Photo: Levan Ramishvili from Flickr (Public Domain)

Von Max Molden, Ökonom, Philosoph und Politikwissenschaftler.

Friedrich von Hayeks Road to Serfdom ist für einige das bedeutendste politische Buch des 20. Jahrhunderts, für andere ein missglückter, von der Erfahrung widerlegter Ausflug eines Ökonomen in fremde Gefilde. Der Weg zur Knechtschaft war zuvorderst ein Weg der Missverständnisse. Dass sowohl Freund als auch Feind Hayek oft missverstanden, zeigt eindringlich, wie wichtig die präzise und sinngemäße Verwendung von Begriffen ist.

1944 publizierte der österreichische Emigrant Friedrich von Hayek in Großbritannien den Weg zur Knechtschaft, der schnell das Interesse der breiten Öffentlichkeit weckte. Hayek trieb die Frage um, ob Sozialismus notwendigerweise zur Zerstörung der politischen Freiheit führt. Dass dies unausweichlich geschehen müsse, war die klare Schlussfolgerung seiner Untersuchungen, die er als Warnung „den Sozialisten in allen Parteien“ widmete.

Der US-amerikanische Nobelpreisträger Paul Samuelson resümierte 1989 in einem Lehrbuch für Ökonomik, dass Hayeks Vorhersage, Staatsintervention in eine Marktwirtschaft führe unausweichlich zum Verlust der politischen Freiheit, in der Realität nicht eingetroffen war. Anderen, meist konservativen Kreisen zuzurechnenden Personen war und ist genau diese These eine dringliche Warnung, jeglicher Intervention strikt ablehnend gegenüber zu stehen.

Doch Hayek hatte diese These, welche sowohl Zustimmung als auch Ablehnung fand, nie verteidigt, ihr sogar vehement in Wort und Tat widersprochen. Wie er später festhielt, hätte es ja wenig Sinn ergeben, eine Warnung an die Sozialisten aller Parteien auszusenden, wenn die Knechtschaft bereits unausweichlich wäre – denn Interventionen in die Marktwirtschaft gab es sowohl in Großbritannien als auch in den Vereinigten Staaten 1944 bereits zuhauf. Eben weil Hayek also die ihm von Samuelson und anderen unterstellte These ablehnte, verfasste er eine Warnung, um eine unbeabsichtigte Entwicklung der westlichen Staaten, an deren Ende der Verlust der politischen Freiheit stehen würde, zu verhindern.

Zumindest maßgeblich für dieses große Missverständnis zwischen Hayek und seinen Lesern ist wohl ein eklatant verschiedenes Verständnis des Begriffes „Sozialismus“: Hayek verstand hierunter ein System des Gemeinschaftseigentums an den Produktionsmitteln; für Samuelson und andere war bereits der Eingriff des Staates in das Preissystem sozialistisch. Dies führte also sogar in wissenschaftlichen Kreisen zu hartnäckigen Missverständnissen. Auch heute besteht noch die Gefahr, dass Hayeks eigentliche These, Gemeinschaftseigentum an den Produktionsmitteln muss zum kompletten Verlust der politischen Freiheit führen, mit dem offensichtlichen Nichteintreten der ihm fälschlicherweise unterstellten Vorhersage unberechtigterweise mitdiskreditiert wird.

Derart umstrittene Begriffe wie Sozialismus oder auch Liberalismus, Freiheit oder Gleichheit wird man wohl nicht mehr einer einzelnen Bedeutung zuführen können. Dafür sind sie im politischen (und auch wissenschaftlichen) Diskurs zu wertvoll – zu stark positiv besetzt, als dass eine politische Fraktion sie aufgeben könnte. Und doch zeigt die ambivalente Verwendung des Wortes „Sozialismus“ im obigen Fall wie kostbar begriffliche Klarheit ist. Nur wenn die Sprache klar ist, können Ideen vermittelt und ausgetauscht werden, kann man einander verstehen und ist sinnstiftender Diskurs möglich. Nur so können andere Hayeks Warnung nachvollziehen. Nur so ist es möglich, zu begreifen, was der Weg zur Knechtschaft ist und wie diese verhindert werden kann – oder vielleicht auch Argumentationsfehler Hayeks zu entdecken. Begriffe sollten daher möglichst ihrem allgemein akzeptierten Sinn entsprechend gebraucht sowie ihre Bedeutung präzise bestimmt werden.

