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Es soll niemand sagen, das billige Geld der EZB würde nicht wirken. Es wirkt sehr wohl. Es erhöht zwar nicht die Inflation – wie von Mario Draghi erhofft. Doch wer die aktuellen Lohnabschlüsse im öffentlichen Dienst anschaut, ahnt, dass auch das nur eine Frage der Zeit ist. Die Inflationsmessung ist eh ein schwieriges Feld, das hat sehr unterschiedliche Gründe. Einer ist die Definition. Der eingebaute technische Fortschritt verfälscht die Höhe, die Zusammenstellung des Warenkorbes ist kritikwürdig und das Nichtberücksichtigen der Vermögenspreisentwicklung ist einseitig.

Das billige Geld erhöht auch den Einfluss des Staates. Seine Zinsausgaben sinken und die Steuereinnahmen steigen. Die Wirtschaft ist wie angefixt und ruft nach immer mehr billigem Geld. Das lässt einen Scheinwohlstand entstehen, der sich auch bei den Steuereinnahmen bemerkbar macht. Allein der Bund hat in den letzten 10 Jahren 81 Milliarden Euro zusätzlich an Steuern eingenommen. Ein sattes Plus von 35 Prozent. Bis 2021 kommen nochmals 33 Milliarden Euro hinzu. Gleichzeitig verteilt der Staat immer mehr um. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel hat das jetzt untersucht. Im vergangenen Jahr wurden die Finanzhilfen des Bundes um über 10 Prozent, auf insgesamt 55 Mrd. Euro erhöht. Die Steuervergünstigungen beziffert das Institut für Weltwirtschaft auf 62 Milliarden Euro. Insgesamt summiert sich der Kieler Subventionsbericht auf 117 Milliarden Euro.

Das Spiel des billigen Geldes geht schon viel zu lange. Seit 2009 hat die Europäische Zentralbank ihren Leitzins auf unter 2 Prozentpunkten gesenkt, seit 2012 unter 1 Prozentpunkt und seit März 2016 bei null festgesetzt. Diese Zinssenkungen der EZB dürfen nicht ohne ihr Anleihenkaufprogramm für Schulden von Staaten, Banken und Unternehmen gesehen werden. Bis September dieses Jahres wird die EZB dafür 2.500 Milliarden Euro frisches Geld in den Markt gepumpt haben. Von interessierter Seite wird behauptet, dies hätte nur einen geringen Einfluss auf den langfristigen Zins. Wenn es so wäre, könnte die EZB die Zinswende ja einleiten. Doch sie fürchtet die Zinswende, wie der Teufel das Weihwasser. Mit Recht. Käme sie, hätte Italien ein Problem und Griechenland stünde vor einem neuen Hilfsprogramm. Doch nicht nur Italien und Griechenland, sondern auch manche Ruhrgebietskommunen könnten ihre Kassenkredite, die sie derzeit faktisch ohne Zinsen bekommen, nicht mehr bedienen. Alle hätten ein Problem.

Da ist es doch viel einfacher, die üppigen Gelder in den Haushalten gönnerhaft zu verteilen. 2009 betrug der Rentenzuschuss des Bundes noch 78,6 Milliarden Euro. Im Jahr 2021 wird die magische Schwelle von 100 Milliarden Euro überschritten. Dann beträgt der Zuschuss bereits 103,3 Milliarden Euro. Der Bundeszuschuss zur gesetzlichen Krankenversicherung ist inzwischen bei 14,5 Milliarden Euro. 2001 waren es noch eine Milliarde Euro. Die Förderung der Elektromobilität schlägt mit 400 Mio. Euro zu Buche, was schon fast bescheiden ist. Die Finanzhilfen für die Land- und Forstwirtschaft und die Fischerei sind mit 2,7 Milliarden Euro von Seiten des Bundes und mit 5 Milliarden Euro von Seiten der EU dabei. Für alles gibt es eine Begründung, die mal sinnvoller und mal weniger einleuchtend ist. Doch eines ist klar, der Finanzminister ist ein Glückspilz. Er kann aus Wasser Wein machen, aus Stroh Gold und aus billigem Geld Wohlstand für uns alle. Egal wie er aktuell heißt, ob Schäuble, Scholz oder „Sonst wie“. Er ist beliebt bei den Subventionsempfängern, bei den Gehaltsempfängern des öffentlichen Dienstes, bei den Sozialpolitikern und selbst bei den Haushaltspolitikern. Alle sind zufrieden und glücklich.

