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Photo: Wikicommons

Von Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre und Praktikant bei Prometheus.

Wir leben in einer Welt, die sich immer stärker globalisiert: Japanische Autos, chinesische Smartphones und amerikanische Burger gehören ebenso zu unserem Alltag wie die Möglichkeit, innerhalb von Sekunden Nachrichten über das Internet in die letzte Ecke der Welt zu senden. Neue politische und ökonomisch Schwergewichte wie China, Indien und Brasilien haben in den letzten Jahrzenten die Weltbühne betreten. Weitere werden folgen. Dahinter stehen eigentlich großartige Neuigkeiten. Die aufstrebenden Länder haben sich zunehmend einer marktwirtschaftlichen Ordnung zugewendet und ernten die ersten Erfolge dieser Bemühungen. Sie haben von der freien westlichen Welt gelernt wie Wirtschaftssysteme mehr Wohlstand schaffen. Der Weg für viele Staaten hin zu einer offenen Gesellschaft ist noch weit, aber schon die ersten Schritte zeigen ermutigende Ergebnisse.

In Europa macht sich allerdings ein Gefühl der Angst breit. Die Veränderungen stellen alte Strukturen und Privilegien in Frage. Die neue Macht der Anderen ist unheimlich. Der Präsident des europäischen Parlaments, Martin Schulz, schreibt „Nur wenn wir zusammenhalten und uns als 500 Millionen Einwohner starken Kontinent sehen, werden wir auch noch in 20 Jahren mit den USA, mit China und den aufstrebenden Mächten auf Augenhöhe stehen können. Scheitert die europäische Integration, werden wir in der Bedeutungslosigkeit verschwinden.“  Wo die alten Nationalstaaten an ihre (Macht-)Grenzen stoßen, soll ein größeres Gebilde, ein Super-Nationalstaat, einspringen. Es ist nur ein kurzer Weg von der Angst vor der Bedeutungslosigkeit hin zu Großmachtsfantasien à la 19. Jahrhundert. Die politischen Implikationen sind unteranderem eine europäische Armee und eine gemeinsame Außenpolitik, aber ebenso die gemeinsame Währung und eine gemeinsame Fiskalpolitik.

Die Welt wird ein Dorf und unsere Antwort soll der europäische Zentralstaat seien?

Es stellt sich zwei grundsätzliche Fragen: Ist im Zeitalter der Globalisierung Europa als Großmacht überhaupt realisierbar? Und: Ist es überhaupt ein erstrebenswertes Ziel, weltweite Bedeutung zu haben?

Die erste Frage kann wohl mit einem Nein beantwortet werden. Und das liegt an der Globalisierung: Je stärker ein Land mit dem Rest der Welt verbunden ist, desto stärker wird der Gestaltungsspielraum der Politik eingeschränkt. Wirtschaftspolitisches Harakiri wird durch den Abzug des weltweit hochmobilen Kapitals bestraft. Brasilien, Venezuela und Argentinien sind nur einige aktuelle Beispiele. Aber auch Menschen werden immer mobiler. Wenn die Steuerlast zu groß werden sollte, ist der „Exit“ einfacher denn je. Tausende Deutsche beweisen dies jedes Jahr, wenn sie ihren Lebensmittelpunkt verlegen. Jenseits des Rheins, in der Schweiz, finden sie ihre neue Heimat. Die Globalisierung schränkt die Effektivität staatlicher Interventionen zunehmend ein.

Auch militärische Überlegenheit kann nicht die gewünschte Machtfülle bringen. Kernwaffen halten andere Regierungen im Schach und garantieren die Sicherheit Europas vor Angriffen andere Staaten. Mehr als ein Gleichgewicht des Schreckens können sie aber nicht erreichen. Sie sorgen für unsere Sicherheit, aber als Drohmittel in der Außenpolitik sind sie völlig ungeeignet. Auch eine Bündelung der konventionellen Streitkräfte verspricht kaum, ein ernstzunehmendes Ass im Ärmel der europäischen Politik zu sein. Viele Konflikte sind mit Hilfe von militärischer Überlegenheit nicht mehr zu gewinnen. Die Vereinigten Staaten haben diese schmerzliche Erfahrung in den letzten Jahren machen müssen.

Kooperation und Dialog ist die Stärke der Kleinen

Zur zweiten Frage: Es gibt gute Gründe dafür, dass das Wohlergehen der Europäer nicht von einer größeren Machtfülle, Augenhöhe und Bedeutung abhängt. Ein auf Weltgeltung ausgelegtes Europa ersetzt die Probleme der Nationalstaaten durch ein europäisches Problem. Mises fürchtet sogar: „An Stelle des französischen, des deutschen, des magyarischen Chauvinismus soll der europäische treten; seine Spitze soll sich gegen die „Ausländer“ kehren, gegen Briten, Amerikaner, Russen, Chinesen, Japaner; nach innen aber soll es ein alle europäischen Völker einigendes Gebilde sein.“.

