Photo: Piqsels (CC 0)

Unsere Verachtung spielt den Feinden der offenen Gesellschaft nur in die Karten. Statt mit Hass sollten wir unseren Gegnern mit Respekt für das Individuum begegnen. Ein Plädoyer für die Wiederentdeckung der Feindesliebe.

Hass nutzt nur den Spaltern

Diesseits und jenseits des Atlantiks haben Menschen mit auseinander gehenden Meinungen häufig nur noch eines füreinander übrig: Hass. Damit wird der Hass zur bestimmenden Kraft in der Politik. Und der Waffenschrank der negativen Emotionen wird immer weiter geöffnet: Hohn und moralische Überheblichkeit werden zu probaten Mitteln der Auseinandersetzung; Ausgrenzung und Verachtung zum moralischen Imperativ unserer Gesellschaft. Wer nun mit einer Logik a la „Hass verdient Hass“ daherkommt, der verkennt das wahre Problem. Wenn wir hassen, missachten wir unser Gegenüber. Wir negieren dessen Individualität und Menschlichkeit. Der politische Feind, den wir hassen, wird zu einem namenlosen Problem. Faschismus, Rassismus, Populismus: diejenigen, die wir mit diesen Labels bedenken, verschwimmen zu einer unübersichtlichen und nicht greifbaren grauen Masse. Dabei gewinnen nur die Spalter, denen offenen Gesellschaft, Toleranz, und Respekt Andersdenkenden gegenüber ein Dorn im Auge sind.

Das Problem mit dem namenlosen Feindbild

Der Autor Hermann Hesse schildert in seiner Glossensammlung „Kurgast“, wie er mit dem Problem des Hasses konfrontiert wurde. Eigentlich in einem Kurhotel abgestiegen, um dort die dringend gesuchte Ruhe zum Schreiben zu finden, ficht er schon bald einen erbitterten Krieg mit seinem Zimmernachbarn aus. Der ist laut, strotz nur so vor Lebensenergie und hindert Hesse durch lautes Umhergehen, Gespräche und die Nutzung des Badezimmers sowohl am Schreiben als auch am Schlafen. Ohne auch nur ein persönliches Wort mit dem Zimmernachbarn gewechselt zu haben, steigert sich Hesse immer weiter in seinen erbitterten Hass hinein.

Es sind nur nicht mehr nur die Geräusche von nebenan. Es ist die pure Existenz des Feinbildes „Holländer“, die Hesse um den Verstand bringt. Fortan verbringt er die schlaflosen Nächte damit, einen Ausweg zu suchen. Dieser besteht letztlich darin, den Holländer schlicht „zu lieben“. Hessen freundet sich mit der lautstarken Lebensenergie an, empfindet Respekt für das tägliche Tun seines Nachbarn und kommt zu dem Punkt, an dem „ganz Holland Kirmes feiern“ könnte und es ihn nicht mehr stören würde. Selbstverständlich reist „der Holländer“ am Ende dieses schweren Kampfes ab und Hesse sieht sich mit der plötzlichen Stille konfrontiert.

Nicht der sprichwörtliche Schaum vor dem Mund entlarvt die Feinde der offenen Gesellschaft

Es ist wahrlich nicht schwer, die Parallelen zwischen dem massigen, schwulstigen und ungehörig lauten Holländer bei Hesse und den politischen Todfeinden vieler unserer Zeitgenossen zu sehen. Hesse findet erst durch die Feindesliebe den inneren Seelenfrieden. Das bedeutet in unserer Situation nicht, dass wir keine politischen Gegner haben sollten. Klare und offen kommunizierte Standpunkte sind das Fundament einer offenen Gesellschaft. Es bedeutet aber, dass wir anderen gegenüber nicht in blinden Hass verfallen sollten, nur weil wir ihre Ansichten nicht teilen. Martin Luther King, der alltäglich mit Hass und Verachtung konfrontiert war, drückte dies folgendermaßen aus: “Man beginnt einfach, jemanden zu hassen, und man beginnt, irrationale Dinge zu tun. Man kann nicht mehr klar sehen, wenn man hasst. Man kann nicht geradeaus gehen, wenn man hasst. Man kannt nicht aufrecht stehen. Die Sicht ist verzerrt. Es gibt nichts Tragischeres, als ein Individuum zu sehen, dessen Herz von Hass erfüllt ist.“