Man klopft sich gegenseitig auf die Schulter, lobt und preist sich. Doch die Kollateralschäden werden immer deutlicher. Das Hamsterrad dreht sich nur, wenn die Zinsen weiter niedrig bleiben. Mario Draghi könnte, selbst wenn er wollte, die Zinswende gar nicht mehr ernsthaft einleiten. Er wird leichte Zinserhöhungen auch mal austesten. Kleine Trippelschritte können wir erwarten. Doch der Markt wird ihn schnell eines Besseren belehren. Er kann nicht mehr agieren, sondern nur noch matt reagieren. Es ist schon lange ein „lame duck“.

Das ist die Konsequenz aus der Manipulation des Zinses. Wird der Preis für Geld vernichtet, fehlt der wichtigste Indikator in einer Marktwirtschaft. Investitionen werden fehlgelenkt. Sonst erfolgte Korrekturen finden nicht mehr oder zu spät statt. Zombiebanken und Zombieunternehmen werden halbtot weiter beatmet. Geld ist ja genug da. Dabei wird der Staat immer fetter und die Bürger merken es nicht einmal. Es herrscht Geldsozialismus. Nicht ohne Grund soll Lenin gesagt haben: „Wer die bürgerliche Gesellschaft zerstören will, muss ihr Geldwesen verwüsten.“

photo: David Sjunnesson from unsplash (CC 0)

Das schlechte Wetter vor Ostern lässt auch den Internationalen Währungsfonds von besseren Zeiten träumen. Dessen Chefin Christine Lagarde hat gerade einen Schlechtwetterfonds für die Eurozone vorgeschlagen. In Anlehnung an den so genannten „Rainy Day Fund“ der USA, der bei Naturkatastrophen unbürokratisch Hilfe zusagen könne, solle die Eurozone jetzt auch „eine Art zentrale Fiskalkapazität“ bereitstellen. Um, wie Lagarde es formuliert, „eine schmerzhafte Wiederholung der Erfahrung in den Krisenjahren 2008/2009 zu vermeiden“. Man müsse das Dach reparieren, wenn die Sonne scheint, so die Französin. Dazu sollen die Euro-Staaten jährlich 0,35 Prozent des BIP einzahlen. Für Deutschland wären das aktuell 11,4 Mrd. Euro pro Jahr.

Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Mitteln sei das Einhalten der EU-Fiskalregeln. Wer Gelder bekommt, soll nach Überwindung einer Krise anschließend mehr einzahlen müssen.
Lagarde vergleicht den Charakter des Fonds mit dem einer KfZ-Versicherung. Ob sie dabei an einen Vollkaskoschutz ohne Selbstbeteiligung denkt? Wer weiß?

