John Locke, David Hume oder Adam Ferguson. Wahrscheinlich gibt es wenig so eindrucksvolle literarische Monumente über die Freiheit wie John Stuart Mills „On Liberty“. Und in Großbritannien wurde Bahnbrechendes über Marktwirtschaft und Freihandel formuliert. Männern wie Adam Smith und David Ricardo stehen für diese große Tradition.

Als Adam Smith sein Buch „Der Wohlstand der Nationen“ 1776 veröffentlichte und energisch für den Freihandel eintrat, hat keiner, nicht einmal Smith selbst, daran geglaubt, dass die Zeit des Merkantilismus in absehbarer Zeit zu Ende gehen würde. Und dennoch verbreite sich rund 70 Jahre später, aus England kommend, eine Freihandelsbewegung in Europa und in der Welt, die heute noch Grundlage für unser aller Wohlstand ist. Richard Cobden und John Bright haben den ganzen Kontinent inspiriert.

Liebe britische Freude,

lassen Sie den Rest in Europa nicht im Stich. Inspirieren Sie, provozieren Sie und verändern Sie Europa weiterhin. Der Rückzug wäre ein falsches Signal und würde die Europäische Union noch stärker den Zentralstaatlern und Geldausgebern überlassen. Das würde letztlich auch Großbritannien schaden. Denn ein Rest-Europa, das noch weiter zurückfällt, weil es nicht auf Marktwirtschaft, Recht und Freiheit setzt, schadet mittelbar auch Großbritannien. Es würde innerhalb der EU zu einer Achsenverschiebung in Richtung Südeuropa führen. Länder mit einer noch einigermaßen ausgeprägten marktwirtschaftlichen Ausrichtung wie die baltischen Staaten, die Niederlande und abgeschwächt auch Deutschland, würden weiter an den Rand gedrängt. Länder mit einer zentralistischen Tradition wie Frankreich und Netto-Profiteure wie Italien und Spanien würden in Verbindung mit der Bürokratie in Brüssel noch stärker den Kurs bestimmen. Einen Kurs, dem Sie mittelbar auch auf ökonomischer wie regulatorischer Ebene ausgeliefert wären – und zwar ohne, dass Sie noch echten Einfluss ausübern könnten. Das wäre fatal.

Liebe britische Freunde,

stimmen Sie für den Verbleib in der EU. Überlassen Sie den Rest Europas nicht den Planern und Technokraten, sondern sorgen Sie mit anderen Freunden der Freiheit für Veränderungen. Um es mit dem Deutsch-Briten Lord Dahrendorf zu sagen: „Europa muss Rechtsstaat und Demokratie verkörpern, pflegen und garantieren: sonst ist es der Mühe nicht wert.“

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick.

 

Photo: Kentaro Ohno from Flickr (CC BY 2.0)

Von Robert Benkens, Student der Politikwissenschaften, Volkswirtschaftslehre und Germanistik.

Der postmoderne Glaube ist von einer Absage an alte Bindungen geprägt. Dazu zählt auch die Aufhebung nationalstaatlicher durch suprastaatliche Ordnungskonzepte, um den kosmopolitischen Weltbürger zu schaffen. Obwohl liberale Grundsätze und Werte per definitionem universell sind, können sie nur in kleinen politischen Einheiten mit Leben und Sinn gefüllt werden. Deshalb brauchen wir heute eine Stärkung des subsidiären Denkens – nicht nur in technischen Ordnungsfragen von Wirtschaft und Staat, sondern vor allem für die Vitalisierung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Doch bevor auf die aktuelle gesellschaftliche Bedeutung der Subsidiarität angesichts globaler Entgrenzung eingegangen werden kann: Auf welchem wirtschaftlichen und politischen Ideenhintergrund fußen die subsidiären Grundsätze eigentlich und was sollten sie bewirken? Das Prinzip der Subsidiarität geht vor allem auf die christliche Soziallehre zurück und fand seinen Ausdruck in ordnungs- und wirtschaftspolitischen Schriften zur sozialen Marktwirtschaft: Demnach soll alles, was auf der untersten Ebene einer Gesellschaft – etwa in der Familie oder der Gemeinde – entschieden und geregelt werden kann, nicht auf höhere Ebene verlagert werden. Nur wenn die untergebene Einheit sich aus eigenen Kräften sich nicht mehr selbst helfen kann, ist die übergeordnete gefragt.

