Photo: Tretyakov Gallery from Wikimedia Commons (CC 0)

Schon immer haben sich Staatsleute mit den Federn des Friedensfreundes geschmückt, obwohl sie eigentlich ganz andere Anliegen verfolgten. Man muss solches süße Säuseln auch heute immer sehr genau abklopfen.

Unbehelligte Schurken

Die geopolitische Lage verändert sich in den letzten Jahren erheblich. Vorbei die Goldenen 90er Jahre mit den Träumen vom ewigen Frieden. Vorbei auch die Zeit des weltumspannenden Feldzugs gegen den militanten Islamismus, der alle Großmächte zu vereinen schien. Unter Putin hat der russische Machtapparat demonstriert, dass kein Interesse an einem friedvollen Miteinander besteht. Chinas Staatsmacht schlug nach zwei Jahrzehnten der Öffnung einen imperialistisch-nationalistischen Kurs ein, der an die düstersten Zeiten Europas vor hundert Jahren erinnert. Und Diktatoren und Autokraten von Belarus bis Myanmar, von Venezuela bis Iran verlieren zunehmend Hemmungen bei der Unterdrückung der eigenen Bevölkerung und bei der destruktiven Einmischung in anderen Ländern nah und fern.

Also eigentlich eine Zeit, die Pazifisten weltweit auf die Barrikaden treiben sollte. „Die Waffen nieder!“, rief die Friedensaktivistin Bertha von Suttner im Jahr 1889 ihren Mitmenschen zu. Der gleiche Ruf sollte heute landauf, landab erschallen: Nieder die Raketen in den Tunneln und Gassen des Gazastreifens und den Städten Jemens. Weg mit den nuklearen Vernichtungsfabriken in Iran und Nordkorea. Nicht neue Flugzeugträger sollten Regierungen bestellen, sondern Bahntrassen, Flughäfen und Brücken.

Jetzt denken Sie mal scharf nach, wann zuletzt dieser Ruf an die Kriegstreiber dieser Welt erging … Die Schurken können oft unbehelligt von Protest und Empörung ihrem Aufrüsten und Abschlachten nachgehen, weil sich der Furor der selbsterklärten Pazifisten anderswo konzentriert: Wenn es darum geht, Drohnen für die Bundeswehr zu beschaffen, die dem Schutz unserer Soldatinnen dienen sollten. Gegenüber Israel, das auf den Dauerbeschuss mit Raketen reagierte. In Entrüstung über Robert Habeck, als der laut darüber nachdachte, ob sich die Ukraine, die sich tapfer in Richtung Demokratie und Rechtsstaat entwickelt, auch unserer Unterstützung beim Schutz der eigenen Bevölkerung erfreuen sollte.

Als links noch liberal war

Nun kann man sicherlich diese drei Fälle sehr unterschiedlich beurteilen. Auffällig ist jedoch, dass hier nicht mit demselben Maß gemessen wird. Putin, der in großer Regelmäßigkeit Menschen- und Völkerrechte mit Füßen tritt, kann sich mit der Verlässlichkeit eines Schweizer Uhrwerks darauf verlassen, dass in Deutschland der Ruf nach Deeskalation und Kooperation erschallt: Gleich ob von einer sozialdemokratischen Ministerpräsidentin oder von rechtspopulistischen Spitzenpolitikern. Menschen, die nicht müde werden, die Vereinigten Staaten wegen deren Waffengesetzen anzuprangern, verlieren kein Wort über die Terrorgruppe Colectivos in Venezuela, die Präsident Maduro unmittelbar gehorchen: Black lives matter, aber nur wenn es gegen den imperialistischen Klassenfeind geht. Von vielen selbststilisierten Pazifisten vernimmt man nur dröhnende Schweigen gegenüber den schlimmsten Übeltätern dieser Welt – solange sie nicht zum Westen gehören.

