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Photo: Anna Somoylova from Unsplash (CC 0)

Die Zahl der Privatschulen ist in Deutschland in den letzten 25 Jahren von 3.232 auf 5.839 gestiegen, 9 Prozent aller Schüler besuchen hierzulande solche Schulen. Die Politik sollte einsehen, dass dies ein Misstrauensvotum gegen staatlich organisierte Bildung ist und den Rückzug antreten.

Ungleichheit durch Wettbewerbsverzerrung

DIW, die Zeit und der Spiegel deuten diesen Trend wenig überraschend als Ergebnis zunehmender sozialer Segregation. Und – noch weniger überraschend: die Ebert-Stiftung stellt in einer Studie fest, dass es keinen Unterschied zwischen den schulischen Leistungen an öffentlichen und privaten Schulen gibt. Mit derlei vorgefertigten Urteilen verschließt man sich den möglichen Chancen eines solchen Wandels, der ja immer auch eine Abstimmung mit den Füßen ist. Da Privatschulen in der Regel Schulgeld erheben müssen, nimmt es kaum Wunder, dass vor allem wohlhabendere Akademikereltern ihren Kindern diese Möglichkeit einräumen – können … Aber egal von wem das Signal kommt: es ist und bleibt doch ein klares Zeichen der Unzufriedenheit, dem womöglich auch Menschen in prekäreren Situationen folgen würden, wenn Sie nur könnten.

Privatschulen werden strukturell benachteiligt: Die Jobgarantie einer Verbeamtung, die derzeit wieder fröhliche Urstände feiert, können sie beispielsweise nicht bieten. Auf vielen Gebieten bekommen sie zu spüren, dass sie nur geduldet werden neben dem Normalfall öffentlicher Schulen. Dass dennoch mehr von ihnen entstehen und immer mehr Eltern zusätzliche Kosten auf sich nehmen, sollte Anlass sein zum Umdenken: All die unfairen Wettbewerbsvorteile und Privilegien, die öffentliche Schulen derzeit genießen, sollten zumindest auf den Prüfstand. Faire Wettbewerbsbedingungen würden auch den Druck auf öffentliche Schulen erhöhen, ihre eigenen Konzepte und Arbeitsweise zu überdenken. Diese wiederum würden den Druck an die Ministerien weiterreichen, die dann ihrerseits zu mehr Innovation und möglicherweise auch mehr Flexibilität gezwungen würden.

Private Schulen sind weniger leicht zu steuern

Im Grunde genommen ist die Argumentation von Privatschul-Gegnern paradox, dass sie ein Ausdruck sozialer Segregation seien. Sie sind natürlich das Anzeichen dafür, dass diese Segregation besteht, aber der eigentliche Treiber hinter dieser Spaltung ist die Politik, die durch die Privilegierung für öffentliche Schulen den Zugang zu Privatschulen so verteuert, dass für die weniger Wohlhabenden nur die öffentlichen Schulen bleiben. Was viele dieser Gegner wohl viel mehr stört als das Thema sozialer Segregation ist die Tatsache, dass hier Bildungseinrichtungen entstehen, die sich so weit wie möglich staatlicher Lenkung und Kontrolle entziehen wollen. Die Tatsache, dass Eltern einer privaten Firma, einer religiösen oder weltanschaulichen Vereinigung mehr vertrauen als dem Kultusministerium des entsprechenden Landes schmerzt vor allem diejenigen, die in diesen Ministerien ein Mittel sehen, die Gesellschaft in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Ein Blick über die Grenze kann – wie so oft – nicht schaden: In den Niederlanden besuchen zwei Drittel der Schüler Privatschulen, die vom Staat mit denselben Mitteln ausgestattet werden wie die staatlichen Schulen. Nun sind die Niederlande aber weder für ihre desaströse Bildungssituation bekannt (beim letzten PISA-Ranking gleichauf mit Deutschland auf Platz 13) noch assoziiert man das Land der überbordenden Freundlichkeit und des allgegenwärtigen Du mit einer starken sozialen Segregation.

