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Heute jährt sich die deutsche Kapitulation im Zweiten Weltkrieg zum 70. Mal. Es war das Ende der Kampfhandlungen, nicht aber des Krieges. Den Krieg haben nicht die Generäle und Staatsmänner beendet, sondern die Bürger, die sich für ein Miteinander anstatt für das Gegeneinander entschieden.

Ein Sieg ist nicht dasselbe wie Frieden

Vor zwei Wochen haben wir hier Betrachtungen darüber angestellt, dass uns Geschichtsschreibung oft ein falsches Bild vermittelt. Dass nicht Feldherren und Führer die entscheidenden Persönlichkeiten waren, sondern dass „der wirkliche Fortschritt für die Menschheit von Erfindern, Unternehmern, Denkern und deren Unterstützern ausging.“ Der heutige Jahrestag ist ein gutes Beispiel dafür, wie Geschichtsschreibung uns in die Irre führen kann. Klar, der 8. Mai war der Tag des Sieges der Alliierten über Deutschland. Er war auch, wie Richard von Weizsäcker in seiner bedeutenden Rede vor dreißig Jahren sagte, der „Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“. Aber er war eben nicht der Tag, an dem der Krieg aufhörte.

Denn ein Sieg ist nicht dasselbe wie Frieden. Das liegt zum Teil daran, dass die Sieger auch alles andere als weiße Westen hatten: die pauschale Internierung von Japanern durch die US-Regierung, der Bombenterror über Dresden und vor allem Hiroshima und Nagasaki, ganz zu schweigen von dem verbrecherischen Regime Stalins, das dem Hitlers in Vielem verblüffend ähnelte. Das liegt aber auch daran, dass Krieg mehr ist als nur Kampfhandlungen – der auf den Zweiten Weltkrieg folgende Kalte Krieg hat das deutlich gezeigt. Krieg ist dort, wo Menschengruppen einander fürchten oder hassen, wo Gegeneinander herrscht und nicht Miteinander.

Krieg wird nicht von Geschützen beendet, sondern von ausgestreckten Händen

Darum bedurfte es noch etlicher Jahre bis der Zweite Weltkrieg tatsächlich vorbei war. Etlicher Jahre – und vor allem vieler mutiger Menschen, die es geschafft haben, Leid, Angst und Hass hinter sich zu lassen und aufeinander zuzugehen. Anstatt am 8. Mai Militärparaden zu veranstalten, sollten wir besser dieser Menschen gedenken und ihnen danken. Zumal es nicht überall gelang, den Krieg zu beenden. Denn die Panzer der Roten Armee standen bis Anfang der 90er Jahre noch auf deutschem Boden, um die kommunistischen Diktaturen in Mittel- und Osteuropa zu schützen. Abermillionen lebten noch Jahrzehnte lang in Unfreiheit und Unterdrückung.

Der Zweite Weltkrieg wurde nicht von Feldherren und Geschützen beendet, sondern von ausgestreckten Händen. Das waren gleich zu Beginn die Trümmerfrauen, die dem jahrelangen zerstörerischen Wüten ihren tapferen Willen zum Neubeginn entgegensetzten. Das waren die amerikanischen Bürger, die nur wenige Monate nachdem ihre Söhne und Ehemänner im Kampf gegen Deutschland gefallen waren, Millionen von CARE-Paketen hierher schickten. Das waren die Polen, Tschechen, Slowaken, Balten, die den vertriebenen Deutschen ein Stück Brot, ein Glas Milch oder einen Schlafplatz boten.

