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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Kevin Spur, Student der Ökonomie an der Freien Universität Berlin.

Die Politik von Mario Draghi und der EZB hat die Märkte während der Eurokrise stabilisiert und Unternehmens- und Bankinsolvenzen reduziert beziehungsweise vermieden. Doch man sollte dies nicht leichtfertig als Erfolg feiern. Hohe Summen sind in nicht überlebensfähige Zombiefirmen geflossen. Dieses Geld hätte man weit produktiver einsetzen können.

Als die Zinssätze auf Staatsanleihen strauchelnder Regierungen im Euroraum bis zum Sommer 2012 enorm stiegen, kündigte EZB-Präsident Mario Draghi am 26. Juli 2012 an, dass die EZB „innerhalb ihres Mandats alles Erforderliche tun [werde], um den Euro zu erhalten“. Das bis heute ungenutzte OMT-Programm war geboren, das einen unbegrenzten Ankauf europäischer Staatsanleihen am Sekundärmarkt ermöglicht. Die Ankündigung ließ den Kurs von Staatsanleihen steigen. Auch Banken hielten diese Staatsanleihen und wurden so indirekt rekapitalisiert. Sie konnten wieder mehr Kredite vergeben. Statt an profitable Firmen gingen viele dieser Kredite jedoch an unprofitable und im Grunde kreditunwürdige Unternehmen. Sichtbar mag das OMT-Programm die Teilnehmer an den Finanzmärkten beruhigt haben, unsichtbar hat es jedoch die Finanzierung lukrativer Firmen erschwert, Investitionen gehemmt und somit das Wachstum geschwächt.

„Whatever it takes“

Im Juni 2012 befanden sich die Refinanzierungskosten für die Regierungen Griechenlands, Irlands, Italiens, Portugals und Spaniens (GIIPS) auf einem Höhepunkt: Der Zinssatz auf 10-jährige griechische Staatsanleihen betrug beispielsweise etwa 28 %. Investoren verloren nicht nur das Vertrauen in die Regierungen, sondern auch in die Banken der GIIPS-Staaten, die viele Staatsanleihen ihrer jeweiligen Regierung hielten und unter deren Kursrückgang litten. Speziell an kleine und mittlere Unternehmen vergaben Banken angesichts ihrer eigenen schwachen Eigenkapitalausstattung kaum noch Kredite.

 

Die Ankündigung Mario Draghis, dass die EZB „alles Erforderliche tun [werde], um den Euro zu erhalten“, spätestens jedoch der Beschluss des OMT-Programms am 6. September 2012, machte die Staatsanleihen strauchelnder Staaten wieder attraktiver. Anschließend schätzten die Marktteilnehmer das Risiko eines Zahlungsausfalls als deutlich niedriger ein. Seitdem vertrauen die Marktteilnehmer darauf, dass die EZB im Notfall die Staatsanleihen eines schlingernden Staates kaufen wird. Das Bankensystem der Eurozone wurde so kurzfristig stabilisiert. Anscheinend verbesserte die Ankündigung Draghis kurzfristig auch den Zugang zu Krediten für Firmen in den GIIPS-Staaten.

Künstliche Beatmung von Zombie-Firmen

Ökonom Viral Acharya von der New York University und weitere Autoren finden ebenfalls Hinweise darauf, dass die OMT-Ankündigung der EZB den europäischen Bankensektor stabilisierte und die teilweise rekapitalisierten Banken wieder mehr Kredite vergaben. Aber welche Unternehmen profitierten durch zusätzliche Bankkredite vom Kursanstieg der GIIPS-Staatsanleihen? Acharya und seine Kollegen präsentieren überzeugende Hinweise darauf, dass Banken mehr Kredite an Unternehmen mit schlechter Bonität vergaben, während sie ihre Kredite an Unternehmen mit guter Bonität nach der OMT-Ankündigung nicht ausweiteten. Gemäß Acharya und seine Mitautoren sind dafür zumindest zum Teil Banken verantwortlich, die nach der OMT-Ankündigung weiterhin schwach kapitalisiert waren und einen Anreiz hatten, Kredite vor allem an sogenannte Zombie-Firmen zu vergeben.

Zombie-Firmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht in der Lage sind, die Zinszahlungen laufender Kredite zu tätigen – von der Tilgung der Darlehen ganz zu schweigen. Durch frische Kredite an Zombie-Firmen kann eine Bank vermeiden, dass bestehende Kredite an Zombie-Firmen als „non-performing“ klassifiziert oder gar abgeschrieben werden müssen. So kann eine Bank durch erneute Kredite an zahlungsunfähige Firmen ihre Eigenkapitalquote künstlich hoch halten und den Anforderungen an ihre eigene Kapitalausstattung genügen.

Laut IWF entfielen im Jahr 2013 in Portugal, Spanien und Italien 50 %, 40 % bzw. 30 % der Schulden auf Firmen, die ihre Zinszahlungen nicht aus ihren Vorsteuereinkünften begleichen konnten.