Europa braucht den Wettbewerb der Systeme innerhalb Europas, um aus Fehlern lernen zu können. Nicht Einheit und Zentralismus machen Europa zu einem lebenswerten Ort, sondern seine eigentlichen Stärken, die diesem Prinzip geradezu entgegengesetzt sind: Vielfalt, Marktwirtschaft, Demokratie und Subsidiarität.

Den Weltmachtsanspruch aufzugeben, bedeutet aber nicht, die Sicherheit Europas zu vernachlässigen. Die Sicherheit vor Angriffen von außen hängt nicht von dem Status als Weltmacht ab. Eine starke gemeinsame Verteidigung im Rahmen der NATO ist Garant für die territoriale Integrität Europas. Die schrecklichen Anschläge in Paris und zuvor in London sowie Madrid haben gezeigt, dass mit konventioneller Verteidigung allein die Sicherheit Europas nicht zu gewährleisten ist. Absolute Sicherheit gibt es nicht. Der Informationsaustausch der Sicherheitsbehörden kann sicherlich verbessert werden, aber nicht nur innerhalb Europas, denn Terror organisiert sich international.

Eine gemeinsame europäische Armee würde weder zu mehr Sicherheit beitragen, noch ist es realistisch, dass sie jemals kommen wird. Kein Land Europas würde eigene Soldaten einer Armee zur Verfügung stellen, die im Zweifel auch gegen den Willen der eigenen Bevölkerung eingesetzt werden kann. Diese Hürde könnte nur durch das Prinzip der Einstimmigkeit bei Auslandeinsätzen überwunden werden. Die Folge wäre vermutlich eine völlige Handlungsunfähigkeit. Das Zaudern Berlins in Bezug auf die angeforderte militärische Hilfe Frankreichs nach den Terroranschlägen von Paris zeigt die hohe Hemmschwelle, eigene Soldaten für Partner zu mobilisieren. Als sich 2011 die Frage stellte, ob ein Eingreifen in Libyen nötig sei, unternahmen Großbritannien und Frankreich letztendliche einen Alleingang – gegen den Widerstand der deutschen Regierung. Selbst wenn Regierungen von der Notwenigkeit eines Einsatzes überzeugt sind, kann dies an Bevölkerung und Parlament scheitern. So erging es kürzlich David Cameron. Er zog den Antrag auf eine militärische Intervention in Syrien zurück, da der Widerstand im Parlament zu groß war. Dagegen sind sinnvolle Kooperationen in den Bereichen Ausbildung und Beschaffung sehr hilfreich und umsetzbar.

Wenn wir gegen die vielbeschworene „Bedeutungslosigkeit“ mit einem zentralistischen Europa zu Felde ziehen würden, würden wir die eigenen Stärken zunichtemachen. Vielleicht ist es sogar eine Chance, nicht im Weltmächte-Poker mitspielen zu müssen. Kleine, geradezu marginale Staaten gehören zu den wohlhabendsten der Welt. Das militärische (Droh-)Potenzial eines Landes wie der Schweiz, wo die Luftwaffe nur in den Bürozeiten zwischen 8 und 17 Uhr Dienst tut, scheint sehr bescheiden. Das Bruttoinlandsprodukt der Eidgenossenschaft hat das Gewicht eines Reissacks auf dem Containerschiff der Weltwirtschaft. Doch die Schweizer scheinen sich recht wohl zu fühlen mit ihrer „Bedeutungslosigkeit“. Was den Schweizern bleibt, ist ihre Diplomatie. Viele Konflikte wurden bereits auf dem „neutralen Boden“ der Schweiz verhandelt. Kooperation und Dialog ist die Stärke der Kleinen.

Ein imperial auftretendes Europa wäre mit Sicherheit kein liberales Europa

Ein konföderales Europa sollte sich unermüdlich für Freihandel einsetzen. In einem solchen Fall ist ein gemeinsames Auftreten durchaus sinnvoll. Weniger, um Stärke zu demonstrieren, als vielmehr, um Komplexität zu reduzieren. Ein gemeinsamer Markt macht gemeinsame Regeln für den Außenhandel unabdingbar. Auch bei den Verhandlungen über TTIP muss sich Europa nicht den USA gegenüber wie eine Weltmacht gebärden, um ein ordentliches Ergebnis zu erzielen. Europa muss den Wettbewerb mit anderen Regionen der Welt nicht scheuen. Handel ist kein Null-Summenspiel, bei dem der Stärkere gewinnt und der Schwächere verliert. Mit den Bemühungen für Freihandel kann Europa einen großen Beitrag zur Völkerverständigung und zur Überwindung der Armut in der Welt leisten.

Welche Rolle in der Welt sollte ein konföderales Europa einnehmen? Otto Lambsdorff schrieb über den Weltmachtanspruch Europas: „Ein solches Gehabe braucht Europa nicht. Ein imperial auftretendes Europa wäre mit Sicherheit kein liberales Europa.“. Europas Rolle in der Welt sollte es seien, seine Werte Marktwirtschaft, Demokratie und Subsidiarität glaubhaft zu leben und zu verteidigen. Weltmachtsfantasien gehören nicht zu einem konföderalen Europa. Wenn das Modell eines konföderalen Europas erfolgreich sein wird, werden andere Europa folgen. Wenn das kein Erfolg für den alten Kontinent wäre!