Aber dies ist häufig nicht der Fall. Und so leiden auch heute viele Diskussionen im öffentlichen Raum unter der schwammigen Verwendung von Begriffen. Manch einer schreibt Brandreden gegen Parteien, die eine Gefahr für die „Demokratie“ seien, in denen dann aber Kern des Bedenkens die Verluste von Bürgerrechten, Freiheit oder Anstand sind und eben nicht die Ersetzung der Herrschaft des Volkes durch ein anderes Prinzip. Andere verwenden den Begriff „Privileg“ – ursprünglich die Bezeichnung für ein vom Gesetzgeber gewährtes Vorrecht – in gänzlich anderen Zusammenhängen. Beispielsweise um ungleiche Zukunftschancen durch das Elternhaus zu kritisieren, wo aber niemandem ein Vorrecht gewährt wurde, das womöglich auch noch zum Nachteil der anderen (oft als Unterprivilegierte bezeichnet) wirkt.

Natürlich ist es opportun, Begriffe anderen Bedeutungen zu überführen, wenn diese Begriffe, wie das Privileg, bereits starke Assoziationen mit sich führen oder vielleicht negativ konnotiert sind. So kann eine mit der ursprünglichen Bedeutung verbundene Assoziation auf die neue Bedeutung übertragen werden. Vielleicht spielen auch andere Faktoren in der Sprachentwicklung eine Rolle, sei es möglicherweise nur der Zufall. Schlussendlich aber birgt die unpräzise und nicht mehr einheitliche Verwendung von Begriffen das Risiko, Missverständnisse zu erzeugen und vielleicht gar einen Zerfall der Kommunikation auszulösen. Hayeks Warnung vor der Zwangsläufigkeit der Zerstörung der politischen Freiheit in einem sozialistischen System mag untergehen im Getose derjenigen, die den Erfolg des skandinavischen Wohlfahrtsstaates zelebrieren, der aber ja nicht sozialistisch ist im Sinne Hayeks. Parteien, die zuvorderst eine Gefahr für die Freiheit – die Werte der westlichen Zivilisation – darstellen, können die ins Kleid des Demokratieschutzes gehüllte Kritik zurückweisen und sich gar zum Beschützer der Demokratie emporschwingen. Diskussionen über soziale Gerechtigkeit und Privilegien können in beidseitigem Unverständnis ob der zugrundeliegenden Sachverhalte und möglicherweise in einer radikalen Blockadehaltung enden, die eine konstruktive Lösung der Probleme zumindest erschwert.

Die Gefahr, die über all dem schwebt, ist einerseits, dass äußerst wertvolle Ideen verlorengehen oder missverstanden werden: Vielleicht hätte sich der ein oder andere gegen manche Handlung, manchen Weg entschieden, wenn er denn die Warnungen anderer verstanden hätte. Andererseits kann aus dem abnehmenden Verständnis der Bürger untereinander in einer Gesellschaft ein abnehmender Wille zur Verständigung folgen. Denn wieso soll sich verständigen, wer sich nicht mehr versteht?

Erstmals erschienen bei Peace Love Liberty.

2 Kommentare
  1. Ralf Becker
    Ralf Becker sagte:

    Wikipedia schreibt:
    Hayek baute die Konjunkturtheorie Ludwig von Mises’ weiter aus.

    Grundlegend für von Hayeks Konjunkturtheorie sind folgende Überlegungen: Durch freiwilliges Sparen verringert sich die Nachfrage nach Konsumgütern.

    t-online am 02.01.2020
    Deutsche sparen falsch – und werden dennoch immer reicher

    Jedenfalls ist den Deutschen die genaue Funktionsweise unseres Geldes meistens nicht so richtig bekannt.

    „Schulden der einen sind Vermögen der anderen“
    Jedenfalls ist Geld doch als solches eine Schuld und es ist auch etwas komisch, dass Geld eine Schuld gegenüber den Banken ist.

    Die genaue Wirkungsweise unserer vielen Schulden wird meistens nicht verstanden. Jedenfalls scheinen Banken kein sonderliches Interesse daran zu haben, dass die Bürger am Unternehmenskapital beteiligt sind. Wäre es anders, dann würden sie auch nicht dermaßen mit ihren Robotradern zocken.