Privatschulen für die Armen

Wenn man tatsächlich etwas gegen soziale Segregation tun will, müssten die Bundesländer die weniger wohlhabenden Familien aus der babylonischen Gefangenschaft des staatlichen Schulsystems entlassen. Dazu gehört selbstverständlich ein Ende der Lehrer-Verbeamtung. Gleichzeitig könnte man darüber diskutieren, ob man eher an das niederländische System der Finanzierung privater Schulen anknüpft oder das schwedische Modell von Schulgutscheinen übernimmt. Zentral sind vor allem die Gleichstellung und Gleichbehandlung öffentlicher und privater Schulen. Nur unter diesen Umständen sind öffentliche Schulen nicht mehr die einzige Option für Nicht-Akademiker und Geringverdiener.

Die meisten Menschen denken bei Privatschulen an geschniegelte Muttersöhnchen im Polo-Hemd, die zum Sportunterricht auf dem Golfplatz unterwegs sind. Es ist Zeit umzudenken: In Berlin gibt es etwa seit ein paar Jahren eine Privatschule, an der man hauptsächlich Kapuzenpullis und Kopftücher sehen kann. An der Quinoa-Schule im Wedding werden gezielt Kinder aus sozial benachteiligten Umständen unterrichtet. Inmitten des Berliner Schul-Chaos sind nicht nur die altehrwürdigen kirchlichen Gymnasien und die internationalen Schulen Leuchttürme, sondern eben auch ein solches Projekt. Siebzig Jahre hatten die Länder jetzt Zeit, überzeugende Bildungssysteme zu etablieren. Und dennoch steigen die Zahlen der Privatschulen. Vielleicht sollte man mal den Staffelstab weiterreichen an diejenigen, die offenbar mehr überzeugen?

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Weil Bildung eine so zentrale Rolle im Leben des Menschen spielt, ist der Wunsch weit verbreitet, sie für alle möglichst gut zu organisieren. Das Problem ist, dass es sich dabei um höchst individuelle und persönliche Prozesse handelt, bei denen zentrale Fernsteuerung oft mehr schadet als nutzt.

Die Statistik-Illusion

Anna geht auf ein Gymnasium in NRW und Alex auf eines in Thüringen. Unter Berücksichtigung aller Statistiken müsste Anna sehr viel schlechter dran sein als Alex: NRW belegte 2015 den letzten Platz bei Bildungsausgaben und den vorletzten beim Bildungsmonitor, Thüringen hingegen belegt in beiden Kategorien den zweiten Platz. Freilich kommt in diesen Zahlen nicht zum Ausdruck, dass Annas Akademiker-Eltern genug verdienen, um ihr hervorragende Nachhilfe zu bezahlen; dass sie auf einem der ältesten Gymnasien des Landes ist, wo die Lehrer hochmotiviert sind; dass sie zweisprachig aufgewachsen ist und ihre Großmutter früher Physiklehrerin war. Genauso wenig ist in der Statistik zu sehen, dass Alex der erste in seiner Familie ist, der aufs Gymnasium geht; dass viele seiner Lehrer ein Problem mit ihm haben, weil er etliche Piercings im Gesicht hat; dass er sich nachmittags noch um seine Geschwister kümmern muss und dass er Basketball aufgeben musste, seit seine Mutter das Auto verkauft hat.

Das Problem mit Zahlen und Statistiken ist, dass sie nicht einmal ansatzweise konkrete Situationen darzustellen vermögen. Sie dienen natürlich der Orientierung, aber gerade an der so gern beschworenen Chancengleichheit vermögen sie nicht das Geringste zu ändern. Und die wie ein Totem verehrte Vergleichbarkeit wird dadurch erst recht nicht erfasst. Die Noten, die am Ende bei Anna und Alex auf dem Zeugnis stehen werden, hängen nur in sehr geringem Maße von der Ausgestaltung und finanziellen Ausstattung des jeweiligen Schulsystems ab. Schon die Noten von zwei Schülern aus unterschiedlichen Klassen an derselben Schule sind oft alles andere als vergleichbar – keineswegs nur in Fächern wie Deutsch oder Geschichte. Wenn die eine Mathelehrerin ihrem Beruf mit Herzblut nachgeht, während der andere sich vor allem wegen der attraktiven Arbeitszeiten für den Job entschieden hat, kann man nicht im Entferntesten davon reden, dass die Noten der 10a und der 10b vergleichbar seien.