Profitable Unternehmen: Weniger Investition, weniger Wachstum

Endloskredite an Zombie-Unternehmen haben in den GIIPS-Ländern nicht nur Zombie-Firmen vor der Insolvenz bewahrt, sondern zudem den Anteil an Zombie-Firmen erhöht. Darunter leiden ihre gesunden Wettbewerber ebenso wie die übrigen Mitglieder der Gesellschaft. Zum einen treiben Zombie-Firmen die Kreditnachfrage und damit auch den Zinssatz für kreditwürdige Unternehmen in die Höhe. Zum anderen binden die ineffizienten Zombie-Unternehmen Ressourcen an sich, die andere profitable Unternehmen effizienter eingesetzt hätten. Investitionen und Beschäftigungswachstum profitabler Firmen werden so durch die Kreditvergabe unterkapitalisierter Banken beeinträchtigt.

Ähnliches geschah während der 1990er in Japan, als eine lockere Geldpolitik und Bank-Bailouts der japanischen Regierung immer mehr Zombie-Unternehmen entstehen ließen, wie Ricardo Caballero und andere Ökonomen zeigen.

Die Zerstörung der Schöpferischen Zerstörung

Natürlich ist die Insolvenz für Anteilseigner und Beschäftigte unprofitabler Unternehmen nicht erfreulich – und doch ist sie gesamtgesellschaftlich wünschenswert. Durch ihre Kaufentscheidungen teilen Kunden in Insolvenz geratenen Unternehmen mit, dass sie die Ressourcenverwendung anderer Unternehmen höher wertschätzen. Eine verschwenderische Ressourcenverwendung von Unternehmen wird so in einem Lernprozess des Versuchs und Irrtums minimiert.

Dieser von Joseph Schumpeter beschriebene Prozess der Schöpferischen Zerstörung beschreibt die fortwährende Neukombination von Produktionsfaktoren, durch die Fortschritt ermöglicht wird, während alte und ineffiziente Produktionsstrukturen samt den sie nutzenden Unternehmen verschwinden.

Die Finanzierung von Zombie-Firmen, die zum Teil durch die implizite Preisgarantie der EZB für Anleihen von Staaten der Eurozone ermöglicht wird, verlangsamt den Prozess der Schöpferischen Zerstörung.

OMT-Ankündigung: Sichtbar und unsichtbar

Die OMT-Ankündigung mag das europäische Bankensystem stabilisiert haben. Dieser kurzfristige Effekt war gut sichtbar. Ebenfalls gut sichtbar waren die durch die OMT-Ankündigung vermiedenen Entlassungen. Auf den ersten Blick unsichtbar hingegen sind die verlorenen Innovationen und das nicht erfolgte (Beschäftigungs-)Wachstum, das die Schließung unproduktiver Unternehmen und das stärkere Wachstum effizienterer Unternehmen mit sich gebracht hätten. Dass Draghis „Whatever it takes“ gepaart mit der Ankündigung des OMT-Programms den wirtschaftlichen Aufschwung nach der Krise hemmte und es vermutlich noch heute tut, wird erst bei genauerer Betrachtung sichtbar.

Erstmals veröffentlicht bei IREF.

Photo: Pascal from Flickr (CC 1.0)

Von Prof. Roland Vaubel, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre und Politische Ökonomie an der Universität Mannheim. Von Prof. Vaubel erschien kürzlich das Buch „Das Ende der EUromantik – Neustart jetzt“.

Geld weckt Begehrlichkeiten. Jüngstes Beispiel ist die „Roadmap“ der Kommission zur Umgestaltung des sogenannten „Europäischen Stabilitätsmechanismus“. (In Wirklichkeit ist der ESM ein Destabilisierungsmechanismus, denn die Aussicht auf seine subventionierten Kredite schwächt den Anreiz, Überschuldungskrisen zu vermeiden.) 500 Mrd. Euro sind ein stattliches Kapital. Damit kann man sich viele Wünsche erfüllen. Aber der ESM darf seine verbilligten Kredite nur vergeben, „um die Stabilität des Eurogebiets insgesamt zu wahren“ – und auch das nur unter „strengen Auflagen“ (Art. 136 Z. 3 AEUV). Eine neue Finanzkrise ist für die Eurozone insgesamt nicht in Sicht. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sich Macron, Juncker und die Schäuble-CDU immer neue Vorschläge ausdenken, wie das Kapital des ESM auf andere Weise eingesetzt werden könnte. Mit der Annahme, dass die Mittel des ESM für diese anderen Zwecke zur Verfügung stehen, wird übrigens stillschweigend eingestanden, dass er für seinen ursprünglichen Zweck nicht als Dauerinstitution gebraucht worden wäre.

Der ESM ist nicht nur reich, sondern auch gefährdet. Er könnte leicht wieder abgeschafft werden. Er beruht nicht auf EU-Recht, sondern auf einem eigenständigen völkerrechtlichen Vertrag, der von jedem einzelnen Unterzeichnerstaat mit Hinweis auf die grundlegende Änderung der Umstände gekündigt werden kann. Die FDP zum Beispiel hat in ihrem Wahlprogramm die Forderung aufgestellt, dass „die Ausleihekapazität des ESM kontinuierlich wieder zurückgefahren wird und dieser langfristig ausläuft“. Für die Europapolitiker geht es daher nicht nur darum, die Mittel des ESM stärker auszuschöpfen, sondern zunächst einmal zu verhindern, dass er wieder abgeschafft wird.