Hierdurch wird die Eigenverantwortung und somit der wirtschaftliche Wettbewerb gestärkt, was zu Wohlstand führt – ohne dass sozial Schwache aufgrund mangelnder Hilfe (lat. subsidium) auf der Strecke bleiben und nur das Recht des Stärkeren gilt. Ganz im Gegenteil: Einerseits sorgt schon der Wettbewerb an sich für eine permanente Infragestellung wirtschaftlicher Machtpositionen und macht somit potentiell Wohlstand für alle Menschen möglich. Andererseits steht im Notfall für sozial Schwache aber auch die übergeordnete Einheit – meistens der Sozialstaat – ein. Das ist aber nur insofern angesagt, als dass die Bedürftigen auch wirklich bedürftig sind und nicht von Transfers und Subventionen abhängig bleiben.

Eine staatliche Rundumversorgung und Wirtschaftslenkung ist mit dem subsidiären Gedanken also nicht vereinbar, denn der Staat kann keinen Wohlstand oder Arbeitsplätze schaffen, sondern den Rechtsrahmen für Wettbewerb sowie gegen Korruption setzen, weiterhin kann er die notwendige soziale Hilfe zur Selbsthilfe nur garantieren, wenn vorher die notwendigen finanziellen Mittel von einer starken Wirtschaft erarbeitet wurden. Eine Politik, die diese elementaren subsidiären Grundsätze missachtet, führt zu immer mehr Staatsausgaben, zu immer neuen Schulden, zu Abhängigkeit von Finanzmärkten und schließlich zu Umverteilung von unten nach oben – denn die Schulden der Vielen sind die Guthaben der Wenigen.

Irrweg des Zentralismus

Zu diesen fatalen wirtschaftlichen Auswirkungen kommt es zudem umso eher mit umso weitreichenderen Auswirkungen, je größer der politische Machtbereich wird. So soll die politische Macht in Europa nun zur „Harmonisierung“ unterschiedlicher Wirtschafts- und Staatssysteme als Antwort auf die Krise gestärkt werden. Allein: Mehr Zentralismus kann keine Probleme lösen, die durch Zentralismus geschaffen wurden. In gewisser Weise manövriert sich zentralistische Politik immer in ein Dilemma. Denn einerseits nimmt sie den untergeordneten politischen Einheiten die Freiheit, selbst über ihr Fortkommen zu entscheiden. Andererseits halst sich eine solche Politik aber auch eine Verantwortung für diese Einheiten auf und muss mit immer mehr Erlassen und Gesetzen bis ins kleinste Dorf oder auch ins Wohnzimmer hineinregieren. Hinzu kommt: Je unterschiedlicher diese Einheiten strukturell und kulturell geschaffen sind, desto weniger werden einheitliche Maßnahmen auf unterschiedliche Bedingungen abgestimmt sein. Gleichzeitig ersetzt auf Seite der bevormundeten kleineren Einheiten das Anspruchsdenken gegenüber der Zentrale die Kooperationsbereitschaft gegenüber den anderen – ebenfalls bevormundeten – Einheiten: Denn wenn schon die Selbstbestimmung immer mehr zu Gunsten der Befugnisse der Zentrale verschoben wird, dann darf es bitte auch immer etwas mehr für einen selbst und immer etwas weniger für die anderen sein.