Frieden kommt durch das Bemühen jedes Einzelnen

Die unzähligen Verbrechen, die im Laufe des Krieges begangen wurden, haben dennoch lange zu einer Stimmung des Misstrauens, wenn nicht gar des Hasses beigetragen. Es waren noch weitere Schritte nötig, um dem Frieden zum Durchbruch zu verhelfen. Wie etwa die die Luftbrücke nach West-Berlin, das Treffen Adenauers und Ben Gurions in New York, Adenauers und de Gaulles in Reims, der Brief der polnischen Bischöfe vor fünfzig Jahren, der Kniefall Willy Brandts in Warschau. Noch viel wichtiger als all diese politischen Aktionen waren die kleinen Schritte, die Menschen Tag für Tag aufeinander zugegangen sind. Exemplarisch dafür steht die gemeinsame Aktion deutscher und französischer Jugendlicher beim Grenzübergang St. Germanshof in der Südpfalz, bei der im Sommer 1950 die Schlagbäume niedergerissen wurden. Schüler- und Studentenaustausch, gemeinsam durchgeführte sportliche und kulturelle Ereignisse, kleine alltägliche Versöhnungsgesten der Opfer auf allen Seiten und die Bereitschaft, nationale Ressentiments hinter sich zu lassen – all das hat den Zweiten Weltkrieg wirklich beendet und Frieden geschaffen.

Der 8. Mai ist eine gute Gelegenheit, um sich der Menschen zu erinnern, die unser heutiges Zusammenleben in Europa ermöglicht haben. Das waren ein paar Politiker. Es waren aber vor allem einfache Menschen, die durch ihren Mut und ihre Versöhnungsbereitschaft das Antlitz dieser Erde zum Besseren verändert haben. Frieden kommt nicht durch große Worte oder wohlklingende Verträge. Frieden kommt durch das Bemühen jedes Einzelnen. Der große englische Pazifist Richard Cobden stellte schon 1850 fest:

„Der Fortschritt der Freiheit hängt mehr an der Bewahrung des Friedens, der Verbreitung des Handels und der allgemeinen Bildung als an den Bemühungen von Regierungen und Außenministerien.“

Über das österreichische Bundesland Kärnten erfährt man in Deutschland zumeist sehr wenig. Es sind zwei Dinge, die man mit dem südlichsten Landstrich der Alpenrepublik verbindet. Für die einen ist es das seenreiche Ferienparadies für den Familienurlaub. Und für die anderen ist es vielleicht noch das Wirken des ehemaligen Landeshauptmannes Jörg Haider, der die österreichische Politik mit seiner rechtspopulistischen Partei FPÖ durcheinanderwirbelte. 2008 starb er bei einem Autounfall. Mit letzterem ist auch die aktuelle Berichterstattung über Kärnten eng verbunden. 2007 kaufte die Bayern LB auf dem Hoch der damaligen Börsenblase für 1,625 Milliarden Euro mehrheitlich vom Land Kärnten die Landesbank „Hypo Alpe Adria“. Seitdem geht es bergab. Korruption, Vettern- und Günstlingswirtschaft erschüttern seitdem Kärnten, Österreich, Bayern und die Bankenwelt.

Für die Bayern LB und den Freistaat Bayern wird der unternehmerische Ausflug an den Wörthersee zum Milliardengrab. Die Milliardendefizite wollten die Bayern irgendwann nicht mehr bezahlen und verkauften die Bank für einen Euro an den österreichischen Staat, der das Institut inzwischen abwickelt. Jörg Haiders Vermächtnis ist eine Garantie des Landes Kärnten von 10,5 Milliarden Euro gegenüber den Gläubigern der Bank. Davon sind alleine 7,1 Milliarden Euro in den Büchern deutscher Institute. Diese wenden sich jetzt an das Land Kärnten und mittelbar an den Österreichischen Staat und wollen ihr Geld zurück.

In Deutschland wäre es sehr einfach. Kann ein Bundesland nicht bezahlen, könnten sich die Gläubiger letztendlich auch an den Bund wenden. Ein Insolvenzverfahren für Kommunen, Länder oder für den Bund ist per Gesetz ausgeschlossen. Diese Einstandspflicht sichert den Kommunen und den Bundesländern faktisch gleiche Finanzierungskonditionen wie dem Bund. Anders ist es in der Schweiz. Dort haben Städte und Kantone eine eigene Insolvenzfähigkeit. Als 1998 die Gemeinde Leukerbad im Kanton Wallis zahlungsunfähig wurde und die Gläubiger sich an den Kanton und an die Zentralregierung im fernen Bern richteten, versagten diese eine Unterstützung mit dem Hinweis auf die Finanzautonomie der Gemeinde. Dies wurde höchstrichterlich bestätigt. Die Folge war: Die Gläubiger mussten auf 78 Prozent ihrer Forderungen verzichten. Seitdem differenzieren die Finanzierungskonditionen zwischen den Städten, den Kantonen und dem Bund. Nicht klar geregelt ist der Fall wohl in Österreich, und schon deshalb ist der weitere Verlauf spannend.

