Photo: Matti zoman from Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)
Was hat eine 100-jährige Dame mit TikTok am Hut? Man mag es kaum glauben, aber: Extrem viel. Ungeachtet der breiten Kritik an dem Videoportal des chinesischen Staatskonzerns ByteDance war Lily Ebert ein kleines Licht inmitten der Massen an Reels, Shorts und anderen Clips tanzender Mitglieder der GenZ und AfD-Postings. Millionen von Menschen auf der ganzen Welt verfolgten die Videos der Holocaustzeitzeugin und ihres Urenkels Dov Forman, in denen sie Fragen zum Überleben in Auschwitz beantwortete.
Lily Ebert, gebürtig Lívia Engelman, wurde 1923 als ältestes von sechs Kindern einer jüdisch-orthodoxen Familie in der ungarischen Stadt Bonyád geboren. Im März 1944 besetzten die Nationalsozialisten das Land; Eberts Familie wurde nach Ausschwitz deportiert. Ihre Mutter und zwei ihrer Geschwister starben in den Gaskammern, während Ebert bis zur Befreiung durch die Alliierten in einer Leipziger Munitionsfabrik Zwangsarbeit verrichten musste. Nach dem Krieg wanderte sie zunächst nach Israel aus, gründete eine Familie und ließ sich 1968 in London nieder. Zeit ihres Lebens setzte sich Ebert ein für das Andenken der Holocaustüberlebenden – und gegen das Vergessen: Sie arbeitete mit verschiedenen Ministerien des Vereinigten Königreichs zusammen, verfasste mit ihrem autobiografischen Werk „Lily’s Promise: How I survived Auschwitz and Found the Strength to Live“ eines der meistverkauften Geschichtsbücher Waterstones und wurde 2023 von König Charles III. zum Member of the Order oft he British Empire ernannt.
„Hello TikTok, Shabbat Shalom!“, hörte man sie noch im September fröhlich in die Kamera sagen. Eine Stimme, die ihre so wichtige Botschaft beharrlich und unbeirrt in der Welt verbreitete.
Lily Ebert starb am 09. Oktober 2024 in London. Ihre Stimme aber wird bleiben.