Photo: Spixey from Flickr (CC BY 2.0)

Das Web3 ist in aller Munde. Doch zu Bitcoin, NFT und DAOs überwiegen die ängstlichen Stimmen. Dabei könnte die Blockchain-Technologie der Auslöser für einen beispiellosen Wohlstandsboost sein.

Die Eisenbahnkrankheit kehrt zurück

Das „Web3“ steht für die Idee eines auf der Blockchain-Technologie basierenden und dezentralisierten Internets. Echtes Teufelszeug: eine Technologie, die keine realen Probleme löse und naive Normalbürger in die Fänge von Spekulanten und Betrügern treibe. Zumindest wenn man der Fülle an Medienbeiträgen folgt, die in den letzten Wochen dazu erschienen sind. Sicher, die Blockchain-Technologie, die es (stark vereinfacht gesagt) ermöglicht, digitale Verträge zu schließen und automatisiert durchzusetzen, steckt noch in den Kinderschuhen. Und Bitcoin, NFTs oder DAOs sind für die meisten noch ein Buch mit sieben Siegeln. Nichtsdestotrotz erinnert vieles an der Web3-Kritik an die furchtsamen Reaktionen auf die ersten Eisenbahnen im 19. Jahrhundert. Und an die Angst vor der durch die ungeheuren Geschwindigkeiten (bis zu 30 km/h!) ausgelösten „Eisenbahnkrankheit“. Andererseits gibt die Blockchain-Technologie durchaus Grund zur Euphorie. Denn sie könnte ein zentrales ökonomisches Problem lösen und damit unser aller Welt auf den Kopf stellen.

Die Blockchain ist ein Transaktionskostenkiller

Seit Adam, Eva und der verbotenen Frucht wissen wir, dass Vertrauen ein rares Gut ist. Wenn überhaupt, dann vertrauen wir nur unseren Allernächsten. Für alles andere wollen wir Garantien. Kein Einkauf auf Amazon ohne Rückgaberecht, kein Gebrauchtwagenkauf ohne TÜV, keine Wahl eines Volksvertreters ohne die Möglichkeit, ihn wieder abzuwählen. Wir haben gute Gründe, einander nicht bedingungslos zu vertrauen, denn opportunistisches Handeln kann sehr lohnenswert sein. Deshalb haben wir über Jahrtausende Institutionen erschaffen, die das Vertrauen teilweise ersetzen können. Institutionen, die uns Informationen über Vertragspartner und Handelsgüter verschaffen wie beispielsweise das Grundbuch oder Online-Vergleichsportale. Institutionen, die uns das Handeln vereinfachen, wie Kreditkarten. Und schließlich Institutionen, die dafür sorgen, dass wir nicht übers Ohr gehauen werden, wie Polizei und Gerichte. All das hat einen Preis und der heißt zusammengefasst: Transaktionskosten.

Im Grunde kann man große Teile der Zivilisationsgeschichte darauf zurückführen, dass Menschen stets versucht haben, Transaktionskosten zu senken. Der Staat in seiner Urform und jenseits der Daseinsvorsorge ist eine Antwort auf die Transaktionskostenproblematik. Nicht immer effizient, geschweige denn flexibel, kann inklusives und verlässliches Staatshandeln nichtsdestotrotz Transaktionen vereinfachen und dadurch Wohlstand schaffen.  Verglichen mit dem Staat könnte die Blockchain-Technologie jedoch der ultimative Transaktionskostenkiller werden und der Menschheit einen beispiellosen Wohlstandsboost ermöglichen.

Warum?

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Verträge automatisch durchgesetzt werden. Weder Staatsgewalt noch jahrelange Gerichtsprozesse mit ungewissem Ausgang wären noch von Nöten. Wer sich im Web3 zu einem Vertrag verpflichtet, der kann sich der Erfüllung nicht entziehen. Und nicht nur das: Jeder Vertrag in der Blockchain ist für wirklich jeden anderen Teilnehmer einsehbar. Für immer. Das macht Korruption unmöglich und die Informationsgewinnung zur Sache eines Klicks. Auch Grenzen kennt die Blockchain nicht. In Sekundenschnelle können Menschen mit Internetzugang in Bangladesch mit anderen in Mexiko, Estland oder Peru handeln. Rund um die Uhr und für kleine Cent-Beträge.

Die Argumente der Web3-Kritiker

Was haben die Web3-Kritiker gegen diese Vision einzuwenden? Sie bemängeln hauptsächlich drei Dinge: (1) Das Web3 löse keine „echten“ Probleme; (2) es sei nicht staatlich reguliert (dementsprechend nicht im Interesse des Gemeinwohls); und (3) es verleite zum Zocken.

Wie im Hinblick auf die Transaktionskostenoptimierung gezeigt, hat das Web3 definitiv ein gigantisches Problemlösungspotential. Anders wäre auch nicht zu erklären, warum Millionen Menschen weltweit mit Kryptowährungen- und Gütern handeln, und beinahe jeder große Konzern mittlerweile eine eigene Blockchain-Abteilung hat.

Richtig ist dagegen, dass Web3 ist kaum staatlich reguliert ist. Allerhöchstens die Steuergesetzgebung hat über die Realisierung von Erträgen „Zugriff“ auf das web3. Hier begreifen wohlgemerkt auch die Finanzämter so langsam die Vorzüge eines unveränderlichen und für alle abrufbaren Transaktionsprotokolls. Regulierung darüber hinaus ist nur schwer vorstellbar – komplette Verbote á la China einmal ausgenommen. Und das ist auch gut so. Denn nicht staatlich reguliert bedeutet keinesfalls überhaupt nicht reguliert. Das Web3 ist privat reguliert, und so verstörend dieser Gedanke im durchregulierten 21. Jahrhundert erscheint, so erfrischend sind die Auswirkungen.

Die Regulationswirkung im Web3 entfaltet sich nämlich von selbst: durch Angebot und Nachfrage und die Möglichkeit, alle Transaktionskosten einzusehen. Denn kein Marktteilnehmer wird dazu gezwungen eine bestimmte Kryptowährung zu halten oder Teil einer einzigen dezentralen autonomen Organisation (DAO) zu sein. Was bedeutet das konkret? Als deutscher Staatsbürger, der in Deutschland lebt und arbeitet, hat man im Grunde keine Wahl. Man bezieht Gehälter in Euro und baut Vermögen auf mit Werten, die in Euro, Dollar oder anderen Währungen dotiert sind. Entscheidungen über die Abgabenlast oder gar was mit den Billionen an gezahlten Steuern finanziert wird, werden im fernen Berlin oder noch ferneren Brüssel getroffen. Wem das nicht passt, der könnte theoretisch immerhin auswandern – allerdings wäre dies mit erheblichen Kosten verbunden. Stichwort Transaktionskosten.

Im Web3 hingegen kann man in Sekundenschnelle zwischen den unterschiedlichsten Kryptowährungen und den dahinter liegenden Konzepten tauschen. Und man kann zugleich teilhaben an unendlich vielen DAOs mit den unterschiedlichsten Aufgaben. Heute sind dies zumeist Organisationen, die dezentralen (und demokratischen) Investmentfonds ähneln. Es ist aber denkbar, dass in Zukunft DAOs für andere Funktionen des Gemeinweisens geschaffen werden. Warum nicht ein Berlin-Token, der allen Inhabern ein Stimm- und Mitsprachrecht bei kommunalen Entscheidungen gibt –ohne Stimmzettel-Chaos und aufwändigen Auszählungen.

Das mag kompliziert sein, aber es fördert Selbstverantwortung – es wirkt Zockerei sogar entgegen. Zockerei ist das teilnahmslose Hinnehmen der permanenten Geldabwertung: In den letzten 20 Jahren hat der Euro 25 Prozent seiner Kaufkraft verloren. Zockerei ist auch das teilnahmslose Hinnehmen eines Staates, der so hoch verschuldet ist, dass noch die Enkel der eigenen Enkel damit zu kämpfen haben werden. Im Web3 ist das Gegenteil dieser Abgestumpftheit zu beobachten. Da diskutieren zehntausende im Forum ihres DAOs über kollektive Investitionen und helfen sich gegenseitig dabei, unterschiedlichste Blockchain-Konzepte zu verstehen. Ja, vermutlich hat so mancher 16-jährige Bitcoin-Besitzer ein besseres Funktionsverständnis „seiner“ Währung als viele Sparkassen-Direktoren über den Euro.

Das Web3 kann unsere Welt auf den Kopf stellen

Die ungeheure Geldentwertung, eine Rentenversicherung, die die junge Generation um Ihr Geld betrügt, eine astronomische Staatsverschuldung: es ist ein Irrglaube, staatliche Regulierung gehe mit einer Gemeinwohlgarantie daher. Sicher bringt auch das Web3 Projekte hervor, die scheitern oder an Wert verlieren. Der große Unterschied ist, dass niemand zu ihrer Nutzung gezwungen ist.