Bildungspolitischer Budenzauber

Was macht eine gute Schule aus? Heerscharen von Politikern, Bildungsforschern, Pädagogen und Eltern haben sich den Kopf darüber zerbrochen. Das Ergebnis war eine Fülle an Experimenten, die hoch angepriesen wurden, von einer Nachfolge-Regierung dann wieder verschämt verscharrt wurden, nur um wenige Jahre später wieder als Innovation ausgebuddelt zu werden: Gesamtschulen, Kollegstufe, Ganztagsschulen, G8, G9, G8, G9, G8,5 … Der etwas undramatischere Lösungsansatz heißt in der Regel Geld. In die Richtung zielt ja auch die projektierte Grundgesetzänderung. Angestrebt wird eine „Investitionsoffensive für Schulen in Deutschland“, deshalb will man „die Möglichkeiten des Bundes zu einer aufgabenbezogenen Mitfinanzierung der Aufgabenwahrnehmung durch die Länder … erweitern“.

Quellen: INSM Bildungsmonitor; Statistisches Bundesamt

Wie das Totem der Vergleichbarkeit umgibt das Versprechen von mehr Investitionen auch eine magische Aura. Oder etwas banaler formuliert: wenn wieder mehr Geld für Bildung versprochen wird, erinnert das manchmal an den Besuch in einer Spielhölle. Und nochmal einen Euro eingeworfen – diesmal muss es klappen. Aber es klimpert nicht, und die Münze ist einfach weg. Man muss nur einmal die Bildungsausgaben der Bundesländer mit ihrem Abschneiden beim Bildungsmonitor vergleichen. Geld scheint weder positive noch negative Effekte zu haben. (So viel zum Thema Mess- und Vergleichbarkeit). Keiner wird sich gegen mehr Geld, neue Tablets oder eine Aufstockung des Betreuungsangebots sträuben. Die Frage ist nur: erreicht man so das erwünschte Ziel? Und daraus ergibt sich automatisch die davor liegende Frage: Was ist denn überhaupt das Ziel?

Nicht Dienst nach Vorschrift, sondern Dienst nach Begeisterung

Das Ziel müsste sein, dass Anna und Alex in ihrer jeweiligen Situation das Beste aus ihrem Leben machen können. Nun sind die beiden ebenso wie die anderen 11 Millionen Schüler in unserem Land sehr unterschiedliche Persönlichkeiten in sehr verschiedenen Umständen. Was sie brauchen, wie man sie am besten fördert, in welchem System sie sich am besten entfalten, kann kein Abgeordneter, kein Kultusminister und kein Schulamt beurteilen. Am ehesten können das noch diejenigen einschätzen, die sie wirklich kennen, also ihre Eltern, und diejenigen, die sie nicht nur kennen, sondern jahrelang dafür ausgebildet wurden, also ihre Lehrer und Schulleiter. An diesen Stellen entscheidet sich, wo die Reise für die jungen Leute hingeht. Die neuesten Tabletts nutzen nichts in der Hand schlechter Lehrer und die besten Turnhallen bringen nichts, wenn sich Pädagogen nicht für ihre Schüler interessieren.

