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Unser Einkommensteuersystem ist viel zu komplex. Das macht es ungerecht, ineffizient und belastet das Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Eine Flat Tax könnte Abhilfe schaffen.

Die Seriosität eines Jama-Sparabos

Kennen Sie eigentlich ihren durchschnittlichen Einkommensteuersatz aus dem letzten Jahr? Können Sie Ihre jährliche Steuererklärung gar selbst und fehlerfrei erstellen? Dann sind Sie vermutlich entweder selbst Steuerberater. Oder Sie haben beneidenswerte Fähigkeiten im Verstehen von juristischen Texten und zugleich im Rechnen – was sich gewöhnlicherweise gegenseitig ausschließt … Tatsächlich haben wir uns doch damit abgefunden, unsere alljährlichen Steuererklärungen in ihrer Gänze einfach nicht nachvollziehen zu können – insbesondere dann, wenn zu Einkünften aus nicht selbstständiger Arbeit noch weitere Einkünfte etwa aus Kapitalerträgen oder – Gott bewahre – gar aus dem Ausland hinzukommen. Dafür gäbe es ja Steuerberater. Das Problem ist jedoch noch größer als nur die Tatsache, dass eine in anderen Systemen überflüssige Berufsgruppe produziert wird. Tatsächlich macht die übermäßige Komplexität das deutsche Steuersystem nicht nur ungerecht, sondern belastet auch ganz grundlegend das Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Sie macht den Bürger zum Spielball der Finanzämter und den Staat zum Vertragspartner mit der Seriosität eines Jamba-Sparabos.

Keine Verbraucherzentrale würde dem Einkommensteuerrecht Verbraucherfreundlichkeit attestieren

Der Vergleich des Steuerstaates mit dem Abzocke-Abo für nervige Handyklingeltöne aus den Nullerjahren mag vielleicht spitz sein, doch er ist nicht ganz von der Hand zu weisen. So haben sich Staat und Verbraucherzentralen gleichermaßen den Kampf für konsumentenfreundliche Verträge auf die Fahnen geschrieben. Dem Weltbild der Verbraucherschützer entsprechend müssen arglose Bürger an jeder Ecke vor fadenscheinigen Angeboten raffgieriger Unternehmen geschützt werden. Allen voran Finanzdienstleister wie Banken oder Versicherer werden mittlerweile strengstens dazu eingehalten, ihre Verträge zu vereinfachen und gut strukturierte Übersichten beizulegen. Mit dem großen Unterschied, dass Verträge im Privatrecht freiwillig eingegangen werden. Das erzwungene Vertragsverhältnis zwischen Staat und Bürger ist alles andere als verbraucherfreundlich. Die zur Leistung notwendigen Informationen sind schwer verständlich, die Erbringung und Dokumentation der Leistung ist kompliziert und ein fahrlässiger Fehler kann schnell einmal sehr teuer werden.

Wo also im Privatrecht Transparenz, Konsumentenstärkung und Einfachheit die oberste Devise des Gesetzgebers sind, hält er sich selbst keinesfalls an diese Ansprüche. In der Folge müssen Bürger entweder sehr viel Zeit aufwenden, um eine einwandfreie Steuererklärung zu erstellen oder aber Geld in eine Steuerberatung investieren. Das senkt natürlich auch die Akzeptanz des Steuerstaates. Wer zahlt schon gerne für etwas, das man nicht versteht? Und selbst beim eigens engagierten Steuerberater sind die vertraulichen Informationen des Bürgers nicht wirklich sicher. Denn der Steuerberater ist im Grunde zum verlängerten Arm der Finanzämter gemacht worden. Als eine Art Steuermiliz werden Steuerberater und Wirtschaftsprüfer vom Gesetzgeber zu umfangreichen Überprüfungen ihrer Mandanten gezwungen. So sind dann auch die Steuerberater die erste Instanz, die die Seriosität ihrer eigenen Mandanten im Sinne des Finanzamtes prüfen müssen, wenn sie im Zweifel eine Anklage wegen Mittäterschaft an einer Steuerhinterziehung vermeiden wollen.

Unser Steuersystem macht Gerechtigkeit zu einer Frage des Einkommens

Doch ein nicht nachvollziehbares Einkommensteuerrecht ist nicht nur eine Belastung für das Verhältnis zwischen Staat und Bürger, es macht die Steuergerechtigkeit auch zu einer Frage des Einkommens. Denn die schier endlose Menge an zur Verfügung stehenden Ausnahmen und Absetzungsmöglichkeiten bevorzugt vor allem diejenigen, die es sich leisten können, diese auch zu nutzen. Während die Krankenschwester oder der angestellte Handwerker gar keine andere Möglichkeit hat als brav die anfallenden Steuern zu zahlen – und vermutlich häufig erst gar keine Einkommenssteuererklärung einreicht -, öffnen höhere und vor allem diversere Einkünfte und Ausgaben die Tür in die wunderbare Welt des Steuersparens. Und auch ein guter Berater, der die Fleißarbeit einer umfangreichen Einkommenssteuererklärung übernimmt, lohnt sich natürlich erst wenn man auch eine entsprechende Steuerminderung erwarten kann.

