Photo: Blackbird Film Co. from Flickr (CC BY 2.0)

Am Mittwoch veröffentlichten 153, hauptsächlich US-amerikanische sowie einige internationale Intellektuelle einen offenen Brief, der es in sich hat: „Der freie Austausch von Informationen und Ideen, der Lebensnerv einer liberalen Gesellschaft, wird von Tag zu Tag mehr eingeengt.“

Die Unterzeichner des Briefs wenden sich gegen ein zunehmend intolerantes Diskussionsklima und setzen sich ein für eine Kultur, die „Raum für Experimente, für Wagemut und auch für Fehler“ lässt. Der Brief hat aus den verschiedensten Lagern viel Unterstützung, aber auch viel Kritik erfahren. Dass wichtige Liberale wie Deirdre McCloskey, Steven Pinker und Anne Applebaum zu den Unterstützern des Aufrufs gehören, zeigt, wie sehr Freunde der Freiheit hinter diesem Text stehen können. Doch hat die öffentliche Wahrnehmung den Teil des Briefes übersehen, der ihn erst recht wichtig und richtig macht:

Indem sich die Autoren des Briefes offen und klar gegen den Illiberalismus des weltweiten Rechtspopulismus stellen, identifizieren sie den derzeit größten Feind der offenen Gesellschaft eindeutig. Doch erschöpfen sie sich nicht in dem inzwischen fast rituellen Lamento darüber, sondern richten den Appell an andere: Die Verantwortlichen an Hochschulen, in Medien und in den Künsten müssen ihre Haltung gegenüber kontroversen Diskussionen ändern und lernen, Konflikte im Diskurs nicht als Problem, sondern als Teil der Lösung zu verstehen.

Die Rechtspopulisten müssen aus ihrer Jammer-Ecke gezerrt werden

Unter den Unterzeichnenden befinden sich Persönlichkeiten wie Salman Rushdie, der seit Jahrzehnten von fundamentalistischen Islamisten gejagte Autor; der russische Oppositionelle Garri Kasparow; und Deirdre McCloskey, eine Ökonomik-Professorin, die vor 25 Jahren ihr Geschlecht änderte.  Sie alle kennen sich aus mit der Unterdrückung von Meinungen. Sie alle sind bekannt als bisweilen kontroverse Streiter für die offene Gesellschaft. Gemeinsam mit anderen kritisieren sie, „dass Herausgeber entlassen werden, weil sie umstrittene Beiträge bringen;  Bücher vom Markt genommen werden, weil sie angeblich ‚unauthentisch‘ seien; Journalisten verwehrt wird, über bestimmte Themen zu schreiben; gegen Professoren ermittelt wird, weil sie im Unterricht literarische Werke zitieren; einem Forscher gekündigt wird, weil er eine Studie in Umlauf bringt, die bereits durch den Prozess des peer review gegangen war; und Vereinsvorstände abgesetzt werden, weil sie bisweilen einfach ungeschickte Fehler gemacht haben.“ Die Luft in der öffentlichen Debatte ist stickig geworden.

Die Luft klären zu wollen und sich für eine tolerante Diskussionskultur einzusetzen, wird in der „woken“ Blase aber nicht als hehres Ziel, sondern als Deckmantel für rechtskonservative bzw. -populistische Ansichten gesehen. Der offene Brief zeigt uns wieder einmal, wie hanebüchen diese Sichtweise ist: Die Rechtspopulisten haben es sich nämlich in der sozialen Isolation, in die sie gesteckt wurden, gemütlich gemacht. In ihrer Ecke dürfen sie sich jammernd darüber beschweren, dass mit ihnen niemand mehr diskutieren will, und ihre wachsende Anhängerschaft schließt sich diesem Chor gerne an. Zerrt man sie aber aus ihrer Ecke und begegnet ihnen mit harten Fakten und Argumenten, wird der Verweis auf „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ lächerlich, weil er so offensichtlich falsch ist. Wenn sie sich dann auf tatsächliche Argumente besinnen müssen, versagen sie meist.

Der Wettbewerb der Ideen ist ergebnisoffen   

Anders als viele Gegner des offenen Briefes es wahr haben wollen, ist dieser Wettbewerb der Ideen im Kampf gegen die Populisten aber ergebnisoffen: Unterzeichner wie Noam Chomsky zum Beispiel sehen die Ursache des Rechtspopulismus im Diktat des freien Marktes und schlagen als Lösung stärkere staatliche Umverteilung vor. Steven Pinker hebt in seinen Büchern die positiven Effekte von Handel und offenen Grenzen hervor. Während Konservative wie David Frum glauben, dass in einer besser kontrollierten Zuwanderung ein wichtiges Heilmittel gegen „Brexit, den Aufstieg des Front National, den Triumph der autoritären Populisten in Italien“ zu finden sei.