Die Antwort auf die Herausforderung, die jungen Menschen unseres Landes so gut wie möglich für ihr Leben vorzubereiten, ist leider nicht so einfach zu geben. Es ist nicht einfach getan mit Investitionen und Systemveränderungen, auch wenn beides nicht grundsätzlich falsch sein muss. Aber die Fixierung darauf lenkt ab vom Kernproblem. Der entscheidende Punkt muss sein, dass Lehrer und Pädagogen ihre Verantwortung erkennen und wahrnehmen. Je mehr sie dabei durch Politik und Bürokratie gegängelt werden, desto mehr verschwindet auch das persönliche Verantwortungsbewusstsein. Gerade diese Menschen sollten (und wollen oft) nicht Dienst nach Vorschrift machen, sondern Dienst nach Begeisterung.

Verantwortung, wo sie hingehört

Wenn man Bildung, anstatt sie noch mehr zu zentralisieren, viel stärker dezentral gestalten würde, könnte man die Möglichkeiten, jeder Schülerin individuell gerecht zu werden, deutlich erhöhen – und das ist die wahre Chancengleichheit. Schulen müssen möglichst viel Autonomie haben, um sich auf ihre Schüler einstellen zu können und im Zusammenwirken von Pädagogen, Eltern und Schülern die richtigen Methoden zu finden. Es muss Freiraum geben für Experimente und Innovation, Schulleitungen müssen selbst entscheiden können, wie sie finanzielle und personelle Ressourcen am besten einsetzen. Warum sollten wir bildungspolitischen Sprechern und Ministerialbürokraten mehr vertrauen als den Lehrern unserer Kinder?

Es ist auch an der Zeit, sich vom Vergleichbarkeits-Totem zu lösen. Der Wechsel innerhalb derselben Schule in eine Parallelklasse kann dramatischer ablaufen als der zwischen zwei Bundesländern. Nicht nur Pädagogen sollten wir mehr zutrauen, sondern auch den Kindern und Jugendlichen – sie sind oft klüger und auch flexibler als wir meinen. Wir dürfen Bildung nicht als einen schematischen Vorgang denken, wo es nur darauf ankommt, die richtige Schablone zu finden, und sie mit viel Geld festzukleben. Bildung ist ein dynamischer Prozess, der besonders gut in der Kombination aus Freiheit und Verantwortung gedeiht. Die wenigen freien Schulen, die es gibt, zeigen in der Regel eindrucksvoll: dies ist das Umfeld, in dem Schüler und Lehrer gleichermaßen die erstaunlichsten Ergebnisse zeitigen können.

Photo: „dad and son“ by Picturepest from Flickr (CC BY 2.0)

Das Problem an der Bildungspolitik ist die Bildungs-Politik. Erziehung endet nicht mit der Einschulung und kann auch nicht an der Wahlurne stattfinden. Ein Plädoyer für mehr Elternverantwortung.

Die Bildung dominiert die Politik

Es gibt Landtagswahlen, und ganz Deutschland blickt gespannt auf die Trends, die die Wahlen in Hessen und Bayern aussenden. Unabhängig davon, dass die Volksparteien seit Jahrzehnten stetig schrumpfen, scheint jede Wahl ihre eigene Dynamik und vor allem ihre eigenen Themen zu haben. Könnte man meinen. Denn nicht etwa die Migrationspolitik oder die drohende Ausweitung von Fahrverboten für Dieselfahrzeuge sind für die meisten Wähler entscheidend, sondern die Schul- und Bildungspolitik. Umfragen zeigen, dass sowohl in Bayern (52 Prozent) als auch in Hessen (33 Prozent) die Bildung als wichtigstes Kriterium für die Wahlentscheidung gilt. Die Bildungspolitik ist nicht nur wahlentscheidend. Sie kann ganze Landesregierungen zu Fall bringen. Wie jene jene Ole von Beusts in Hamburg, der 2010 nach einem Volksentscheid gegen die schwarz-grüne Schulreform zurücktrat.

