Photo: Bart Everson from Flickr (CC BY 2.0)
Mit dem jüngsten Gesetzentwurf zu Hasskommentaren öffnet die Bundesregierung eine Schleuse. Wir brauchen nicht noch mehr staatliche Aufsicht im Netz, sondern eine starke Zivilgesellschaft, die Hass und Verleumdung ächtet.
Nicht noch mehr Machtinstrumente!
Seitdem der neue amerikanische Präsident das Mittel der „executive order“ anwendet, um seine politischen Vorstellungen unkompliziert zu verwirklichen, dämmert es auch seinen Gegnern, die wenige Monate vorher noch begrüßt hatten, dass Obama das Mittel verwendete, um die Kontrolle durch die Abgeordneten zu umgehen: Ein Machtinstrument, einmal geschaffen, bleibt im Arsenal des Staates und kann von unterschiedlichsten Leuten genutzt werden. Genauso wie mit Steuern, die in den seltensten Fällen abgeschafft und auch kaum einmal gesenkt werden, verhält es sich mit Gesetzen, Behörden und Ämtern. Gesetze werden ergänzt, erweitert und geklont. Und Behörden entwickeln häufig Eigendynamiken, indem sie für sich selbst immer neue Aufgabenbereiche finden.
In der Regel steigert sich auch die Frequenz der Nutzung dieser politischen Instrumente. Die Bürger gewöhnen sich eben daran, dass bestimmte Produkte gesondert besteuert werden oder dass Eingriffe in ihre individuellen Entscheidungen gemacht werden. Viele sind zu bequem, um sich aktiv zu wehren – und am Anfang sehen viele Maßnahmen ja auch noch verhältnismäßig harmlos aus. Nur wenige denken schon perspektivisch an die Möglichkeiten, diese Eingriffe auszuweiten. Viele der Maßnahmen wirken auch auf den ersten Blick sinnvoll oder zumindest hilfreich, um ein von vielen geteiltes Anliegen zu erreichen: vom Soli bis zu den Schockbildern auf Zigarettenschachteln. Mit der zunehmenden Digitalisierung gerät auch dieser Bereich natürlich immer mehr in den Fokus der Politik.
Die Vergiftung der Kommunikation ist zurecht auf der Agenda
Justizminister Maas hat sich schon länger an die Spitze der Bewegung gesetzt, die das Chaos und die Spontaneität des Internets in geordnete Bahnen lenken will. Wo immer es darum geht, sich öffentlichkeitswirksam gegen amerikanische Großkonzerne in Szene zu setzen oder dafür zu sorgen, dass die Neuen Medien nicht zur Verbreitung von Hassbotschaften verwendet werden – Heiko Maas ist nicht weit. Und tatsächlich: Wenn man sich als zivilisierter und halbwegs gutmütiger Mensch einmal mit den Aussagen beschäftigt, die jeden Tag in Massen ins Netz gestellt werden, kann einem angst und bange werden. Wer würde sich nicht auch ein öffentliches Forum wünschen, das von einer fairen und respektvollen Kommunikation geprägt ist? Dass Handlungsbedarf besteht, würde kaum einer bestreiten. Die Enthemmung und mitunter Vergiftung der Kommunikation ist zurecht auf der Agenda.
Der jetzige Gesetzesvorschlag ist allerdings in vielerlei Hinsicht kontraproduktiv. In den letzten Tagen ist schon viel darüber geschrieben worden, welche Gefahren der Vorschlag birgt. Was freilich bisweilen fehlt, sind konstruktive Vorschläge, wie man mit dem bestehenden Problem umgeht ohne die Bataillone der Netz-Nannies in Bewegung zu setzen. Der Minister selbst hat erst vor zwei Monaten in einem Kommentar zum NPD-Verbotsverfahren einen guten Vorschlag gemacht: „Politik, Zivilgesellschaft und jeder einzelne Bürger haben die Verantwortung, bei Extremismus und Gewalt nicht wegzuschauen: sei es Zuhause, am Arbeitsplatz, in der Kneipe, in der U-Bahn oder auf dem Fußballplatz.“ Und, so möchte man ergänzen, eben auch im Internet.
Eine Gesellschaft ist nur so lange lebendig, wie die Bürger Verantwortung übernehmen
Der Kampf gegen Hasskommentare und Fake-News ist eine Aufgabe für jeden, dem an einem friedvollen und vernünftigen Miteinander gelegen ist. Aber nicht in dem Sinne, dass man sich als Hilfs-Sheriff betätigt. Der Vorschlag von Maas würde Menschen dazu motivieren, das Instrument des „Meldens“ zu nutzen – und vermutlich wären es nicht die angenehmsten unserer Zeitgenossen, die sich zu besonders bereitwilligen Netz-Warten entwickeln würden. Die Betreiber von Plattformen würden überschwemmt mit Anträgen zur Löschung oder Sperrung. Es entstünde eine Atmosphäre des Misstrauens, die Zahl von Fake-Profilen würde weiter explodieren und im Zweifel verlagern sich die „Hasskommentatoren“ in geschützte Räume, wo sie eine noch weniger mit denjenigen in Kontakt kommen, die ihre Ansichten in Frage stellen und ihren Ton kritisieren könnten. Am Ende wird es nur noch mehr Kontrollen geben – und wie heute schon vom Justizministerium staatliche „Marktwächter“ eingesetzt werden so müssen wir dann irgendwann mit „Netzwächtern“ rechnen.
Anstatt Anstand zu verstaatlichen sollte der Minister lieber die Bürger ermutigen, selber Zivilcourage zu zeigen. Den Einsatz für ein respektvolles Miteinander an Unternehmen und Behörden abzugeben, ist der erste Schritt zu dem Wegschauen, das Maas in seiner oben zitierten Äußerung zurecht kritisiert. Es ist unsere Aufgabe als Internetnutzer, gegen Hass und Verleumdung die Stimme zu erheben. Eine Gesellschaft ist nur so lange lebendig und stark wie die Bürger Verantwortung übernehmen. Es muss uns gelingen, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass man Aggression nicht mit Aggression beantworten sollte, und dass wir nicht schweigen dürfen, wenn andere beschimpft werden. Nur dann kann man wirklich nachhaltig etwas gegen die Verrohung des Diskurses tun. Das Ziel dürfen nicht Einzelsanktionen sein, sondern eine Änderung des Bewusstseins bei den zornigen Nutzern. Das erfordert Geduld, Optimismus und Zeit. Aber nur wenn „Hasskommentatoren“ ihren Hass verlieren, wird das Problem wirklich gelöst.
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