Photo: Joe Hart from Flickr. (CC BY 2.0)

„Zuckerbrot und Peitsche“ ist nicht selten der Umgang der Regierenden mit den Bürgern. Aber auch die EU-Kommission versteht dieses Handwerk im Umgang mit den Mitgliedsstaaten. Die Vergemeinschaftung der Einlagensicherung ist in Deutschland höchst unpopulär. Denn sie ermöglicht im Euro-Raum nicht nur die Steuergelder vom Norden in den Süden umzuverteilen, sondern bald auch die Sparguthaben. Mit der grundsätzlichen Zustimmung der Bundesregierung zu einer Bankenunion im Euro-Club haben Merkel und Schäuble den Weg nicht nur für eine einheitliche Bankenaufsicht und Bankenabwicklung geebnet, sondern nun auch für eine einheitliche Einlagensicherung, in die alle Banken, Sparkassen und Volksbanken einzahlen müssen. Damit soll gewährleistet werden, dass alle Einlagen im Euro-Club gleich sicher sind. Oder besser gesagt: gleich unsicher. Denn die faulen Kredite von 1 Billion Euro, die europäische Banken in ihren Bilanzen verstecken, sind dann sehr schnell, die faulen Kredite, für die die Sparer auch in Deutschland geradestehen müssen. Soweit zur Peitsche für die Sparer und Steuerzahler in Deutschland.

Nun zum Zuckerbrot. In der Erklärung der EU-Kommission zum Verordnungsvorschlag für eine einheitliche Einlagensicherung schlägt die EU-Kommission vor, die Nullgewichtung von Staatsanleihen zu beenden. Kaufen Banken Staatsanleihen, dann müssen sie dafür kein eigenes Geld als Sicherheit bereitstellen, da unterstellt wird, dass jede Staatsanleihe im Euro-Club das gleiche Ausfallrisiko von Null hat. Das ist natürlich absurd, aber viele Dinge in der EU sind absurd. In Deutschland ist der Vorschlag der EU-Kommission jedoch sehr beliebt und deshalb schlägt die Kommission dies jetzt vor.

Doch wie wahrscheinlich ist es, dass die Nullgewichtung beendet und dies eine Mehrheit im EU-Parlament und im Europäischen Rat finden wird? Die Wahrscheinlichkeit ist Null. Was würde denn passieren, wenn Banken regulatorisch angehalten würden, Staatsanleihen nach ihrem tatsächlichen Risiko in ihren Bilanzen zu gewichten? Die Zinsen innerhalb des Euroraumes würden wieder auseinanderfallen. Spanien, Portugal und Italien hätten Probleme ihre Anleihen an den Markt zu bringen. Deren Banken sichern derzeit zu einem großen Teil die Refinanzierungsfähigkeit des eigenen Staates. Sie hätten gar nicht so viel Eigenkapital, um das Risiko abzubilden. Es würde dem Ansinnen des aus Italien kommenden EZB-Präsidenten Mario Draghi diametral entgegenstehen, der durch die Intervention der EZB in die Anleihenmärkte ja gerade das Auseinanderfallen der Anleihenzinsen verhindern will. Würde dies passieren, dann wären von heute auf morgen alle positiven Konjunktur- und Haushaltsdaten in Spanien und sonst wo Makulatur.

Deshalb ist der angekündigte Regulierungsversuch der Kommission nur weiße Salbe. Er wird nicht kommen. Im Übrigen hilft er auch nicht. Die Strukturprobleme der südlichen Euro-Staaten lassen sich nicht durch diese Art der Regulierung lösen. Diese Regulierung ist nur Bodennebel. Sie soll suggerieren, man habe das Problem erkannt und jetzt werde gehandelt. Das Schlimme ist, das alles weiß die Kommission auch. Und nicht nur sie, auch die Bundesregierung weiß das. Es ist nur ein großes Schauspiel, das beide Seiten aufführen. Was die Schauspieler scheuen, ist die beste Regulierung: Die Haftung für eigenes Handeln durch Übernahme von Verantwortung. Daran fehlt es nicht nur bei den Banken, sondern auch in der Politik.

Photo: tommy@chau from Flickr (CC BY 2.0)

Von Dr. Titus Gebel, Unternehmer, Mitgründer der Deutsche Rohstoff AG.

Europas große Stärke war immer seine Vielfalt. Alle Versuche in der Geschichte, den Kontinent unter eine einheitliche Herrschaft zu bringen, sind letztlich gescheitert. Derzeit versucht es die EU und das Ergebnis wird dasselbe sein. Denn ab einem gewissen Umfang ist eine weitere Vereinheitlichung schlichtweg eine totalitäre Gleichschaltung, die Widerstand hervorruft. Den Vorteilen, die Einheitslösungen haben, stehen mannigfaltige Nachteile gegenüber. Der größte ist die Ausschaltung von Wettbewerb und von Alternativlösungen. Auch das angeblich so wichtige Subsidiaritätsprinzip ist mit einer größtmöglichen Vereinheitlichung, wie sie die EU unter dem Schlagwort „Harmonisierung“ betreibt, nicht vereinbar. Vereinheitlichung erfordert immer Zentralisierung.