Und sie ist wohl die verlässlichste Quelle von Empörung und Streit, egal ob es um G8 geht, um Kitaplätze, um Inklusion oder um das Zentralabitur. All das ist vor allem Symptom einer massiven Überbewertung und Überlastung der Schulen. Sicher, Schulen sind vermutlich diejenigen staatlichen Einrichtungen, in denen wir die meiste Zeit unseres Lebens verbringen – Tendenz steigend. Nichtsdestotrotz wird das Bildungssystem als Institution mit viel zu vielen und vollkommen falschen Erwartungen überladen. Im Idealfall sollten Schulen alle sozialen Unterschiede nivellieren, den Eltern die nervige Erziehung abnehmen und nebenbei noch die Integration hunderttausender minderjähriger Flüchtlinge schaffen. Absurd, oder?

Sind deutsche Schulen wirklich nicht durchlässig?

Stichwort soziale Unterschiede: Als Indiz für die Ineffizienz der deutschen Bildungssysteme wird immer wieder die mangelnde sogenannte soziale Durchlässigkeit genannt. Damit gemeint ist vor allem die Rate von Kindern aus „Nicht-Akademiker-Haushalten“, die das Abitur machen und zur Universität gehen. Ganz abgesehen von der unsäglichen Überbewertung der akademischen Ausbildung, entbehrt dieser Vorwurf letztlich auch jeder Grundlage. Die staatlichen Schulen sind in Deutschland kostenfrei. Darüber unterstützt der Staat 2,5 Millionen bedürfte Kinder mit Bildungs- und Teilhabeleistungen. Davon abgedeckt sind u.a. Schulmittagessen, Schulbedarf, Schulausflüge und sogar Nachhilfe. Und selbst die stetig wachsende Anzahl an Privatschulen erhebt zumeist einkommensabhängige Schulgelder, und vergibt gar bis zu einem Drittel der Schulplätze über Stipendien.

Eltern machen einen Unterschied und das sollten sie auch

Nicht die Drei- oder Zweigliedrigkeit des Schulsystems, nicht G8 oder G9 sind dafür verantwortlich, dass Kinder unterschiedliche Interessen, Ideen, Ziele und Fertigkeiten haben. Es sind die Eltern. Und das ist eigentlich auch gut so. Es ist richtig, dass das Elternhaus die eigenen Kinder prägt, Normen vermittelt, Werte anbietet und vor allem Neugier auf die Welt schafft. Die Erziehung ist in erster Linie eben nicht die Aufgabe eines Lehrers oder gar des Staates. Dafür ist das starre, unflexible und letztlich auch unpersönliche Schulsystem nicht geschaffen. Sicher, Schulen können einen wertvollen Beitrag leisten. Sie sind wichtig für die Sozialisation und die standardisierte Wissensvermittlung- und Überprüfung, und es ist ein großes Glück, wenn motivierte Lehrer die „extra Meile gehen wollen“ um mit ihren Schülern mehr zu erreichen als der Lehrplan vorgibt.

Doch auch wenn die Erziehung für viele heute mit der Einschulung endet, ändert dies nichts am Einfluss der Eltern. Das zeigen schon die Berichte von Grundschullehrern über die weit auseinander gehenden Fähigkeiten von Erstklässlern. Nun könnte man nach verpflichtenden Vorschulen rufen und immer weiter an der Interventionsspirale drehen, um Kinder am besten gar nicht mehr dem Elternhaus auszusetzen. Das Gegenteil sollte geschehen. Eltern müssen sich ihrer Bedeutung für die eigenen Kinder bewusst werden. Das jedoch geschieht umso seltener, je mehr „dem Schulsystem“ die komplette Verantwortung für die Erziehung übertragen wird. Das auch und gerade zu Lasten der Lehrer, die immer häufiger unter den übermäßigen Erwartungen zusammenbrechen. Ein realistischeres Bild der Institution Schule wäre nicht zuletzt auch ein probates Mittel gegen Lehrerknappheit.

Auch arme Eltern sind gut für ihre Kinder

Am Ende wird die Überfrachtung der Schule vor allem von denjenigen betrieben, die sich nicht vorstellen können, dass arme oder „bildungsferne“ Eltern auch gute Eltern sein können. Das verkennt die Leistung all jener Eltern von Bildungsaufsteigern, die unsere Gesellschaft in den letzten 100 Jahren geprägt haben. Zumeist getrieben von der Überzeugung, dass es die eigenen Kinder einmal besser haben sollten, haben sie ihre Kinder unter viel schwierigeren Bedingungen als heute unterstützt und motiviert. Das ist eine Aufgabe, die kein Schulsystem der Welt zu leisten im Stande ist.

Im bildungspolitischen Verantwortungsvakuum hingegen, „versagen“ Lehrer weil sie der vermeintlichen Aufgabe nicht ansatzweise gerecht werden können. Und Eltern denken, sie könnten die Erziehung ihrer Kinder an der Wahlurne abgeben. Der beste Beitrag für ein sozial gerechtes Schulsystem wäre es, die Schule von der Verantwortung für die soziale Gerechtigkeit freizusprechen. Dann würden sich die Eltern ihrer Bedeutung vielleicht wieder etwas bewusster werden.

Bild: Rachel from Unsplash (CC 0) 

Wenn in diesen Tagen überall im Land die Sommerferien zu Ende gehen, dann gewinnt die Bildungspolitik wieder stärkere Aufmerksamkeit. Das ist gut und richtig. Eine gute Bildungspolitik wird oft in Statistiken gepackt. Gut ist, wenn ein Bundesland möglichst viel Geld pro Schüler ausgibt. Gut ist, wenn die Bildungsausgaben pro Wirtschaftskraft im internationalen Vergleich möglichst hoch sind. Und gut ist, wenn die staatliche Forschungsförderung möglichst ausgebaut wird. All diese Ansätze haben eines gemeinsam. Sie glauben, „viel hilft viel“ und der Staat wüsste am besten, wie Bildung und dessen Erfolg auszusehen hat. Deshalb muss er für das Bildungswesen verantwortlich sein – und das möglichst zentral gelenkt.

Doch wenn das alles richtig wäre, dann müsste man im Bundesland Berlin die besten Schüler finden. Denn der Stadtstaat gibt pro Schüler am meisten Steuergelder aus (8.900 Euro pro Schüler/2015). Berliner Schüler schneiden aber beim Bildungsmonitor der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft am Schlechtesten von allen Bundesländern ab. Ein wesentlicher Grund für die hohen Bildungsausgaben pro Schüler ist der hohe Anteil an Ganztagsschulen in der Hauptstadt. Auch daran sieht man, dass Ganztagsschulen nicht per se zu besseren Bildungserfolgen führen. Dennoch zeigt das Beispiel Berlin, dass der Wettbewerb im Bildungsbereich in Deutschland nicht gänzlich ausgeschaltet ist. Würde alles von Berlin aus für das ganze Land bestimmt, dann bräuchte es nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass nicht Sachsen (Platz 1) oder Thüringen (Platz 2) den Takt angäben, sondern eben Berlin (Platz 16) und Bremen (Platz 15)

Entscheidend ist, wofür Bildungsausgaben eingesetzt werden. Und hier läuft die Auseinandersetzung auf zwei Ebenen. Die erste Ebene ist zentral gegen dezentral. Die zweite Ebene verläuft zwischen Staat und Privat. Wenn der Staat seine Bildungsausgaben zentralisiert, glauben viele, würde es besser. Warum eigentlich? Eigentlich funktionieren die staatlichen Ebenen meist dann nicht, wenn Verantwortung verwischt wird. Wenn der Bund Bildungsausgaben bezahlt, die Länder das Personal einstellen und die Inhalte bestimmen, zusätzlich die Kommunen die Gebäude finanzieren, dann herrscht kollektive Verantwortungslosigkeit. Keiner kann für das Versagen in der Bildungspolitik verantwortlich gemacht werden. Eigentlich sind dann alle irgendwie schuld, wenn die Ergebnisse schlecht sind. Gleichzeitig verzerrt der Staat den Wettbewerb zu privaten Trägern. Letztere werden zwar auch vom Staat beaufsichtigt, aber irgendwie sind die Schulämter den „eigenen Schulen“ doch näher. Diese können die Lehrer verbeamten, private Träger können das nicht. Dort haben Lehrer dann schnell mal ein paar hunderte Euro weniger netto in der Tasche, nur weil sie Angestellte und keine Beamten sind.