Um das Überleben des ESM zu sichern, verfolgen seine Anhänger zwei verschiedene Strategien. Die erste besteht darin, den ESM in EU-Recht zu überführen. Wenn das durchkäme, wäre es nicht mehr möglich, den ESM zu verlassen, ohne aus der EU auszutreten. Das ist die Strategie von Juncker und Macron. Dagegen ist die Schäuble-CDU. Schäuble verfolgt die zweite Strategie. Auch er möchte den ESM – sein Werk – vor der Abschaffung bewahren. Aber wenn der ESM in EU-Recht überführt würde, bestünde die Gefahr, dass Deutschland überstimmt werden könnte. Die Kommission schlägt das zwar in diesem Fall nicht vor, aber normalerweise wird im EU-Recht mit (qualifizierter) Mehrheit entschieden. Außerdem soll der Ministerrat der 28 ein Vetorecht erhalten. Nach dem ESM-Vertrag besitzt der deutsche Finanzminister im Gouverneursrat ein Vetorecht. Anstatt den ESM in EU-Recht zu überführen, will die Schäuble-CDU sein Überleben sichern, indem sie  ihm wichtige zusätzliche Kompetenzen überträgt, die ihn für alle Zeiten unentbehrlich machen. Konkret geht es um zwei Zuständigkeiten:

  1. Der ESM soll anstelle der sogenannten Troika aus Kommission, EZB und IWF darüber wachen, dass die Empfänger der ESM-Kredite ihre wirtschaftspolitischen Auflagen einhalten.
  2. Der ESM soll anstelle der Kommission dafür zuständig sein, die Haushaltspolitik aller Euro-Staaten zu überwachen.

Diese Vorschläge laufen den Interessen der Kommission zuwider. Sie will nicht Kompetenzen abgeben, sondern neue hinzugewinnen. Deshalb möchte sie ja den ESM in EU-Recht überführen. Auf diese Weise könnte sie sich – wie sie ausdrücklich erwähnt – vielfältige neue Mitwirkungsrechte verschaffen. Aber das ist keine Begründung, die bei den Mitgliedstaaten verfängt. Um die anderen Mitgliedstaaten gegen Schäuble-Deutschland zu mobilisieren, muss die EU-Kommission für den ESM Verwendungszwecke vorschlagen, an denen Frankreich und seinen Bundesgenossen gelegen ist. Das hat sie am 6. Dezember getan. Konkret geht es um zwei Verwendungen:

  1. Der ESM soll seine billigen Kredite auch an den Bankenabwicklungsfonds der Eurozone vergeben dürfen. Da freuen sich die Länder, die die marodesten Banken haben: Italien, Spanien und natürlich Griechenland und Zypern.
  2. Der ESM soll – wenn auch nicht sofort – bei asymmetrischen makroökonomischen Schocks verbilligte Kredite zur Finanzierung von Investitionen vergeben. Für die Finanzierung von Investitionen gibt es aber bereits europäische Institutionen: die Europäische Investitionsbank und den sogenannten Juncker-Fonds. Außerdem betreffen asymmetrische makroökonomische Schocks per definitionem nicht die Stabilität des Euroraums insgesamt.

Die Kommission sieht weitere Verwendungszwecke vor: „The proposal refers to the possibility for the European Monetary Fund to develop new financial instruments. Over time, such instruments could supplement or support other financial instruments and programmes“. Dabei ist vor allem an zwei weitere Vorschläge aus dem Nikolaus-Paket der Kommission zu denken:

  1. Mitgliedstaaten, die wichtige Wirtschaftsreformen durchführen, sollen spezielle Finanzhilfen erhalten. Das ist für Macron und die Mittelmeerländer attraktiv. Auch Angela Merkel ist dafür. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte meint dagegen: „Wir in den Niederlanden haben ohne jede ausländische Hilfe zahlreiche Reformen ergriffen – und jetzt sollen wir denen, die Reformen unterlassen haben, dafür Geld geben?“
  2. Länder, die der Währungsunion beitreten wollen, sollen stärker gefördert werden. Dabei handelt es sich zurzeit um Kroatien, Bulgarien und Rumänien. Die Kommission wirbt also auch in Osteuropa um Unterstützung.

Wie schneiden im Vergleich Schäubles Vorschläge ab? Wenn in Zukunft nicht mehr die Troika, sondern der ESM dafür zuständig wäre, die Einhaltung der wirtschaftspolitischen Auflagen zu überwachen, hätten die Schuldnerländer noch leichteres Spiel. Denn das ESM-Personal ist nicht daran interessiert, Kreditprogramme wegen Nichterfüllung der Auflagen abzubrechen. Die ESM-Beamten wollen möglichst viele Kredite vergeben, denn über ihre Zinsmarge erzielen sie die Einkünfte, die sie zur Finanzierung ihrer Gehälter und sonstigen Ausgaben benötigen. Außerdem ist die Kreditvergabe ein Weg, Macht auszuüben und Prestige zu gewinnen. Dieses Anreizproblem ist aus der Geschichte des Internationalen Währungsfonds sattsam bekannt. Zwar hat der IWF zum Beispiel im Zeitraum 1991-2012 insgesamt 41 Kreditprogramme wegen Nichterfüllung der Auflagen abgebrochen, aber auf dreißig dieser Programme folgte innerhalb eines Jahres das nächste Programm (Urbaczka, Vaubel, Cato Journal 2013). Schäubles Vorschlag müsste daher bei den Schuldnerstaaten gut ankommen. Er ist nicht im Interesse Deutschlands.