Wir haben während der letzten 200 Jahre die bisher größte Steigerung von Lebensqualität und Wohlstand in der Menschheitsgeschichte erlebt. Gleichzeitig wurde vor allem in den letzten Jahrzehnten der Hunger in fast allen Weltgegenden besiegt, und das bei starkem Bevölkerungswachstum. Das gelang aufgrund von technologischem Fortschritt. Dieser wiederum konnte sich nur vor dem Hintergrund funktionierender Märkte und damit von funktionierendem Wettbewerb entfalten. Der Druck, mit anderen Produkten oder Unternehmen konkurrieren zu müssen, hat dazu geführt, stetig besser und innovativer zu werden. Diese Dynamik ist ungebrochen. Kaum jemand kennt heute noch die großen Namen aus der Anfangszeit des Internets, wie etwa den Netscape Navigator oder AOL. Und das ist gerade einmal 20 Jahre her! Innovationen gehen zunehmend schneller und ermöglichen heute selbst armen Menschen Dinge, die noch vor wenigen Jahrzehnten nicht einmal Staatsoberhäuptern oder Milliardären zugänglich waren.

Wettbewerb der Systeme erneuern

Im Hinblick auf die Modelle unseres Zusammenlebens sieht es leider anders aus. Praktisch alle Staaten funktionieren nach demgleichen System, das aus vergangenen Jahrhunderten stammt: eine (durch Erbfolge, Putsch oder Wahl) an die Macht gelangte Gruppe von Auserwählten bestimmt die Geschicke aller. Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren findet zwischen staatlichen Modellen kaum statt. Das gilt vor allem, seit vornehmlich das westliche Staatenkartell Druck auf kleinere Staaten ausübt und internationale Vereinbarungen forciert, um einen Steuer- oder Systemwettbewerb möglichst auszuschließen. Das kommunistische Modell ist zwar seit dem Zerfall der Sowjetunion im „Staatsmarkt“ praktisch nicht mehr vertreten, aber auch dieser Prozess hat über 70 Jahre gedauert. Und genau hier liegt das Problem: es besteht in diesem Markt nur die Möglichkeit, über Revolution oder Sezession ein neues „Produkt“ einzuführen. Damit ist es nicht nur extrem schwierig, in den Markt überhaupt einzudringen. Erkenntnisgewinne über die Eignung von Staatsformen bzw. von gesellschaftlichen Grundentscheidungen dauern Generationen, sie sind zu Lebzeiten der Betroffenen oft überhaupt nicht feststellbar. Auch in demokratischen Staaten fehlt durchgehend ein Ventil für Minderheiten, Gegenmodelle zu installieren, welche sich später möglicherweise als überlegen herausstellen.

Anders im Produkt- und Dienstleistungsmarkt. Hier können Startup-Unternehmen etablierte Wettbewerber mit neuen Produkten herausfordern. Das gilt auch und gerade dann, wenn die Mehrheits- und Expertenmeinung solchen Produkten zunächst keinerlei Erfolgsaussichten einräumt. Diesen etablierten und gut funktionierenden Mechanismus kann man nun folgendermaßen auf den „Staatsmarkt“ übertragen: Innerhalb bestehender Staatsgebiete werden Gebiete geschaffen, in denen wirtschaftlich und politisch abweichende Regeln gelten dürfen. Dies geht über die Schaffung von klassischen Sonderwirtschaftszonen mit Freihandel und Steuererleichterungen hinaus, daher erscheint der Name „Sonderzone“ hierfür angebracht. Es liegt auf der Hand, dass ein einziger großer europäischer Einheitsstaat, der alle Regeln „harmonisch“(= einheitlich) handhabt, sich immer für einen bestimmten Weg entscheiden muss, der erst nach Jahren oder Jahrzehnten ggf. korrigiert werden kann. Eine mögliche Weiterentwicklung wird dadurch gelähmt, wenn nicht verhindert. Anders sieht es aus, wenn versuchsweise Sonderzonen eingerichtet werden, in denen gleichzeitig abweichende Modelle ausprobiert werden können. Diese stehen im Wettbewerb sowohl untereinander als auch mit den EU-Staaten, welche ihr altes Regelungsregime beibehalten.

Ein Vorbild kann dabei China sein. Dessen Führung unter Deng Xiaoping hatte seinerzeit Schlüsse aus der Erkenntnis gezogen, dass Hongkong dem rotchinesischen Modell offensichtlich überlegen war. Das betraf insbesondere das Bestehen freier Märkte und das Recht, Privateigentum zu erwerben, auch an Produktionsmitteln. Hongkong-ähnliche Systeme wurden zunächst in einzelnen Sonderwirtschaftszonen ausprobiert, etwa in Shenzhen seit 1980. Diese waren ersichtlich erfolgreich: Shenzhens Einwohnerzahl wuchs von ursprünglich dreißigtausend binnen zwanzig Jahren auf sieben Millionen. Schließlich wurde das System freier Märkte auf das ganze Land ausgedehnt. Heute muss niemand mehr hungern in China. Vorher schon. Dubai ist ein weiteres instruktives Beispiel. Dubai hat – mit großem Erfolg – innerhalb seins Territoriums spezielle Zonen geschaffen, in denen nicht das lokale, sondern englisches Recht gilt. Das hat viele Unternehmen angelockt, die vor allem an Stabilität und Berechenbarkeit der Rahmenbedingungen interessiert sind.

