Foto: Murewa Saibu from Unsplash (CC 0)
Letzten Dienstag kam ein junger Mann bei uns im Büro vorbei, der für die Werte des Liberalismus brennt und mehr über unsere Arbeit erfahren wollte. Oft ergeben sich im Rahmen solcher intensiven Gespräche ja auch für einen selbst Erkenntnisse. Und einen solchen Moment konnte ich am Dienstagabend erfahren:
Im Laufe unseres Gesprächs kamen wir auch auf die Bedrohungen der freien und offenen Gesellschaft in unseren Tagen. Dazu machen sich zu Recht viele Menschen Gedanken. Manche sehen sie im „schleichenden Sozialismus“, andere in der „Ökodiktatur“ und viele auch im wachsenden Zuspruch für rechtsradikale Bewegungen und Meinungen. Manchmal ist man aber auch gefangen in den eigenen Narrativen, die einem über Jahre lieb geworden sind. Gerade Menschen, die als Akademiker, Journalisten oder Politiker mithin ihr ganzes Leben danach ausgerichtet haben, welches Narrativ ihnen besonders plausibel erschien, tun sich schwer damit, von diesen Narrativen Abstand zu nehmen, weil das so unglaublich viel von ihrem Einsatz und ihrer Persönlichkeit entwerten würde.
Wenn man eine präzise Risikoabschätzung vornehmen will, kann es durchaus hilfreich sein, sich auf Menschen zu verlassen, die nicht betriebsblind sind, also Außenstehende. Ein noch präziseres Ergebnis könnten diejenigen Beobachter unserer Gesellschaft liefern, die am meisten zu gewinnen haben, wenn die freie Welt kollabiert. Man kennt das aus der Welt des Internets: Oft sind Hacker vertrauter mit Systemen als diejenigen, die sie gebaut haben.
Wenn man also die Sollbruchstelle der freien Gesellschaften erkennen möchte, kann es Sinn ergeben, zu beobachten, auf welche Punkte deren größte systemische Gegner, der russische und der chinesische Staat, am meisten abzielen. Und siehe da: Putin und Xi und deren Schergen setzen ziemlich deutlich auf ein Pferd. Ihr Wetteinsatz gilt nicht dem ungezügelten Wachstum der Wohlfahrtsstaaten und nicht dem Verbrennerverbot. Sie setzen vielmehr darauf, dass der Westen am meisten Selbstzerstörungspotenzial entfalten dürfte, wenn man Rechtsradikale und Rechtspopulisten aller Couleur stärkt: von der AfD über Orban und Trump bis hin zu nur noch nominell links stehenden Politikern wie Wagenknecht und Mélenchon.
Wir, denen die Freiheit so sehr am Herzen liegt, müssen sehr aufmerksam registrieren, von wo aus sie am meisten bedroht wird. Wenn wir Kämpfe von gestern ausfechten, kann es sein, dass wir irgendwann von hinten überrollt werden.