Die Blockchain-Technologie hat das Potential dazu, das Individuum wieder zu ermächtigen und dadurch unsere Welt sprichwörtlich auf den Kopf zu stellen. Sie kann nicht nur unser Geld entnationalisieren. Sie kann revolutionieren, wie wir kollektive Entscheidungen treffen, wie wir Verträge miteinander schließlich und durchsetzen, und welchen Gemeinschaften wir uns zugehörig fühlen.

Das kann ähnlich beängstigend sein wie die dampfenden Metall-Ungeheuer, die vor 200 Jahren die menschliche Fortbewegung revolutionierten. Dagegen hilft aber nur Einsteigen und Mitfahren.

6 Kommentare
  1. Maximilian Erlmeier
    Maximilian Erlmeier sagte:

    Ausgezeichneter Beitrag. Gute sachliche Aufklärung. Wichtig, denn Angst aus Unwissen gespeist ist der größte Feind des Fortschritts!

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  2. Prof. Dr. K. Wollenberg
    Prof. Dr. K. Wollenberg sagte:

    Manches Richtige, Einiges Überlegenswerte, im Gesamtbild aber eine nicht überzeuge Streitschrift für Kryptowährungen. Und man sieht, der Verfasser hat wenig bis keinerlei Erfahrungen , was gesamtstaatliches, wirtschafts- und sozialpolitisches Handeln beinhaltet und ausmacht. Dieses Plädoyer hat mich noch nicht überzeugt, geehrter Herr Autor.

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  3. Dr. Alexander Dill
    Dr. Alexander Dill sagte:

    Ich arbeite seit zehn Jahren daran, die Transaktionskosten von Staaten – derzeit 2 Billionen Dollar für Militär, 2 Billionen für Zinsen, zwei Billionen für nutzlose Produktion von Wegwerfartikeln – durch eine Web3-Lösung zu senken.
    Aus mir nur schwer verständlichen Gründen möchten das meine „liberalen“ Freunde nicht. An diesen Transaktionskosten hängen natürlich Businessmodelle, an denen sie meistens direkt selbst beteiligt sind.
    Militär und Zinsen werden zu 100 Prozent aus Steuermitteln bezahlt.
    In Deutschland muss der Staat etwa 80 Milliarden Euro jährlich in die Rentenkasse zuschiessen, damit Herr Kubicki beitragsfrei bleibt.
    Ohne diese beiden Wahnsinnsposten wäre Deutschland längst so gering verschuldet wie Russland.

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  4. Ralf Becker
    Ralf Becker sagte:

    Kryptowährungen bilden irgendwo einen Gegenwert zum Fiatgeld der Banken ab und daher können sie auch Finanztransaktionen ermöglichen.

    FAZ, 09.10.2021
    STANDPUNKT:
    Vorsicht vor dem Bitcoin
    VON OTMAR ISSING UND KLAUS MASUCH
    u.a. steht dort:
    Wie Bindseil/Schaaf in ihrem Artikel in der F.A.Z. vom 17. September 2021 überzeugend dargelegt haben, ist Bitcoin keine Währung. Bitcoin besitzt keinen intrinsischen, das heißt innewohnenden Wert, noch ist es durch werthaltige Sicherheiten gedeckt.

    pcwelt.de, 25.01.2022
    Bitcoin Mining mit dem eigenen Computer – so geht’s 2022

    apolut.net, 7. Dezember 2020
    Gehört Bitcoin die Zukunft? | Von Ernst Wolff

    rubikon.news, 16. April 2021
    von Burak Erbasi
    Ein zweischneidiger Wert
    Im Rubikon-Interview mit Finanzexperte Ernst Wolff werden Chancen und Risiken der Blockchain-Technologie beleuchtet..

    dw.com, 16.02.2021
    DIGITALWÄHRUNG
    Der unersättliche Stromfresser: Bitcoin

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    • Dr. Wolfram Bierwirth
      Dr. Wolfram Bierwirth sagte:

      „Bitcoin besitzt keinen intrinsischen, das heißt innewohnenden Wert, noch ist es durch werthaltige Sicherheiten gedeckt.“ – Ersetze „Bitcoin“ mit „Euro“.

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