Die EU hat das Ziel, der wettbewerbsstärkste Wirtschaftsraum der Welt zu werden. Bisher ist dieses ehrgeizige Vorhaben auf ganzer Linie gescheitert. Die Wachstumsraten der meisten EU-Staaten liegen zwischen null und einem Prozent (wenn überhaupt), begleitet von überbordender Staatsverschuldung und Massenarbeitslosigkeit. Auch von daher wäre es an der Zeit, einfach mal etwas Neues auszuprobieren, ohne dadurch die Gesamtordnung zu destabilisieren. Es könnte doch z.B. sein, dass die stetig wachsende Regulierungslawine der EU ein Grund, wenn nicht sogar der Grund für die schwache wirtschaftliche Verfassung der Union ist. Auch der klügste Professor wird das weder zwingend widerlegen noch belegen können. Wir müssen es daher ausprobieren, und das geht nur mittels Versuch und Irrtum.

Teilnahme strikt freiwillig

Um niemanden etwas aufzuzwingen, das er nicht will, sollten diese Zonen möglichst in schwach oder gar nicht bevölkerten Gebieten eingerichtet werden, wie es sie in Deutschland z.B. in Mecklenburg-Vorpommern gibt. Sie werden ausschließlich von Freiwilligen besiedelt, die sich mit den dort geltenden Regeln identifizieren können. Wem die dortigen Ideen nicht gefallen, der bleibt einfach weg bzw. geht in eine Sonderzone, die ihm besser zusagt. So kann jeder –auch außerhalb der Zonen- beobachten, welche Modelle funktionieren und welche nicht. Möglicherweise funktionieren auch alle auf ihre eigene Art und Weise. Auch dadurch würde etwas gewonnen, nämlich die Erkenntnis, dass die Menschen verschieden sind und daher auch verschiedenartiger Gemeinwesen bedürfen.

So könnten in einer Sozialversicherungs-Sonderzone neue Modelle der sozialen Sicherung erprobt werden, etwa eine rein kapitalgedeckte Rentenversicherung mit Anbieterwahlrecht nach chilenisch-australischem Vorbild. Die Krankenversicherung könnte daneben nach dem Muster von Singapur organisiert sein, nämlich lediglich mit einer Basispflichtversicherung entsprechend der Kfz-Haftpflicht. Für darüber hinausgehenden Leistungen entscheidet jeder selbst, ob er eine Versicherung abschließen will oder nicht.

Weiter wäre denkbar, dass in einer Innovations-Sonderzone neue Produkte grundsätzlich ohne Genehmigungsverfahren zugelassen sind. Selbstfahrende oder gar fliegende Autos wären Teil des täglichen Lebens, neuartige Dienstleister wie Uber oder Airbnb nicht verboten sondern eine Selbstverständlichkeit. Neue Medikamente und Behandlungsmethoden wären jedem zugänglich, der diese in Kenntnis des möglichen Risikos testen will. Gesundheitsgrenzwerte gälten nur für wirkliche Toxizität und auf wissenschaftlicher Grundlage, anders als in der EU, wo (z.T. absurde) Grenzwerte willkürlich von Politikern festgelegt werden, die sich davon Beifall versprechen.

In einer Freiheits-Sonderzone könnte das Ideal des mündigen Bürgers wieder aufleben, der ohne staatliche Aufsicht über seine Angelegenheiten entscheidet. Dort würde volle Meinungs- und Vertragsfreiheit herrschen. Man dürfte z.B. eine negative Meinung über eine bestimmte Religion offen kundtun, ohne dafür wegen „Rassismus“ oder „Volksverhetzung“ angeklagt zu werden. Es gäbe gar keinen Volksverhetzungsparagraphen. Auch keine Antidiskriminierungsgesetze. Zigaretten würden wieder ohne hässliche Warnhinweise gehandelt und beworben. Man könnte leistungsstarke Staubsauger und Duschköpfe erwerben. Glühbirnen sowieso.

In Einwanderungs-Sonderzonen könnte die aktuelle Flüchtlingsproblematik angegangen werden. Wer schlecht ausgebildet ist und die Sprache des Aufnahmelandes nicht oder nur schwach beherrscht, ist zur Sicherung seines Lebensunterhalts auf den Niedriglohnsektor angewiesen. Wo staatlich festgesetzte Mindestlöhne die Schaffung solcher Jobs verhindern, ist keine Integration möglich. Nicht einmal Billigunterkünfte können derzeit für die Unterbringung der zahlreichen Flüchtlinge in Deutschland errichtet werden, weil die strengen Dämm- und sonstigen Vorschriften entgegenstehen bzw. den Bau exorbitant verteuern. All das wäre in diesen Sonderzonen nicht der Fall, weil der uferlose Regulierungsmehltau der EU weitgehend außer Kraft gesetzt wäre. Arbeits- und integrationswillige Menschen, welche sich verpflichten, die Regeln der Sonderzone zu beachten, sind willkommen (um gewisse Obergrenzen wird man freilich schon aus Platzgründen nicht herumkommen). Auch für Ungelernte gibt es dort – mangels Mindestlohnvorschriften – Verwendung. Günstige Produkte können aus der ganzen Welt eingeführt werden, weil Freihandel herrscht und es keine Zölle gibt. Die Sonderzone macht ihre Einwanderungsregeln selbst. Sie kann jeden, der kriminell wird oder z.B. den Vorrang der Scharia vor den Regeln der Sonderzone propagiert, ohne viel Federlesens wieder hinauswerfen. Allein dies würde eine Positivauslese bewirken.