Beim Lagarde-Vorschlag gerät einiges durcheinander. Erstens ist die Analyse falsch. Die Krise 2008/2009 war am Anfang keine Krise in Europa oder im Euro-Raum. Es war zuerst eine Krise des überschuldeten amerikanischen Immobiliensektors, der durch eine staatlich gelenkte Verbraucherpolitik geschaffen und durch eine fatale Geldpolitik der amerikanischen Notenbank Fed angeheizt wurde. Erst als die Blase platzte, kam die Krise nach Europa. Und auch hier lag die Ursache in einer falschen Politik. Das Vollsaugen der Landesbanken mit billiger Liquidität, noch unter dem Dach staatlicher Garantien (Anstaltslast und Gewährträgerhaftung) der Bundesländer, und die mangelnde Professionalität der politikdominierten Aufsichtsorgane ließen die Landesbanken unübersehbare Risiken in Übersee eingehen. Als dort die Blase platzte, kam die Krise nach Europa. Der Steuerzahler musste nicht nur in NRW, sondern auch in Sachsen, Baden-Württemberg, Bayern und jüngst auch in Hamburg und Schleswig-Holstein mit Milliarden-Beträgen die jeweilige Landesbank retten.

Die Euro-Schuldenkrise begann erst 2010 mit der drohenden Insolvenz Griechenlands. Hier war die Ursache eine mögliche Überschuldung und dadurch erhöhte Risikoaufschläge für griechische Anleihen. Für Investoren war nicht mehr klar, ob Griechenland dauerhaft seine Schulden bedienen kann. Bei hochverschuldeten Staaten wie Italien (Staat), Spanien (Privatsektor) und Irland (Bankensektor) zogen die Aufschläge bei den Anleihen ebenfalls an. Lediglich bei Irland hatte die Schieflage etwas mit der amerikanischen Immobilienkrise zu tun. Viele europäische, insbesondere deutsche Banken, wickelten ihre Geschäfte in Übersee über Banken oder Tochterunternehmen in Dublin ab.

Wir halten fest: In Griechenland, Italien und Spanien war es eine falsche Politik der dortigen Regierung, die dafür sorgte, dass entweder der Staatsapparat oder, wie in Spanien, die privaten Haushalte über ihre Verhältnisse lebten. In Deutschland war es in erster Linie ein Versagen staatlicher Industriepolitik. Der staatliche Bankensektor wurde über Staatsgarantien subventioniert und die Vorstände wurden nicht richtig kontrolliert und gingen Milliarden-Risiken zu Lasten der Steuerzahler ein.

Zweitens stammt der Vorschlag eines Schlechtwetterfonds nicht aus den USA – zumindest nicht in dieser Form.  Denn die USA kennt keinen Schlechtwetterfonds auf nationaler Ebene. Was es gibt, sind zahlreiche Schlechtwetterfonds in den einzelnen Bundesstaaten. Deren Finanzierung ist von Bundesstaat zu Bundesstaat sehr unterschiedlich. In einigen Bundesstaaten fließen die Haushaltsüberschüsse, in anderen eine feste Summe und wiederum in anderen Bundesstaaten Einnahmen aus bestimmten Quellen in den Fonds. Eine Studie des „Pew Charitable Trusts“ von April untersuchte Schlechtwetterfonds aus 47 Bundesstaaten. Fazit ist dabei: Es gibt keinen zentralen Schlechtwetterfonds in den USA, sondern ganz viele. Es gibt keine einheitliche Finanzierung und auch keine einheitlichen Auszahlungskriterien. Der eine Bundesstaat (Colorado) setzt ihn für schnelle Hilfen bei Naturkatastrophen ein, andere Bundesstaaten versuchen, wirtschaftliche Verwerfungen zu lindern. Doch das, was Christine Lagarde und zuvor auch Jean-Claude Juncker für die gesamte Euro-Zone vorschwebt, gibt es in den USA nicht.

Was lernen wir daraus: Nicht jede Sau, die durch das Dorf getrieben wird, existiert tatsächlich. Und nicht jedes Grunzen in Brüssel, Paris oder anderswo sollte man schon deshalb glauben, weil es besonders entschlossen vorgetragen wird.

 

Photo: Gareth Thompson from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Von Claus Vogt, Börsenbrief „Krisensicher investieren“.

Deutschland hat gewählt. Herausgekommen ist nach monatelangem Gezerre eine Neuauflage der Koalition zwischen CDU, CSU und SPD. Um zu erfahren, was Sie von diesem kläglich zustande gekommenen „Weiter so“ erwarten dürfen, lohnt sich ein Blick in den Koalitionsvertrag. Er trägt die Überschrift: „Ein neuer Aufbruch für Europa – Eine neue Dynamik für Deutschland – Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“. Europa wird also an erster Stelle, das heißt vor Deutschland genannt. Das ist kein Zufall, wie die Lektüre dieses 177 Seiten starken Vertrags offenbart, sondern Programm. Der Begriff „Europa“ wird immerhin schon 298 Mal verwendet, während „Deutschland“ mit 221 Erwähnungen nur noch an zweiter Stelle steht.

Freihandel ist rundum zu begrüßen

Freihandel schafft Wohlstand und Frieden. Deshalb waren und sind Roland Leuschel und ich glühende Anhänger der ursprünglichen Idee eines geeinten Europas als Freihandelszone oder Zollunion, in der Güter, Dienstleistungen und Kapital ungehindert über Ländergrenzen hinwegbewegt werden dürfen.

Die Verwirklichung dieser europäischen Idee war ein voller Erfolg. Sie hat dem vom Zweiten Weltkrieg gebeutelten Europa zu großem Wohlstand und zu Frieden verholfen. Deshalb sollte die Politik alles in ihrer Macht stehende unternehmen, um den Fortbestand dieses erfolgreichen Projekts zu sichern.

Wie man inzwischen deutlich sehen kann, wurde mit der Einführung der Währungsunion aber ein Weg beschritten, der dieses Projekt untergräbt. Vielleicht waren die „Väter des Euro“ so naiv zu glauben, eine Währungsunion sei trotz der großen ökonomischen Unterschiede der beteiligten Länder dauerhaft machbar.

Vielleicht hielten sie die Einhaltung des Stabilitätspakts, mit dem die Staatsverschuldung der Mitgliedsländer begrenzt werden sollte, tatsächlich für realistisch. Und vielleicht glaubten sie sogar, die Europäische Zentralbank werde in die Fußstapfen der Bundesbank treten. Das alles spielt heute aber keine Rolle mehr.

Die Realität hat diese Hoffnungen zerstört. Deshalb gilt es jetzt, den Blick nach vorn zu richten und weitere Fehlentscheidungen zu vermeiden. Politischer Weitblick und Größe können schließlich auch durch das Eingestehen und Korrigieren von Fehlern bewiesen werden. Doch davon ist weder im Koalitionsvertrag noch bei der Europäischen Kommission etwas zu spüren. Hier gibt man sich stattdessen fest entschlossen, dem eingeschlagenen Weg weiter zu folgen.

Instabilität und Geldentwertung

Dass die Währungsunion noch nicht auseinandergebrochen ist, liegt ausschließlich an der höchst umstrittenen Politik der EZB. Sie hat faktisch eine Garantie für sämtliche Staatsschulden der Mitgliedsländer ausgesprochen und kauft in riesigem Umfang Staatsanleihen. De jure handelt es sich dabei nicht um verbotene Staatsfinanzierung, hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Aus ökonomischer Sicht hingegen schon.

Es gibt natürlich einen guten ökonomischen Grund, warum Staatsfinanzierung mit der Gelddruckmaschine verboten wurde: Sie zerstört den Zusammenhang zwischen Leistung und Erfolg, verstärkt die soziale Ungerechtigkeit und fördert politischen Extremismus. In ihrer Endphase führt diese kurzsichtige Politik zu einem Vertrauensverlust in die Währung und damit zu Geldentwertung.

Photo: Victor Ramos from Flickr (CC BY 2.0)

Donald Trump macht ernst und zettelt einen Handelskrieg mit Europa an. Anstatt wiederum erbost und genauso schädlich mit eigenem Protektionismus zu antworten, sollte sich die EU auf Ihre Wurzeln besinnen. Und diese liegen im Freihandel.