    FAZ am 15.06.2013
    WAS TREIBEN DIE BANKEN? (7):
    Warum Banken ihre eigenen Schulden lieben

    Banken leihen sich lieber Geld, als es von ihren Aktionären einzusammeln. Das erhöht das Risiko. Wenn’s schiefgeht, haftet der Steuerzahler.

    Aber wäre es überhaupt möglich, dass man mit Geld überhaupt am Kapital beteiligt sein könnte? Schließlich gibt es beim Fiatgeld zwischen Real- und Finanzwirtschaft doch ohnehin keine Schnittstelle.
    Vor allem ist es doch grob komisch, dass es ohne Schulden insofern auch kein Geld gibt.

    Welt am 22.11.2012
    Junge Generation ahnt nicht, was auf sie zukommt

    Jedenfalls haben wir derzeit eine Situation, wo die Schulden sehr erheblich schneller wachsen als das BIP. Wir nennen dies „schuldenbasiertes Wachstum“.

    Ökonom Daniel Stelter warnt
    „Schulden können nicht ewig schneller wachsen als das Einkommen“
    „Es wird zu einer Korrektur der Vermögenswerte kommen“

    Welt am 15.08.2015
    Wer jetzt keine Schulden hat, ist selber schuld

    Jedenfalls sind es doch bei der expansiven Geldpolitik ausgerechnet die Ultrareichen, die von den aus dem Nichts geschöpften Krediten der Banken profitieren, wodurch auch gleichzeitig immer schneller neu geschöpftes Geld per Kredit in Umlauf gelangt.

    Bei unserem Geldsystem scheint es eben auch Wachstumszwänge zu geben.

    Wachstum – eine Naturnotwendigkeit? Der inzwischen verstorbene Hans-Christoph Binswanger war sich sicher: wir müssen mindestens 1,8% jährlich wachsen. Sonst bricht die Marktwirtschaft zusammen.

    Jedenfalls scheint es im System inbesondere bei den Staatsschulden eine Unmöglichkeit des Schuldenabbaus zu geben.

    Die Politik sozialisiert also ständig Schulden, weil nur so neues Geld im System nachgelegt werden kann, weil ständig eine künstliche Konjunktur erzeugt werden muss, aber die großen Akteure kassieren dann ständig nach kurzer Zeit einen großen Teil des als Schuld nachgelegten Geldes und es fehlt dann noch mehr Konsum (als Wirtschaftsmotor). Die Politik hat dann nur die Möglichkeit noch viel mehr Schulden zu machen bzw. die EZB druckt immer schneller Geld.

    Wo es aber immer mehr Schulden gibt, da gibt es auch immer mehr Zinslasten.

    KenFM am 26. August 2016:
    Christoph Pfluger über die Exponentialfunktion und endliches Wirtschaftswachstum

    Geld ist Macht.
    Die Macht setzt es voraus:
    a) Geldverleih aus dem Nichts
    b) die Forderung der Banken muss durch den Zins höher sein als die Geldmenge im Umlauf
    c) die Bevölkerung darf unter keinen Umständen jemals etwas von diesem Betrug erfahren

    WiWo am 20.03.2012
    Der Ökonom Karl-Heinz Paqué und der Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel streiten über ein tragfähiges Wohlstandsmodell.

    …unter anderem steht dort:
    Miegel: Ich wäre einverstanden, wenn ihre Aussage stimmte, dass Wachstum hierzulande eine bloßes Wachstum des Wissens sei. Zwar gibt es ein solches Wachstum, aber die Masse unseres Wachstums geht nach wie vor einher mit Ressourcenverbrauch und Umweltbeeinträchtigung

    Jedenfalls scheinen die immer noch ausgebliebenen Reformen der Bundesregierung ein Signal dafür zu sein, dass ihr es zwar bekannt ist, dass das System nicht funktioniert, aber sie schreckt auch vor einem Systemwechsel zurück.

    David Graeber: Niemand glaubt wirklich daran, dass Griechenlands Schulden zurückgezahlt werden können oder überhaupt zurückgezahlt werden müssen. Das Problem ist kein wirtschaftliches, sondern ein moralisches.