Die Folgen eines solchen Großversuchs können aktuell beobachtet werden: Schuldenhaftung für die einen, Spardiktat für die anderen – Zwietracht auf allen Seiten. Die große europäische Idee, die im Sinne des subsidiären Prinzips beispiellosen Wohlstand und Frieden durch wirtschaftlichen Handel und politische Kooperation geschaffen hat, verkommt so immer mehr zur Karikatur ihrer selbst. Die EU selber hat sich seit jeher das Subsidiaritätsprinzip als Ordnungsprinzip zwischen den Mitgliedsstaaten und der suprastaatlichen Ebene auf die Fahnen geschrieben. Sie muss deshalb nicht aufgelöst oder abgewickelt, sehr wohl aber subsidiär reorganisiert werden.

Die so häufig in Sonntagsreden proklamierte europäische Idee verkommt zur hohlen Phrase, wenn die Vielfalt Europas nicht mehr im gegenseitigen Miteinander gelebt, sondern nur noch superstaatlich betreut und verwaltet wird. Die in ihrer institutionellen Eigenlogik der immer weiteren Vereinheitlichung gefangene EU muss sich auf ihre Wurzeln besinnen: Die Einigung Europas gelang nicht deshalb, weil sie von einem sanktionierenden Super-Staat aufgezwungen wurde oder weitreichende Ansprüche gegen einen umverteilenden Super-Staat erhoben werden konnten, sondern weil sie durch wirtschaftlichen Handel, kulturellen Austausch und politische Kooperation der europäischen Länder notwendig und möglich wurde.

Zusammenwachsen statt Vereinheitlichung

Doch dieses Prinzip darf nicht auf ein rein marktwirtschaftliches Kosten-Nutzen-Kalkül oder auf ein politisch-bürokratisches Weisungsverhältnis in der EU reduziert werden. Denn was für die subsidiäre Ordnung auf der zwischenstaatlichen Ebene in Europa richtig ist, gilt auch für die europäischen Gesellschaften selber: Durch die Freiheit zur Selbstbestimmung in kleinen politischen Einheiten wird das so wichtige Verantwortungsbewusstsein der Menschen gestärkt, sowohl für sich selbst als auch für die Familie, den Verein oder die Gemeinde. Eigensucht ist nicht nur Folge einer wachsenden Konsumfixierung, sondern vor allem aufgelöster gesellschaftlicher Bindungen. Wo Menschen nicht mehr aufeinander, sondern nur noch auf den paternalistischen Staat angewiesen sind, kann kein gemeinsamer Wertekanon oder Bürgersinn entstehen.

Gerade aber offene und tolerante Gesellschaften brauchen trotz aller Unterschiede ein Mindestmaß an gemeinsamen kulturellen Werten, gerade um gegenüber der Intoleranz von Extremisten und Fundamentalisten stark zu sein. Der liberale Rechtsstaat schreibt zwar unmissverständlich die Grundsätze der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vor, den vielbeschworenen gesellschaftlichen Zusammenhalt kann aber weder er noch sein Pendant – der Sozialstaat – leisten. Oder wie es der ehemalige Bundesverfassungsrichter Böckenförde ausdrückte: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Denn wirklicher Zusammenhalt kann nur im Kleinen und auch nur dann gelingen, wenn die Individuen auch ein vitales Interesse an Bindungen haben, die notwendig sind, wenn sich nicht alle auf einen allzuständigen Vater-Staat verlassen können.

Eine Stärkung des Subsidiaritätsgedankens bedeutet aber gerade keinen nationalistischen Rollback – zumal dieser im besten Falle mit Isolation und im schlimmsten Falle mit Expansion einherginge, beides widerspricht subsidiären Grundsätzen in krassester Form. Niemals und nirgendwo war eine fundamentalistisch oder chauvinistisch legitimierte Gesellschaftsordnung besser und vor allem menschenwürdiger – davon kann sich jeder „Systemkritiker“ noch heute außerhalb Europas leider nur allzu häufig überzeugen. Eine Stärkung der Subsidiarität und die damit einhergehende Bedeutung der dezentralen, demokratisch-souveränen Gemeinschaften kann also gar keine Absage an europäische Kooperation bedeuten. Natürlich muss sich der Mensch von nationalistischen Bindungen, die die Freiheit bedrohen oder gar ersticken, befreien. Die Freiheit des Einzelnen ist schließlich der höchste Wert in einer liberalen Gesellschaft. Aber Freiheit wird in Großbritannien anders als in Griechenland verstanden, sie hat in Frankreich andere Institutionen und Strukturen hervorgebracht als in Deutschland.

Ein abstrakter europäischer Supranationalismus kann deshalb nicht die Lösung sein. Nicht nur, weil die planwirtschaftliche Harmonisierung unterschiedlichster Wirtschafts-, Rechts- und Sozialsysteme ökonomisch sinnlos ist und politisch zu enormen Spannungen führt, sondern weil diese Systeme trotz aller Gemeinsamkeiten auf den jeweiligen historisch gewachsenen kulturellen Bedingungen der einzelnen europäischen Gesellschaften beruhen, die nicht einfach per supranationaler Direktive ausgeblendet werden können.

Trotz der wirtschaftlich und politisch globalisierten Welt sind auch heute noch die demokratischen Nationalstaaten Grundlage für eine stabile Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die durch die zweifellos notwendige europäische und internationale Kooperation ergänzt, nicht aber ersetzt werden sollten.

Natürlich sind gerade liberale Gesellschaften nie starr und verändern sich ständig, dennoch muss dieser Veränderungswille – möglicherweise hin zu einer europäischen Identität – von unten erfolgen und darf nicht von oben durch Vereinheitlichung erzwungen werden. Deshalb wird das Subsidiaritätsprinzip in Zeiten von technokratischen Krisengipfeln heute mehr denn je benötigt: Wir brauchen moderne Bürgergemeinschaften, wo wirtschaftlicher Wohlstand und sozialer Zusammenhalt in dezentralen Strukturen gewährleistet werden. Denn nur eine solch subsidiäre Ordnung hält nicht nur die Auswirkungen von Machtmissbrauch und Misswirtschaft als Folgen des Zentralismus in Grenzen, sondern festigt auch jenseits von politischen Sonntagsreden den Zusammenhalt in und zwischen den europäischen Gesellschaften.

Erstmals erschienen in NovoArgumente.


Photo: Yale Law Library from Flickr (CC BY 2.0)

Die ökonomischen Probleme in weiten Teilen Europas sind hausgemacht. Da beißt keine Maus einen Faden ab. Überbordende Bürokratie, mangelnde Rechtssicherheit, nicht vorhandener Schutz des Eigentums, prohibitive Steuern und falsche Anreize in den Sozialsystemen sind nur einige der Ursachen. Die derzeitige Politik in Europa versucht, dies durch Druck zu ändern. „Zuckerbrot und Peitsche“ sollen die am Tropf der Gemeinschaft hängenden Krisenstaaten gefügig machen.

Und das läuft dann so: Veränderungen, die sich Bürokraten im fernen Brüssel ausgedacht haben, müssen zunächst umgesetzt werden, damit man dann weitere finanzielle Hilfen durch die Staatengemeinschaft erhält. So zumindest die Theorie. Doch das funktioniert nicht – und zwar aus zwei Gründen: Erstens sind Risiko und Verantwortung entkoppelt. Wer nicht selbst für sein Handeln haftet, sondern die Haftung auf eine größere Gemeinschaft abwälzen kann, geht meist den vermeintlich einfacheren Weg. Zweitens: die Möglichkeiten einer Insolvenz innerhalb des oder eines Ausscheiden aus dem Euro-Club werden gar nicht erst in Erwägung gezogen. Dadurch kommen die Retter in eine Erpressungssituation gegenüber den Geretteten. Je länger sie anhält, desto schlimmer wird sie. In den vergangenen 6 Jahren der vermeintlichen Rettung war das so.

Doch wie wäre es, wenn man von einem zentralistischen Reformansatz zu einem non-zentralistischen übergehen würde? Vorbilder gibt es einige. Die ökonomischen Erfolge Singapurs und Hongkongs sind Beispiel dafür, wie sich kleine und flexible Staaten im unmittelbaren Umfeld von zentralistischen Ländern wesentlich besser entwickeln können als die großen Platzhirsche in der Nachbarschaft. Auch in Europa tun sich Länder wie Luxemburg, die Schweiz oder die baltischen Staaten wesentlich leichter als Russland, Frankreich oder Italien. Die Entwicklung Hongkongs oder Singapurs ist jedoch besonders anschaulich. Denn sie hatte nicht nur ökonomische Vorteile für die dortige Bevölkerung, sondern für die ganze Region. Ohne den ökonomischen Druck Hongkongs hätte es wahrscheinlich kein Wirtschaftswunder in China gegeben. Es war der tagtägliche Anschauungsunterricht, der der chinesischen Nomenklatura das Scheitern der staatlichen Planwirtschaft vor Augen führte und sie offen für die Marktwirtschaft machte.

Die Vorteile der Kleinstaatlichkeit enden jedoch nicht an den Außengrenzen des jeweiligen Landes. Die Idee, eine marktwirtschaftliche Ordnung zu schaffen, kann auch innerhalb eines Staates oder in Teilgebieten eines Staates verwirklicht werden. Die Antwort Chinas auf den ökonomischen Erfolg Hongkongs war zum Beispiel die Schaffung von Freihandelszonen, wie zum Beispiel in Shanghai. Dort werden wirtschaftliche Reformen in einem abgesteckten Areal realisiert, ohne sie sofort auf das ganze Land zu übertragen. So werden diese Zonen nicht nur Versuchslabor, sondern sehr oft eben auch Avantgarde.

Warum sollen solche Freihandelszonen nicht auch in Europa entstehen? Wieso nicht in Teilen Griechenlands, Portugals oder auch Deutschlands? Und die Idee der Freihandelszonen muss nicht nur auf Investitionserleichterungen konzentriert werden. Warum kann in solchen Regionen nicht viel mehr ausprobiert werden? Der US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Paul Romer schlug vor einigen Jahren ein Konzept vor, das er „Charter City“ nannte. Der Grundgedanke dieser Idee besteht darin, in einer bestimmten Region eines ökonomisch angeschlagenen Landes ein fremdes Rechtssystem zu implementieren, um damit Vertrauen bei Investoren zu schaffen und diese zu Investitionen zu animieren. In Teilen Griechenlands würde man dann entscheiden, dass dort zum Beispiel englisches Recht gilt. Das englische Recht ist in Griechenland nicht gänzlich fremd. Ein Teil der griechischen Staatsschulden wurden nach englischem Recht emittiert. Im Vergleich zu Anleihen, die nach griechischem Recht herausgegeben wurden, genießen diese ein wesentlich höheres Vertrauen. Als 2012 die privaten Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten mußten, galt dies nur für die Gläubiger, die Anleihen nach griechischem Recht gekauft hatten. Das griechische Parlament enteignete die Gläubiger einfach durch die Einführung einer nachträglichen Umschuldungsklausel bei bestehenden Anleihen. Wer sich nicht „freiwillig“ auf eine Forderungsverzicht von 53,5 Prozent einlassen wollte, konnte unter bestimmten Bedingungen dazu gezwungen werden. Bei den Anleihen nach englischem Recht gelang eine rückwirkende Änderung des Rechts nicht. Diese wurde ordnungsgemäß bedient und zurückgezahlt.

Was in bestimmten Regionen möglich ist, könnten auch auf einzelne Bürger, Unternehmen oder Vertragspartner heruntergebrochen werden. Warum sollten Vertragspartner sich nicht ihren Gerichtsstand frei wählen können? Im Handelsrecht ist dies bei uns heute schon möglich. Aber wieso soll die Wahl des Rechtssystems nicht auch im Steuerrecht, im Mietrecht oder im Arbeitsrecht möglich sein? Am Ende entstünde ein Wettbewerb des Rechts. Es wäre stabiler und weniger missbrauchsanfällig als viele derzeitige Rechtssysteme in Europa. Derzeit wird in Griechenland unter anderem nicht investiert, weil es keine ausreichende Eigentumsgarantie gibt, weil die Behörden korrupt sind und das Arbeitsrecht kompliziert ist. Diese Mängel könnten durch eine freie Wahl des Rechts durch die jeweiligen Vertragsparteien auf einen Schlag überwunden werden.