Lange haben die Regierungen und Wirtschaftsführer in Europa die Ankündigungen Donald Trumps nicht besonders ernst genommen. Noch beim Weltwirtschaftsforum in Davos umgarnten die Industriebosse den US-Präsidenten und schmeichelten ihm mit Investitionsankündigungen in den Vereinigten Staaten. Trump ist ein geschickter Verhandler und Taktierer. Er stellt Maximalforderungen in den Raum, weil er weiß, dass die europäischen Unternehmen auf den amerikanischen Markt nicht verzichten können. Sie werden sich arrangieren.

Jetzt lässt er seinen Ankündigungen Taten folgen. Mit Zöllen für Stahl- und Aluminiumimporte von 25 bzw. 10 Prozent will er die heimische Industrie schützen. Diese Unberechenbarkeit von Donald Trump macht ihn fast schon wieder berechenbar. Er bricht mit traditionellen Denkmustern, die einen republikanischen Präsidenten eher auf der Seite der Marktwirtschaft und des Freihandels sehen würden. Das aber macht er konsequent und ohne Rücksicht auf Verluste. Dass deshalb letztlich gute Leute aus seinem Umfeld von Bord gehen, nimmt er billigend in Kauf. Nicht erst seit den Tweets von Donald Trump, sondern bereits seit den Protestbewegungen gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA, weht ein kalter Hauch des Protektionismus und der nationalen Abschottung über den Globus. Die Geister, die die Protestler seit Jahren rufen, kommen jetzt aus der Flasche.

Die Frage ist, wie die EU und Deutschland auf diese Provokationen reagieren sollen: Gleiches mit Gleichem vergelten und ebenfalls neue Schutzzölle erheben? Und falls ja, sollten die Europäer mit Pauschalbeschränkungen antworten oder lieber eine Politik der Nadelstiche verfolgen, indem sie dort ansetzen, wo es wichtigen republikanischen Abgeordneten und Senatoren besonders weh tut? Letzteres ist wohl die Strategie, die die EU-Kommission verfolgt. Nicht der Säbel, sondern das Florett. Angedacht sind Zölle auf Harley-Davidson-Motorräder, Jeans, Erdnussbutter, Orangensaft und Mais. Die Mischung scheint doch etwas willkürlich, aber das ist wohl systemimmanent. Denn Eingriffe des Staates in den freien Warenaustausch sind immer willkürlich. Sie hindern Einzelne, die Waren und Dienstleistungen miteinander auszutauschen, die sie präferieren. Das ist immer schlecht, weil es Menschen in ihrer Freiheit einschränkt.

So schlimm es ist, dass amerikanische Kunden künftig für Stahl und Aluminium mehr bezahlen müssen und gleichzeitig europäische Stahl- und Aluminiumhersteller in Europa unter Preisdruck geraten, weil die Angebotsmenge dort zunimmt, so völlig absurd ist es, welche Konsequenzen das in der Logik der EU-Kommission hat. Die Kommission plädiert als „Gegenmaßnahme“ dafür, dass Harley-Davidson-Fans plötzlich in Europa mehr für ihr Motorrad bezahlen müssen und der Orangensaft teurer wird. Und was hat Aluminium mit Orangensaft zu tun? Beide Waren miteinander zu verbinden, verschlimmbessert sogar die Situation. Erst kommen die heimischen Stahl- und Aluminium-Hersteller unter Preisdruck und zusätzlich müssen heimische Käufer mehr für Orangensaft bezahlen.

Und warum müssen Harley-Davidson-Fans darunter leiden, wenn an anderer Stelle falsche politische Entscheidungen getroffen werden? Welch absurde Logik! Vielleicht steckt hinter den von Jean-Claude Juncker empört angekündigten Gegenmaßnahmen aber auch etwas sehr Simples: die Haushaltssituation der EU. Denn sie vereinnahmt die Zölle und das ist nicht ganz unerheblich. 15,2 Prozent (20 Mrd. Euro in 2016) der Einnahmen der EU sind Zölle. Zölle sind faktisch die einzige Einnahmequelle, die die EU in ihrer Höhe beeinflussen kann. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Was wäre eine angemessene Reaktion auf die Schutzzölle der USA? Das genaue Gegenteil jeglicher neuer Handelsbeschränkungen, nämlich deren Beseitigung auf europäischer Ebene. Kurz: auf die Ankündigung von 10 Prozent Zoll für Aluminiumhersteller sollte die EU mit einem Abbau des zehnprozentigen Zolls auf Automobilimporte reagieren. Es würde amerikanische Autos in Europa billiger machen und damit die Konsumentenfreiheit erhöhen. Die heimischen Hersteller sollten diesen Wettbewerb selbstbewusst annehmen. Sie wollen sicherlich auch keine staatlichen Preisverzerrungen im eigenen Land.

Das wäre ein Bekenntnis zu Europa! Denn eine solche Reaktion stünde in einer großen europäischen Tradition. 1860 vereinbarten Großbritannien und Frankreich wohl das erste Freihandelsabkommen überhaupt. Darin verzichtete Großbritannien einseitig auf alle Importzölle französischer Waren. Frankreich war nicht ganz so schnell, sondern reduzierte seine Zölle lediglich in zwei Schritten. Es war der Beginn einer Freihandelsbewegung, die sich über Europa und letztlich über die ganze Welt verbreitete und die zum globalen Wohlstand entscheidend beigetragen hat. Es braucht also keinen Gleichklang, kein Zug um Zug oder “Tit for tat“. Es braucht nur die Erkenntnis, dass Schutzzölle in erster Linie den Bürgern im eigenen Land schaden, die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Unternehmen erlahmen lassen und konsequenter Freihandel zutiefst europäisch ist. Wer hätte das gedacht?

Photo: Rich Dahlgren from Unsplash (CC 0)

Von Prof. Roland Vaubel, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre und Politische Ökonomie an der Universität Mannheim.

Es war zu erwarten, dass das Projekt einer europäischen Einlagensicherung nach der Bundestagswahl wiederbelebt werden würde. Auch Wolfgang Schäuble war ja schon vor der Wahl für diese Ideen aufgeschlossen gewesen. Er hatte lediglich darauf bestanden, dass die Zeit noch nicht reif sei und dass dafür eine Vertragsänderung nötig sei. Nun hat Peter Altmaier als geschäftsführender Finanzminister und ehemaliger Kommissionsbeamter das Entscheidungsverfahren in Gang gebracht. Er will einen „Fahrplan“ aufstellen. Bis zum Sommer wollen die Finanzminister der Eurozone die Bedingungen festlegen, unter denen die Einlagensicherung beginnen kann und soll. Vier Kriterien sollen darüber Aufschluss geben, ob oder inwieweit die Risiken der Banken in allen Euroländern auf ein vergleichbares Niveau gesunken sind: 1. die notleidenden Kredite, 2. die von den Banken gehaltenen Staatsanleihen, 3. die Angleichung des Insolvenzrechts, 4. die Umsetzung der Bail-in-Vorschriften. Diese vier Konvergenzkriterien sollen näher definiert und dann angewendet werden.

Mangel an Risikovorsorge

Es besteht weithin Einigkeit, dass das Insolvenzrisiko der Banken in Europa heute vor allem vom Umfang der notleidenden Kredite abhängt. In dieser Hinsicht bestehen auch die größten Unterschiede. Notleidende Kredite sind kein Problem für die Einlagensicherung, soweit die Banken sie offen ausweisen und eine angemessene Wertberichtigung und Risikovorsorge vornehmen. Aber das ist oft nicht der Fall. Diejenigen, die die Kredite vergeben haben, sind versucht, Geld nachzuschießen, damit der eigentlich insolvente Kreditnehmer seinen Schuldendienst weiter leisten kann und der eigene Fehler nicht offenbar wird. Solche faulen Kredite wird die europäische Bankenaufsicht nur in den seltensten Fällen entdecken. Man könnte sie anhand gesamtwirtschaftlicher Indikatoren wie Insolvenzquote, Rückgang der Immobilienpreise und Auslastung der Sachkapazitäten schätzen. Aber Peter Altmaier weiß selbst am besten, dass das politisch nicht durchsetzbar ist. Das Problem der verdeckten faulen Kredite ist schlicht nicht lösbar. Das sollte zu denken geben.

Wenn es sich nicht mehr vermeiden lässt, einen faulen Kredit als notleidend auszuweisen, hat die Bank ein Interesse daran, eine zu geringe Wertberichtigung und Risikovorsorge vorzunehmen, denn die Risikovorsorge geht zu Lasten des Eigenkapitals. Mit kreativer Buchführung ist zu rechnen. Deshalb ist der Umfang der als notleidend ausgewiesenen Kredite ein Indikator der nicht abgedeckten Bankrisiken und sollte sich in den Beitragsätzen der Einlagenversicherung maßgeblich niederschlagen.

Um effizient zu sein müsste die Einlagensicherung Beitragssätze vorsehen, die einigermaßen risikogerecht sind. Wahrscheinlich würde das Insolvenzrisiko so – oder ähnlich – berechnet werden, wie es der Einheitliche Abwicklungsausschuss der Eurozone bereits für seinen Bankenabwicklungsfonds tut. Deshalb ist von erheblichem Interesse, inwieweit das Ausmaß der als notleidend ausgewiesenen Kredite in der Risikokomponente berücksichtigt wird, die der Abwicklungsausschuss bei der Berechnung seiner Beitragssätze zugrunde legt.

Risiken berechnen

Die Risikokomponente – ein Multiplikator – wird als gewichteter Durchschnitt von im Regelfall elf Indikatoren berechnet. Dabei geht es um Kapitalquoten, Liquiditätsquoten, Verschuldungsquoten, Handelsbestände, außerbilanzielle Positionen, Derivate usw. Die notleidenden Kredite sind nicht darunter. Einige wenige Indikatoren – z. B. die Kapitalquoten – hängen zwar unter anderem von den Wertberichtigungen und der Risikovorsorge ab, aber eher schwach und geringer als von anderen Einflüssen. Ihr Gewicht ist nicht sehr groß.

Es kommt hinzu, dass die Spannweite des Risikomultiplikators künstlich beschränkt wird. Der größtmögliche Wert wird mit 1,5, der geringstmögliche mit 0,8 festgesetzt. Das bedeutet, dass die Risikokomponente für die Banken der höchsten Risikoklasse noch nicht einmal doppelt so groß sein darf wie für die niedrigste Risikoklasse. In der Einlagensicherung der USA (FDIC) kann die höchste Risikokomponente dagegen das 18-fache der niedrigsten betragen. 2017 betrug der Anteil der als notleidend ausgewiesenen Kredite an der gesamten Kreditsumme 47 Prozent in Griechenland, 34 Prozent in Zypern, 18 Prozent in Portugal, 14 Prozent in Slowenien und 12 Prozent in Irland und Italien – aber nur zwei Prozent in Deutschland. Im Durchschnitt der Eurozone liegt der Anteil bei 5,15 Prozent – also ebenfalls deutlich höher als in Deutschland. Vergleicht man die einzelnen Banken in der Eurozone, so ist die Spanne zwischen den riskantesten und den stabilsten noch viel größer. Damit ist klar: die soliden Banken subventionieren von vorneherein die unsoliden.

