Photo: Imperial Boy

Wie gefällt Ihnen das Bild? Wir sehen moderne Hochhäuser, in denen viele Menschen Platz finden, und Natur, die direkt in die Stadt integriert ist. Zugängliche offene Wasserwege laden zum Verweilen ein, und offene, begehbare Geschäfte und Cafés auf mehreren Ebenen lassen das Leben summen. Moderne Trambahnen, die auf dem Wasser fahren, helfen den Bewohnern, sich im futuristischen Stadtumfeld zu vergnügen. Das Bild des japanischen Künstlers Imperial Boy lädt immer wieder zum Entdecken ein und hat in den letzten Monaten hohe Wellen geschlagen. Denn es ist Solarpunk. Solarpunk ist eine Bewegung, die eine positive Zukunft der Welt und insbesondere des urbanen Lebens buchstäblich malt.

Matrix, Blade Runner und Mad Max – urbane Zukunftsszenarien zeigen normalerweise transhumanoide Kampfmaschinen, extreme Verschmutzung und den Zusammenbruch jeglicher Ordnung. Für diese als Cyberpunk bekannte Stilrichtung hält die Zukunft nichts als gefährliche Dystopien bereit. Die Welt steht vor dem Zerfall. Das Genre Solarpunk hingegen setzt dem eine positive Vision gegenüber: die Künstler gestalten eine Welt, in der ökonomischer Fortschritt, Urbanisierung und Umweltschutz Hand in Hand gehen. Ihre idealisierte Stadtarchitektur schwankt irgendwo zwischen New Yorker Art Deco, japanischen Gärten und Dubai-Wolkenkratzern.  Diese neue, begeisterungsweckende Ästhetik hat das erklärte Ziel, „die Apokalypse zu canceln“.  Sie zeigt, wie die Stadt von Morgen den Menschen als Vorbild dienen kann.

Woher kommt aber die Begeisterung des Genres ausgerechnet für die Stadt? Fragt man die Wissenschaft, ist die Antwort ganz einfach: Städte machen uns reicher und grüner.
Städte sind nämlich Hotspots für ökonomisches Wachstum. Dabei funktionieren sie wie Mixer, in die man lauter großartige Einzelteile zusammenwirft und am Ende ein Ergebnis hat, das sogar noch besser ist als jede einzelne Zutat. Städte sind weltweit Anziehungspunkt für kreative und unternehmerische junge Menschen, die das Unmögliche möglich machen wollen. Doch können sie das nicht allein. Im urbanen Raum kommt die Genialität der vielen smarten Bürger auf engem Raum zusammen, führt zu Kooperationen, gemeinsamem Lernen und potenziert Schaffenskraft. Von den neuen Ideen profitieren nicht nur die Unternehmungslustigen, sondern ein ganzes Land und ganz besonders die anderen Stadtbewohner selbst: Jeder zusätzliche gut ausgebildete Stadtbewohner erhöht auch das durchschnittliche Gehalt der anderen Stadtbewohner.

Reichtum lässt sich aber nur genießen, wenn er auch nachhaltig ist. Städte erlauben uns schon jetzt, ein immer grüneres Leben zu führen. Während sich viele Umweltschützer als Helden feiern lassen, wenn sie die Flucht von der grauen Stadt aufs grüne Land fordern, macht die Stadt es überhaupt erst möglich, dass es noch grünes Land gibt. Denn Menschen müssen irgendwo wohnen. Und jede Einheit Wohnen, die nicht in der vertikalen Höhe der Stadt gebaut wird, muss zwingend irgendwo in der horizontalen Ebene auf dem Land gebaut werden. Dichtere Städte bedeuten mehr intakte Umwelt. Außerdem reduziert die Stadt nicht nur Flächenverbrauch, sondern auch den Emissionstaustoß: Die Umwelt profitieren von der CO2-armen Klimatisierungsinfrastruktur eines einzelnen Hauses im Gegensatz zur verschwenderischen Größe vieler kleiner Einfamilienhäuser. Gleichzeitig macht die Nähe der Stadt auch das Autofahren unattraktiver. Ganz ohne Zwang macht es auf einmal Sinn, zu Fuß zu gehen, das Fahrradfahren Spaß und der öffentliche Nahverkehr wird zur schnellsten Option, um in die Oper oder zur nächsten Kneipe zu kommen. Zugegeben, Stadtleben ist nicht für jeden attraktiv. Wer das Landleben schätzt, soll das Landleben natürlich auch leben. Der Grund sollte aber eine Leidenschaft für das Ländliche sein und nicht die destruktive Stadtpolitik, die dem urbanen Raum ihre Vorteile raubt und die Menschen aufs Land treibt.

Wenn Städte aber so objektiv großartig sind, warum braucht es dann noch Solarpunk als ästhetische Stilrichtung? Der Grund liegt im Wesen des Punks: Punk ist unkonventionell. Punk ist herausfordernd. Punk tritt Status-Quo-Fetischisten auch mal auf die Füße. Dieser konkrete Punk versteht aber auch, dass man Menschen nicht nur mit beißender Kritik und kalten Argumenten, sondern mit warmen Zukunftsvisionen überzeugen muss. Leider verbinden bis heute viele Menschen die Stadt mit hohen Kosten, Verschmutzung und Armut. Dabei sprechen die Fakten von tausenden von Jahren urbaner Zivilisationsgeschichte eine andere Sprache: Wohlstand, Technologie und Umweltschutz haben in den Städten ihr Zuhause.

Schuld am schlechten Ruf sind aber auch die aktuellen Stadtbewohner selbst. Zukunft und Veränderung soll überall passieren, nur ja nicht vor der eigenen Haustür. Weiße Hipster im Innenstadtkern lieben es, sich mit anderen weißen Hipstern zu umgeben, Flat White zu trinken und sich vor dem Zuzug von Fremden zu sorgen, die den „Charme“ ihres Kiez verändern könnten. Statt moderner Hochhäuser und einer dichten wuselnden Stadt, die vielen Menschen Chancen gibt, möchte man lieber einen Park in der Größe eines Flughafens in direkter Nachbarschaft. Statt jungen, privaten, kreativen Investoren Raum für neue Ideen zu geben, reguliert man sie lieber aus der Stadt heraus und unterwirft sich bereitwillig den größten Gegnern des Punk und besten Freunden des bürgerlichen Spießertums: staatlichen Bürokraten.

Solarpunk weiß um die harten Fakten, dass moderne Städte individuelles Leben besser machen. Doch versteht die Bewegung auch, dass man die Status-Quo-Bewunderer mit einer positiven Vision überzeugen muss. Statt urbaner Apokalypse braucht es einen urbanen Traum. Solarpunk kann die besseren Argumente, visionäre Bilder und eine frische, realitätsnahe Utopie des urbanen Raumes auffahren. Aber sie stehen zugleich ohne politischen Rückhalt vor einer Wand aus Status-Quo-Anbetern. Und doch: Hat der Wandel zu einer besseren Welt jemals anders begonnen?

 

2 Kommentare
  1. Andreas Schiebe
    Andreas Schiebe sagte:

    Ein ausgewogener Artikel, der viele interessante Argumente für Städte der Zukunft übersichtlich zusammenfaßt!

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