Seinen zweiten Vorschlag hat Schäuble folgendermaßen begründet: „Der ESM würde die Haushaltsentwürfe nicht politisch, sondern streng nach den Regeln beurteilen“ (Stuttgarter Zeitung, 15.10.16). Das hören die deutschen Wähler gerne, aber es ist falsch. Der Gouverneursrat des ESM besteht aus den Finanzministern der Euro-Staaten – also den Politikern, die die Haushaltsdefizite höchstpersönlich zu verantworten haben. Sie haben kein Interesse daran gerügt zu werden oder gar Geldbußen zu zahlen. Ein Finanzminister hackt dem anderen kein Auge aus.  Man würde die Böcke zu Gärtnern machen. Insofern hat auch dieser Vorschlag in den notorischen Defizitländern gute Chancen. Er wird auch von der FDP unterstützt, obwohl doch Kompetenzübertragungen, die auf Dauer angelegt sind, die gewünschte langfristige Abschaffung erheblich erschweren würden. Im deutschen Interesse sind diese Pläne nicht, und die Kommission bekämpft sie.

Aber es gibt auch Punkte, bei denen Kommission und Schäuble übereinstimmen. Um das Überleben des ESM zu sichern, wollen sie den ESM nicht nur – jeder auf seine Weise -umfunktionieren, sondern auch optisch aufwerten. Dazu gehört, dass der ESM einen neuen Namen erhält: „Europäischer Währungsfonds“. Außerdem soll der Vorsitzende des Gouverneursrats zugleich Chef der Eurogruppe sein. Als neuer Vorsitzender der Eurogruppe ist gerade der Portugiese Mario Centeno gewählt worden. Er ist Finanzminister seines Landes und Mitglied der sozialistischen Fraktion. Nach den Vorstellungen der Kommission soll die Eurogruppe einen Vize-Präsidenten der Kommission zu ihrem Vorsitzenden wählen. Dieser soll – einem Vorschlag des französischen Präsidenten folgend – den Titel „Europäischer Finanzminister“ erhalten.

Wer könnte sich dem entgegenstellen?

Photo: Lennart Tange from Flickr (CC BY 2.0)

Von Claus Vogt, Börsenbrief „Krisensicher investieren“.

Die Regeln, welche sich die EU-Länder zur Eindämmung der Staatsverschuldung gegeben haben, sind in den letzten Jahren immer weiter verschärft worden. Einige EU-Länder haben sich hiervon aber nicht sonderlich beeindrucken lassen und setzen ihren Kurs des Schuldenmachens fort. Die EU-Kommission, welche die Einhaltung der Regeln überwacht, hat solche Verstöße mit fragwürdigen Begründungen hingenommen.

Allgemein bekannte Vorgaben zur Begrenzung der Staatsverschuldung sind die Maastricht-Kriterien, die schon seit 1992 gelten und später in die EU-Verträge aufgenommen wurden. Danach darf der staatliche Schuldenstand nicht höher als 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts sein, das jährliche Haushaltsdefizit darf nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandprodukts betragen. Es folgte im Jahr 1997 der Stabilitäts- und Wachstumspakt, der vorsieht, dass das strukturelle Haushaltsdefizit ein Prozent des Bruttoinlandprodukts nicht überschreiten darf.

Auch verpflichteten sich die unterzeichnenden Mitgliedstaaten, bei Überschreitung des Schwellenwerts von 60 Prozent ihren Schuldenstand um jährlich ein Zwanzigstel zurückzuführen. An diese Vorgaben knüpft der sogenannte Fiskalvertrag an, den 25 EU-Mitgliedstaaten im Jahr 2012 beschlossen haben. Er sieht unter anderem vor, dass die EU-Kommission finanzielle Sanktionen gegen hartnäckige Defizitsünder verhängen kann.

Verfahren wegen übermäßiger Defizite

Aufgrund der genannten Regelwerke sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, der EU-Kommission eine Fülle von Daten über ihre finanzielle Situation und insbesondere den Umfang der Verschuldung zur Verfügung zu stellen. Werden die Schwellenwerte überschritten, kann ein Verfahren wegen eines übermäßigen Defizits eingeleitet werden. Gegen fast alle EU-Länder wurden in den letzten Jahren solche Verfahren durchgeführt. Auch die Bundesrepublik Deutschland sah sich in den Jahren 2003 und 2009 entsprechenden Nachfragen ausgesetzt. Die Verfahren gegen Deutschland wurden dann allerding nach einiger Zeit wieder beendet. In jüngster Zeit liefen entsprechende Verfahren gegen Frankreich, Griechenland, Irland, Kroatien, Portugal, Slowenien, Spanien, das Vereinigte Königreich sowie Zypern.

Noch nie gab es Sanktionen gegen einen Schuldensünder

Ob ein Defizitverfahren eingeleitet wird, entscheidet der Ministerrat der EU, also die Finanzminister der Mitgliedstaaten, auf Vorschlag der EU-Kommission. Nach Einleitung eines Verfahrens sind die Schuldensünder verpflichtet, die EU-Kommission fortwährend über die geplanten und ergriffenen Maßnahmen sowie die Entwicklung ihrer Haushalts- und Wirtschaftslage zu unterrichten. Die EU-Kommission überwacht, ob die angekündigten Maßnahmen zur Korrektur der übermäßigen Defizite auch umgesetzt werden. Wurden keine wirksamen Maßnahmen ergriffen, können in letzter Konsequenz finanzielle Sanktionen gegen sparunwillige Mitgliedsländer verhängt, zum Beispiel Zahlungen aus EU-Fonds ausgesetzt werden. Bisher ist es noch in keinem Fall zu Sanktionen der EU gegen säumige Mitgliedstaaten gekommen.

Nur in wenigen EU-Ländern liegt die Gesamtverschuldung unter 60 Prozent

Wie wenig wirksam die komplizierten Regelungen zur Schuldenbegrenzung und die geschilderte Vorgehensweise der EU-Kommission sind, zeigt sich beispielhaft daran, dass die meisten Mitgliedstaaten nach wie vor einen höheren Schuldenstand als 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts aufweisen. Lediglich bei einigen osteuropäischen Mitgliedsländern sowie Luxemburg und Malta liegt die Gesamtverschuldung unter 60 Prozent. Der offizielle Schuldenstand Deutschlands ist in den letzten Jahren zwar stark gesunken, liegt mit derzeit rund 68 Prozent aber immer noch über dem Schwellenwert.

Viel Verständnis der EU-Kommission für den Defizitsünder Frankreich

Die Schuldenstandsquote Frankreichs wird sich nach den Berechnungen der EU-Kommission von 92 Prozent im Jahr 2013 auf 97 Prozent im Jahr 2020 erhöhen. Zu Recht läuft deshalb derzeit ein Defizitverfahren gegen unser Nachbarland. In diesem Verfahren zeigte sich die EU-Kommission bislang ausgesprochen verständnisvoll gegenüber der französischen Schuldenpolitik. Trotz des erwarteten Anstiegs der Gesamtverschuldung und obwohl Frankreich einen Teil der vorgeschriebenen Unterlagen und Daten nicht lieferte, vertrat die EU-Kommission die Auffassung, dass das Land die Anforderungen der geltenden Bestimmungen erfülle. Das Defizit könne in einem ruhigeren Tempo unter den Schwellenwert gebracht werden.

Kein Defizitverfahren gegen Italien trotz enormer Staatsverschuldung

Noch einfacher machte es sich die EU-Kommission in Bezug auf das hochverschuldete Italien. Gegen Italien wurde 2009 ein Defizitverfahren eingeleitet, welches im Jahr 2013 aufgehoben wurde. Im Jahr 2015 führte die Kommission erneut eine Bewertung Italiens durch und kam zu dem Schluss, dass Italien das Schuldenstandskriterium „prima facie“ verletze. Die Schuldenstandsquote Italiens lag seinerzeit bei 133 Prozent. Trotz dieser Zahl kam die EU-Kommission zu dem Ergebnis, dass Italien das Schuldenstandskriterium einhalte. Begründet wurde dies mit der ungünstigen Wirtschaftslage und den angekündigten Strukturreformen. Diese würden sehr positive Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen in Italien haben. Derzeit läuft kein Defizitverfahren gegen Italien.

Kritik an der unterschiedlichen Vorgehensweise der EU-Kommission

Gegen andere Defizitsünder zeigte sich die EU weitaus weniger nachsichtig. In anderen EU-Ländern wurden Sparmaßnahmen nicht nur eingefordert, sondern tatsächlich durchgesetzt. In der Fachwelt wird die unterschiedliche Vorgehensweise der EU-Kommission bei den einzelnen Mitgliedstaaten kritisiert. Die Ermessenspielräume der EU-Kommission in den Defizitverfahren müssten reduziert werden. Die Einhaltung der Regeln müsse zielgenauer und weniger politisch bewertet werden. Gegebenenfalls müsse eine andere Institution als die EU-Kommission in die Bewertung eingeschaltet werden.

Die EU-Kommission will die Schuldenregeln aufweichen

Die geäußerte Kritik scheint der EU-Kommission lästig geworden zu sein. Dieser Tage hat sie die Fachwelt mit einem Vorschlag überrascht, der in eine ganz andere Richtung geht als von den Kritikern gefordert. Nach Presseberichten will Kommissionspräsident Juncker erreichen, dass das Defizitkriterium von drei Prozent künftig als europaweite Gesamtzahl ermittelt wird. Es käme dann deutlich weniger darauf an, dass jeder Mitgliedstaat sein Haushaltsdefizit unter die Marke von drei Prozent des Bruttoinlandprodukts drückt, sondern die Eurozone als Ganzes müsste diesen Wert erreichen. Damit würde ein klarer Anreiz für jedes einzelne Land geschaffen, auf Kosten der anderen über seine Verhältnisse zu leben. Und das möglichst schnell, bevor die Gesamtgrenze erreicht wird.

Überdies möchte die EU-Kommission diejenigen Regelungen nicht mehr anwenden, die sich zu sehr auf den Schuldenstand der Mitgliedsländer konzentrierten. Na toll, kann ich dazu nur sagen, dann muss sich die EU-Kommission keine abenteuerlichen Begründungen mehr ausdenken, wenn sie wichtige Länder trotz hoher Gesamtverschuldung mit Nachsicht behandeln möchte. Man kann nur hoffen, dass die Mitgliedstaaten den Vorschlägen der EU-Kommission eine deutliche Abfuhr erteilen.

Photo: N1K081 from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Gibt es nicht schon genügend Bücher zum und über den Euro und Europa? 2014 habe ich selbst eines geschrieben. Das Thema ist freilich immer noch und wieder sehr aktuell. In dieser Woche hat Jean-Claude Juncker Vorschläge für die Weiterentwicklung der Währungsunion gemacht. Emmanuel Macron hat bereits im September an der Sorbonne-Universität in Paris Reformen vorgeschlagen. ESM-Chef Klaus Regling war zuvor mit von der Partie, er schlug im Sommer einen Schlechtwetterfonds für Krisenstaaten vor, gerade so als ob die Überschuldung eine Naturkatastrophe wäre. Es war eine Vorahnung, dass Prometheus vor dieser Welle zentralistischer Vorschläge bereits im November 2015 Reformvorschläge für die EU gemacht hat. Gemeinsam mit Thomas Mayer, Stefan Kooths und Justus Haucap habe ich im Rahmen unserer Prometheus-Kampagne „Europa der Bürger“ ein Manifest für ein konföderales Europa vorgestellt. Es ist quasi ein Gegenentwurf zum Zentralismus Junckerscher Prägung.

Deshalb ist das neue Buch von Roland Vaubel eine Kaufempfehlung für all diejenigen, die kompakt einen Überblick bekommen wollen, woran es in der Europäischen Union hakt. Vaubel ist einer der besten Kenner der europäischen Politik. Als Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Mannheim gehört er dem Wissenschaftlichen Beirat im Bundeswirtschaftsministerium an und hat im Rahmen der European Constitutional Group bereits 1991 wegweisende Reformvorschläge für die damalige Europäische Gemeinschaft gemacht. Der klassisch liberale Ökonom verfolgt also die Brüsseler Politik schon sehr lange. „Das Ende der EUromatik – Neustart jetzt“ ist daher auch eine sehr kenntnisreiche Zusammenfassung der Entstehungsgeschichte der gemeinsamen Währung. Er beschreibt die Euro-Einführung als einen deutschen Plan, der die gemeinsame Währung als Preis für eine gemeinsame Verteidigungs- und Außenpolitik vorsah. Dieser ursprüngliche Plan wurde im Zuge der Wiedervereinigung auf Druck Frankreichs wieder fallengelassen. Übrig blieb die gemeinsame Währung, die Mitterand zur Bedingung für die Zustimmung Frankreichs zur Wiedervereinigung machte.

Hart ins Gericht geht Vaubel mit den Präsidenten der EZB, insbesondere mit Mario Draghi. Während die EZB in den Europäischen Verträgen politikfern definiert und lediglich der Wahrung der Geldwertstabilität verpflichtet ist, verschoben Draghi und sein Vorgänger Jean-Claude Trichet die EZB immer stärker zu einer politischen Institution ohne jegliche Kontrolle. Vaubel belegt das mit zahlreichen Beispielen und vergleicht diese mit der politikfernen Rolle der früheren Bundesbank. Im Juni 2015 beteiligte sich Draghi am Fünf-Präsidenten-Bericht und forderte darin mehr Kompetenzen für die EU. Man stelle sich einmal vor, der Bundesbankpräsident hätte in den 1980er Jahren gemeinsam mit dem Bundestagspräsidenten und dem Bundeskanzler Vorschläge für einen stärkeren Zentralismus in Deutschland gemacht. Oder der damalige Bundesbankpräsident hätte vorgeschlagen, den 1.000 DM-Schein abzuschaffen, um die Steuerhinterziehung und Bandenkriminalität zu bekämpfen. Oder die Bundesbank hätte sich an der Haushaltskontrolle der überschuldeten Bundesländer Bremen oder Saarland beteiligt, und die Umsetzung von Sparmaßnahmen überwacht. Es wäre unvorstellbar gewesen. All das geschieht aber heutzutage im Namen und in Verantwortung der Europäischen Zentralbank, obwohl Artikel 130 AEUV eindeutig regelt, dass „die Regierungen der Mitgliedsstaaten verpflichtet sind (…) nicht zu versuchen, die Mitglieder der Beschlussorgane der Europäischen Zentralbank oder nationalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinflussen.“ Dies gilt nicht nur von Regierungen hin zur Zentralbank, sondern auch umgekehrt. Es „darf weder die EZB noch eine nationale Zentralbank noch ein Mitglied ihrer Beschlussorgane Weisungen von Entschlussorganen oder Einrichtungen der Union, der Regierungen der Mitgliedsstaaten einholen oder entgegenzunehmen.“

Besonders geht Vaubel richtigerweise auf die kollektiven Rechtsbrüche in der EU ein. Wo nur Mitgliedsstaaten gegen Vertragsverletzungen vorgehen können, aber diese sich in den Vertragsverletzungen einig sind, wird Recht beliebig. Die Mutter dieser kollektiven Rechtsbrüche war der Verstoß gegen die Nichtbeistandsklausel im Mai 2010. Nur Mitgliedsstaaten konnten dagegen klagen, aber keiner tat es. Seitdem kommt immer wieder ans Tageslicht, wie die nationalen Notenbanken durch eigene Liquiditätshilfen und überzogene Anleihenkäufe die Politik der EZB zusätzlich flankieren.

Die wachsende Zentralisierung sieht Vaubel in den Konstruktionsfehlern des institutionellen Aufbaus der EU. Nur die Kommission kann Gesetze vorschlagen. Das „Initiativmonopol für die Gesetzgebung“ erlaubt es der Kommission jede dezentrale Gesetzgebung der EU im Keim zu ersticken. Zum später gescheiterten Verfassungsvertrag der EU schlug 2004 die European Constitutional Group vor, das Initiativrecht von der Kommission im ersten Schritt auf den Rat und langfristig auf das Parlament der Europäischen Union zu verlagern. Auch institutionelle Änderungen bei der Besetzung der Richter des Gerichtshofs der Europäischen Union schlugen die Ökonomen um Roland Vaubel seinerzeit vor, um so die Interessen der Mitgliedsstaaten zu wahren.

Am Schluss des Buches finden sich Vorschläge, wie die Unabhängigkeit der EZB wieder hergestellt werden kann. Hier geht es Vaubel darum, dass die EZB erklärt, dass ihre Vertreter sich künftig aus politischen Gremien der EU fernhalten, und der EZB-Rat künftig darauf verzichtet, den Regierungen wirtschaftspolitische Bedingungen für geldpolitische Entscheidungen zu stellen.

Auch Vertragsänderungen gehören zu seinen Vorschlägen. Der Austritt und der Ausschluss aus dem Euro, ohne die EU verlassen zu müssen, gehören dazu. Interessant ist, dass er dabei auf eine bestehende Analogie in den EU-Verträgen verweist. Im Bereich der „strukturierten“ militärischen Zusammenarbeit (Artikel 46 Abs. 5 EUV) gibt es dieses Austrittsrecht bereits. Dort heißt es: „Wünscht ein teilnehmender Mitgliedsstaat von der ständigen strukturierten Zusammenarbeit Abstand zu nehmen, so teilt er seine Entscheidung dem Rat mit, der zur Kenntnis nimmt, dass die Teilnahme des betreffenden Mitgliedstaats beendet ist.“

Vaubel prognostiziert am Ende seines Buches eine Zunahme der Parteien, die in Frankreich, Italien und Finnland einen Austritt aus der Währungsunion fordern. Die Zunahme hängt seiner Auffassung nach mit dem zu hohen Preisniveau und der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit in diesen Ländern zusammen. Er befürchtet aber, dass Deutschland dem Drängen Frankreichs und Italiens nachgibt, für die Eurozone ein gemeinsames Schatzamt und eine gemeinsame Einlagensicherung zu schaffen. Letztlich würden europäische Institutionen in die Haushaltspläne der Mitgliedsstaaten hineinregieren und das Budgetrecht der nationalen Parlamente weiter aushöhlen. Die aktuellen Reformpläne der Kommission von Mittwoch lassen diese Befürchtungen vielleicht bald Realität werden. Er plädiert in seinem überzeugenden Buch dagegen für einen Neustart. Dem kann man sich nicht deutlich genug anschließen!

Roland Vaubel: Das Ende der EUromantik – Neustart jetzt, Wiesbaden 2018.

Photo: Frerk Meyer from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Bill Wirtz, Policy Analyst für das Consumer Choice Center.

CETA, TTIP, ISDS: In den vergangenen Jahren haben zahlreiche Akronyme die Debatte um die Handelspolitik der Europäischen Union dominiert. Zahlreiche großangelegte Proteste in mehreren europäischen Großstädten gegen die Freihandelsgespräche zwischen der EU und den Vereinigten Staaten oder Kanada fanden in den letzten Jahren statt. Es stellt sich die Frage, wer die Anti-Freihandels-Rhetorik anheizt, die die öffentliche Meinung zu haben scheint. Die Antwort könnte für viele überraschend sein.

Im März dieses Jahres untersuchte der Ausschuss für Haushaltskontrolle des Europäischen Parlaments unter der Verantwortung des deutschen EVP-Berichterstatters Markus Pieper die gesamte Skala des EU-finanzierten Lobbyismus und die damit verbundenen immensen Zuschüsse. Allein im Jahr 2015 hat die Europäische Union insgesamt 1,2 Mrd. EUR an Zuschüssen ausgegeben, um europäische NGOs zu unterstützen, die in EU-Institutionen Lobbyarbeit betreiben.

Im Jahr 2016 veröffentlichte das Europäische Zentrum für Internationale Politische Ökonomie (ECIPE) einen 147-seitigen Bericht über den Aufstieg der Anti-TTIP-Interessengruppen. ECIPE bewertete unter anderem die Zuweisung von EU-Mitteln als weitgehend intransparent. Außerdem warf das ECIPE der europäischen und beschreibt den Abruf von Informationen zu den Bedingungen, zu denen diese Mittel ursprünglich zugewiesen wurden, als “praktisch unmöglich”. Das ECIPE kam zum Schluss: “Es gibt keine Transparenz über EU-Zuschüsse für NGOs und Finanzierungspraktiken.”

Die ECIPE fand auch heraus, dass Anti-TTIP-NGOs, die mehrheitlich sehr vernetzt sind, ihre Kampagnen als sehr ähnlich erscheinen lassen. In der Tat verwenden ein paar Anti-TTIP-Gruppen einfach zu bedienende Online-Tools, um ihre Kampagnen zu harmonisieren. Nur 2,4 Prozent der Antworten auf den Konsultationsprozess der Europäischen Kommission stammten tatsächlich von einzelnen Bürgern, während der Rest weitgehend Aussagen von gut vernetzten NGOs kopierte.

Der Bericht unterstützt auch die Idee, dass es eine klare politische Neigung bei der Verteilung der Finanzierung aus der EU gibt. Die geförderten Gruppen haben TTIP und andere Freihandelsabkommen aus linkslastigen ideologischen Gründen abgelehnt. Die Vorsitzende des EU-finanziertem Transnational Institute, Susan George, Autorin des Buches “Wie man den Klassenkrieg gewinnt” und regelmäßige Mitwirkende des „New Internationalist“ schürte wiederholt mit ihren Publikationen die Furcht und das Misstrauen über Handelsabkommen. Ein Anti-Freihandel, Anti-Industrie-Gruppe wie das Transnational Institute mit Millionen von Euros zu unterstützen, um der europäische Öffentlichkeit Angst vor freiem Handel zu machen, ist zweifellos kurios.

Dies passt auch in das Muster des Umfangs der EU-finanzierten Lobbyarbeit. Da sich die Union durch die Bereitstellung von sehr großen Zuschüssen für die Zivilgesellschaft einsetzt, glaubt sie, dass sie die Zivilgesellschaft stärkt, während sie tatsächlich nur ihre eigene politische Erzählung füttert. Gruppen, die Brüssel mehr Macht wünschen, Beschränkungen von Lebenshaltungsfreiheiten oder sich für mehr Entwicklungshilfe aussprechen, sind in der positiven finanziellen Unterstützung der EU überrepräsentiert.

Die EU ist im Unglauben wenn sie ihr demokratisches Defizit verschwinden zu lassen glaubt, indem sie Aktivisten aus der Zivilgesellschaft unterstützt. Während dieser Prozess die Union partizipativer macht, ist es Teilnahme einiger weniger. Dies betrifft insbesondere die politischen Vorurteile dieser NGOs. Die Organisation NGO Monitor hat mehrere EU-Finanzierungen verurteilt, die “politischer Kriegsführung” gegen Israel betreiben, und nennen den Schwerpunkt der Finanzierung “unverhältnismäßig”. Der Pieper-Bericht forderte daher die Ablehnung der Finanzierung von NGOs, die “Unwahrheiten nachweislich verbreiten und/oder deren Ziele den Grundwerten der Europäischen Union, der Demokratie, der Menschenrechte und/oder der strategischen handels- und sicherheitspolitischen Ziele der Institutionen der Europäischen Union zuwiderlaufen.”

Das Institute of Economic Affairs (IEA) in London beurteilte die Umstände der EU-Bezuschussungen ähnlich wie das ECIPE. Das IEA entdeckte, dass mehrere NGOs kaum existieren könnten, ohne solche Subventionen zu erhalten und bezeichnet sie damit zu Recht als “Marionetten”. So berichtet der Analyst Christopher Snowden:

“Zum Beispiel erhielt Women in Europe for a Common Future im Jahr 2011 einen EU-Zuschuss in Höhe von 1.219.213 € und weitere 135,247 € aus nationalen Regierungen. Diese gesetzliche Finanzierung betrug 93 Prozent des Gesamteinkommens, während private Spenden in Höhe von 2.441 € (0,2 Prozent) und Mitgliedsbeiträge nur 825 € (0,06 Prozent) betrugen.”

Snowdens Bericht deutet auch auf die Homogenität dieser NGOs hin. So verpacken die meisten dieser ihre Ziele unter vagen Bezeichnungen, wie “Nachhaltigkeit”, “soziale Gerechtigkeit”, “Kapazitätsaufbau”, “Grundrechte”, “Vielfalt” und „aktive Staatsbürgerschaft“.

Der Standpunkt der Europäischen Union im Bereich des freien Handels sollte nicht durch umfangreiche Finanzierungen in “progressiven” Gruppen kompromittiert werden, die der europäische Öffentlichkeit Angst machen. Ein offener und transparenter Dialog ist dringend erforderlich in der EU, vor allem in der Frage des Freihandels. Interkontinentaler Freihandel führt zu mehr Wettbewerb und Freiheit für Verbraucher, und ist eine Notwendigkeit für ein modernes Europa.

Erstmals erschienen bei The European.