Photo: Quirinale.it from Wikimedia Commons (CC 0)

Als sich 1947 eine Reihe von liberalen Intellektuellen am Fuße des Mont Pélerin trafen, war man noch ein Häuflein von Idealisten, die nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs und des globalen Totalitarismus einen Weg in die Freiheit suchen. Schon bald darauf stießen aber zwei Personen hinzu, die durch die Umstände in bedeutsame politische Ämter gespült worden waren. Beide waren von herausragender Bedeutung für den Aufbau eines freiheitlichen Gemein- und Staatswesens in den beiden Ländern, die den Faschismus hervorgebracht und groß gemacht hatten. In Deutschland war das Ludwig Erhard und in Italien Luigi Einaudi (1874-1961). Einaudi war im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts ein typischer öffentlicher Intellektueller. Der zunächst noch pragmatische Sozialist lehrte Finanzwissenschaften in Turin und Mailand, schrieb für renommierte Zeitungen und wurde 1919 in den italienischen Senat berufen. So sehr er sich schrittweise dem Sozialismus abwandte, umso deutlicher noch positionierte er sich gegen den aufkommenden Faschismus.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde er Gouverneur der italienischen Zentralbank und Abgeordneter in der verfassungsgebenden Versammlung. 1948 wurde er zum italienischen Staatspräsidenten gewählt. Wie viele aus der Gründergeneration der Mont Pélerin Society war Einaudi durch den Horror des Totalitarismus zu einem erheblichen Staatskeptiker geworden. Mit großer Leidenschaft kämpfte er publizistisch und in der Gestaltung des neuen italienischen Staates dafür, diesem Gebilde möglichst enge Grenzen zu setzen. Er gehörte aus dieser Überzeugung heraus auch zu den großen Vorkämpfern eines vereinten Europas. Und das in einer Weise, die gerade in unserer Zeit wieder wegweisend sein könnte: Ein schrankenloser Binnenmarkt sollte für Wohlstand und Frieden sorgen. Dezentralismus, Wettbewerb und Subsidiarität sollten leitende Prinzipien aller staatlichen Organisationen sein. Und eine starke gemeinsame Verteidigung sollte Europa auf Augenhöhe mit den amerikanischen Verbündeten bringen, während es sich vor allem der kommunistischen Bedrohung mit Wucht entgegenstellen könne. Hätte man sich an die Grundsätze Einaudis gehalten, stünde Europa heute anders da. Für eine Orientierung in diesen Zeiten sollten wir uns vielleicht auch einmal dem begeisterten Hobbywinzer aus dem Piemont zuwenden.

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Es gibt immer mal wieder so Ausnahmepersönlichkeiten, bei denen alle Fäden ihrer Zeit zusammenzulaufen scheinen. Germaine de Stael (1766-1817) ist eine solche. Mit 20 Jahren begann die Tochter eines der letzten Regierungschefs von Ludwig XVI. zu schreiben. Im Laufe ihres gar nicht so langen Lebens entwickelte sie sich zu einer der führenden Literaten an der Schwelle zur Moderne und zugleich zu einer hochgeachteten Kommentatorin der höchst turbulenten Politik ihrer Epoche. In der ersten Phase der Französischen Revolution brachte sie sich in die Debatten ein und war etwa bei der Entstehung der ersten Verfassung beteiligt. Später war sie eine wortgewaltige Kritikerin der Terrorherrschaft der Revolution und der Diktatur Napoleons.

In ihren Salons in Paris, in ihrem Schloss in der Schweiz und auf vielen Reisen durch Europa knüpfte sie Netzwerke mit den bedeutendsten Intellektuellen jener Zeit, deren Wirken das 19. Jahrhundert wesentlich prägten, wie etwa der preußische Reformer Wilhelm von Humboldt, der General Carl von Clausewitz und Schlüsselfiguren der entstehenden Romantik wie Lord Byron, François-René de Chateaubriand und die Familie Schlegel. Ihr bekanntestes Werk trägt den Titel „Über Deutschland“, in der sie Eindrücke von zwei Reisen wiedergibt. Dabei hat das Bild, das sie von der gerade sich bildenden Nation zeichnet, ganz besonders auch einen Zweck: Es soll ihren französischen Landsleuten als Gegenentwurf dienen zur Radikalität und Brutalität des die Aufklärung pervertierenden Terrors.

Die glamouröse, blitzgescheite und sehr selbstbewusste Frau war auch eine wichtige Orientierung für die aufkommende Frauenbewegung. Die Alphamännchen ihrer Zeit begegneten ihr mit großem Respekt. Und in der Wahl ihrer Begleiter und Liebhaber behielt sie die Zügel fest in der Hand: Ihr erster Ehemann war schwedischer Botschafter, ihr langjähriger Geliebter ein General und Diplomat Frankreichs unter dem König wie unter Napoleon, und ihr letzter Gatte war ein 22 Jahre jüngerer Offizier, mit dem sie im Alter von,45 Jahren noch einen Sohn hatte. Aus freiheitlicher Sicht ist eine Verbindung besonders interessant. Für fast anderthalb Jahrzehnte war einer der bedeutendsten französischen Liberalen de Staels Lebensgefährte: Benjamin Constant.

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Am 17. Februar ist der niederländische Politiker Frits Bolkestein verstorben. Er ist in Deutschland vor allem bekannt für die nach ihm benannte „Bolkestein-Richtlinie“, die das grenzübergreifende Angebot von Dienstleistungen innerhalb der EU ermöglichte und damit einen wesentlichen Pfeiler des EU-Binnenmarktes errichtete. Als EU-Kommissar brach Bolkestein bürokratische Hürden, stärkte die Niederlassungsfreiheit und öffnete Märkte, die zuvor von nationalen Protektionismen abgeschottet waren. Trotz heftiger Widerstände von Gewerkschaften und den Regierungen in Paris und Berlin setzte er sich für eine Union ein, deren Kern der grenzüberschreitende Wettbewerb ist. Diese EU der vier Grundfreiheiten bleibt eines der beeindruckendsten politischen Projekte, die Europa nach Jahrhunderten nachhaltigen Frieden und einen der größten Binnenmärkte der Welt brachte.