Der Vereinheitlichung und Verstaatlichung des Bildungssystems ist der falsche Weg in der Bildungspolitik. Daher muss eine erfolgreiche Bildungspolitik auf dem Wettbewerbsprinzip basieren. Bildungseinrichtungen, vom Kindergarten bis zur Universität, müssen nach ihren eigenen Kriterien und ihren Auswahlverfahren ihre Bildungsempfänger aussuchen können. Der Staat muss Kinder und Jugendliche unabhängig vom Träger der Bildungseinrichtung gleich fördern, am besten über Gutscheine, die die Nutzer für die Bildungseinrichtung ihrer Wahl einlösen können. Der Staat kann in diesem Bildungssystem vielleicht Mindeststandards vorgeben, aber ansonsten sollte er sich nicht einmischen. Weder mit einem zentralen Bildungskanon noch mit einem Zentralabitur. Warum müssen alle Schüler eines Bundeslandes oder in ganz Deutschland die gleiche Abiturprüfung machen? Welchem Ideal folgt diese Forderung? Dem Ideal des Einheitsschülers?

Bildungsvielfalt könnte auf den Einzelnen Rücksicht nehmen. Sie könnte auf die Talente, auf die Begabungen und die unterschiedlichen Geschwindigkeiten im Lernen besser Acht geben. Bildungszentralismus schert alle über einen Kamm. Wir sollten in der Bildungspolitik mehr Wilhelm von Humboldt folgen: „Je mehr der Mensch für sich wirkt, desto mehr bildet er sich. In einer großen Vereinigung wird er zu leicht Werkzeug.“

Zuerst erschienen bei Tichys Einblick. 

Photo: Nicolas Hoizey from Unsplash (CC 0)

Es gab früher Zeiten, da hat sich in diesem Land noch etwas bewegt. Die Jüngeren werden sich nicht mehr daran erinnert, weil es schon so lange her ist. Aber bei den Menschen, die in den 1980er Jahren und früher politisch sozialisiert wurden, ist es vielleicht noch im Langzeitgedächtnis abgespeichert.

Es war die Zeit der Agenda 2010. Heute blicken viele Sozialdemokraten mit Gram auf diese Zeit, Anfang der 2000er Jahre. Trug die damalige Wirtschaftspolitik der Regierung Schröder doch entscheidend dazu bei, dass die Sozialdemokratie sich anschließend gespalten hat, und der damalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine zur Linkspartei wechselte. Die verbliebenen Sozialdemokraten machen diese Regierungszeit bis heute für den Beginn ihres Niedergangs verantwortlich. Daher verteidigen nur noch wenige die damalige Wirtschaftspolitik. Im Gegenteil versucht die SPD seitdem, die Reformen von damals möglichst rückgängig zu machen, und hofft so, ihre verunsicherten Wähler wieder zurückzugewinnen. Doch strategisch machen die Sozis damit einen schweren Fehler. Sie haben nicht nur die unter Gerhard Schröder neu gewonnenen Wähler enttäuscht, sondern sie können die verloren gegangenen nicht wieder zurückgewinnen. Am linken Rand gibt es mit den Grünen und insbesondere der Linkspartei politische Alternativen, deren Glaube an den allumfassenden Sozialstaat von der SPD nicht überboten werden kann – insbesondere nicht in der Regierung.