    Jedenfalls kommt es uns so vor, als würden wir mit Geld tauschen. In Wirklichkeit ist unser Geld sorgfältig durchdachter Betrug, weil wir es nicht wahr haben wollen, dass Geld allein durch die Geldverknappung einen Wert hat.

    Wir machen mit Schulden immer neue Konjunktur. Außerdem können wir doch auch nur mit immer mehr später nicht mehr abbaubaren Schulden das System künstlich am Leben halten und das ist letztlich der Grund, warum immer mehr aufgerüstet wird.

    Gleichzeitig fehlt der Zentralbank wegen der Notwendigkeit des Gelddruckens insofern die Möglichkeit mit einer Anhebung des Leitzins für eine Geldmengenverknappung zu sorgen, womit letztlich Inflation bekämpft werden müsste, weshalb sich das System insofern auch keine Inflation leisten kann. Etwa für Pflegekräfte ist daher auch kein Geld da.

    Früher stand es doch auf den Geldscheinen drauf, dass das Fälschen von Geld strafbar ist. Aber die Politik braucht auch kein Geld fälschen. Sie macht ganz einfach Schulden bei den Banken. Der Geldverleih der Banken aus dem Nichts ist aber komischerweise nicht strafbar und wir glauben es sogar auch noch, dass so etwas ewig funktioniert.

    Insgesamt ist es komisch, dass man bei unserem System deshalb Geld hat, weil andere Leute Schulden haben.

    Jetzt stellt sich die Frage, wie die Wirtschaft anders funktionieren könnte.

    Soweit ich dies einschätzen kann, müssen wir die Wirtschaft komplett neu erfinden.

    Wenn es kein Geld mehr gibt, dann müssen viele Sachen, über die man mit Geld doch erst gar nicht nachdenken musste, dann irgendwie anders geregelt werden.

    Wer entscheidet es etwa, was und wie viel produziert wird?
    Könnte ein Planungsbüro überhaupt solche Entscheidungen treffen?
    Wie kann ich für Leistungsanreize sorgen?

    Viele unserer Probleme wie die fehlende „freie Energie“, die fehlende Kenntnis über ein funktionierendes Finanzsystem etc. könnten wir sehr schnell lösen, wenn es stimmen sollte, dass es eine „Innenerde“ gibt. Angeblich soll es an den Polen jeweils eine 200 km große Polöffnung zur Innenerde geben. Aber bei entsprechenden Flügen dorthin hat bislang niemand eine solche Öffnung gesehen. Andererseits ist eine nur 200 km große Polöffnung auch nicht extrem einfach zu finden.

    Würde es tatsächlich eine solche Polöffnung geben, dann würde sie von unseren Regierungen verheimlicht. Wir sehen es doch am Roswell-Vorfall oder etwa an der Area 51, dass unsere Regierungen uns durchaus nicht alles sagen. Auch frage ich mich, warum man dann Snowden dermaßen jagen sollte, wenn es keine wesentlichen Geheimnisse gäbe.

    Jedenfalls basiert das normale Wirtschaftsstudium zu sehr auf der Neoklassik. In Wirklichkeit gibt es bei unserer fehlerhaften Geldentstehung als Schuld vor allem auch das Problem des späteren Schuldenabbaus.

    Zitat:
    »Der Kapitalismus basiert auf der merkwürdigen Überzeugung, dass widerwärtige Menschen aus widerwärtigen Motiven irgendwie für das allgemeine Wohl sorgen werden«
    John Maynard Keynes

    Antworten
  2. Thomas Bingel
    Thomas Bingel sagte:

    „Zumindest maßgeblich für dieses große Missverständnis zwischen Hayek und seinen Lesern ist wohl ein eklatant verschiedenes Verständnis des Begriffes „Sozialismus“: Hayek verstand hierunter ein System des Gemeinschaftseigentums an den Produktionsmitteln; für Samuelson und andere war bereits der Eingriff des Staates in das Preissystem sozialistisch. Dies führte also sogar in wissenschaftlichen Kreisen zu hartnäckigen Missverständnissen.“

    Was fuer ein blanker Unsinn! Natuerlich waren staatliche Preiskontrollen oder Preislenkung fuer Hayek ebenfalls sozialistisch! Diese haarspalterische Unterscheidung ist einfach laechelich!

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