Photo: Esquire Magazin

Irving Kristol (1920-2009) wurde in New York in eine Familie ostjüdischer Migranten geboren. In seiner College-Zeit war er aktiv in einer Gruppe antisowjetischer Trotzkisten, wo er auch seine Frau Gertrude Himmelfarb (1922-2019) kennenlernte, die er bereits mit Anfang 20 heiratete. Die beiden bildeten über die nächsten Jahrzehnte ein absolutes intellektuelles Power Couple. Schon in jungen Jahren ist auch ihr Sohn Bill Kristol (*1952) in ihre Fußstapfen getreten. In Irving Kristols Nachruf in der taz wurde ihm attestiert, er verfüge über „ein intellektuelles Niveau, von dem man bei den meisten moderaten Konservativen nur träumen kann“.

Kristol und Himmelfarb standen an der intellektuellen Wiege des Neokonservatismus, der die US-amerikanische Politik von Reagan bis Bush junior maßgeblich beeinflusste. Entstanden war diese Ausrichtung im Umfeld enttäuschter Anhänger der Demokratischen Partei, die im Laufe der 60er Jahre das Gefühl hatten, dass sich dort zu viel Appeasement gegenüber dem Kommunismus breitmachte. Außerdem lehnten sie die Ausweitung des Wohlfahrtsstaates unter dem Stichwort „Great Society“ ab.

Die Neokonservativen waren große Verfechter des Kapitalismus, weil er die materielle Basis für Wohlstand ermöglicht und weil er individuelle Freiheiten fördert. Ihm fehle aber eine moralische Überzeugung und eine spirituelle Tiefe. Diese Dimension wollten die Neokonservativen der westlichen Wertegemeinschaft noch hinzufügen. Die Moral, die sie in die Gleichung einfügen wollten, hatte einen stark universalistischen Zug und ging von der generellen Verbesserungsfähigkeit der Welt aus. Diese Neokonservativen fügten sich ein in die Tradition der nonkonformistischen englischen Protestanten und Quaker des 17. Jahrhunderts, die in Nordamerika ein neues Jerusalem errichten wollten; in die Tradition der Radikalen des 19. Jahrhunderts, die Sklaverei bekämpften, für Frauenrechte stritten und das allgemeine Wahlrecht ausweiten wollten; und in die Tradition der missionarischen US-Außenpolitik von Woodrow Wilson bis John F. Kennedy. Ihre quasi-religiöse Mission war es, der ganzen Welt eine westliche Prägung zu geben. Spätestens mit dem Irak-Krieg 2003 und dessen Folgen war diese Ideologie schwer beschädigt. Aber ihre Prägekraft war in der Zeit davor enorm und hat womöglich

entscheidend sowohl zum Fall des Eisernen Vorhangs beigetragen als auch dazu, dass die Welt danach einen erheblichen Sprung in Richtung Demokratisierung und Marktwirtschaft machte.

Photo: Gordon Family

Die japanische Verfassung von 1946 war ein Vorreiter in Fragen der Frauenemanzipation. Japan? Kurz nach dem 2. Weltkrieg? Ja, und das hat vor allem mit einer 22jährigen ostjüdischen Wienerin aus den USA zu tun.

Beata Sirota kam aus einer der klassischen osteuropäisch-jüdischen Musikerfamilien. Ihr Vater, ein begnadeter Pianist, stammte aus der damals unter russischer Herrschaft stehenden Ukraine und wanderte 1904 nach Wien aus. 1923 wurde Beata geboren und 1930 zogen ihre Eltern mit ihr weiter nach Japan, nicht zuletzt, um dem wachsenden Antisemitismus zu entkommen. Es war ein glücklicher Zufall, dass sie 1939 nach Kalifornien ging, um dort ihre akademische Bildung weiterzuverfolgen. So war sie beim japanischen Angriff auf Pearl Harbor zwar von ihren Eltern getrennt, aber in Sicherheit. Nach Kriegsende bemühte sich Sirota darum, in Japan eingesetzt zu werden, um ihre Eltern wiederzusehen. Am 25. Dezember 1945 wurde die Familie wieder vereint.

Bei ihrem Einsatz in Japan waren ihre Sprachkenntnisse von großer Bedeutung: sie sprach fließend Deutsch, Englisch, Russisch und Französisch. Vor allem aber Japanisch. Und das war in den USA der damaligen Zeit ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal. Sie unterstützte die amerikanischen Besatzungsbehörden unter General Douglas MacArthur, und fand sich schon nach wenigen Monaten in einer der Kommissionen wieder, die die neue japanische Verfassung erarbeiten sollten – und zwar in der für Bürgerrechte. Zum Glück für die japanischen Frauen hatte Sirota keine Hemmungen, sich dort für die Werte stark zu machen, von denen sie überzeugt war, auch wenn sie als junge Frau wohl nur wenig Autorität zugesprochen bekam. Die von Sirota durchgesetzten Prinzipien waren dabei nicht dazu angetan, tief in kulturelle Gewohnheiten einzudringen, sondern stellten schlicht die Gleichberechtigung vor dem Gesetz her. Viele Traditionen konnten bestehen bleiben, aber es gab für das Individuum die Möglichkeit, ihr Leben selbstbestimmt zu führen.