Die Sonderzonen verwalten sich idealerweise selbst, direktdemokratisch oder durch eine gewählte Vertretung oder auf ganz andere, bisher nicht bekannte Art und Weise. Man könnte sogar soweit gehen, die Verwaltung dieser Zonen, wie in manchen Freihäfen, privaten Unternehmen zu übertragen. Diese Unternehmen stellen Regeln auf, die in der Zone gelten. Wem das nicht gefällt, der geht nicht hin, die anderen können sich auf dieser Basis in der Zone ansiedeln und erhalten z.B. eine vertraglich gesicherte Rechtsposition. Bei Streitigkeiten mit dem Betreiberunternehmen entscheidet ein unabhängiges Schiedsgericht.

Recht auf ein selbstbestimmtes Leben

In welchen Bereichen und in welchem Ausmaß die Sonderzonen unabhängig sind, ist letztlich Verhandlungssache. Es hängt wesentlich von der Bereitschaft der Machthaber in den Nationalstaaten und der EU ab, alternative Modelle zuzulassen. Die Sonderzonen müssen aber über innere Autonomie verfügen, also ihre eigenen Angelegenheiten selbst regeln dürfen, sonst macht der Ansatz keinen Sinn. Kontraproduktiv wäre, die Einräumung solcher Sonderzonen von langen Forderungskatalogen abhängig zu machen, welche vermeintlich unabdingbaren europäischen Standards oder Regeln auf jeden Fall eingehalten werden müssen usw. Es geht hier ja gerade darum, abweichende Modelle auszuprobieren. Da die Teilnahme in jedem Fall freiwillig ist, müssen die Sonderzonen lediglich ein jederzeitiges Austrittsrecht für jeden Siedler zwingend einräumen (unbedingte Exit-Befugnis). Wer von der Sonderzone enttäuscht ist, kann diese wieder verlassen. Sei es, weil sie nicht hält was sich der Betreffende davon versprochen hat oder weil er spätere Entscheidungen der Verwaltung oder der gewählten Vertretung ablehnt. Allein der Wettbewerb wird dafür sorgen, dass die besten Sonderzonen Erfolg haben und die anderen wieder verschwinden. Und: die bisherigen Bewohner der EU müssen ihr Leben nicht ändern, alles bleibt dort beim Alten. Die Geschichte zeigt, dass die Mehrheit am status quo hängt und dessen Beibehaltung Veränderungen vorzieht. Diesem Bedürfnis würde Rechnung getragen. Um an die europäische Tradition der Systemvielfalt anzuknüpfen, aber auch um innerhalb der EU gesellschaftlichen Frieden zu schaffen, empfiehlt sich eine möglichst große Bandbreite zulässiger Regeln. So sollten durchaus auch libertäre, dezidiert linke und rechte Zonen möglich sein. Die Linke z.B. könnte in einer entsprechenden Sonderzone endlich sich und der Welt beweisen, dass Kommunismus/Sozialismus –richtig gemacht – doch funktioniert. Und zwar ohne dass alle anderen darunter zu leiden haben! Aus einer ehemals totalitären Ideologie würde so ein Produktangebot unter vielen.

Wer die Einrichtung solcher Zonen ablehnt, und hier sind vor allem die Mächtigen und Meinungsmacher angesprochen, muss sich fragen lassen, ob es ihm wirklich um das vermeintliche Gemeinwohl geht. Oder hat er nicht einfach nur Angst, dass seine Ideen vom „richtigen“ Zusammenleben der Menschen von anderen nicht geteilt werden? Oder schlimmer noch, dass sich die Ideen der anderen letztlich gar als überlegen herausstellen? Es lässt Rückschlüsse zu, wenn man erwachsenen und geschäftsfähigen Menschen untersagt, freiwillig solche Versuche zu unternehmen. Man glaubt, besser als die Betroffenen zu wissen, was gut für diese sei. Das ist die Denkweise vergangener Jahrhunderte. Wer aber den Menschen das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben abspricht, der ist schlicht autoritär, auch wenn er sich selbst „liberal“ oder „demokratisch“ nennt.

Lasst uns damit anfangen, die Einrichtung von Sonderzonen zu fordern.

