Photo: Catholic United Financial from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Immer wieder kommt es vor, dass die katholische Kirche ein richtig politisches Oberhaupt hat. Papst Johannes Paul II. (1978-2005) war mit Leib und Seele ein politischer Mensch im Kampf gegen den Kommunismus – in seinem Heimatland Polen, aber auch in der Kirche Lateinamerikas. Auch Pius IX. (1846-1878) beschäftigte sich intensiv mit politischen Fragen, zum Teil auch notgedrungen, weil unter seiner Ägide der gesamte Kirchenstaat kollabierte und zugleich anti-kirchliche Stimmungen weite Teile Europas erfassten. Und auch Leo XIII. (1878-1903) mit der Begründung der katholischen Soziallehre und Pius XI (1922-1939) mit seinem Kampf gegen Totalitarismen seiner Zeit hatten starke politische Impulse.

Papst Franziskus hat sich in seinen 12 Jahren an der Spitze der Kirche auch immer in der Pflicht gesehen, politisch zu werden. Das Schicksal von Migranten, die dramatischen Auswirkungen des Menschen auf die Schöpfung und die brutalen Kriege weltweit haben ihn als Gläubigen erschüttert und zum lauten Widerspruch motiviert. Nicht immer zum Gefallen aller. Frank Schäffler und ich haben zum Beispiel vor viereinhalb Jahren in der FAZ Stellung genommen zu seinen antikapitalistischen Äußerungen. Ich habe mir häufiger gedacht, dass ich gerne einmal ein, zwei Wochen mit dem Heiligen Vater und ein paar schlauen Menschen wie dem Priester und Theologieprofessor Martin Rhonheimer auf einer Berghütte verbringen würde, um ihm zu verdeutlichen, dass seine Ressentiments gegenüber der Marktwirtschaft den genau falschen „Akteur“ treffen.

Aber war es generell falsch, dass er sich so politisch geäußert hat? Gerade seine Gegner aus der konservativen Ecke haben bei Johannes Paul II definitiv nicht dagegen protestiert … Julia Klöckner bedauerte zu Ostern in einem Bild-Interview: „Wenn Kirche manchmal zu beliebig wird, oder zu tagesaktuellen Themen Stellungnahmen abgibt wie eine NGO und nicht mehr die grundsätzlichen Fragen von Leben und Tod im Blick hat, dann wird sie leider auch austauschbar.“ Ich vermute, sowohl Franziskus als auch Johannes Paul haben sich politisch geäußert, weil sie in politischen Entscheidungen auch Fragen von Leben und Tod sahen. In der päpstlichen Enzyklika „Fratelli tutti“, auf die sich unser Gastbeitrag bezog, verdeutlicht Franziskus seine Haltung dazu an der Geschichte des Barmherzigen Samariters. Er richtet den Blick auf die, die den Verletzten am Wegesrand liegen lassen, weil sie Wichtigeres zu tun haben:

„Bei jenen, die vorbeigehen, gibt es eine Besonderheit, die wir nicht übersehen dürfen: Sie waren religiöse Menschen. Mehr noch, sie widmeten sich dem Gottesdienst: ein Priester und ein Levit. Das ist eine besondere Bemerkung wert: Es weist darauf hin, dass die Tatsache, an Gott zu glauben und ihn anzubeten, keine Garantie dafür ist, dass man auch lebt, wie es Gott gefällt.“

Man mag mit den Positionen des verstorbenen Papstes zu Migration, Klimawandel, Kapitalismus, China, Russland und vielem anderen nicht einverstanden sein. Aber eine Kirche, die die Welt aus dem Blick verliert und nur noch metaphysischer Dienstleister ist, würde wahrscheinlich gerade das verfehlen, was das Christentum von allen anderen Religionen unterscheidet: Dass ihr Gott Mensch wird und sich als solcher bis ins größtmögliche Elend vorwagt: Das Kreuz, an das ihn die Mächtigen der Welt geschlagen haben.