Wird Schindluder mit einem Rechtssystem getrieben, dann wird es bei neuen Verträgen nicht mehr angewandt und verschwindet. Ist der Gerichtsstand mit korrupten Richtern bestückt, dann wird er von den Vertragsparteien gemieden. Werden Baugenehmigungen verschleppt, verzögert und nur mit hohen Auflagen möglich, dann suchen sich Vertragspartner künftig die Bauordnung ihrer Wahl. Und dauert der Handelsregistereintrag beim örtlichen Amtsgericht zu lange, wird künftig ein anderes gewählt. Der Druck des Marktes und des Wettbewerbs erzeugt ein besseres Rechtssystem für alle. Es wäre ein atmender Rechtsrahmen, der schlechtes Recht verschwinden ließe und gutem Recht zum Durchbruch verhelfen würde. Ludwig von Mises hat dies sehr gut auf den Punkt gebracht: „Aller Fortschritt der Menschheit vollzog sich stets in der Weise, dass eine kleine Minderheit von den Ideen und Gebräuchen der Mehrheit abzuweichen begann, bis schließlich ihr Beispiel die anderen zur Übernahme der Neuerung bewog.“

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick.

 

Photo: Wikicommons

Von Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre und Praktikant bei Prometheus.

Wir leben in einer Welt, die sich immer stärker globalisiert: Japanische Autos, chinesische Smartphones und amerikanische Burger gehören ebenso zu unserem Alltag wie die Möglichkeit, innerhalb von Sekunden Nachrichten über das Internet in die letzte Ecke der Welt zu senden. Neue politische und ökonomisch Schwergewichte wie China, Indien und Brasilien haben in den letzten Jahrzenten die Weltbühne betreten. Weitere werden folgen. Dahinter stehen eigentlich großartige Neuigkeiten. Die aufstrebenden Länder haben sich zunehmend einer marktwirtschaftlichen Ordnung zugewendet und ernten die ersten Erfolge dieser Bemühungen. Sie haben von der freien westlichen Welt gelernt wie Wirtschaftssysteme mehr Wohlstand schaffen. Der Weg für viele Staaten hin zu einer offenen Gesellschaft ist noch weit, aber schon die ersten Schritte zeigen ermutigende Ergebnisse.

In Europa macht sich allerdings ein Gefühl der Angst breit. Die Veränderungen stellen alte Strukturen und Privilegien in Frage. Die neue Macht der Anderen ist unheimlich. Der Präsident des europäischen Parlaments, Martin Schulz, schreibt „Nur wenn wir zusammenhalten und uns als 500 Millionen Einwohner starken Kontinent sehen, werden wir auch noch in 20 Jahren mit den USA, mit China und den aufstrebenden Mächten auf Augenhöhe stehen können. Scheitert die europäische Integration, werden wir in der Bedeutungslosigkeit verschwinden.“  Wo die alten Nationalstaaten an ihre (Macht-)Grenzen stoßen, soll ein größeres Gebilde, ein Super-Nationalstaat, einspringen. Es ist nur ein kurzer Weg von der Angst vor der Bedeutungslosigkeit hin zu Großmachtsfantasien à la 19. Jahrhundert. Die politischen Implikationen sind unteranderem eine europäische Armee und eine gemeinsame Außenpolitik, aber ebenso die gemeinsame Währung und eine gemeinsame Fiskalpolitik.

Die Welt wird ein Dorf und unsere Antwort soll der europäische Zentralstaat seien?