Doch welche Lehre zieht eigentlich die Landesregierung in Bayern aus dem Schlamassel in Kärnten? Und welche Schlussfolgerungen ziehen die Landesregierungen in Düsseldorf, Hannover, Stuttgart, Kiel und Hamburg aus den Schieflagen ihrer Landesbanken? Der missratene Weg der Landesbanken in unserem Land ist gepflastert mit Missmanagement, Korruption und Steuergeldverschwendung. Seit Anfang der 1990er Jahre haben die Landesbanken in Deutschland über 37 Milliarden Euro von den Ländern und Kommunen erhalten, um ihre Defizite auszugleichen. Und mit alleine 198 Milliarden Euro staatlichen und kommunalen Garantien mussten die WestLB, HSH Nordbank, LBBW und wie sie auch alle heißen, gestützt werden.

Zwei Dinge kann man daraus lernen. Erstens: Der Staat ist ein schlechter Unternehmer. Das zeigt sich nicht nur bei den Landesbanken, aber vor allem da. In den Aufsichtsgremien sitzen Politiker, die dafür keine Qualifikation aufweisen, die Vorstände wurden und werden politisch besetzt, und im Zweifel haftet der Steuerzahler für deren Versagen. Das war und ist keine tragfähige Konstruktion. Im Falle der Bayern LB muss man deshalb nicht nur die fahrlässige Rolle der Vorstände diskutieren, sondern auch die Aufsichtsräte zur Verantwortung ziehen. Risiko, Haftung und Verantwortung dürfen nicht zu einer Leerformel verkommen, sondern bewähren sich in der Praxis des politischen Alltags. Und zweitens: Das Schweizer Modell des Wettbewerbsförderalismus ist dem deutschen überlegen. Jeder haftet für seine Schulden selbst. Dieses Prinzip sorgt dafür, dass das Risiko als solches für den Anleger und Gläubiger erkennbar wird. Nur wenn dies der Fall ist, geht man mit Risiken verantwortungsvoll um und verlässt sich nicht auf Dritte. Wie es schon der Ordo-Liberale Wilhelm Röpke formulierte: „Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen.“

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 25. April 2015.

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Anfang Februar schrieb ich an dieser Stelle: „Bis Varoufakis ein neues Hilfsprogramm mit dem Euro-Club verhandelt hat, dauert es noch einige Monate. Bis dahin wird ihn die EZB über Wasser halten. Den wesentlichen Schritt dazu hat sie schon geleistet, indem sie ihren Beschluss aufhob, die als Schrottpapiere klassifizierten griechischen Staatsanleihen weiterhin als Sicherheiten zu akzeptieren. Das bedeutet, die griechischen Banken haben damit faktisch keinen Zugang mehr zu Zentralbankgeld der EZB. Damit bewahrt Mario Draghi sein Gesicht, eröffnet aber den griechischen Banken einen direkten Zugang zu sogenannten Ela-Kredite der griechischen Notenbank. Diese kann derzeit bis zu 60 Milliarden Euro auf „eigene Rechnung“ vergeben. In der Hochphase der Krise 2012 betrugen die Kredite über 120 Milliarden Euro. Inzwischen sind sie wieder fast auf Null reduziert. Das verschafft der griechischen Regierung Luft. Sie hat in der Vergangenheit bereits kurzlaufende Anleihen, so genannte T-Bills, herausgegeben. Diese können die heimischen Banken aufkaufen, als Sicherheiten bei der eigenen Notenbank einreichen und erhalten damit frisches Geld aus dem „Keller“ der griechischen Notenbank. Die Staatsfinanzierung durch die Druckerpresse ist perfekt.“