Ehe Marx und seine Klassenkampf-Phantasien sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ins linke Lager hineindrängten, gehört der Pazifismus zum Kern-Bestand der politischen Linken. Es war jene Linke, die die Welt nicht dadurch zu einem besseren Ort machen wollte, dass ein wachsender Staat immer mehr Geld von der einen Ecke in die andere schiebt. Sie wollten den einzelnen Menschen entfesseln, um ihn in der Kooperation auf den Weg in eine bessere Zukunft zu schicken, wie es etwa der große englische Freihändler und Pazifist Richard Cobden erträumte, dessen Geburtstag sich gestern jährte. Die optimistische, menschenfreundliche, emanzipatorische und progressive Linke umfasste viel von dem, was auch den Klassischen Liberalismus kennzeichnet. Eben auch die Überzeugung, dass Gewalt keine Lösung ist. Ludwig von Mises formuliert in seinem Buch „Liberalismus“, dass selbiger davon ausgeht, „dass nicht der Krieg, sondern der Frieden der Vater aller Dinge ist. Das, was die Menschheit allein vorwärtsbringt und sie vom Tier unterscheidet, ist die gesellschaftliche Kooperation. Die Arbeit allein ist es, die aufbaut, reich macht und damit die äußeren Grundlagen für inneres Gedeihen des Menschen legt. Der Krieg zerstört nur, er kann nie aufbauen.“

Rücken gerade für den Frieden

Wie kommt man zu diesem Frieden? „Wandel durch Handel“ ist klassischerweise so etwas wie die liberale Ergänzung zu „Nieder mit den Waffen!“ Doch muss man leider auch gestehen: Mit China beispielsweise hat das noch nicht besonders gut funktioniert. Und was noch schlimmer ist: Es wird zu einem Argument, hinter dem sich politische Patronage staatlicher Industriepolitik versteckt, wie etwa bei Nord Stream 2. Dennoch sollte man keinesfalls die Idee aufgeben, dass der Austausch von Waren und Dienstleistungen, die Kooperation und das Miteinander von Menschen rund um den Globus die Welt zu einem friedlicheren und schöneren Ort machen werden. Denn dass dieses Prinzip, das schon häufig genug funktioniert hat, an seine Grenzen stößt, liegt vor allem an einem externen Faktor: Politik. Es sind politische Akteure, die in China und Russland kollektive Minderwertigkeitskomplexe schüren. Wachsende Mittelschichten mit Konsumdurst, Bildungshunger und Kritiklust sind einem Autokraten wie dem aserbaidschanischen Präsidenten Alijew ein Dorn im Auge, und dann wird mit dem Segen Erdogans ein Krieg angezettelt.

„Frieden schaffen ohne Waffen“, schrieben die DDR-Bürgerrechtler Robert Havemann und Rainer Eppelmann 1982, „bedeutet auch das Ende der sinnlosen Verschwendung von Arbeitskraft und Reichtum unseres Volkes für die Produktion von Kriegswerkzeug und die Aufrüstung riesiger Armeen junger Menschen, die dadurch der produktiven Arbeit entzogen werden.“ Vielleicht kann man das noch ein wenig modifizieren zu „Frieden schaffen ohne Politik“. Wer wirklich Frieden will, sollte sich nicht vor den Karren wohlfeiler Appeasement-Politik spannen lassen, die entweder Staatswirtschafts-Interessen bedient oder als Unparteilichkeit ausgibt, was in Wirklichkeit ideologischer Feldzug ist. Friedensfreunde sollten sich auf zweierlei konzentrieren: Den weltweiten Handel vor allem dort nach Kräften zu fördern, wo nicht Staatskonzerne vorne mitmischen. Und zweitens sollten sie den Rücken gerade machen und konsequent Gewalt, Brutalität und Unterdrückung überall anprangern, nicht nur dort, wo es gerade politisch opportun erscheint oder die eigene Weltsicht bestätigt. Frieden braucht diesen geraden Rücken. Oder um es konkreter zu machen: Die uighurische Zwangsarbeiterin, der homosexuelle Tschetschene, das verwaiste Mädchen im Jemen sollten sich auf unsere Bereitschaft verlassen können, unverwässert für Frieden und Freiheit einzutreten. Wie Karl Popper vor 40 Jahren schrieb:

„Wir dürfen nicht übersehen, dass die großen Pazifisten auch große Kämpfer waren. Auch Mahatma Gandhi war ein Kämpfer: ein Kämpfer für die Gewaltlosigkeit. Die menschliche Gesellschaft braucht den Frieden, aber sie braucht auch ernste ideelle Konflikte: Werte, Ideen, für die wir kämpfen können. In unserer abendländischen Gesellschaft haben wir es gelernt – wir haben es von den Griechen gelernt –, dass man das nicht so gut mit Schwertern, sondern weit besser und nachhaltiger mir Wörtern tun kann; und am allerbesten mit vernünftigen Argumenten.“

9 Kommentare
  1. Dr. Alexander Dill
    Dr. Alexander Dill sagte:

    Als Friedrich-Naumann-Stiftung Doktor-Stipendiat leite ich heute ein weltweites UN-Projekt für Frieden und Verständigung in allen Konfliktgebieten und inzwischen 50 Sprachen:https://trustyourplace.com/
    Die Ergebnisse werden in der UN veröffentlicht:
    https://sustainabledevelopment.un.org/content/documents/commitments/1164_11706_commitment_Increasing_Social_Goods_under_Corona_2020_Final.pdf
    Abfällige und überhebliche Äußerungen über andere Staaten und Kulturen haben noch nie irgendeine liberale Welt- und Wertvorstellung befördert. In der Tat bestand Politik auch in der Vergangenheit, etwa im Ersten Weltkrieg, in erster Linie in der Erzeugung von Feindbildern- und war daher dem Frieden abträglich.
    Heute wird in Deutschland gegen ‚Putin‘, ‚Islamisten‘ und Erdogan gehetzt. China wirft man die Unterdrückung der Uiguren vor, während katalonische Separatisten im Gefängnis sitzen. Nawalny soll freikommen – aber Assange stirbt derweil in britischer Haft. In Deutschland sitzt eine über 90-jährige Dame namens Ursula Haverbeck in Haft, weil sie sich kritisch zu den Vernichtungsmethoden im Holocaust äußerte.
    Solange Politiker Feinbilder statt Kooperation fördern, stehen sie im Gegensatz zu Frieden. Hans-Dietrich Genscher wusste das. Ergebnis war eine der erfolgreichsten Friedensschlüsse der Weltgeschichte, die deutsche Wiedervereinigung.
    Auf den „geraden Rücken“ von Wilhelm II können deutsche Liberale 2021 gerne verzichten.

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    • Clemens Schneider
      Clemens Schneider sagte:

      Die Gleichsetzung der Uiguren-Verfolgung mit den katalanischen Separatisten halte ich ja schon für ziemlich gewagt. Aber wollen Sie jetzt wirklich eine Holocaustleugnerin als Beispiel dafür anführen, dass der Westen auch nicht besser sei als autokratische Terroregime?

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  2. Dr. Alexander Dill
    Dr. Alexander Dill sagte:

    Lieber Herr Schneider! Gleich drei Kampfbegriffe von Ihnen: Holocaustleugnerin, autokratisch, Terrorregime. Menschenrechte werden aus unterschiedlichen Perspektiven gesehen. Schimpfworte drücken die Unkenntnis dieser Perspektiven aus. Bei 193 Staaten in der UN müssen wir aber jeden als gleichberechtigt ansehen. Ich achte daher sehr darauf, in meinen UN-Texten keine Kampfbegriffe zu verwenden, die von den Beschimpften als Beleidigung angesehen würden.

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    • Clemens Schneider
      Clemens Schneider sagte:

      Ich bin mir sicher, dass in Srebrenica, Ruanda, Kambodscha und Guernica Menschenrechte auch aus sehr unterschiedlichen Perspektiven gesehen wurden.
      Menschen töten ist ja auch irgendwie relativ. Hauptsache nicht irgendwelchen Staaten auf den Schlips getreten.

