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Akademiker sind die besseren Menschen – Diesen Eindruck könnte man jedenfalls aus den stets gleichen Studien über die Chancengerechtigkeit des deutschen Bildungssystems gewinnen. Es ist an der Zeit dieses Bildungsideal gerade zu rücken.

Die Diskussion um fehlende Durchlässigkeit dominiert die Bildungspolitik

An diesem Montag wurde der Hochschul-Bildungs-Report 2020 von McKinsey und dem Stifterverband der Deutschen Wirtschaft veröffentlicht. Dabei darf natürlich nicht die Frage nach der Chancengerechtigkeit des deutschen Bildungssystems fehlen. Schließlich dominieren die Themen Durchlässigkeit und soziale Selektivität seit Jahrzehnten die bildungspolitische Diskussion.

Und so kann man auch dem aktuellen Report entnehmen, dass trotz einer weiter wachsenden Zahl von Studienanfängern sogenannte „Nichtakademikerkinder“ nach wie vor benachteiligt seien. Von ihnen erlangen nur 8 % einen Mastertitel und gar nur 1 % den Doktorgrad. Zum Vergleich: 45 % der „Akademikerkinder“ schließen ihr Studium mit dem Master ab, und jeder Zehnte wird promoviert. Die familiäre Herkunft hat also nach wie vor einen enormen Einfluss auf die Wahl des Bildungsweges. Auf den ersten Blick scheint das bedenklich, man kann es als unfair empfinden oder auch als schädlich für eine Volkswirtschaft. Doch ist das nicht sehr simpel gedacht?

Die Debatte ist Ausdruck eines überkommenen Ständebewusstseins

Bereits der Begriff „Nichtakademiker“ ist Ausdruck eines überkommenen Ständebewusstseins. Impliziert er doch eine Geringwertigkeit anderer Bildungs- und Lebensentwürfe. Mit jeder Studie, die beklagt, dass zu wenige Kinder aus Nichtakademikerhaushalten ein Hochschulstudium aufnehmen, wird dieses einseitige Bildungsideal noch verstärkt. Ein Bildungsideal, das sich anmaßt, einer Hochschulausbildung mehr absoluten Wert beizumessen als etwa einer Berufsausbildung. Das macht sowohl jene jungen Politikstudenten unglücklich, die sich aus vermeintlichen Statusgründen durch Luhmann quälen, als auch talentierte Schreiner-Lehrlinge, die „nur“ eine Ausbildung machen und deshalb weniger Wertschätzung erfahren.

Vielleicht sollte man häufiger mal die aberwitzige Prämisse in Frage stellen, dass unser Bildungswesen erst dann gerecht sei, wenn 100 % eines Jahrganges an die Universität gehen. Unser Bildungsideal sollte darauf ausgelegt sein, individuelle Talente zu erkennen und zu fördern und nicht nur Quoten vor sich herzutragen. Dazu gehört auch, den Realschulabschluss nicht mehr als Abitur mit einfacheren Aufgabe zu begreifen, sondern bereits früh berufsvorbereitende Inhalte einzubauen.

Bildung ist auch eine Frage der Kultur und nicht nur der Optimierung

Die Frage nach dem richtigen Bildungs- und Lebensentwurf ist für junge Menschen aber selbstverständlich auch eine Frage der kulturellen Identität. War es früher ganz normal, dass die Kinder das elterliche Geschäft übernehmen, stehen jungen Menschen in Deutschland heute erfreulicherweise alle Wege offen. Dass das so ist, bedeutet aber nicht, dass Erziehung und Sozialisation die Wahl des Bildungsweges nicht beeinflussen dürfen.

Es ist falsch, wenn eine Überhöhung des Hochschulstudiums dazu führt, dass Eltern ihre Kinder per se nicht für studiengeeignet halten. Es ist aber ebenso falsch, die Entscheidungen von Eltern in Frage zu stellen, die ihren Kindern eine Leidenschaft für den heimischen Metzgerbetrieb vermitteln oder den Ethos eines fleißigen Fabrikarbeiters. Wenn also nicht mehr das Individuum mit seinen Talenten und Wünschen im Mittelpunkt steht, sondern ein gesellschaftlich gewünschtes Ergebnis. Es gibt bereits allerhand Mechanismen, die eine größtmögliche Durchlässigkeit ermöglichen. Wer wirklich für ein Studium brennt, erhält in der Regel die notwendige Unterstützung. Sei es durch staatliche Institutionen wie das BaFög und die Stipendien der Begabtenförderungswerke oder mit Hilfe von zivilgesellschaftlichen Initiativen wie etwa der Internetplattform arbeiterkind.de.

Das tatsächliche Problem: Die umgekehrte Finanzierungspyramide

Tatsächlich überlagert die Diskussion um Chancengerechtigkeit regelmäßig das eigentliche Kernproblem unseres Bildungssystems. Betrachtet man die deutsche Bildungsfinanzierung, haben wir es mit einer auf dem Kopf stehenden „Finanzierungspyramide“ zu tun. Während die Hochschulausbildung komplett kostenfrei ist, muss für die frühkindliche Bildung vielerorts gezahlt werden – und zwar zum Teil abenteuerliche Summen. So ein Kita-Platz kostet gerne im Monat mal so viel wie ein Student vor der Abschaffung von Studiengebühren für ein ganzes Semester berappen musste. Und auch bei Grund- und weiterführenden Schulen können sich gerade wohlhabende Familien einen Vorteil durch kostenintensive Nachhilfe oder gar Privatschulen erkaufen.

Ein auf die Förderung individueller Fähigkeiten gerichtetes Bildungswesen sollte genau andersherum aufgebaut werden. Gerade im frühkindlichen Bereich besteht die Notwendigkeit staatlicher Finanzierung. Universell für Kitas, Musikunterricht oder andere Bildungsangebote einlösbare Bildungsgutscheine würden hier Abhilfe schaffen und eine breite frühkindliche Förderung ermöglichen. Eine solche Notwendigkeit besteht für die Universitäten hingegen nicht. Hier sollten die Kosten von denen getragen werden, die tatsächlich durch ein höheres Einstiegsgehalt davon profitieren, den Studenten. Genau wie Betriebe für die Ausbildung ihrer Lehrlinge und Entrepreneure für die Gründung ihrer Unternehmen zahlen.

Nun könnte man argumentieren, dass Hochschulbildung so viele positive externe Effekte produziert, dass eine vollständige Subventionierung der deutschen Studenten gerechtfertigt ist. Gerade dieses Argument ist aber Ausdruck der Akademikerüberhöhung. Es ist schlicht anmaßend zu behaupten, ein Akademiker würde mehr positive Effekte für die Gesellschaft produzieren als beispielsweise ein junger Entrepreneur, und sollte deshalb subventioniert werden. Deutschland hat ein duales Bildungswesen, um das es die ganze Welt beneidet. Anstatt die Studierendenquote vor sich herzutragen wie den Heiligen Gral, sollte man das Bildungssytem dahingehend stärken, dass Individuen möglichst viele Chancen erhalten, ihren eigenen erfolgreich Weg zu gehen. Das wäre echte Gerechtigkeit!

2 Kommentare
  1. David X
    David X sagte:

    Guter Beitrag, vielen Dank. Das Problem ist aber der Sozialismus und der Umverteilungswahn der hiesigen Gesellschaft, der ganz viele Diskussionen negativ beeinflußt. Das beigefügte Bild ist hierfür typisch: „Reiche Eltern für alle.“ Das Wort „reich“ ist mittlerweile zu einem Reizwort umfunktioniert worden. Den meisten derer, die da protestieren, geht es letztlich gar nicht um Bildung, sondern nur um ihre verqueren Vorstellungen.

    Das Thema der Bildungschancen – etwa „Arbeiterkinder“ vs. „Akademiker“ – kenne ich schon aus meiner eigenen Schulzeit (60er Jahre). Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, daß es primär auf die Fähigkeiten ankommt, auf den „Biß“, auf das Wollen, möglichst in Verbindung mit vorhandenenTalenten. Als Ergebnis muß natürlich mitnichten ein Akamiker stehen, bloß nicht! Ein Handwerker, der sein heute oft überaus anspruchsvolles Metier beherrscht und angestellt oder selbständig mit Erfolg seiner Arbeit nachgeht, hat aus meiner Sicht einen viel höheren „Wert“ (wenn ich’s mal so bezeichnen darf) als irgendein Soziologe, Politologe oder Genderist-Professorin. Letztere bringen die Gesellschaft nicht weiter, ganz im Gegenteil – erstere hingegen leisten wertvolle Dienste und tragen erheblich zur Wertschöpfung bei.

    Ich kenne übrigens viele sehr erfolgreiche Leute, die – oft unter beträchtlichen Entbehrungen – zuerst eine Lehre absolviert und nach einigen Jahren ein Hochschulstudium drangehängt haben. Das ist dann sozusagen die Ochsentour. Diese Kollegen waren immer von besonderer Exzelennz.

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  2. Giovanni Paolo
    Giovanni Paolo sagte:

    Ich schließe mich dem Artikel und dem Kommentar von David X an. Wir brauchen nicht einfach noch mehr Akademiker, sondern die richtigen. D.h. in den richtigen Fächern und mit hohem Leistungsniveau. Die letzte NRW-Regierung gefiel sich darin, die Akademikerquote hochzutreiben ohne Rücksicht darauf, was am Arbeitsmarkt. Chancen hat. Damit ist niemand gedient. Statt Masse muss wieder Klasse erreicht werden.

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