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Der Staat und seine Vertreter kommen scheinbar mit fast allem durch. Denn es fehlt an mündigen Staatsbürgern, die sich ihrer eigenen Machtlosigkeit auf Zeit bewusst sind.

Einseitige Machtskepsis

Es ist vernünftig, skeptisch zu sein. Vor allem gegenüber großen und besonders einflussreichen Organisationen. Von dem britischen Historiker und Publizisten Lord Acton bekommen wir den Ausspruch überliefert „Power tends to corrupt; and absolute power corrupts absolutely“ (Macht neigt dazu, zu korrumpieren und absolute Macht korrumpiert absolut). Je größer eine Organisation, desto mehr hat sie zu verlieren. Desto leichter können Einzelne ihr Handeln hinter dem der Gesamtorganisation verstecken. Und desto mehr Ressourcen stehen ihr zur Verfügung, um Entscheidungen zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Doch leider hat die im Grunde wünschenswerte Skepsis gegenüber großen Organisationen eine Schieflage. Geht es um Großkonzerne wie Nestlé, Meta oder Volkswagen wird immer erst einmal das Schlimmste angenommen. Das liegt durchaus an vergangenen Verfehlungen aber auch einem tiefverwurzelten Misstrauen gegenüber profitorientieren Organisationen. Staatlichen Organisationen wird im Gegensatz dazu grundsätzlich eine Gemeinwohlorientierung unterstellt. Und das, obwohl sie mindestens genau so mächtig und nicht weniger geschickt darin sind, Entscheidungen in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Stell Dir vor der Staat betrügt und keinen interessiert‘s

Tatsächlich wirkt es so als wäre unternehmerisches Handeln unmoralischer und skandalträchtiger als Staatshandeln. Auf einen öffentlich gewordenen Staatsskandal, kommen gefühlt zehn Diesel-, Trinkwasser oder Bestechungsskandale. Doch das bedeutet noch lange nicht, dass der Staat und seine Vertreter nur saubere Westen im Schrank hängen haben. Vielmehr bemühen sie seit Jahrzehnten die immer gleichen Masche: Droht Aufdeckung, werden Akten entweder „unauffindbar“ gemacht oder zum Staatsgeheimnis erklärt. Wird trotzdem etwas aufgedeckt, dann wird ein unbedeutender Unterabteilungsleiter auf die Schlachtbank geführt. Ansonsten lautet die Devise: Aussitzen. Und kommt es am Ende gar zu einer Untersuchung, sind die Erinnerungslücken groß. Das Erstaunliche: Es funktioniert stets aufs Neue.

Jüngstes Beispiel: Eine populäre norddeutsche Ministerpräsidentin, die mit russischem Staatsgeld eine Landesstiftung gründet, sie grün anstreicht und dann als Vehikel dafür nutzt, um dem beteiligten russischen Staatskonzern zu ermöglichen, Sanktionen zu umgehen. Vielleicht war all das nicht illegal – das muss ein Untersuchungsausschuss herausfinden. Doch es ist mehr als befremdlich, wenn öffentliche Ressourcen und öffentliches Ansehen so skrupellos und dreist zum Vorteil eines Unternehmens genutzt werden. Das wäre schon grotesk, wäre es irgendein Unternehmen. Doch es handelt sich dabei auch noch um die Kriegskassen des größten Kriegsverbrechers unseres Jahrhunderts.

So richtig zu stören scheint das indes nur wenige – zum Leidwesen mancher verzweifelter Journalisten, die jede Woche neue Abstrusitäten zu Tage fördern und sich ob des beharrlichen Aussitzens der Verantwortlichen nur noch verwundert die Augen reiben kann. Nein, die grotesken Rechtfertigungen á la „es ginge ja auch irgendwie zu Recht gegen die arroganten Amis“ verfangen sogar noch in Partei und Land. Man stelle sich nur einmal die öffentliche Hexenjagd vor, die Verantwortlichen hießen nicht Schwesig und Sellering sondern Schlecker und Sewing. Doch so war am Ende wohl alles nur ein unglückliches Missverständnis. Darauf ein Stückchen selbstgebackenen Erdbeerkuchen!

Mündige Staatsbürger braucht das Land

Die öffentliche Lethargie, mit der unmoralisches oder gar widerrechtliches Verhalten von Amtsträgern hingenommen wird, ist frustrierend. Es sind doch gerade die gewählten Vertreter unserer Demokratie, die wir mit der Verwaltung unseres Gemeinwesens betrauen, an die ein besonders hoher moralischer Anspruch zu stellen ist. Betrügt ein Unternehmen, verhält es sich schlecht gegenüber Mitarbeitern oder täuscht es Konsumenten, haben diese eine direkte Einflussmöglichkeit. Auf dem Markt hat jeder Teilnehmer durch seine Kaufentscheidung eine einflussreiche Stimme und niemand wird dazu gezwungen, ein Produkt oder eine Dienstleistung zu nutzen, die nicht den eigenen moralischen Standards genügt. Der Markt stimmt mit den Füßen ab.

Anders im Gemeinwesen. Der Bürger kann nur mit dem Wahlzettel abstimmen und das auch nur alle vier bis fünf Jahre. Und ohne Garantie, auch das zu bekommen, was er sich wünscht. Das lädt viel Verantwortung auf die Träger der Staatsgewalt. Diese im Sinne der eigenen Wähler und auch derer, die einen nicht gewählt haben, auszuüben, erfordert ein hohes Maß an moralischer Integrität und Verantwortungsbewusstsein. Das ist nicht vereinbar mit Salamitaktik, Aussitzen und plötzlichen Erinnerungslücken. Ein mündiger Staatsbürger sollte sich der eigenen Machtlosigkeit auf Zeit gegenüber seinen Vertretern bewusst sein und deshalb gerade ihnen besonders kritisch auf die Finger schauen.

Machtskepsis ist etwas Gutes. Doch wen die Macht von globalen Konzernen gruselt, den sollte die Macht des Staates und seiner Vertreter erst recht gruseln.

1 Antwort
  1. Klaus Falke
    Klaus Falke sagte:

    Absolut richtig, was Sie sagen! Es gibt wenige Politiker, die so prinzipientreu sind, wie z.B. Kubicki. Jedoch die öffentlich-rechtlichen Medien ARD/ZDF lullen die Masse ein und sorgen für die negative Einstellung zur Marktwirtschaft. Selbst in den Krimis von ARD/ZDF sind die Bösen meistens irgendwelche Unternehmer. Das gleiche in den öffentlichen Schulen, bei denen das Kurrikulum die freie Marktwirtschaft nicht explizit zu Thema hat. Oder haben Sie, Herr Hartjen, davon gehört, das man „I, Pencil“ oder anderes Markerklärendes im Unterricht mal zum Thema hatte?

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