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Die Zahl der Privatschulen ist in Deutschland in den letzten 25 Jahren von 3.232 auf 5.839 gestiegen, 9 Prozent aller Schüler besuchen hierzulande solche Schulen. Die Politik sollte einsehen, dass dies ein Misstrauensvotum gegen staatlich organisierte Bildung ist und den Rückzug antreten.
Ungleichheit durch Wettbewerbsverzerrung
DIW, die Zeit und der Spiegel deuten diesen Trend wenig überraschend als Ergebnis zunehmender sozialer Segregation. Und – noch weniger überraschend: die Ebert-Stiftung stellt in einer Studie fest, dass es keinen Unterschied zwischen den schulischen Leistungen an öffentlichen und privaten Schulen gibt. Mit derlei vorgefertigten Urteilen verschließt man sich den möglichen Chancen eines solchen Wandels, der ja immer auch eine Abstimmung mit den Füßen ist. Da Privatschulen in der Regel Schulgeld erheben müssen, nimmt es kaum Wunder, dass vor allem wohlhabendere Akademikereltern ihren Kindern diese Möglichkeit einräumen – können … Aber egal von wem das Signal kommt: es ist und bleibt doch ein klares Zeichen der Unzufriedenheit, dem womöglich auch Menschen in prekäreren Situationen folgen würden, wenn Sie nur könnten.
Privatschulen werden strukturell benachteiligt: Die Jobgarantie einer Verbeamtung, die derzeit wieder fröhliche Urstände feiert, können sie beispielsweise nicht bieten. Auf vielen Gebieten bekommen sie zu spüren, dass sie nur geduldet werden neben dem Normalfall öffentlicher Schulen. Dass dennoch mehr von ihnen entstehen und immer mehr Eltern zusätzliche Kosten auf sich nehmen, sollte Anlass sein zum Umdenken: All die unfairen Wettbewerbsvorteile und Privilegien, die öffentliche Schulen derzeit genießen, sollten zumindest auf den Prüfstand. Faire Wettbewerbsbedingungen würden auch den Druck auf öffentliche Schulen erhöhen, ihre eigenen Konzepte und Arbeitsweise zu überdenken. Diese wiederum würden den Druck an die Ministerien weiterreichen, die dann ihrerseits zu mehr Innovation und möglicherweise auch mehr Flexibilität gezwungen würden.
Private Schulen sind weniger leicht zu steuern
Im Grunde genommen ist die Argumentation von Privatschul-Gegnern paradox, dass sie ein Ausdruck sozialer Segregation seien. Sie sind natürlich das Anzeichen dafür, dass diese Segregation besteht, aber der eigentliche Treiber hinter dieser Spaltung ist die Politik, die durch die Privilegierung für öffentliche Schulen den Zugang zu Privatschulen so verteuert, dass für die weniger Wohlhabenden nur die öffentlichen Schulen bleiben. Was viele dieser Gegner wohl viel mehr stört als das Thema sozialer Segregation ist die Tatsache, dass hier Bildungseinrichtungen entstehen, die sich so weit wie möglich staatlicher Lenkung und Kontrolle entziehen wollen. Die Tatsache, dass Eltern einer privaten Firma, einer religiösen oder weltanschaulichen Vereinigung mehr vertrauen als dem Kultusministerium des entsprechenden Landes schmerzt vor allem diejenigen, die in diesen Ministerien ein Mittel sehen, die Gesellschaft in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Ein Blick über die Grenze kann – wie so oft – nicht schaden: In den Niederlanden besuchen zwei Drittel der Schüler Privatschulen, die vom Staat mit denselben Mitteln ausgestattet werden wie die staatlichen Schulen. Nun sind die Niederlande aber weder für ihre desaströse Bildungssituation bekannt (beim letzten PISA-Ranking gleichauf mit Deutschland auf Platz 13) noch assoziiert man das Land der überbordenden Freundlichkeit und des allgegenwärtigen Du mit einer starken sozialen Segregation.
Privatschulen für die Armen
Wenn man tatsächlich etwas gegen soziale Segregation tun will, müssten die Bundesländer die weniger wohlhabenden Familien aus der babylonischen Gefangenschaft des staatlichen Schulsystems entlassen. Dazu gehört selbstverständlich ein Ende der Lehrer-Verbeamtung. Gleichzeitig könnte man darüber diskutieren, ob man eher an das niederländische System der Finanzierung privater Schulen anknüpft oder das schwedische Modell von Schulgutscheinen übernimmt. Zentral sind vor allem die Gleichstellung und Gleichbehandlung öffentlicher und privater Schulen. Nur unter diesen Umständen sind öffentliche Schulen nicht mehr die einzige Option für Nicht-Akademiker und Geringverdiener.
Die meisten Menschen denken bei Privatschulen an geschniegelte Muttersöhnchen im Polo-Hemd, die zum Sportunterricht auf dem Golfplatz unterwegs sind. Es ist Zeit umzudenken: In Berlin gibt es etwa seit ein paar Jahren eine Privatschule, an der man hauptsächlich Kapuzenpullis und Kopftücher sehen kann. An der Quinoa-Schule im Wedding werden gezielt Kinder aus sozial benachteiligten Umständen unterrichtet. Inmitten des Berliner Schul-Chaos sind nicht nur die altehrwürdigen kirchlichen Gymnasien und die internationalen Schulen Leuchttürme, sondern eben auch ein solches Projekt. Siebzig Jahre hatten die Länder jetzt Zeit, überzeugende Bildungssysteme zu etablieren. Und dennoch steigen die Zahlen der Privatschulen. Vielleicht sollte man mal den Staffelstab weiterreichen an diejenigen, die offenbar mehr überzeugen?