Es stellt sich zwei grundsätzliche Fragen: Ist im Zeitalter der Globalisierung Europa als Großmacht überhaupt realisierbar? Und: Ist es überhaupt ein erstrebenswertes Ziel, weltweite Bedeutung zu haben?

Die erste Frage kann wohl mit einem Nein beantwortet werden. Und das liegt an der Globalisierung: Je stärker ein Land mit dem Rest der Welt verbunden ist, desto stärker wird der Gestaltungsspielraum der Politik eingeschränkt. Wirtschaftspolitisches Harakiri wird durch den Abzug des weltweit hochmobilen Kapitals bestraft. Brasilien, Venezuela und Argentinien sind nur einige aktuelle Beispiele. Aber auch Menschen werden immer mobiler. Wenn die Steuerlast zu groß werden sollte, ist der „Exit“ einfacher denn je. Tausende Deutsche beweisen dies jedes Jahr, wenn sie ihren Lebensmittelpunkt verlegen. Jenseits des Rheins, in der Schweiz, finden sie ihre neue Heimat. Die Globalisierung schränkt die Effektivität staatlicher Interventionen zunehmend ein.

Auch militärische Überlegenheit kann nicht die gewünschte Machtfülle bringen. Kernwaffen halten andere Regierungen im Schach und garantieren die Sicherheit Europas vor Angriffen andere Staaten. Mehr als ein Gleichgewicht des Schreckens können sie aber nicht erreichen. Sie sorgen für unsere Sicherheit, aber als Drohmittel in der Außenpolitik sind sie völlig ungeeignet. Auch eine Bündelung der konventionellen Streitkräfte verspricht kaum, ein ernstzunehmendes Ass im Ärmel der europäischen Politik zu sein. Viele Konflikte sind mit Hilfe von militärischer Überlegenheit nicht mehr zu gewinnen. Die Vereinigten Staaten haben diese schmerzliche Erfahrung in den letzten Jahren machen müssen.

Kooperation und Dialog ist die Stärke der Kleinen

Zur zweiten Frage: Es gibt gute Gründe dafür, dass das Wohlergehen der Europäer nicht von einer größeren Machtfülle, Augenhöhe und Bedeutung abhängt. Ein auf Weltgeltung ausgelegtes Europa ersetzt die Probleme der Nationalstaaten durch ein europäisches Problem. Mises fürchtet sogar: „An Stelle des französischen, des deutschen, des magyarischen Chauvinismus soll der europäische treten; seine Spitze soll sich gegen die „Ausländer“ kehren, gegen Briten, Amerikaner, Russen, Chinesen, Japaner; nach innen aber soll es ein alle europäischen Völker einigendes Gebilde sein.“.

Europa braucht den Wettbewerb der Systeme innerhalb Europas, um aus Fehlern lernen zu können. Nicht Einheit und Zentralismus machen Europa zu einem lebenswerten Ort, sondern seine eigentlichen Stärken, die diesem Prinzip geradezu entgegengesetzt sind: Vielfalt, Marktwirtschaft, Demokratie und Subsidiarität.

Den Weltmachtsanspruch aufzugeben, bedeutet aber nicht, die Sicherheit Europas zu vernachlässigen. Die Sicherheit vor Angriffen von außen hängt nicht von dem Status als Weltmacht ab. Eine starke gemeinsame Verteidigung im Rahmen der NATO ist Garant für die territoriale Integrität Europas. Die schrecklichen Anschläge in Paris und zuvor in London sowie Madrid haben gezeigt, dass mit konventioneller Verteidigung allein die Sicherheit Europas nicht zu gewährleisten ist. Absolute Sicherheit gibt es nicht. Der Informationsaustausch der Sicherheitsbehörden kann sicherlich verbessert werden, aber nicht nur innerhalb Europas, denn Terror organisiert sich international.

