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Blindes Vertrauen in den Staat ist genauso gefährlich wie grenzenloses Misstrauen. Ein ideales Staat-Bürger-Verhältnis sollte stattdessen von kritischer Erwartbarkeit geprägt sein.

Staat und Bürger in der Vertrauenskrise

Was bedeutet es, wenn die Bürger dem Staat nicht mehr vertrauen? Seit Wochen geben sich Exekutiven auf Länder- und Bundesebene chaotisch und handeln überstürzt bis planlos. Die Parlamente diskutieren derweil am Rande der Aufmerksamkeitsschwelle und fordern kleinlaut und erfolglos mehr Mitspracherecht. In der Folge wenden sich viele ab: entrüstet, enttäuscht, verständnislos. Für grundsätzlich dem Staat gegenüber eher skeptisch eingestellte Liberale klingt das erstmal nicht so übel: Endlich sieht der staatsgläubige Deutsche das wahre Bild des regulierungswütigen und dabei ineffizienten Staates. Doch ebenso wenig wie es den Deutschen gibt, transformiert eine Vertrauenskrise unser Land über Nacht in ein marktgläubiges liberales Utopia. Denn auch Querdenker und andere politische Randgestalten locken die Enttäuschten mit einfachen Wahrheiten und wütenden Forderungen.

Liberale Demokratien fußen auf einem gesunden Staatsmisstrauen

Den personifizierten Staat, wie ihn Thomas Hobbes‘ Buch „Leviathan“ ziert, gibt es so natürlich nicht. Der Staat ist keine abstrakte Einheit, sondern eine Ansammlung formeller Institutionen (also kodifizierter Spielregeln des Zusammenlebens) und mit besonderen Befugnissen ausgestatteter Menschen. An der Wurzel der Staatlichkeit liegt das Gewaltmonopol. Und das ist des Pudels Kern. Denn es wäre töricht, einfach nur blind darauf zu vertrauen, dass die Vertreter des Staates stets verantwortungsbewusst mit dem Gewaltmonopol umgehen. Menschen irren und wirren (Stichwort Osterruhe). Und Menschen verfolgen auch nicht immer die besten Absichten (Stichwort Maskendeals). Deshalb gibt es umfangreiche Regelungen zum Verhältnis von Staat und Bürger. Die Grundrechte der Artikel 1 bis 19 GG zum Beispiel, oder das Verwaltungsrecht.

Es ist die große Errungenschaft liberaler Demokratien, Staatsgewalt so einzuschränken, dass sie schwerer zu missbrauchen ist als jemals zuvor in der Geschichte der Staatlichkeit – ausgeschlossen ist das freilich trotzdem nicht. Dazu bedarf es sich stets weiterentwickelnder und vor allem robuster Institutionen, die die menschliche Unvollkommenheit so gut wie möglich ausgleichen. Angetrieben wird die Entwicklung solcher Institutionen durch ein gesundes Misstrauen. Oder wie der US-amerikanische Gründervater Thomas Jefferson es ausdrückt:

Vertrauen ist die Mutter des Despotismus. Eine freiheitliche Regierung ist in der Furcht und nicht im Vertrauen begründet; es ist die Furcht und nicht das Vertrauen, das Verfassungen schreibt, um diejenigen zu binden, die wir verpflichtet sind, mit der Macht zu betrauen.

Kentucky Resolution (1798)

Trotzdem wäre es zu kurz gedacht, das Verhältnis zwischen Staat und Bürger als reines Misstrauensverhältnis zu sehen. Was der Liberalismus vom Bürger verlangt ist eine kritische Distanz zur Staatsgewalt – im Gegensatz zum blinden Vertrauen, das man engen Freunden oder manchen Familienmitgliedern gegenüberbringt. Misstrauen ist aber nicht die einzige Alternative zum blinden Vertrauen. Unbegrenztes Misstrauen ist ebenso schädlich wie blindes Vertrauen. Es ebnet den Weg für Populisten jeder Couleur und gefährliche Deep State-Dystopien á la QAnon.

