Photo: Bundesarchiv, B 145 Bild-F052015-0031 / Wegmann, Ludwig (CC-BY-SA 3.0)

Otto Graf Lambsdorff war ein kerniger Typ, der sich nicht so leicht erschüttern ließ. Dies hatte wahrscheinlich auch mit seiner Kriegsgefangenschaft und seiner schweren Verwundung im 2. Weltkrieg zu tun. Lambsdorff hat den politischen Liberalismus im Nachkriegsdeutschland maßgeblich geprägt und mit Klarheit und Entschiedenheit vertreten. „Marktgraf“, wie ihn die ganz wenigen wohlwollenden Medien nannten, war eine von Respekt und Hochachtung geprägte Bezeichnung. Am vergangenen Samstag jährte sich sein Todestag zum elften Mal.

Wenn man Lambsdorffs Wirken betrachtet, dann sind es drei Phasen in seinem Leben, in denen er die deutsche Politik maßgeblich geprägt hat. Die erste Phase war die als Wirtschaftsminister einer sozial-liberalen Koalition unter Helmut Schmidt. Er war der marktwirtschaftliche Gegenpol zur umverteilenden Sozialdemokratie in der Regierung, teilweise sogar in der eigenen Partei, der FDP. Sein „Wendepapier“ 1982 war der niedergeschriebene Fedehandschuh, um der kraftlos agierenden Regierung Schmidt/Genscher eine letzte Chance zu geben. Es war ein Manifest für eine marktwirtschaftliche Erneuerung und eine Rückkehr zu soliden öffentlichen Haushalten. Steigende Arbeitslosigkeit, schlechte Haushaltszahlen und die hohe Inflation machten eine wirtschafts- und haushaltspolitische Kehrtwende erforderlich. Der anschließende Wechsel zur christlich-liberalen Koalition unter Kanzler Helmut Kohl und die anschließende Neuwahl 1983 brachte die FDP fast um ihre parlamentarische Existenz.

Nicht immer hat sich Lambsdorff mit seinem Kurs in der FDP durchgesetzt. Als der Deutsche Bundestag 1998 über die Einführung des Euro als Gemeinschaftswährung abstimmte, versagte er seiner Fraktion die Gefolgschaft ebenso wie Burkhard Hirsch. Beide gehörten innerhalb ihrer Partei zu sehr unterschiedlichen Flügeln, dennoch kamen beide – der eine aus ökonomischer und der andere aus rechtsstaatlicher Sicht – zum gleichen Ergebnis. Lambsdorff war Vorsitzender der FDP vor und nach der Deutschen Einheit. In dieser zweiten Phase seines politischen Lebens hat er die Liberalen zu einer gesamtdeutschen Partei entwickelt und die Liberalen bei der Bundestagswahl 1990 zu einem Ergebnis von 11 Prozent geführt.

Lambsdorff wurde meist als Wirtschaftsliberaler bezeichnet oder darauf reduziert. Damit wird man seinem Verständnis von Liberalismus nicht gerecht. Er war ein klassisch Liberaler. Sein Tätigkeitsfeld war als Wirtschaftsminister zwar die Wirtschaftspolitik, im Sinne der Rahmensetzung in einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Aber er war auch auf dem Gebiet der Aussöhnung und der Menschenrechte aktiv. Dies prägte die dritte Phase seines politischen Wirkens. Es war die Zeit, in der er die meisten Freiheiten genießen konnte, weil er dem politischen Alltagsgeschäft entzogen war. Und hier zeigte sich dann auch, für welche Fragen und Themen sein Herz besonders schlug.

Für die rot-grüne Bundesregierung Schröder/Fischer verhandelte er erfolgreich in den USA über die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter, schaffte damit Rechtsfrieden und trug einen wichtigen Teil bei zur Aussöhnung mit diesen Opfern des nationalsozialistischen Terror-Regimes. In dieser Zeit rückte Lambsdorff auch die Annexion Tibets durch China in den Fokus deutscher Politik. Er empfing als Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung mehrmals das geistliche Oberhaupt der Tibeter, den Dalai-Lama. 1996 veranstaltet die Stiftung in Bonn sogar ein Tibet-Treffen mit der Exilregierung und Vertretern aus 53 Staaten. Die diplomatischen Auseinandersetzungen zwischen der Volksrepublik China und der deutschen Bundesregierung, deren Außenminister Klaus Kinkel damals war, führte dabei zu einem heftigen Streit über den Kurs der deutschen Außenpolitik innerhalb der FDP.