Eine gemeinsame europäische Armee würde weder zu mehr Sicherheit beitragen, noch ist es realistisch, dass sie jemals kommen wird. Kein Land Europas würde eigene Soldaten einer Armee zur Verfügung stellen, die im Zweifel auch gegen den Willen der eigenen Bevölkerung eingesetzt werden kann. Diese Hürde könnte nur durch das Prinzip der Einstimmigkeit bei Auslandeinsätzen überwunden werden. Die Folge wäre vermutlich eine völlige Handlungsunfähigkeit. Das Zaudern Berlins in Bezug auf die angeforderte militärische Hilfe Frankreichs nach den Terroranschlägen von Paris zeigt die hohe Hemmschwelle, eigene Soldaten für Partner zu mobilisieren. Als sich 2011 die Frage stellte, ob ein Eingreifen in Libyen nötig sei, unternahmen Großbritannien und Frankreich letztendliche einen Alleingang – gegen den Widerstand der deutschen Regierung. Selbst wenn Regierungen von der Notwenigkeit eines Einsatzes überzeugt sind, kann dies an Bevölkerung und Parlament scheitern. So erging es kürzlich David Cameron. Er zog den Antrag auf eine militärische Intervention in Syrien zurück, da der Widerstand im Parlament zu groß war. Dagegen sind sinnvolle Kooperationen in den Bereichen Ausbildung und Beschaffung sehr hilfreich und umsetzbar.

Wenn wir gegen die vielbeschworene „Bedeutungslosigkeit“ mit einem zentralistischen Europa zu Felde ziehen würden, würden wir die eigenen Stärken zunichtemachen. Vielleicht ist es sogar eine Chance, nicht im Weltmächte-Poker mitspielen zu müssen. Kleine, geradezu marginale Staaten gehören zu den wohlhabendsten der Welt. Das militärische (Droh-)Potenzial eines Landes wie der Schweiz, wo die Luftwaffe nur in den Bürozeiten zwischen 8 und 17 Uhr Dienst tut, scheint sehr bescheiden. Das Bruttoinlandsprodukt der Eidgenossenschaft hat das Gewicht eines Reissacks auf dem Containerschiff der Weltwirtschaft. Doch die Schweizer scheinen sich recht wohl zu fühlen mit ihrer „Bedeutungslosigkeit“. Was den Schweizern bleibt, ist ihre Diplomatie. Viele Konflikte wurden bereits auf dem „neutralen Boden“ der Schweiz verhandelt. Kooperation und Dialog ist die Stärke der Kleinen.

Ein imperial auftretendes Europa wäre mit Sicherheit kein liberales Europa

Ein konföderales Europa sollte sich unermüdlich für Freihandel einsetzen. In einem solchen Fall ist ein gemeinsames Auftreten durchaus sinnvoll. Weniger, um Stärke zu demonstrieren, als vielmehr, um Komplexität zu reduzieren. Ein gemeinsamer Markt macht gemeinsame Regeln für den Außenhandel unabdingbar. Auch bei den Verhandlungen über TTIP muss sich Europa nicht den USA gegenüber wie eine Weltmacht gebärden, um ein ordentliches Ergebnis zu erzielen. Europa muss den Wettbewerb mit anderen Regionen der Welt nicht scheuen. Handel ist kein Null-Summenspiel, bei dem der Stärkere gewinnt und der Schwächere verliert. Mit den Bemühungen für Freihandel kann Europa einen großen Beitrag zur Völkerverständigung und zur Überwindung der Armut in der Welt leisten.

Welche Rolle in der Welt sollte ein konföderales Europa einnehmen? Otto Lambsdorff schrieb über den Weltmachtanspruch Europas: „Ein solches Gehabe braucht Europa nicht. Ein imperial auftretendes Europa wäre mit Sicherheit kein liberales Europa.“. Europas Rolle in der Welt sollte es seien, seine Werte Marktwirtschaft, Demokratie und Subsidiarität glaubhaft zu leben und zu verteidigen. Weltmachtsfantasien gehören nicht zu einem konföderalen Europa. Wenn das Modell eines konföderalen Europas erfolgreich sein wird, werden andere Europa folgen. Wenn das kein Erfolg für den alten Kontinent wäre!