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  3. Jürgen Enninga
    Jürgen Enninga sagte:

    Herzlichen Dank für die treffenden Worte in diesem Artikel. Wieder einmal den Nagel auf den Kopf getroffen. Leider macht Macht hungrig und sieht nicht nach rechts und links. Deshalb ist es wichtig Politikern immer wieder auf die Finger zu schauen und pazifistisches Gedankengut zu fordern und umzusetzen!
    Den Finder in die Wunde zu stecken, autokratische Systeme und deren unmenschliche Handlungsweisen anzuprangern sollte das Recht und die Pflicht aller sein und hat nichts mit dem Aufstellen eines Feindbildes zu tun, Herr Dill.
    Weiter so, Herr Schneider!

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  4. Michael von Prollius
    Michael von Prollius sagte:

    Klasse: „Friedensfreunde sollten sich auf zweierlei konzentrieren: Den weltweiten Handel vor allem dort nach Kräften zu fördern, wo nicht Staatskonzerne vorne mitmischen. Und zweitens sollten sie den Rücken gerade machen und konsequent Gewalt, Brutalität und Unterdrückung überall anprangern, nicht nur dort, wo es gerade politisch opportun erscheint oder die eigene Weltsicht bestätigt.“

    Eine Herausforderung für Liberale könnte die Verbindung von Pazifismus (als Eintreten für den Frieden und damit die Grundlage des Lebens) und Wehrhaftigkeit sein, in einer Welt, die vor allem durch Staatsgewalt, aber auch vermehrt nicht-staatliche Gewaltakteure gekennzeichnet ist. Ambivalenz ist dabei eine Facette.

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    • Thomas Leske
      Thomas Leske sagte:

      Der weltweite Handel soll soeben im Namen des Klimaschutzes eingeschränkt werden (Stichwort: Carbon-Leakage). Leider auch mit dem Segen der FDP.

      „Das Recht ist mit der Befugniß zu zwingen verbunden“, schrieb Kant. So sehen das wohl auch nicht-staatliche Gewaltakteure in Sachen Klimaschutz (siehe Andreas Malm, „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt – Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen“, 2020).

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  5. Rainer Adolf
    Rainer Adolf sagte:

    Ist ein Problem nicht auch die willkürliche Grenzziehung von Nationalstaaten quer durch verschiedene Ethnien bzw. Kulturen?

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  6. Ralf Becker
    Ralf Becker sagte:

    Folgendes dürfte die Rolle Russlands in ein völlig anderes Licht rücken:
    Was den Fall Skripal betrifft, geht die KenFM-Talkrunde
    Positionen 15: Der Tiefe Staat – Mythos oder Wirklichkeit?
    vom 25. August 2018 unter anderem auch darauf ein.
    Habe dort auf der normalen (Nicht-Podcast-) Webseite einen Zusatzkommentar geschrieben, wo ich auch geringfügig auf Uwe Barschel, Olof Palme oder auch auf Jürgen W. Möllemann eingehe.
    Mein dortiger Zusatzkommentar lässt es wahrscheinlich erscheinen, dass Russland nicht für den Skripal-Fall verantwortlich war.

    Der CIA geht es weltweit nicht so sehr um irgendeinen Frieden als solchen, sondern einfach nur um Konzerninteressen.
    Die iranische Hisbollah scheint aber – genauso wie die CIA – ebenfalls eine Terrororganisation zu sein.

    Dann ist im obigen Beitrag von der Förderung des Handels die Rede. Beim Fiatgeld gibt es jedoch keine Schnittstelle zwischen Real- und Finanzwirtschaft.
    Unser heutiges Geld sorgt jedenfalls für immer weiter ansteigende und später nie wieder abbaubare Staatsschulden, denen die Profite weniger Ultrareicher spiegelbildlich gegenüber stehen.
    Jetzt scheint es infolge der Corona-Krise immer schwieriger werden überhaupt noch an Baumaterial zu kommen.
    Ich würde es mal vermuten, dass das globale Finanzsystem am Ende ist.

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