Wer ein Buch mit einem Zitat von Ludwig Erhard beginnt, der ist meist kein Vertreter des Wohlfahrtsstaates oder gar ein Sozialist. Das ist auch hier so: Gunther Schnabl, der als Professor an der Universität in Leipzig lehrt und zu Deutschlands einflussreichsten Ökonomen zählt, ist Vertreter einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Er ist nah bei Ludwig Erhard und den Ökonomen der Freiburger Schule und noch näher beim Klassisch-Liberalen Friedrich August von Hayek. Jüngst ist von ihm ein sehr lesenswertes Buch über die ökonomische Lage Deutschlands erschienen.
Vor einigen Jahren wäre er für seine Analyse noch als Neoliberaler verschrien worden, was im damals wie heute wahrscheinlich nichts ausgemacht hätte. Doch der Zeitgeist ändert sich. Die Zeit der unbeschwerten Schuldenmacherei und der Umverteilung scheint zu Ende zu sein. Deutschland ist wieder der kranke Mann Europas. Die Wachstumsrate sind mau, die Innovationskraft lahmt und der Staat ist dysfunktional, was wir an der maroden Infrastruktur und der überbordenden Bürokratie merken.
Das war schon einmal so. 1999 nannte der Economist Deutschland „the sick man of the euro“. Und vor einem guten Jahr fragte das Wirtschaftsmagazin: „Is Germany once again the sick man of Europe?“. Die Lage ist ernst. Deshalb passt Schnabls Buch in die heutige Zeit. Denn es stellt sich die Frage: Warum schwächelt dieses Land? Die Antwort Schnabls geht über einfache Lösungen hinaus. Die Wachstumsschwäche Deutschlands zu erfassen, ist eine komplexe Angelegenheit. Das ist kein Spaziergang, sondern eher ein Dauerlauf, vielleicht sogar ein Marathon.
Schnabl fängt in der Nachkriegsgeschichte an, zeichnet das Wirtschaftswunder unter Ludwig Erhard nach und seine Erfolgsfaktoren, deren Grundlagen durch Walter Eucken und andere schon Jahre vor Ende des Krieges skizziert wurden. Das vermeintliche Wunder war Ergebnis einer Wirtschaftstheorie, die auf eine konsequente Ordnungspolitik fußte und auf eine verlässliche und stetige Wirtschaftspolitik setzte. Verbunden mit der Einführung der Deutschen Mark entstand so der Wohlstand der Nachkriegszeit, zumindest in Westdeutschland.
Der Übergang von der Deutschen Mark zum Euro ist der erste Bruch dieser Entwicklung. Schnabl sieht in der Einführung des Euro einen wesentlichen Konstruktionsfehler, denn „eine Währungsunion kann nur dann auf Dauer reibungslos funktionieren, wenn sie auch eine gemeinsame Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik hat.“ Dieser Mangel zeichnete sich von Anbeginn des Euro 1999 ab. Die Zinsen der südeuropäischen Staaten sanken, eine leichtere Schuldenaufnahme der Staaten, Unternehmen und privaten Haushalte war plötzlich möglich. Kapital floss vom Norden in den Süden Europas. Dies nutzte auch der deutschen Exportwirtschaft, die blühende Zeiten erlebte.
Ein erster fundamentaler Einschlag war die drohende Zahlungsunfähigkeit Griechenlands im Zuge der Schuldenkrise in den 2010er Jahren. Die Folge war die Intervention der Europäische Zentralbank in den Zins, um letztlich die Überschuldung von Staaten im Euro-Raum zu verhindern. Durch ihren Ankauf von Staatsanleihen erhöhte sich die Bilanzsumme der EZB zwischen 1999 und Ende 2022 von 700 Milliarden Euro auf 9000 Milliarden Euro. Europa erlebte eine Verschuldung der Notenbank aus dem Nichts, um letztlich die Refinanzierungsfähigkeit der südeuropäischen Staaten zu sichern. Letztlich ist und war dies aber nur ein Spiel auf Zeit. Eigentlich hätte diese Entwicklung schon viel früher zu einer sichtbaren Entwertung der Konsumentenpreise führen müssen. Doch die Öffnung Chinas diente als beständiger Wachstumsmotor für Deutschland und verhinderte zunächst, dass die Inflation einschlug. Auch hier ist die Abhängigkeit Deutschlands groß: Die chinesische Wirtschaft hängt am Tropf von Subventionen und billigem Geld der chinesischen Notenbank. Eine veritable Immobilienblase droht zu platzen, gleichzeitig drohen „die Verteilungswirkungen der Geldpolitik den Nährboden für eskalierende Handelskonflikte“ zu werden. Sowohl China als auch Deutschland können daran kein Interesse haben.
Was schlussfolgert Schnabl daraus? Deutschland muss sich wieder auf Ludwig Erhard und weniger auf John Maynard Keynes berufen. Also, mehr auf eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, die auf Privateigentum, Wettbewerb, Geldwertstabilität und Konstanz der Wirtschaftspolitik setzt. Gleichzeitig muss unser Land auf schuldenfinanzierte Staatsausgaben verzichten, die Staatsschulden steigen lassen. Schnabl entwirft ein klassisch liberales Programm, das der derzeitigen Umwelt-, Energie- und Klimapolitik eine Absage erteilt, die letztlich nur Wohlstandsverluste erzeugt und keinen Effekt auf die Klimakrise hat. Gleichzeitig sieht er im Arbeitskräftemangel, bei der wuchernden Bürokratie und der wachsenden Zentralisierung der Europäischen Union die entscheidenden Hemmschuhe für unseren künftigen Wohlstand. Am Ende des Buches fragt Gunther Schnabl „Wo ist der neue Ludwig Erhard und was soll er tun?“ Ja, wo ist er denn? Er wäre so nötig.