Tatsächlich bringt der Hass all jene Gefühle in uns zutage, die für eine offene Gesellschaft schädlich sind. Wer daran glaubt, dass unsere Gesellschaft auf dem Zusammenwirken selbstverantwortlicher Individuen fußen sollte, der kann nicht im gleichen Atemzug seinen Feinden mit Hohn und moralischer Überheblichkeit entgegentreten. Wir müssen uns nicht damit abfinden, dass andere Menschen Ziele verfolgen, die wir für grundfalsch halten. Wir müssen wahrlich auch nicht das gleiche fühlen. Aber wir müssen versuchen, zu verstehen, was unser Gegenüber bewegt. Das bedeutet, zu lernen, fremde Gedanken, seien sie auch noch so absurd und gegen alle unsere Überzeugungen, zu ertragen. Nicht der sprichwörtliche Schaum vor dem Mund entlarvt die Feinde der offenen Gesellschaft, sondern die Achtung des Individuums und manchmal auch einfach nur ein unbeteiligtes Achselzucken.

Es fehlt nicht an Meinungsfreiheit, sondern an Streitkultur

So lange wir die Spirale des Hasses nur weiter antreiben, spielen wir den Feinden der offenen Gesellschaft in die Hände. Schlägt ihnen bei jeder Äußerung, bei jedem Auftritt ungezügelter Hass entgegen, können sie glaubhaft verkünden, die Meinungsfreiheit sei in Gefahr. Und auf kaum eine gefühlte Grundrechtseinschränkung reagiert unsere Gesellschaft so sensibel. Der Erfolg der Feinde der offenen Gesellschaft fußt auf dem Märchen des entkoppelten politischen Systems, das gesteuert wird von Eliten, die „die Wahrheit“ unterdrücken wollen, um ihre eigene Macht zu sichern. Dabei war es dank Social Media und Co. wohl noch nie so einfach, seine eigene Meinung in die weite Welt zu posaunen. Und die Gerichte setzten einer Einschränkung der Meinungsfreiheit nach wie vor hohe Schranken entgegen.

Es fehlt uns also wahrlich nicht an Meinungsfreiheit, sondern an einer ordentlichen Streitkultur. Sei es auch noch so unerträglich und schwierig – zu einem Streit gehört, die Meinung der Gegenseite zu ertragen. Und das hat nichts damit zu tun, den „falschen“ Meinungen ein Forum zu bieten. Denn öffentliches Ignorieren stärkt nur noch das Narrativ unserer politischen Feinde. Stattdessen sollten wir unsere Feinde auch einmal ausreden lassen und ergründen, welche nachvollziehbaren Bedürfnisse und Interessen hinter den uns manchmal verstörenden Positionen stehen. Denn diese sind oftmals gar nicht so weit entfernt von den unseren. Das mag zwar die Galionsfiguren unserer Gegner nicht von ihrem Weg abbringen. Aber es gibt jedem Wähler und Unterstützer die Chance, sich und seine Position zu hinterfragen. Und das ohne von unserem Hass in eine Ecke getrieben zu sein, sondern als selbstverantwortlicher Teil unserer offenen Gesellschaft.

4 Kommentare
  1. Dr. Rainer Facius
    Dr. Rainer Facius sagte:

    Als Christ, der überzeugt ist, daß diese hilfreiche Erinnerung dauerhaft nur dann gelebt werden kann, wenn man eine lebendige Beziehung zu der Quelle hat, die diese Feindesliebe bis zum bitteren Ende vorgelebt hat und die allein mein Herz entsprechend verändern kann, bin ich dankbar und gleichzeitig beschämt, diese Erinnerung in einem säkularen Forum lesen zu können bzw. zu müssen.