Genauso passiert es jetzt. Die Ela-Kredite werden im wöchentlichen Rhythmus von der EZB genehmigt und betragen derzeit über 75 Milliarden Euro. Der griechische Staat begibt kurzlaufende Anleihen und finanziert sich so über die Druckerpresse der eigenen Notenbank. Und die Staatengemeinschaft verhandelt im Hintergrund ein neues Paket mit Griechenland, welches das jetzige, nicht umgesetzte Programm ersetzen soll. Alle wahren ihr Gesicht: Schäuble kann sagen, die letzte Tranche des aktuellen Programms wurde nicht ausbezahlt, weil die Maßnahmen nicht umgesetzt wurden und er kann sich anschließend im Bundestag wegen seiner harten Haltung auf die Schulter klopfen lassen. Tsipras und Varoufakis können mitteilen, dass sie dem Diktat des Euro-Clubs nicht gefolgt sind und die Reformen rückgängig gemacht haben. Der IWF wird sagen, dass er spätestens im August raus ist, dann sein Geld wiederbekommen hat und die Europäer seine Aufgabe nun übernehmen müssten. Mario Draghi wird sagen, dass der Zugang der griechischen Banken zu EZB-Krediten von ihm gekappt wurde und die Ela-Kredite „nur“ auf das eigene Risiko der griechischen Notenbank (!) vergeben würden.

Das nennt man europäische Politik. Alle sind zufrieden. Mit dem Auslaufen des aktuellen „Hilfsprogramms“ Ende Juni muss dann nochmals eine entscheidende Hürde übersprungen werden. Zwischen Juni und August müssen Varoufakis und Tsipras rund 19 Milliarden Euro aufbringen, um Kredite, Anleihen und Zinsen bedienen und verlängern zu können. Beide Seiten, die Troika und auch die griechische Regierung, stehen vor einem Dilemma. Beide müssen die Verhandlungen als Erfolg verkaufen können. Völlig unstreitig ist, dass ein Grexit für die Troika ausgeschlossen ist. Kann der Euro-Club und die EZB eine Zahlungsunfähigkeit und damit eine Staatsinsolvenz Griechenlands vermeiden, werden sie es um jeden Preis tun. Niemand von den Beteiligten will Milliarden-Beträge abschreiben müssen – weder Schäuble noch Draghi. Beide schreiben an ihrem eigenen Geschichtsbuch. Das Grexit-Kapitel taucht darin nicht auf. Eigentlich könnte nur ein Graccident, also ein ungeplanter Staatsbankrott, zu einem Austritt Griechenlands aus dem Euro-Club führen. Doch dies wird Draghi im Zweifel zu verhindern wissen. Er kann jederzeit in den Keller gehen und Geld in unbegrenzter Höhe „drucken“ und den Banken und der griechischen Regierung zur Verfügung stellen. Er würde dies dann mit der besonderen Situation und der Finanzstabilität des Euros begründen.

Doch auch Schäuble muss dem Bundestag eine Geschichte erzählen können. Diese wird ungefähr so lauten: Griechenland ist ein isolierter Fall. Überall in Europa haben die Maßnahmen geholfen. Das Chaos, das 2010 und 2011 mit der Insolvenz von Staaten im Euro-Raum gedroht hätte, sei Dank des entschlossenen Eingreifens verhindert worden. Jetzt dauere es eben länger und Griechenland müsse über viele Jahre geholfen werden. Doch es ginge nicht an, dass die reichen Griechen immer Geld von den Konten abheben würden und ins Ausland brächten. Daher sei es richtig, dass – wie seinerzeit in Zypern – auch in Griechenland Kapitalverkehrskontrollen eingeführt würden.

Und Tsipras? Was macht der? Natürlich Neuwahlen! Er wird sich seinen Kurs der Erpressung gegenüber den Geldgeber bestätigen lassen, um weiter den Euro-Club mit dem Nasenring durch die Manege ziehen zu können. Doch wie sieht die Wirklichkeit aus? Alle Krisenstaaten sind in ihrer Wirtschaftsleistung unter dem Niveau vor der Bankenkrise 2008/2009. Inzwischen erreicht der Dreimonats-Geldmarktzins Euribor erstmals eine negative Rendite.