Photo: Diana Parkhouse from Flickr. (CC BY 2.0)

Als der CSU-Parteitag in München am Samstag begann, stand der Verlierer innerhalb der Christsozialen schon fest. Es war deren Vorsitzender Horst Seehofer. Wohlwollend könnte man sagen, er ist ein Papiertiger, tatsächlich ist er aber eher ein machtpolitisches Weichei. Seit Monaten fordert, droht und widerspricht er seiner eigenen Bundesregierung, doch wenn es zum Schwur kommt, knickt er ein. Schon im Juni widersprach er Bundespräsident Joachim Gauck, als dieser meinte, Flüchtlinge müsse man „großherzig aufnehmen“. Er kündigte „drastische Anpassungen“ in Bayern an. Als die Bundeskanzlerin am 25. August faktisch das Dubliner Abkommen aussetzte, kritisierte er Merkel scharf: „Die Bundeskanzlerin hat sich meiner Überzeugung nach für eine Vision eines anderen Deutschland entschieden.“ Die Situation sei aus den Fugen geraten. Es sei ein Fehler gewesen, schob der Ingolstädter nach. Und nun? Außer Spesen nichts gewesen!

Die Kritik Seehofers an Merkel ist durchaus berechtigt. Der Schengen-Raum mit seine Personenfreizügigkeit ist eine große Errungenschaft der europäischen Einigung. Sie ist ein Freiheitsrecht von unschätzbarem Wert. Sie macht Europa durch den Einzelnen erlebbar. Sie kann aber nur bestehen, wenn die Außengrenzen des Schengen-Raums gesichert und eine unkontrollierte Zuwanderung verhindert wird. Sie kann nur dann weiter bestehen, wenn die Prüfung und Registrierung der Flüchtlinge an den Außengrenzen der EU erfolgt und gleichzeitig einheitliche Standards bei der Asylgewährung und dem Bleiberecht für Flüchtlinge gewährleistet werden.

Merkel hat den Rechtsbruch vieler Schengen-Staaten, die ihre Außengrenzen nicht ausreichend gesichert haben, durch einen fast handstreichartigen Rechtsbruch innerhalb des Schengen-Raums noch getoppt. Die Einladung Merkels an die Flüchtlinge an der ungarischen Grenze war eine fatale Fehlentscheidung. Sie war weder rechtlich noch humanitär geboten.

Rechtlich verstieß ihr einseitiges Vorgehen mindestens gegen den Geist des Dubliner Abkommens, und humanitär hätte die deutsche Regierung vor Ort an der Grenze in Ungarn helfen können. Dort hätten die Menschen registriert und ein Verfahren durchlaufen müssen. Eine verantwortungsvolle Bundesregierung hätte der ungarischen Regierung personelle und finanzielle Unterstützung angeboten, aber nicht den eigenen Rechtsstaat ausgehebelt.

Flüchtlinge verhalten sich rational. Sie gehen in das Land, das ihnen die beste Perspektive bietet, dauerhaft zu bleiben. Allein unser individuelles Asylrecht und die dadurch lange Bearbeitungsdauern erhöhen diese Chancen gegenüber anderen Schengen-Ländern. Seit Ende August ist das Dubliner Abkommen nur noch Makulatur. Jetzt droht der Rückfall in die Nationalstaatlichkeit und in die flächendeckende Einführung von Grenzkontrollen. Dann ist der Schengen-Raum endgültig am Ende.

Diese Entwicklung kann Merkel nur noch schwer heilen. Selbst wenn sie jetzt eine Regelung mit der Türkei erzielt, dass dort die Grenzen besser gesichert werden: Allein der Umstand, dass die Regierung in Berlin den Überblick verloren hat, wie viele Flüchtlinge und wer zu uns kommt, ist bereits ihr Offenbarungseid. Man stelle sich diese Situation in Zeiten einer rot-grünen Bundesregierung vor. Die Union hätte den Regierungs­chef als Versager dargestellt.

Und jetzt macht die CSU in der Regierung diesen Schlamassel weiter mit, anstatt die Regierung zu verlassen. Deshalb kann Seehofer auf dem Parteitag eine noch so schmissige Rede halten. Am Ende gilt: Hinten sind die Enten fett. Wer die Lippen spitzt, muss auch pfeifen.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Fuldaer Zeitung am 21.11. 2015.

Photo: Christopher L. from Flickr. (CC BY 2.0)

Von Robert Nef, Stiftungsratsmitglied des Liberalen Instituts der Schweiz, Zürich.

Die EU beruht auf einem veralteten, territorialen, etatistischen und korporatistischen Konzept, dessen Ursprünge in die Nachkriegszeit und in die Zeit des Kalten Krieges zurückreichen. Sie verfolgt explizit und implizit sechs Hauptziele: Friedens- und Verteidigungsunion, aussenpolitische Union, Wirtschafts-, Währungs-, Fiskal- und Sozialunion. Von den sechs Zielen sind aus liberaler Sicht lediglich das erste und dritte — und von diesem auch nur die Deregulierung, nicht aber die Harmonisierung und das organisierte Zusammenwirken von Lobbyisten und EU-Bürokratie (Crony Capitalism) — interessant. Die andern vier gefährden nicht nur die nationale Eigenständigkeit der Mitglieder, sondern grundlegende liberale Werte. Aufgrund der allzu ambitiösen Ziele hat die EU unabsehbare zentralistische Entwicklungstendenzen. Und weil wichtige Mitgliedsländer derzeit in Finanznöten stecken, übt sie deswegen zunehmend Druck auf die Schweiz aus.