    Antworten
  2. Peter Triller
    Peter Triller sagte:

    Ist Hass oder sind Gefühle überhaupt ein politisches Thema? Hass ist ebenso wie Freude, Lust und Liebe, Ärger oder Traurigkeit eine Emotion, die uns eingeprägt ist und als Reaktionsmöglichkeit in bestimmten Situationen bereitsteht. Man kann so etwas nicht wegdiskutieren oder wegpolitisieren, schon gar nicht per Gesetz verbieten wollen (z.B. Hate Speech Gesetze des Heiko Maas). Er kann durchaus ein reinigendes Gewitter auslösen oder sogar zu – zumeist rabiaten – Problemlösungen führen. Er ist solange nicht wirklich sozial schädlich, wie er nicht zu roher oder psychischer Gewalt führt und sich dauerhaft verfestigt. Der Hass hat immer ein Gegenüber, der Gehasste oder das Gehasste, welches Ursache ist. Bewegt sich hier nichts, kann es in der Tat heikel werden, ob die Gesellschaft offen oder geschlossen ist, ist dabei an sich gleichgültig. In einer offenen Gesellschaft sollte aber durch Diskurs – das ist richtig beschreiben – das zumindest theoretisch möglich sein.
    Jedoch sind solche Sätze wie die; „Der Erfolg der Feinde der offenen Gesellschaft fußt auf dem Märchen des entkoppelten politischen Systems, das gesteuert wird von Eliten, die „die Wahrheit“ unterdrücken wollen, um ihre eigene Macht zu sichern.“ dabei wenig hilfreich. Denn man ist keineswegs ein Feind der offenen Gesellschaft, wenn man genau das immer stärker in der heutigen Bundesrepublik wahrnimmt. Möglicherweise sind bei denen, die dieses wahrnehmen, sogar mehr Freunde der offenen Gesellschaft….

    Antworten
    • Ingo Pasch
      Ingo Pasch sagte:

      Finde ich in der heutigen politischen Gegenwart in Deutschland – wo seitens der CDU/CSU alle Kontakte zu der AfD und auch zu den Linken abgebrochen, ihren Mitgliedern fast verboten sind – sehr zutreffend. Dieser (ihren Mitgliedern eigentlich befehlter) Kontakt Abbruch erinnert auf eine furchtbare Vergangenheit der deutschen Politik. Befehlte Kontaktlosigkeit ist der erste Schritt einer Diktatur. In solchen Umständen ist auch der Bundestag ein überflüssiger Theater.

      Antworten
  3. Ralf Becker
    Ralf Becker sagte:

    Hass ist ein natürlicher Mechanismus, der nicht grundlos ausgelöst wird.

    Wenn jetzt aber ein Politiker wie Heiko Maas Hass Tweets löschen will? Komischerweise sind es doch fast immer allenfalls nur Politiker wie Sigmar Gabriel, die ich wenn überhaupt mal hasse, weil sie nach ihrer politischen Karriere bei Unternehmen wie der deutschen Bank anfangen. Bei unseren Geldschöpfern haben Politiker doch nichts zu suchen. Außerdem gönnt die SPD sich doch regelmäßig das größte Wahlkampfbudget.

    Dann wurde doch der Twitter Account der wichtigsten Solidariätsgruppe für Julian Assange – Unity 4J – einfach gelöscht, ohne Angabe irgendwelcher Gründe. Ist da nicht der etwaige Hass, den man doch angeblich bekämpfen müsste, insofern nicht in Wirklichkeit eine Mogelpackung des militärisch-industriellen Komplexes für den reinen Machterhalt?