Die Rufe, dass die Geldpolitik die Pensionsfonds und Versicherungen zerstört, nehmen derweilen zu. Die Bundesregierung hat schon mal im Voraus die Anlagevorschriften für Lebensversicherungen gelockert. Sie können jetzt einfacher in die Energiewende investieren. So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe. Das Weltklima wird gerettet und die private Altersvorsorge wird durch garantierte Renditen stabilisiert, die der Stromkunde selbstverständlich bezahlen muss. „Sparen für das Weltklima“ entspricht ohnehin mehr dem Zeitgeist als seinerzeit „Rauchen für die Rente“. Gerade hat die „Alte Leipziger”, einer der solidesten Versicherer in Deutschland, mitgeteilt, dass man im laufenden Jahr in Offshore-Windparks investieren wolle.

Die Quintessenz von all dem ist: Die Intervention nährt die nächste Intervention und die eine staatliche Willkür erzeugt den Nährboden der nächsten staatlichen Willkür. Die Antwort einer freien Gesellschaft darauf lautet: die strikte Verhinderung von Zwang außer für die Durchsetzung allgemeiner, auf alle gleichermaßen anwendbarer abstrakten Regeln.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Tichys Einblick.

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Neulich las ich in der „Börsenzeitung“ eine kleine Notiz. Darin stand, dass das Bundesfinanzministerium die Anlagerichtlinien für Lebensversicherungen geändert hat, um Investition in den Energiesektor einfacher zu machen.

Sieh an, sieh an, kam es mir sofort in den Sinn. Soll keiner sagen, die Bundesregierung habe die Folgen der Niedrigzinspolitik der EZB nicht erkannt. Der drohende Exitus der Lebensversicherung wird dadurch behoben, dass künftig die Altersvorsorge der Sparer in die Energiewende investiert wird. Das ist praktisch, denn die dortigen Erträge sind staatlich reguliert und garantiert. Die Regierung schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen sichert sie den Lebensversicherungen in Zeiten der Nullzinspolitik feste Erträge oberhalb des durchschnittlichen Garantiezinses der Altersvorsorgeverträge von drei Prozent. Und zum anderen besorgt sie so das ausreichende Kapital, um die Energiewende zu finanzieren. Die Interventionsspirale durch immer mehr Umverteilung geht also munter weiter.

Mit dem Herausboxen der lateineuropäischen Staaten und Irland bezahlt der Steuerzahler in Deutschland die Überschuldungskrise von Staaten und Banken in Europa. Das war die Situation 2010 bis 2012. Seit 2013 und 2014 wird mit der Bankenunion auch der Sparer in diesem Land zur Kasse gebeten, um die Bankenabwicklung im Euro-Club zu finanzieren. Der vorläufige, aber sicher nicht endgültige Höhepunkt ist, dass jetzt auch noch der Stromkunde die Finanzkrise durch eine Stützung der Lebensversicherungen retten soll. Wenn das so weitergeht, dann wird sehr wahrscheinlich im nächsten Jahr der Sparbuchsparer genötigt, sein Geld in Griechenland anzulegen, um der dortigen Kapitalflucht entgegenzusteuern. Doch im Ernst: Wer mit immer mehr Umverteilung und Intervention in individuelle Entscheidungen eingreift, sie lenkt und steuert, um ein höheres Ziel zu erreichen – sei es, das Weltklima zu retten oder den europäischen Superstaat zu vollenden –, wird am Ende die Marktwirtschaft und die Freiheit zerstören.

Vielleicht ist es ein Trost, dass die eigentlichen Ziele dabei nicht erreicht werden. Das Klima wird mal wärmer und mal kälter, und Europa bleibt, was es ist: einer von mehreren Kontinenten auf dieser Welt.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „eigentümlich frei“ , Nr. 152, Ausgabe Mai 2015

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Jetzt hat es auch der Internationale Währungsfonds (IWF) kapiert. Der IWF sieht existentielle Probleme für mittelgroße Lebensversicherer in Europa und speziell in Deutschland. Wenn es alle Spatzen von den Dächern pfeifen, dann stimmt irgendwann auch der fluguntaugliche Dinosaurier in das Lied mit ein. Man will später nicht zu denjenigen gehören, die vor den Folgen nicht gewarnt haben. Die heiße Luft, die aus dem Rachen des IWF dringt, klingt wie die Melodie von „Spiel mir das Lied vom Tod“. Seit vielen Jahren ist klar, dass die Lebensversicherungen in existentielle Probleme geraten, sollte Mario Draghi seine Niedrigstzinspolitik fortsetzen. Und er tut dies in noch verschärfterer Form durch sein Anleihenaufkaufprogramm von derzeit noch 1,15 Billionen Euro. Das alles ist wahrlich nichts Neues.

Die Eingriffe Draghis in den Maschinenraum der Marktwirtschaft sind jedoch umfassender. Er wird nicht nur die Lebensversicherungen in existentielle Gefahr bringen. Er zerstört auch die Lebensgrundlage der Sparkassen, Volksbanken und Bausparkassen. Und er bürdet den Unternehmen Milliarden an zusätzlichen Pensionslasten auf, die sich in den nächsten Jahren zu einem systemischen Risiko für die Volkswirtschaft aufbauen werden.

Das Geschäftsmodell der Sparkassen und Volksbanken und ihre Verankerung in der Fläche beruhte lange Zeit auf einem einfachen Prinzip: Giroguthaben, Sparbücher, Festgelder und Kredite sorgten für einen Zinsüberschuss und Bausparverträge sowie Lebensversicherungen für satte Provisionseinnahmen. Beide Säulen brechen weg. Sparbücher und Festgelder werden nicht mehr verzinst, weil die Sparkassen und Volksbanken selbst keine Zinsen mehr für die Anlage bekommen. Und die Kreditmargen schrumpfen ebenfalls in einem Umfeld, wo Städte und Gemeinden für ihre Kassenkredite keine Zinsen mehr bezahlen müssen. Gleichzeitig bricht das Neugeschäft für Lebensversicherungen und Bausparkassen im Niedrigstzinsumfeld weg.

Doch die Kostenstruktur durch teure Geschäftsstellen in der Fläche ist nach wie vor hoch. Und als ob das noch nicht genug an Problemen wäre, kommt die Regierung mit immer neuen Regulierungen und Bürokratie auf die Institute zu. Die Folge wird sein, dass in den nächsten Monaten und Jahren eine Fusionswelle im Sparkassen- und Genossenschaftswesen eintreten wird.

Für die Bausparkassen sieht es nicht wesentlich rosiger aus. Seit 2009 bewegt sich der Euroraum im Niedrigzinsumfeld. Eine Änderung ist nicht in Sicht. Doch gerade mit diesem Änderungsrisiko argumentieren die Bausparkassen gegenüber ihren Kunden. Bleibt es bei den Niedrigstzinsen im Euroraum, und davon ist auszugehen, dann verschwindet das wesentliche Verkaufsargument für die Bausparfüchse. Das so notwendige Neugeschäft bricht weg. Die privaten Bausparkassen verzeichneten bereits im vergangenen Jahr einen Einbruch um 27 Prozent.

Und für die Unternehmen wird das Niedrigstzinsumfeld ebenfalls zum Pulverfass. Sie müssen ihre Pensionsverpflichtungen mit einem marktnahen Rechnungszins abzinsen. Je niedriger dieser ist, desto höher sind die notwendigen Rückstellungen, die bilanziell gebildet werden müssen. Von 6 Prozent im Jahr 2009 wird dieser ebenfalls in den nächsten Jahren auf 2 Prozent und weniger sinken. Der Rückstellungsbedarf steigt gegenüber 2009 so um 66 Prozent und mehr. Nicht alle Unternehmen werden dies stemmen können.

Wenn Mario Draghi in den Maschinenraum der Marktwirtschaft geht, fummelt er nicht nur an der Maschinenhaube oder an der Abdeckung herum, sondern er geht ganz tief in das Räderwerk hinein und versucht mit seinem Schraubendreher die Maschine zu reparieren. Doch der Schraubendreher bleibt im Zahnrad der Maschine stecken, sie läuft heiß und schlimmstenfalls droht ein Totalschaden. Anders als Draghi erträumt, ist die Marktwirtschaft eben doch keine Maschine und er auch kein Maschinenführer.

Photo: Gösta Knochenhauer from flickr