Die EU ist von ihrer Entstehungsgeschichte und von ihren Strukturen her ein Versuch, die Krisen des national strukturierten, sozialdemokratischen Industriezeitalters auf supranationaler bzw. kontinentaler Ebene zu überwinden. Eigentlich werden aber die durch eine allgemeinverbindliche demokratisch legitimierte nationale Gesetzgebung auf den ersten Blick nicht mehr lösbaren Probleme, zum Beispiel in der Währungspolitik, in der Migrationspolitik und in der tickenden Zeitbombe der kollektiven Altersvorsorge, einfach auf die europäische Ebene gehoben. Die grosse Schwäche der EU im Bereich der Legislativen hängt mit der Tatsache zusammen, dass in einem Staatenverbund, der an sich noch weniger zentralistisch sein sollte wie ein Bundesstaat, mit der EU- Kommission eine einzige schlecht legitimierte zentralistische Institution geschaffen wurde, die angeblich die auf den Verfassungsvertrag abgestützten allgemeinverbindlichen Gesetze erlassen soll. Der Streit um die Gewichtung der nationalen Stimmenanteile bei der kollektiven Meinungsbildung lässt nichts Gutes ahnen. Was daraus folgt, ist eine Verstärkung der heutigen Exekutiv- und Richterherrschaft. Dies täuscht darüber hinweg, dass man einem Kontinent einen Zentralstaat aufzwingen will, dessen historisch-politische Strukturen allenfalls eine nach aussen offene Freihandelsassoziation und allenfalls noch einen auf Frieden und gemeinsame Sicherheit ausgerichteten Staatenbund nahelegen. Schon ein Bundesstaat mit einem funktionierenden Zweikammersystem, in dem die Kleinen, Bevölkerungsschwachen gleiche Mitbestimmungsmöglichkeiten hätten wie die Grossen, wäre – anders als in den USA und in der Schweiz – in der EU nicht konsensfähig. Weder die USA noch die Schweiz kennen übrigens die höchst fragewürdige Praxis des zentralstaatlichen „bail out“ eines bankrotten Gliedstaates.

Die EU ist mithin ein rückwärtsgewandtes Projekt, das im strukturkonservativen Denken des Merkantilismus, der korporatistisch gezähmten bzw. gefesselten Marktwirtschaft, des Kalten Krieges und des entmündigenden Daseinsvorsorgestaates verhaftet geblieben ist und das für die globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts schlecht gerüstet ist. Die Europäer stehen vor der Wahl, ob sie durch noch mehr Regulierung, Zentralisierung, Umverteilung und Harmonisierung eine Legitimitätskrise und eine Vollzugskrise ansteuern wollen, oder ob sie noch rechtzeitig den Aufbruch wagen zu offenen Strukturen, in denen autonome Zivilgesellschaften mit kleinen, eigenständigen, schlanken und kostengünstigen politischen Strukturen und in grundsätzlich benutzerfinanzierten oder privatisierten Infrastrukturen friedlich konkurrieren und kooperieren, um unter vielfältigen Lösungen die jeweils adäquateste zu ermitteln und kontinuierlich zu adaptieren.

Mit dieser durchaus in der bürgerlichen Tradition verankerten Option hat die europäische Idee Zukunft. Die Europäer müssen ihre Vielfalt wahren und pflegen und den Weg zu einer neuen EFTA im ursprünglichen Sinn einer – New European Free Trade Association = NEFTA – beschreiten, einer nach innen und aussen offenen Gemeinschaft in der die Mitglieder hohe Autonomie geniessen. Aus diesem Grund sollten wir Europäer die Ambitionen der politisch-administrativen nationalstaats-ähnlichen Megastruktur und allfällige Weltmachtträume hinter uns lassen. Europa braucht enge und flexible wirtschaftliche und kulturelle Kontakte auf der Basis des fremdherrschaftsfreien Tauschs. Europa braucht auch jenen Frieden, den es im Lauf der Jahrhunderte immer wieder selbst zerstört hat. Als Basis einer gemeinsamen Sicherheitspolitik genügt ein robustes Friedensbündnis gestützt auf nationale Streitkräfte, welche die Defensive sicherstellen und interne und allenfalls gegenseitig wieder aufflammende Aggressionsgelüste im Keim ersticken können und auf international vernetzten aber grundsätzlich autonom funktionierenden Geheimdiensten zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität.

Anstelle des unlesbaren Verfassungsvertrags von Lissabon wäre ein kurzes Dokument wie die Magna Charta Libertatum oder der Bundesbrief der alten Eidgenossen in Erwägung zu ziehen. Freihandel entsteht nicht durch neue komplizierte bilaterale und multilaterale Regeln, sondern durch den von den Beteiligten selbstbestimmten, im eigenen Interesse offerierten und vollzogenen schrittweisen Abbau bestehender Schranken.