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Diese Woche wurde der 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz begangen, und so war es wieder an der Zeit für allerlei Gedenkansprachen. Zwei Formulierungen tauchen häufig auf, die einen eigentlich stutzig machen sollten:
„Deutschland wurde befreit …“ Es war eine massive Debatte vor 40 Jahren, als der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker das bis dahin noch sehr präsente Narrativ vom 8. Mai als dem Tag der Niederlage umwandelte in den Tag der Befreiung. Für die allermeisten, die in der Sowjetischen Besatzungszone und DDR lebten, kam die Freiheit jedoch noch lange nicht. Fraglich ist aber auch, wie sinnvoll es ist, von einer Befreiung zu sprechen, wenn für sehr viele im Land der Wille zur Freiheit offenbar nicht groß genug war, um selbst dafür zu sorgen. Es gab in Deutschland kein „Warschauer Ghetto“, es gab keine flächendeckende Résistance. Befreit wurden die Insassen der KZs und Gefängnisse, die tapferen Menschen, die im Alltag ihre Widerstandsakte vollbracht haben. Alle anderen erlitten eine Niederlage. Viele brauchten lange, um den Segen darin zu sehen. Viele schafften das nie..
„Die Nazis haben 6 Millionen Juden ermordet …“ So wie das Bild von der Befreiung Deutschlands stellt auch diese Aussage eine Distanz her zwischen dem Verbrechen und dessen Zeitgenossen. Dabei haben nicht nur „die Nazis“ (wie auch immer die sich dann genau qualifizieren) an dem Jahrtausendverbrechen der Shoa mitgewirkt. Auch wenn gewiss nicht jeder um die industriellen Vernichtungslager wusste: Fast jeder hatte erlebt, wie über Juden gesprochen wurde, wie sie schikaniert wurden, wie sie plötzlich verschwanden. Fast jeder war Zeuge des Hasses. Den Gashahn mag ein Mitglied von Partei oder SS geöffnet haben: das Klima, in dem das alles geschehen konnte, haben alle zu verantworten. (Auch außerhalb Deutschlands übrigens – denn Antisemitismus war durchaus ein paneuropäisches Phänomen.)
So wenig wie man sinnvollerweise von Kollektivschuld sprechen kann, so wenig kann man die Schuld nur „den Nazis“ zuschieben. Wenn man diese individuelle Schuld feststellt, geht es nicht darum, moralische Überlegenheit zu signalisieren: Dass vermutlich kaum einer anders gehandelt hätte als die Menschen damals, befreit ja nicht von der Tatsache der Schuld all derjenigen, die beteiligt waren – und eben nicht nur auf den Wachtürmen der KZs. Ja, auch ich hätte mich vielleicht weggeduckt und geschwiegen. Und dann hätte auch ich meinen Anteil daran, dass der Holocaust geschehen konnte. Die Welt ist nicht schwarz und weiß. Und folglich sind nicht nur die anderen Schuld oder verantwortlich. Wenn wir mit dieser Schuld umzugehen lernen, wird daraus hoffentlich ein besseres Verständnis dafür erwachsen, wo wir heute hinschauen müssen, die Stimme erheben müssen und möglicherweise auch einmal die Hand.