Qualifiziertes Vertrauen: Staatshandeln muss berechenbar sein

Im Verhältnis zwischen Staat und Bürger braucht es stattdessen ein qualifiziertes Vertrauen. Qualifiziertes Vertrauen in den Staat bedeutet korrekte Erwartungen über das Handeln der Staatsmacht zu haben. Tatsächlich ist es doch elementar im Rechtsstaat, Vertrauen in diesem Sinne zu schaffen. Justitia ist blind für die Person, die vor ihr steht. Ihr Urteil ist in der Sache immer gleich und in diesem Sinne können die Bürger auf ein einigermaßen vorhersehbares Ergebnis vertrauen. Gleiches gilt für Exekutive und Legislative. Entscheidungen für politische Repräsentanten werden in der Erwartung bestimmter Folgehandlungen getroffen. Verlässlichkeit und Vorhersehbarkeit unterscheiden die Regierung einer liberalen Demokratie von der Ludwig des Vierzehnten.

Was uns zurückführt zur aktuellen „Vertrauenskrise“. Natürlich ist Berechenbarkeit unter außergewöhnlichen Umständen wie inmitten einer unvorhersehbaren Pandemie schwieriger zu erreichen. Keine der im Bundestag vertreten Parteien ist mit einem Pandemie-Programm angetreten. Und auch im Koalitionsvertrag findet sich kein Passus zum Umgang mit Covid-19. Was also kann der qualifiziert vertrauende Bürger von den Repräsentanten der Staatsgewalt unter diesen Umständen erwarten?

Einiges mehr als aktuell geboten. Denn um berechenbar zu sein, muss sich die derzeit beunruhigend allgegenwärtige Exekutive nicht zwangsläufig auf lange beschlossene Pläne berufen. Berechenbarkeit entsteht durch die offene Kommunikation klarer Leitlinien, die transparent und öffentlich diskutiert und konsequent umgesetzt werden. Nächtliche Ministerpräsidentenkonferenzen, die kreative Entscheidungen sprichwörtlich aus dem Hut zaubern, unbeteiligte Parlamente und ein kaum nachvollziehbares Hin- und Her bei Einschränkungen machen das Handeln der Staatsgewalt so berechenbar wie eine Runde Roulette.

Eine verlässliche Staatsgewalt ist nicht nur gut für das staatsbürgerliche Feeling

Verliert die Staatsgewalt das qualifizierte Vertrauen ihrer Bürger ist das in vielerlei Weise gefährlich. Denn eine verlässliche Staatsgewalt ist nicht nur gut für das staatsbürgerliche Feeling, sie ist auch Grundvoraussetzung für das reibungslose Funktionieren einer Volkswirtschaft. Darüber hinaus schadet unberechenbare Staatsgewalt genau den Institutionen, auf denen unser friedliches Gemeinweisen fußt: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Pluralismus. Denn in blinder Enttäuschung wenden sich im Vertrauen verletzte Menschen leider allzu häufig dem anderen Extrem zu.

Um das zu vermeiden braucht es nicht mal besonders viel: Parlamente, die im eigentlichen Sinne der repräsentativen Demokratie die Debatte über das Handeln der Staatsgewalt in die Öffentlichkeit tragen (dürfen), verständliche und transparente Handlungsmotive und die Erkenntnis, dass eingefordertes blindes Staatsvertrauen der Anfang vom Ende der liberalen Demokratien ist.

1 Antwort
  1. Detlef Dechant
    Detlef Dechant sagte:

    Dazu passt eine Anekdote, die mir ein Bekannter erzählte. Ob sie genauso passiert ist oder passiert sein könnte, sei dahingestellt:
    Während seines USA-Aufenthaltes war er auf einer Veranstaltung. Die Szenerie war von der Polizei abgeriegelt. Einer der Zuschauer stand hinter einem großen kräftigen Polizisten, der ihm die Sicht versperrte. Diese Zuschauer klopfte dem Polizisten leicht auf die Schulter und bat ihn mit ruhiger Stimme, etwas zur Seite zu gehen, damit er auch etwas sehen könnte. Der Polizist machte keine Anstalten, der Bitte zu folgen. Darauf fragte ihn der Zuschauer ganz freundlich, ob er denn wüsste, wer ihn bezahle. Daraufhin stutzte der Polizist, lächelte dann, trat einen kleinen Schritt zur Seite und gab den Blick frei!

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