Das finale Urteil über die verschiedenen Lösungsansätze, um den Marsch des Illiberalismus aufzuhalten steht noch aus. Doch kann uns nur der offen ausgetragene Wettbewerb der Ideen helfen, die richtige Lösung für komplexe und globalisierte Probleme zu finden.

Unwilligkeit zur demokratischen Streitkultur    

Wir würden nicht hinnehmen, dass eine repressive Regierung die verschiedenen Antworten auf das Problem des Rechtspopulismus unterdrückt. Genauso wenig dürfen wir hinnehmen, dass ein lauter Teil der Zivilgesellschaft mögliche Lösungen unterdrückt – von der Androhung, den Job zu verlieren, bis hin zur Einschränkung der Freiheit der Lehre. Dabei heißt offener Diskurs nicht, jede Meinung apathisch hinzunehmen. Es heißt, schlechte Ideen zu entlarven, indem man mit ihnen ringt und mit Überzeugungsarbeit widerlegt, sowie gute Ideen mit empirischen Befunden unterstützt, um sie dann in den Mainstream zu überführen.

Nicht nur der Staat kann die Atmosphäre einer offenen Diskussionskultur durch einen repressiven legalen Rahmen verschmutzen, sondern auch die Unwilligkeit zur demokratischen Streitkultur, die in Medien, Kultur und sogar Wissenschaft inzwischen dominiert.

In seiner bekannten Verteidigung der Meinungsfreiheit in „On Liberty“ beschreibt John Stuart Mill diesen Punkt schon vor gut 160 Jahren:

„Aber das eigentliche Übel, wenn man eine Meinung zum Schweigen bringt, besteht darin, dass es ein Raub an der Gemeinschaft aller ist, an der künftigen und an der, die jetzt lebt, und zwar noch mehr an den Menschen, die von dieser Meinung abweichen, als an denen, die sich zu ihr bekennen. Wenn die Meinung, um die es sich handelt richtig ist, so sind sie um die Gelegenheit gebracht, einen Irrtum für die Wahrheit einzutauschen, war sie aber falsch, so kommen die Menschen um das was eine fast ebenso große Wohltat ist, um die deutlichere Wahrnehmung und um den lebhaften Eindruck der Wahrheit, die aus der Kollision von Wahrheit und Irrtum entspringen.“

 

 

4 Kommentare
  1. Dr. Matthias Vaupel
    Dr. Matthias Vaupel sagte:

    Gut, aber warum wurde dann der Thüringer Ex-Ministerpräsident Kemmerich von dem eigenen „liberalen“ Parteivorstand ausgegrenzt und diffamiert? Und wie wird erst der vernünftige Teil der AFD von den „Liberalen“ ausgegrenzt und diffamiert? Und erst von den anderen „demokratischen“ Parteien (z.B. Die Linke, Grüne, SPD; CDU…) ? Wie wäre es, wenn die FDP dem liberalen Anspruch auch und gerade im Umgang mit Kemmerich und der AFD genügen würde? Hat man etwa Angst, genauso wie die AFD, ständig gewaltsam durch die AntiFa attakiert zu werden, und nie mehr von einer linken CDU als potentieller Regierungspartner akzeptiert zu werden? Liebe „Liberale“, habt mehr Mut, und verhaltet euch auch liberal! PS: dann könnten auch viele ehemalige FDP Mitglieder und Wähler wieder von der AFD zurückkommen.

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  2. Claudius Schnörr
    Claudius Schnörr sagte:

    Indem hier wiederholt und pauschal der „Rechtspopulismus“ angeprangert wird spricht der Autor selbst einem intoleranten Diskussionsklima das Wort. Es gibt sehr wohl stichhaltige Argumente, z.B. gegen eine konzeptionslose Migrationspolitik und eine irrwitzige Dauerrettung des Euro durch die Druckerpresse. Auch bleibt unverständlich, auf welcher Basis sich die EZB neuerdings den Auftrag zur Klimarettung anmaßt.
    Die FDP trägt aber mehrheitlich solche Fehlentwicklungen mit.