Lambsdorff setze sich nicht nur für Tibet ein, sondern unterstütze auch die Demokratiebewegung in Taiwan. Bei Demokratie und Menschenrechten kannte er keine Kompromisse. Er hat die Frage der Menschenrechte nicht gegen ökonomische Interessen ausspielen lassen. Der Volksrepublik China waren Lambsdorff und seine klaren Positionen ein Dorn im Auge. Die Naumann-Stiftung musste 1996 sogar ihr Büro in Peking auf Druck der chinesischen Staatsführung schließen.

1999 machte die Naumann-Stiftung unter Lambsdorffs Führung sehr kluge Vorschläge für eine Reform des Föderalismus in Deutschland. Im deutschen Föderalismus greifen sich die Staatsapparate gegenseitig in die Tasche. Er plädierte daher für eine stärkere Trennung der Ebenen und für eine Stärkung von Einnahmen- und Ausgabenverantwortung. Die Mischfinanzierung der Staatsaufgaben wollte er durch einen Wettbewerbsföderalismus nach Schweizer Vorbild reformieren. Eine Überlegung, die heute noch überlegenswert ist.

Als klassisch Liberaler gehörte Friedrich August von Hayek zu seinen wichtigsten intellektuellen Quellen. In der Neuauflage des Buches „Der Weg zur Knechtschaft“ schrieb er 1990 über die deutsche Wirtschaftsordnung: „Bei mehr Marktwirtschaft hätten wir mehr mündige Bürger, weniger Trittbrettfahrer auf dem Wohlfahrtszug und mehr Arbeit in zumutbarer Beschäftigung. Damit wäre auch mehr Hilfe für die wirklich sozial Schwachen möglich.“ Diese Worte sollten deutschen Politikern angesichts der gigantischen Herausforderungen bei der Bewältigung der Pandemie nicht nur in den Ohren klingeln, sondern dröhnend scheppern. Die Mischung aus Standfestigkeit und Dynamik, die den Marktgrafen auszeichnet, wünscht man sich auch heute wieder öfter – ob es um die Leistungsfähigkeit des Sozialstaates geht oder um das Bekenntnis zu liberalen Werten auf der ganzen Welt.

3 Kommentare
  1. Christiaan Eckhart
    Christiaan Eckhart sagte:

    Vielen Dank für diesen gelungenen Artikel, der sehr nachdenklich macht, Herr Schäffler! Mir wird dadurch wieder bewusst, wie freiheitlich wir in der Wirtschaftsordnung und wir klar wir unserer Werte in unserer Republik bereits einmal vertreten haben. Ich wünsche allen den Mut dieses im neuen Jahr wieder in den Mittelpunkt zu stellen und unserem Land eine bessere Perspektive zu ermöglichen. Wir waren mal mehr als nur Mittelmaß! Mein Motto: die Zeit ist reif für eine liberale Renaissance. Allen frohe Tage und ein in allen Belangen besseres neues Jahr!

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  2. Felix Haller
    Felix Haller sagte:

    Als politisch interessierter Bürger teile ich die liberalen Werte und Einstellungen Lambsdorffs.
    Mehr Subsidiarität, mehr Eigenverantwortung und weniger Einschränkungen, stattdessen mehr wirtschaftliche Freiheit, solide Staatsfinanzen etc. Als Erst- und Jungwähler bekam die FDP seit 1969 regelmäßig meine Zweitstimme auf Bundes- und Landesebene.

    Aber Lambsdorff war auch ein Machtmensch. Er war „ein kerniger Typ, der sich nicht so leicht erschüttern ließ“, heißt es anerkennend bis respektvoll im Text. Er wurde im Zusammenhang mit der Flick-Affäre wegen Steuerhinterziehung rechtskräftig zu 180.000 DM verurteilt. Das Gericht konnte ihn wegen Bestechlichkeit und Untreue nur deswegen nicht verurteilen, da dafür die Beweislage zu dünn war. Graf Lambsdorff ist also auch ein vorbestrafter Krimineller.

    Live aus Buxtetown am Esteriver
    Felix Haller – seit 2013 alternativ

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