Hinzu kommt ein Grundproblem hoher Regulationsdichte, dem die von James Buchanan und Gordon Tullock begründete „Public Choice Theory“ auf den Grund geht. So ist der Staat keine große Blackbox, die zum Wohle Aller Normen und Gesetze ausspuckt, sondern er wird von einer Vielzahl von Individuen gestaltet, die ebenso auf Anreize reagieren wie jeder normale Bürger. Nun ist der Gestaltungsspielraum für den Gesetzgeber und die Verwaltung natürlich umso größer, je mehr Einzelregelungen und Komplexität es gibt. Das macht das deutsche Einkommensteuerrecht zum idealen Spielfeld für Wahlversprechen und Lobbyismus. Gut organisierte und vor allem kleine Interessengruppen haben in einem solchen System stets besonders großen Einfluss und können das Recht in ihrem Sinne modellieren. Der Otto Normalsteuerzahler hat dann entweder das Glück, zufällig davon zu profitieren – oder aber er guckt in die Röhre.

Warum haben wir eigentlich den Kirchhoff-Plan vergessen?

Die übermäßige Komplexität des deutsche Einkommensteuerecht ist teuer, sie belastetet das Verhältnis zwischen Staat und Bürger und öffnet Lobbyisten Tür und Tor. Dass das keine neue Erkenntnis ist, zeigen die zwei Versuche des ehemaligen Verfassungsrichters Paul Kirchhof, eine umfassende Steuerreform auf das Tableau der Bundesregierung zu bringen. Er beklagte seinerzeit, selbst als Verfassungsrichter sehe er sich schlicht außerstande, die Richtigkeit seiner Steuererklärung mit seiner Unterschrift zu garantieren – und schlug eine radikale Umkehr in der Steuergesetzgebung vor: Eine „Flat Tax“, also einen einheitlichen Einkommenssteuersatz mit hohen Freibeträgen bei gleichzeitiger Abschaffung aller Ausnahmeregerlungen.

Kirchhoff ist mit seinen Vorstößen gescheitert. Das ist auch nicht verwunderlich. Nähme eine Flat Tax der öffentliche Hand doch viele Möglichkeiten für Wahlgeschenke und Lenkungsaktionen. Umso mehr, ja gerade darum, sollten die steuerzahlenden Bürger eine grundlegende Reform im Sinne einer Flat Tax verlangen. Denn eine solche Einkommensteuerausgestaltung hat seit Kirchhoff eher noch an Attraktivität gewonnen. Starre Berufsverläufe mit einfachen Einkunftsarten gehören in digitalen Zeiten mehr und mehr der Vergangenheit an. Natürlich müsste auch eine Flat Tax vernünftig ausgestaltet sein, damit beispielweise Sparer nicht benachteiligt werden. Sie würde aber auch wohltuende Gestaltungsspielräume bieten. Man denke nur an regionale Hebesätze, die ärmeren Gemeinde die Möglichkeit gäben, einen Wettbewerbsvorteil gegenüber München oder Mettmann zu erzielen. Neben all den Effizienzgewinnen würde eine Flat Tax aber vor allem auch das Wesen des Staates verändern: Weg von der Raupe Nimmersatt hin zu einem genügsamen, flexiblen und durchsichtigen Schmetterling.

3 Kommentare
  1. Johann Vetter
    Johann Vetter sagte:

    Ja. Da stimme ich schon zu. Aber keine der in den letzten Jahren an der Bundesregierung beteiligten Parteien (CDU, CSU, SPD, Grüne, FDP) wollte daran etwas ändern. Gerade die FDP hat 2009 viel versprochen und nichts gehalten.

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  2. Heinz Walde
    Heinz Walde sagte:

    Der Glaube dass eine Flat Tax Abhilfe schaffen könnte, was sinnvoll wäre, ist doch reichlich naiv.

    Eine Flat Tax mit Steuergrundfreibeträge ist doch auf Dauer nicht besser. Die Steuergrundfreibeträge schmelzen durch die Inflation real zusammen, oder werden reduziert, das haben wir doch auch bei der Besteuerung von Zinsen, Dividenden usw. gesehen. Die einstmals hohen Sparerfreibeträge der Jahre 1993 bis 1999 von 6.000,-/12.000 DM für Anleger wurden im Jahr 2000 auf 3.000/6.000 DM halbiert.

    Eine Flat Tax müsste in ihrer Höhe, sowie der indexierte Grundfreibetrag ist an eine Indexklausel anknüpfen, z.B. die Inflation und muss ins Grundgesetz übernommen werden, so dass nur mit 2/3 Mehrheit im Bundestag und der Länderkammer eine Änderung möglich wäre.
    Ansonsten wird das ganze nach ein paar Jahren wieder so verwässert, dass wir nicht besser dastehen als heute. Die Raupe Nimmersatt lässt nichts unversucht und geht erst ein wenn alles leergefressen ist.
    Also die Idee nützt wenig wenn man diese Idee nicht gegen die Raupe Nimmersatt wirksam und nachhaltig schützt.

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  3. Bernhard K. Kopp
    Bernhard K. Kopp sagte:

    Den Kirchhoff-Plan haben “ wir “ vergessen weil die Regierungspolitik nach 2005 nichts mehr mit solchen Ideen zu tun haben wollte, und, weil die FDP den Plan nicht auf der politisch-parlamentarischen Tagesordnung behalten hat, und dann 4 Jahre später, in 2009, den Kirchhoff-Plan, und eine weitreichende Steuerreform nicht zur Bedingung für eine Koalition gemacht hat. Die FDP hat es in 2009-2013 vorgezogen an ihrer eigenen Vernichtung zu arbeiten als einen konstruktiven Beitrag zur Politik des Landes zu leisten. Das Ergebnis ist bekannt.

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