Rat und Parlament haben die Risikoindikatoren des europäischen Abwicklungsfonds ausgewählt. Die Kommission hat die Gewichte und die Spanne im Rahmen einer delegierten Verordnung (2015/63) mit einfacher Mehrheit festgelegt. Sie kann die Gewichte und die Spanne auch mit einfacher Mehrheit ändern. Sie könnte zum Beispiel die Spanne weiter komprimieren, um die Banken in den exponiertesten Ländern (auf Kosten der anderen) noch stärker zu entlasten. Der Rat kann die Delegation nur mit qualifizierter Mehrheit widerrufen (Art. 290 Abs.2 AEUV). Das Übereinkommen über den Abwicklungsfonds (Rat 8457/14) kann zwar bei einer grundlegenden Änderung der Umstände gekündigt werden, aber über die Frage, ob sich die Umstände durch die Novellierung  grundlegend geändert haben, würde der Gerichtshof der Europäischen Union entscheiden (Art. 9 des Übereinkommens). Für die Banken der stabileren Länder und ihre Kunden – die Sparer – lauert hier ein beachtliches Risiko.

Wenn die Beitragssätze nicht risikogerecht sind, womit auch in der europäischen Einlagenversicherung zu rechnen ist, werden die Anreize der Banken verzerrt: sie gehen zu hohe Risiken ein. Wenn der Beitragstopf der Einlagensicherung – wie der Abwicklungsfonds – erst allmählich aufgefüllt wird, womit ebenfalls zu rechnen ist, besteht außerdem ein Anreiz, die Restrukturierung der maroden Banken aufzuschieben, bis der Topf sein endgültiges Volumen erreicht hat und die Kosten der Insolvenzen in größtmöglichem Umfang auf die anderen Euroländer abgewälzt werden können. Beides erhöht die Gefahren.

Abwicklungsfonds und Einlagensicherung werden damit begründet, dass die Risiken in einer größeren Versicherung stärker diversifiziert werden können. Aber es gibt – wie wir sehen – in diesem Fall gewichtigere Gründe, die gegen eine größere Versicherung sprechen. Auch im Markt ist nicht unbedingt die größte Versicherung die beste. Fast immer können sich mehrere Versicherungen halten. Nationale Einlagensicherungen gibt es bereits. Zentralisierung kann schaden.

Frühe Warnung

Schon 2012 haben 279 Wirtschaftsprofessoren davor gewarnt, die Haftungsunion auf den Bankensektor auszudehnen. Die Bundestagsabgeordneten von CDU/CSU und SPD haben die europäische Einlagensicherung am 04.11.15 in einem gemeinsamen Entschließungsantrag strikt abgelehnt. Ihre Parteifreunde im Europäischen Parlament hat das allerdings nicht davon abgehalten, im März 2016 für das Projekt zu stimmen.

Letzten Monat hat eine Gruppe von vierzehn französischen und deutschen Wirtschaftsprofessoren in einer gemeinsamen Erklärung dafür geworben, die europäische Einlagensicherung im Rahmen eines Verhandlungspakets zu beschließen, das auch zwei sinnvolle Reformen enthält: auch für Staaten soll es eine Insolvenzordnung geben, und auch Staatsanleihen sollen von den Banken in gewissem Umfang mit Eigenkapital hinterlegt werden. Diese beiden Reformen würden allen beteiligten Ländern nützen. Sie stellen daher nicht einen Nachteil dar, für den die schwächeren Volkswirtschaften entschädigt werden müssten – zum Beispiel, indem die anderen in einer gemeinsamen Einlagensicherung Haftung übernehmen. Das Paket der Professorengruppe ist daher kein Tauschgeschäft.  Außerdem darf man in der Einlagensicherung nicht nur das Verteilungsproblem sehen. Eine Zwangsversicherung, deren Beitragssätze bei weitem nicht risikogerecht sind, ist ineffizient und gehört daher in kein wie auch immer geartetes Verhandlungspaket.

Dieser Beitrag ist am 03.03.2018 in der Börsen-Zeitung erschienen.