    Was neben der Streitkultur auch Not tut ist mehr direkte Demokratie. Was nutzt der beste Diskurs, wenn abgehobene Parteikader in Berlin und Brüssel tun und lassen können was sie wollen?
    Den Euro z.B. hätte es in D. mit Volksabstimmungen nie gegeben. Die Politiker scheuen aber eine direkte Demokratie wie der Teufel das Weihwasser. Das Volk sei nicht reif genug, oder noch einfacher: alles „Rechtspopulisten“.

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  3. Hajo Zeller
    Hajo Zeller sagte:

    Der Brief ist richtig und wichtig. Denn den Sätzen „Diese erstickende Atmosphäre wird letztlich den wichtigsten Anliegen unserer Zeit schaden. Die Einschränkung der Debatte, sei es durch eine repressive Regierung oder eine intolerante Gesellschaft, schadet immer denen, denen es an Macht mangelt, und macht alle weniger fähig zur demokratischen Beteiligung. Der Weg, schlechte Ideen zu besiegen, führt über Entlarven, Argumentieren und Überzeugen, nicht darüber, dass man versucht, sie zum Schweigen zu bringen oder weg zu wünschen. Wir lehnen jede falsche Wahl zwischen Gerechtigkeit und Freiheit ab, die ohne einander nicht existieren können“ ist zuzustimmen.

    Was jedoch fehlt, ist der klare Blick auf die gesellschaftliche Realität. Denn es ist nicht nur die Einengung des Meinungskorridors, der die Freiheit jedes einzelnen Menschen bedroht. Unterzeichnern wie Noam Chomsky ist zuzustimmen, wenn sie im Diktat des „freien Marktes“ eine Bedrohung für die Menschheit sehen. Und dennoch greift diese Sichtweise noch zu kurz, weil sie an der Oberfläche der Erscheinungen hängenbleibt und an die tiefen sozialpsychologischen Ursachen nicht herankommt.

    Die Welt der Moderne, die Welt der warenförmigen Gesellschaft untergräbt die Voraussetzungen für eine humane Gesellschaft. Ivan Illich schrieb in „Forschrittsmythen“: »Das autonome, schöpferische Handeln des Menschen, das notwendig wäre, um die Welt des Menschen erblühen zu lassen, verdorrt durch die Warenproduktion«. Erich Fromm zeigte vergeblich „Wege aus einer kranken Gesellschaft“ auf.
    Und der Altmeister der Gesellschaftskritik schrieb schon vor 200 Jahren: »Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion. Wie der Wilde mit der Natur ringen muss, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muss es der Zivilisierte, und er muss es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen. Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse sich erweitern; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen.

    Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehen. Aber es bleibt dies immer in Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühen kann. Die Verkürzung des Arbeitstages ist die Grundbedingung (K. Marx, Kapital III, MEW 25, 828)«

    Dem ist nichts hinzuzufügen. Sondern es ist dafür zu sorgen, dass diese sehr aktuellen Gedanken endlich wieder in die öffentliche Diskussion eingebracht werden. Und der Gegensatz zwischen Freiheit und Autonomie des Einzelnen auf der einen Seite und die Notwendigkeit der Einbettung des Einzelnen in das soziale Geflecht der Gesellschaft auf der anderen Seite produktiv aufgelöst wird. Dazu gehört die „Ketten der Illusion“ (Chains of illusion, Erich Fromm) zu sprengen und klar zu sagen, was ist.

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  4. Incamas SRL- Asuncion / Paraguay
    Incamas SRL- Asuncion / Paraguay sagte:

    Der EGMR in Straßburg wacht darüber, daß der Europarat und seine Institutionen dieses Grundgesetz einhalten. Wer dessen 100 Richter beeinflußt, der bestimmt die Rechtsstaatlichkeit der EU.
    (3) Laut einer Studie des “Europäischen Centrum für Recht/Law und Gerechtigkeit/Justice” (ECLJ) https://eclj.org haben 22 der 100 Richter am EGMR im Zeitraum 2009-2019 mit NGO’s kooperiert, die von der OSF von George Soros abhängig sind.
    (4) Soros transferiert jährlich ca 100 Mio Dollar in das EU-Rechtssystem, während das EGMR-Tribunal selbst über einen Jahresetat von 70 Mio Euro verfügt.
    (5) Die Rechtssprechung gibt das geltende Recht vor, welches dann handlungsweisend für die Regierung ist. Dies gilt für Deutschland ebenso wie die EU.

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