Dabei war diese Zeit sehr erfolgreich, und von den in diesen Jahren geschaffenen Rahmenbedingungen, profitiert Deutschland noch heute. Die Flexibilität des Arbeitsmarktes durch die Zeitarbeit, die Abschaffung des Arbeitslosengeldes II und die Entrümpelung der Handwerksordnung, ermöglichte frischen Wind am Arbeitsmarkt und für Existenzgründer. Das Beschäftigungswunder, das Deutschland heute erlebt, hat seine Basis in der Agenda 2010. Wahrscheinlich ist das mangelnde Bekenntnis der Sozialdemokraten zu dieser Wirtschaftspolitik ihr heutiges Problem. Die SPD war immer dann stark, wenn es ihr gelungen ist, auch die Mitte der Gesellschaft zu erreichen. Also diejenigen, die den Sozialstaat mitfinanzieren.

Gerhard Schröder war die Inkarnation eines Aufsteigers sozialdemokratischer Prägung. In ärmlichen Verhältnissen im lippischen Kalletal aufgewachsen, hat er sich über den zweiten Bildungsweg erst zum Rechtsanwalt und später zum Bundeskanzler hochgeboxt. Die Geschichte, dass er als junger Sozialdemokrat vor dem Gitter des Kanzleramtes stand, daran rüttelte und sagte: „Da will ich rein“, war bezeichnend für seinen Ehrgeiz. Müsste man eine sozialdemokratische Biographie erfinden, wäre Gerhard Schröders Werdegang idealtypisch. Und auch sein Wirtschaftsminister Wolfgang Clement entsprach diesem Typus des Sozialdemokraten, der weit in bürgerlich liberale Milieus hinein vermittelbar war.

Heute hat die Sozialdemokratie keine Gerhard Schröders und Wolfgang Clements mehr. Das ist ihr Problem und womöglich ihr Untergang. Die SPD wäre allerdings nicht die erste sozialdemokratische Partei in Europa, die sich aus diesem Grund marginalisiert.

Jetzt haben Koalitionspolitiker aus Union und SPD vorgeschlagen, die Reformen aus der Agenda-Zeit beim Meisterzwang in der Handwerksordnung wieder rückgängig zu machen. Clement hatte damals die Meisterpflicht von 94 auf 41 Gewerke gesenkt und auf „gefahrgeneigte“ Tätigkeiten beschränkt. Schon das war damals ein Kompromiss, den die Monopolkommission der Bundesregierung seit vielen Jahren kritisiert. Wolle man als Gesetzgeber die Qualität einer Dienstleistung von staatlicher Seite sichern, dann genüge es nicht, einmal den Befähigungsnachweis zu erbringen, sondern man müsse dann schon regelmäßig Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen verpflichtend einführen. Und auch die Privilegierung des Marktzugangs mit der Ausbildungsleistung zu begründen, sei ein politisch-korporatistischer Ansatz. Selbständige Handwerksbetriebe vor einem intensiven Wettbewerb zu schützen, sei dadurch nicht gerechtfertigt. Insbesondere über die Handwerkskammer und ihre Mitwirkungsmöglichkeiten dort erhielten die Handwerker selbst die Kontrolle über den Marktzutritt, und damit die Intensität des Wettbewerbs in ihrem Sektor. Nach Auffassung der Monopolkommission sind solche Übereinkünfte zu Lasten Dritter abzulehnen.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Zentralverband des Handwerks den Vorstoß begrüßt und dies sogar als wichtigen Beitrag für den Verbraucherschutz bezeichnet. Immer dann, wenn betroffene Anbieter oder Berufsverbände von Verbraucherschutz reden, ist Vorsicht an der Bahnsteigkante geboten. Meist ist das Argument vorgeschoben, um unter sich bleiben zu können. Wer auch morgen noch einen Fliesenleger und andere Handwerker zu akzeptablen Preisen beauftragen will, sollte sich für die Abschaffung des Meisterzwangs auch bei anderen Gewerken einsetzen. Ein Wolfgang Clement würde das tun. Ein Peter Altmaier wohl nicht. Das macht den Unterschied aus zwischen Reden und Handeln, gestern und heute.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.