    Etwa Walter Otto Ötsch sagt: „Überwachungskapitalismus: Das Internet als totalitärer Markt“
    Die Internetfirmen haben sich nach dem Schock der Internetblase um die Jahrtausendwende neu organisiert und in den letzten fünfzehn Jahren das Internet grundlegend als »Markt« umgebaut.

    msn schrieb gestern:
    Facebook: In geheimen Notizen plante Zuckerberg Facebooks Weltherrschaft – nun sind sie wieder aufgetaucht

    Gleichzeitig stellen wir uns die berechtigte Frage, ob etwa große Finanzkonzerne in Wirklichkeit hinter Facebook stehen.
    Mir kommt es jedenfalls so vor, als gäbe es bei Facebook eine professionelle Meinungsmache.
    Daher trete ich auch oft aus Facebook-Gruppen aus.

    Dann gibt es doch auf Neudeutsch gesagt das sog. „Othering“. Dies sei ein Prozess, bei dem Menschen als «Andere» konstruiert und von einem «wir» unterschieden werden. Diese Differenzierung ist problematisch, da sie mit einer Distanzierung einhergeht, die «das Andere» als «das Fremde» aburteilt.

    Wenn etwa die AfD von anderen politischen Parteien als unwählbar hingestellt wird, dann frage ich mich immer, ob das ein unlauterer politischer Wettbewerb innerhalb der Politik oder begründete Kritik ist. Worum geht es bei der Kritik an der AfD wirklich? Wenn es doch nur um die Verhinderung eines weiteren Weltkrieges ginge, dann frage ich mich, warum Bundespräsident Frank Walter Steinmeier unseren ehemaligen EZB-Chef auch noch ehrt. Schließlich kann dieses viele Gelddrucken doch nur in einen Weltkrieg münden.

    Für mich ist die AfD aber trotzdem nicht wählbar, weil sie die meisten Parteispenden annimmt, und sich dann etwa Facebook-Likes etc. damit kauft, aber die anderen Parteien tun dies doch genauso. Mit oder ohne meine Teilnahme an den Wahlen würden die politischen Verwerfungen ohnehin weitergehen.

    Jetzt lobt etwa die SPD die Kanzlerin für ihr Eingreifen in Thüringen. Aber die SPD ist doch eher auch eine Partei für die „Wirtschaft“, die sich ständig das höchste Wahlkampfbudget leistet. Wer verbietet eigentlich mal die SPD oder die Linke?
    Schließlich sind dies doch die reichsten Parteien weit und breit und für mich ist es nicht glaubhaft, dass hier gute Inhalte regieren.

    Außerdem ist die Kanzlerin ohnehin nicht glaubwürdig, weil die Art und Weise, wie sie dazu beigetragen hatte, dass Frau UvdL an die Spitze der EU-Kommission gelangte, eine Verletzung unserer Freiheitsrechte ist.

    Frau UvdL hält bei den Bilderbergern die Füße unter den Tisch. Sie kassiert zudem 32.500 Euro im Monat.
    Aber ihre politischen Forderungen sind ebenfalls für uns sehr schädlich. Mit jetzt immerhin noch einer Billion EUR retten wir das Klima eben gerade nicht, weil dadurch unsere Schulden noch weiter ansteigen.

    Ich selbst bekomme als Pflegeheimbewohner ca. 110,00 EUR pro Monat Taschengeld. Davon gehen 30 EUR für Internet + Telefon weg. Von diesem Geld bleiben dann gelegentlich mal höchstens ca. 15 EUR für mich, weil ich einer Hartz IV-Empfängerin helfe, was ich natürlich nicht muss.

    Aber meine „Feindesliebe“ geht jetzt doch nicht so weit, dass ich überhaupt noch wählen gehe bzw. rolle.

    Die Politik reitet doch ohnehin ein totes Pferd.

    Aber der Verzicht auf Rache außerhalb des Erlaubten ist trotzdem wichtig.

    Antworten

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert