Photo: Chris Geirman from Unsplash (CC 0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Kevin Spur, Student der Ökonomie an der Freien Universität Berlin.

Ein Ziel der Befürworter des verpflichtenden Sozialjahres ist es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und mehr junge Menschen zu motivieren, soziale Berufe zu ergreifen. Belastbare Hinweise auf derartige Effekte eines Sozialjahres finden sich in der Literatur jedoch nicht. Die Hoffnung auf positive Effekte ist zu wenig, um die offenkundigen Kosten in Form von Freiheitseinschränkung, Bildungsverzicht, entgangenen Lebenseinkommen und niedrigeren Löhnen im Sozialbereich zu rechtfertigen.

Diesen Staat gibt es nicht zum Nulltarif.“ Mit diesen Worten warb die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer für ein verpflichtendes Dienstjahr für alle 18- bis 25-jährigen Bürger. Unterstützung für diese Idee findet sich auch in der Bevölkerung: Laut einer Umfrage aus dem ZDF-Politbarometer aus dem August dieses Jahres begrüßen 68 Prozent aller Wahlberechtigten die Einführung einer einjährigen Dienstpflicht. So wünschenswert es klingen mag, Werte wie Zusammenhalt, Verantwortungsbewusstsein oder Empathie unter jungen Menschen zu stärken, so wenig gibt es belastbare Hinweise auf die erhofften positiven Wirkungen eines einjährigen Pflichtdienstes, die den massiven staatlichen Eingriff in die Freiheitsrechte junger Menschen rechtfertigen könnten.

Unter den deutschen Politikern ist Annegret Kramp-Karrenbauer nicht die einzige, die Gefallen an der Idee eines sozialen Pflichtjahres findet. Die Junge Union erhofft sich vom Pflichtdienst, „den Zusammenhalt im Land zu stärken“. Für Norbert Blüm könnte der Sozialdienst das Gefühl der „Gesamtverantwortung aller Staatsbürger“ fördern und als „Schule der Empathie“ fungieren. Auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach findet „den Gedanken grundsätzlich nicht falsch“, um Kräfte für soziale Einrichtungen zu mobilisieren.

Sozialjahr wie Wehrpflicht: Direkte Kosten für die Betroffenen

Während die Befürworter der Idee eines sozialen Pflichtdienstes den damit einhergehenden erhofften Nutzen in den Vordergrund stellen, lässt sich in der akademischen Literatur vor allem etwas zu den erwartbaren Kosten finden.

Ein verpflichtendes einjähriges soziales Jahr ist wie die Wehrpflicht oder der Zivildienst eine implizite Naturalsteuer. Statt die Steuerschuld in monetärer Form an den Staat zu entrichten, wird sie in geleisteter Arbeit abgegolten. Die direkten Kosten für die Dienstpflichtigen liegen im impliziten Verzicht auf die Differenz zwischen dem entgangenen Marktlohn und der staatlichen Entlohnung im Pflichtjahr. Wie alle Steuern ist auch diese Naturalsteuer für die Besteuerten eine Belastung.

Panu Poutvaraa vom ifo-Institut und andere Ökonomen haben Effekte des Wehrdiensts erforscht, die sich auf ein soziales Pflichtjahr übertragen lassen. Sie heben hervor, dass die Wehrpflicht junge Menschen in einem Alter betrifft, in dem am stärksten Wissen durch Lehre, Ausbildung und frühe Arbeitserfahrung aufgebaut wird. Die Unterbrechung reduziert die Vorteile des Wissensaufbaus und senkt den Anreiz, sich nach dem Schulabschluss weiterzubilden. Die Pflicht zum (Wehr-)Dienst hemmt also den Qualifikationsstand junger Menschen.

Ferner verschiebt die Wehpflicht den Eintritt in den Arbeitsmarkt und zwingt die Betroffenen, auf ihr letztes und zumeist relativ hohes Einkommen vor der Rente zu verzichten. Der Verzicht auf Lohn während des Wehrdienstes, geringere Wissensakkumulation und der verzögerte Eintritt in den Arbeitsmarkt verringern das Lebenseinkommen der (Wehr-)Dienstleistenden und wirken so wachstumshemmend.

Sozialjahr wie Zivildienst: Indirekte Kosten

In Bezug auf den Zivildienst, der dem sozialen Pflichtjahr noch näher kommt, weisen Thomas Bauer und Christoph Schmidt auf weitere indirekte Kosten hin: Der kostengünstige Einsatz von Zivildienstleistenden verzerrt das Verhältnis der Kosten zwischen Arbeit und Kapital in Pflegeheimen und anderen sozialen Einrichtungen. Können in diesen Einrichtungen recht günstig Arbeitskräfte angestellt werden, wird der Anreiz geschwächt, technologisch und organisatorisch auf dem neusten Stand zu sein. Ähnliches ist bei einem verpflichtenden Dienstjahr zu erwarten. Statt 78.000 Zivildienstleistende im Jahr 2010 würden bei einem für alle verpflichtenden sozialen Jahr hunderttausende junge Menschen einberufen werden. Die nicht-marktlich entlohnten Sozialdienstpflichtigen würden zu künstlich niedrigen Preisen und Löhnen im Markt für Sozialdienste beitragen und qualifiziertes Personal verdrängen. Ein sozialer Pflichtdienst könnte so den Mangel von qualifiziertem Personal im Sozialdienst befördern.

„Mandatory volunteering“: Ein Widerspruch in sich

Die direkten und indirekten Kosten von Pflichtdiensten sind gut zu fassen. Anders sieht es mit dem erhofften Nutzen eines verpflichtenden Dienstes in Form von wünschenswerter Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen aus. Nur eine Handvoll Studien über die Wirkung eines relativ kurzfristigen verpflichtenden Sozialdienstes von 20 bis 40 Stunden von High-School-Schülern und College-Studenten aus den USA und Australien lassen sich finden. Laut der Ergebnisse kann das sogenannte „mandatory volunteering“ die Bereitschaft junger Leute, sich gesellschaftlich zu engagieren, stärken. Voraussetzung ist dabei, dass der Dienst in den Lehrplan integriert ist und die Jugendlichen selbstbestimmt ihr Engagement auswählen können. Fehlen die genannten Faktoren, wirkt sich das „mandatory volunterring“ eher unerwünscht aus. So kann Zwang zum sozialen Engagement die Motivation, sich zukünftig freiwillig zu engagieren, und die langfristige Verbundenheit zur Gesellschaft schwächen.

Nur Symbolpolitik?

Eine eher kritische Haltung zu einem sozialen Pflichtjahr nehmen auch Vertreter der Wohlfahrtsverbände ein. So ordnet der Bundesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt Wolfgang Stadler einen allgemeinen Pflichtdiensts in die Kategorie „Sommerlochidee“ ein. Laut AWO kann „ein soziales Jahr ein großer Gewinn für junge Menschen sein [..], aber nur, wenn es freiwillig erfolgt“. Ulrich Schneider, Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, spricht gar davon, dass es keine „700.000 Jugendliche pro Jahr [brauche], von denen die Hälfte überhaupt nicht weiß, was sie bei uns soll.

Sozialdienst: Sozial dienlich?

Ein Ziel der Befürworter des verpflichtenden Sozialjahres ist es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und mehr junge Menschen zu motivieren, soziale Berufe zu ergreifen. Belastbare Hinweise auf derartige Effekte eines Sozialjahres finden sich in der Literatur jedoch nicht. Die Hoffnung auf positive Effekte ist zu wenig, um die offenkundigen Kosten in Form von Freiheitseinschränkung, Bildungsverzicht, entgangenen Lebenseinkommen und niedrigeren Löhnen im Sozialbereich zu rechtfertigen. Anstatt den Versuch zu unternehmen, mit Zwang ein Gemeinschaftsgefühl zu befördern, sollte die Politik sich darauf beschränken, einen verlässlichen Regelrahmen zu setzen, in dem die Bürger an möglichst vielen Positivsummenspielen teilhaben können, die das gegenseitige Vertrauen fördern.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Kyle Hanson from Unsplash (CC 0)

Von Dr. Matthias Bauer, Senior Economist beim European Centre for International Political Economy (ECIPE), Brüssel. Dr. Bauer ist auch verantwortlich für die sehr ausführliche Studie „Corporate Tax out of control“.

Die Frage, ob digitale Unternehmen ihren „gerechten Anteil“ an Steuern zahlen, ist in Brüssel und einigen EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich und Italien zu einem zentralen politischen Anliegen geworden. Politiker, die sich für neue Sondersteuern für Unternehmen der Digitalwirtschaft einsetzen, berufen sich dabei allerdings häufig auf rein hypothetische Zahlen. Diese Zahlen, die von der Steuerabteilung der EU-Kommission erstmals im Herbst 2017 verbreitet wurden, haben es in sich. Sie suggerieren, dass Unternehmen wie Facebook, Spotify und Zalando keine Steuern zahlen würden, obwohl sie doch hohe Gewinne erwirtschaften. Reale Unternehmensdaten zeigen allerdings, dass es keine systematischen Unterschiede hinsichtlich der Steuerbelastung – oder auch Nicht-Belastung – zwischen traditionellen und digitalen Unternehmen gibt. Die Argumente von Sondersteuer-Befürwortern, die bislang von vielen Journalisten ungeprüft übernommen wurden, offenbaren zugleich ein Problem höherer Ordnung: Die Komplexität und Intransparenz des internationalen Unternehmenssteuerrechts lässt derzeit keinerlei objektive Schlüsse darüber zu, welche Unternehmen, tatsächlich wo und wieviel Steuern zahlen. Gleichzeitig bildet das schier undurchschaubare Netz von legalen Steueranreizen und politisch gewünschten Steuerausnahmen einen ergiebigen Nährboden für Wirtschaftsnationalisten aus allen politischen Lagern.

Im September 2017 behauptete die EU-Kommission erstmals, dass digitale Unternehmen in der EU im Durchschnitt nur zwischen 8,5% und 10,1% Steuern auf ihre Unternehmensgewinne zahlen würden. Seit die EU-Kommission diese Zahlen erstmals veröffentlichte, haben deren Kommunikationsexperten diese fast täglich professionell vermarket. Die Zahlen wurden aktiv in politischen Gesprächskreisen in Brüssel, auf Europatouren zur EU-Steuerpolitik und in den sozialen Medien beworben. Fünf farbige Blasen suggerieren seither beispielsweise interessierten Betrachtern, dass Unternehmen mit sogenannten „traditionellen“ Geschäftsmodellen „fairere“ Steuersätze in Höhe von 20,9% bzw. 23,2% aufweisen. Ergänzt wurden die Zahlen um Info-Videos und Kommentare von hochrangigen EU-Beamten, die ein europäisches Sondersteuersystem für digitale Unternehmen fordern.

Die Regierungen einiger EU-Mitgliedstaaten, darunter Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien, ziehen nun in Erwägung, ähnliche Sondersteuern auf nationaler Ebene einzuführen für den Fall, dass die EU-weite Initiative scheitern sollte, wonach es derzeit aussieht. Die Befürworter nationaler Sondersteuern berufen sich auch auf die Zahlen der EU-Kommission, verschweigen dabei allerdings einige wesentliche Fakten, die für eine verantwortungsvolle, evidenzgeleitete und zukunftsorientierte Steuerpolitik unabdingbar sind.

Viele große Unternehmen mit Hauptsitz in Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien weisen sehr niedrige effektive Gewinnsteuersätze auf. Häufig sind die effektiven Steuerquoten weitaus niedriger als diejenigen von sog. Digitalriesen wie Google, Facebook oder Amazon. Eine neue ECIPE-Studie zeigt für den Zeitraum 2012 bis 2017, dass große digitale Unternehmen wie Google (26,8%), Facebook (27,7%), Microsoft (28,2%) und Amazon (38,2%) global betrachtet relativ hohe Effektivsteuersätze aufweisen. Gleichzeitig liegen die durchschnittlichen Effektivsteuersätze weniger bekannter Technologie- und Softwareunternehmen, die in den Aktien-Indices MSCI World Technology und MSCI World Software & Services gelistet sind, bei 24,8% und 27,8%. Im Vergleich dazu sind die durchschnittlichen Effektivsteuersätze traditioneller, d.h. weniger digitaler, Unternehmen mit Hauptsitz in Spanien (IBEX35) und Deutschland (DAX30) mit 23,4% und 24,1% erheblich niedriger als diejenigen großer US-amerikanischer Digitalunternehmen. Etwas höhere durchschnittliche Effektivsteuersätze können für Frankreich (CAC40; 28,7%), die USA (DJIA; 29,1%) und Italien (MIB40; 32,9%) attestiert werden.

Gleichzeitig weisen mehrere große und international operierende europäische Unternehmen wie Renault aus Frankreich (17,6%), aber auch Volkswagen (20,5%), die Deutsche Post (15,0%) und die Deutsche Telekom (19,1%) aus Deutschland sehr niedrige Effektivsteuersätze auf. Volkswagen, die Deutsche Post und die Deutsche Telekom befinden sich zum Teil im deutschen Staatsbesitz. Diese und andere europäische Niedrigsteuer-Unternehmen wurden in den Debatten um faire Besteuerung bislang nicht in den Fokus gerückt. Messen einige Politiker und Medienvertreter bei diesen Unternehmen mit anderem Maß als bei Unternehmen, die ihren Sitz im Ausland haben und größtenteils von den neuen Sondersteuern betroffen wären? Die Daten scheinen eine eindeutige Sprache zu sprechen. Gleichwohl geben die Daten keine Auskunft darüber, wo genau international tätige Unternehmen Steuern zahlen und wieviel. Sowohl auf Seiten der Unternehmen als auch auf Seiten der Finanzministerien herrscht darüber strikte Verschwiegenheit. Selbst im formellen Informationsaustausch zwischen den Finanzministerien der EU-Mitgliedsstaaten fließen die Informationen, wenn überhaupt, nur zäh.

Darüber hinaus verschweigen die Befürworter der neuen Sondersteuern für die Digitalwirtschaft, dass die Steuerlast im Wesentlichen von den Nutzern digitaler Dienstleistungen getragen wird, also von Kleinen und Mittelständischen Unternehmen (KMU) wie Gaststätten, Tourismusbetrieben, Einzelhändlern und Handwerkern, die ihre Leistungen im Internet vermarkten oder zumindest online bewerben. Diesen Unternehmen würde der Zugang zu potenziellen Kunden erschwert. Ihre Margen würden sinken. Glichzeitig würden ausländische Unternehmen, die in ihrem Herkunftsland nicht die Last von Sondersteuern tragen müssten, ohne eigenes Zutun einen Wettbewerbsvorteil erhalten.

Eine verantwortungsvolle, zukunftsfeste Steuerpolitik sollte sowohl auf deutscher als auch europäischer und globaler Ebene der Tatsache Rechnung tragen, dass selbst Steuerexperten große Schwierigkeiten haben, die Komplexität des internationalen Unternehmenssteuersystems zu durchdringen und überprüfbare politische Handlungsempfehlungen auszusprechen. Die Komplexitätsspirale, die in der Vergangenheit im Wesentlichen von Fachministerien und Fachberatern aus der Privatwirtschaft getrieben wurde, gilt es deshalb aufzubrechen. Die Tatsache, dass auch viele gewählte Politiker die Undurchsichtigkeit des nationalen und internationalen Unternehmenssteuerrechts nicht verstehen, sollte Grund genug sein für die Politik, endlich substantielle Reformen in Angriff zu nehmen.

Ziel einer von Pragmatismus geleiteten Reform sollte es sein, das Unternehmenssteuerecht fundamental zu vereinfachen und global zu harmonisieren, wobei die Steuersätze in nationaler Kompetenz verbleiben sollten, um Steuerwettbewerb in Zukunft auch weiterhin zu ermöglichen. Eine von Vernunft geleitete Reform sollte auf die Abschaffung von Unternehmenssteuern abzielen. Schließlich wird die effektive Last von Unternehmenssteuern größtenteils von Arbeitnehmern (durch niedrigere Löhne und Gehälter) und Verbrauchern (durch höhere Preise) getragen. Alternativ könnten Kapitaleinkommen, Arbeitseinkommen und Konsumausgaben – allesamt transparenter und in der Besteuerung fokussierter als Unternehmenssteuern – stärker oder weniger stark direkt besteuert werden. Würden wir heute vor der Frage stehen, ob überhaupt Steuern auf Unternehmensgewinne erhoben werden sollten, würde ein derartiges System kaum Aussichten auf Erfolg haben, genauso wenig wie Sondersteuern auf die Umsätze oder Gewinne von Unternehmen der Digitalwirtschaft.

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Berlin begeht heute den Frauentag als gesetzlichen Feiertag. Man sollte sich klar machen, wo dessen Ursprung liegt. Eingeführt auf Anregung der Kommunistin Clara Zetkin ist er Ausdruck eines auf die Geschlechter übertragenen Klassendenkens. Die liberale Frauenbewegung der letzten 250 Jahre hat da einen besseren Ansatz zu bieten: statt auf „Wir gegen die“ setzen sie auf „Wir wie die“; statt auf Geschlechterkampf setzen sie auf gleiches Recht für alle. In einer Zeit, in der wir eine Kanzlerin haben und vier der sechs im Bundestag vertretenen Parteien Frauen als Vorsitzende haben, sollten weniger die Unterschiede als die Gemeinsamkeiten von Frauen und Männern in den öffentlichen Blick rücken.

Die Kommunistin Zetkin und ihre Mitstreiterinnen waren keine Demokraten. Sie wollten eine Räterepublik unter Führung der Arbeiterklasse. Die Vorstellung von Arbeiter- und Soldatenräten war eine Form des Klassenwahlrechts. Man wählte in jeder Klasse die eigenen Vertreter in das Parlament. Ein imperatives Mandat zwang die Vertreter zur Linientreue. Gerade hat das rot-rot regierte Land Brandenburg das so genannte Parité-Gesetz beschlossen, das die Parteien verpflichtet, zur Wahl paritätische Landeslisten aufzustellen. Das Parité-Gesetz führt zu einem Art Ständeparlament. Es teilt das Parlament in zwei Klassen ein – Frauen und Männer. Es zielt nicht auf die Gleichheit vor dem Recht, sondern auf Ergebnisgleichheit. Zumindest das Grundgesetz gibt das nicht her. Das Grundgesetz differenziert nicht zwischen Mann und Frau, sondern kennt nur das Volk als Ganzes. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, heißt es darin. Die Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes läßt dazu auch keine Grundgesetzänderung zu.

Angesichts solcher Entwicklungen kann der neue gesetzliche Feiertag in Berlin Anlass sein, an die liberale Frauenbewegung zu erinnern, deren Auftreten zwar weniger aufsehenerregend war, deren Wirken aber dafür umso nachhaltiger. Es war die Liberale Marianne Weber, die vor 100 Jahren als erste Frau eine Rede in einem deutschen Parlament hielt. Sie war Abgeordnete der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF). Für die Veröffentlichung der Werke ihres verstorbenen Ehemannes, des Soziologen Max Weber, erhielt sie als erste Frau die Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg.

In ihrer Rede sprach sie nicht nur die geschichtliche Bedeutung ihres Auftritts im Parlament an, sondern unterstrich auch die Zusammenarbeit der Frauen im Parlament: „Wir als Frauen werden hier selbstverständlich nicht nur die Interessen unserer Partei, sondern auch die Interessen unseres Geschlechts zu vertreten haben, und so glaube ich, daß auch die Frauen der verschiedenen Parteien, die wir heute hier sehen, sich untereinander noch durch eine besonderes Band verknüpft fühlen werden. Aber ich darf wohl für uns gemeinsam das Versprechen abgeben, dass das Wichtigste uns immer sein wird das Interesse des Ganzen und das Interesse unseres badischen Vaterlandes, für das wir hier mit Ihnen ernst und freudig zusammenarbeiten wollen.“

Zu diesen Frauen gehörte auch Marie-Elisabeth Lüders. Sie war die erste Frau, die 1909 an der Berliner Universität studierte und 1912 promovierte. Sie zog für die DDP als eine der wenigen Frauen in der Weimarer Republik in den Reichstag ein und nach dem zweiten Weltkrieg für die FDP in den Bundestag. Auch sie engagierte sich im Bund Deutscher Frauenvereine, wo sie sich für bessere Arbeitsverhältnisse und eine bessere Entlohnung für Frauen einsetzte.

Beide Frauen, Weber und Lüders, haben die verheerende Entwicklung zum Nationalsozialismus erkannt und daraus Konsequenzen gezogen. Lüders kandidierte nicht mehr für die DDP als diese mit dem Jungdeutschen Orden und der Deutschen Staatspartei zusammenschloss. Und Marianne Weber schrieb in einem Brief 1941: „zum Schwersten gehört die Erkenntnis, dass es ein beglückender Irrtum war, anzunehmen, eine bestimmte Stufe der Humanität könne nicht wieder verlassen werden.“

Und schon im 18. Jahrhundert waren es liberale Frauen, die sich für Frauenrechte einsetzten. Mary Wollstonecraft gilt als Begründerin des amerikanischen und britischen Feminismus und ihr berühmtestes Werk „Vindication of the Rights of Woman (1792) als erstes großes feministische Buch. Darin untersuchte sie die Bildung von Frauen, den Status und ihre Rechte sowie die Rolle des privaten im Gegensatz zu der des öffentlichen Lebens. Das Bildungssystem kritisierte sie, weil es Frauen in „Unwissenheit und sklavischer Abhängigkeit“ hielt.  Sie war eine glühende Anhängerin der Aufklärung, lehnte die traditionellen Methoden der Mädchenerziehung ab und forderte, dass ihre Ausbildung im Einklang mit den Ansichten der Aufklärung stehen müssten. Bereits Jahre zuvor gründete sie 1784 eine Privatschule, um junge Mädchen und junge Frauen zu unterrichten. Sie war fasziniert von der Französischen Revolution und reiste von England nach Frankreich, um die Revolution zu unterstützten, kam dann aber enttäuscht wieder, als sie deren freiheitsfeindliche Entwicklung miterlebte.

Wieso ist heute von Marie-Elisabeth Lüders, von Marianne Weber oder von Mary Wollstonecraft kaum mehr die Rede? Wieso werden Clara Zetkin oder Rosa Luxemburg, die weder eine demokratische Gesinnung hatten, noch die einzelne Frau im Blick hatten, heute nicht mehr nur von den Sozialisten hofiert? Kann es vielleicht sein, dass diese liberalen Vorbilder von uns allen, von Männern und Frauen, wieder stärker in die Öffentlichkeit gerückt werden müssen? Es liegt an uns selbst, den Kampf der Idee aktiv zu führen. Die Frage der Gleichberechtigung von Frauen und Männer darf nicht den Gleichmachern überlassene werden.

Photo: PeterFranz from Flickr (CC BY 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Doktorand der Volkswirtschaftslehre. 

Lokalisierungsbarrieren schaden dem internationalen Handel erheblich. Der Abbau lokaler Anforderungen sollte unilateral vorangetrieben werden. Wird der gegenseitige Verzicht auf Lokalisierungsbarrieren vereinbart, ist maßgeblich, dass der Bereich der nationalen Sicherheit ausreichend eng gefasst wird.

Nicht nur Zölle und staatliche Finanzhilfen behindern den Handel über Landesgrenzen hinweg. Regierungen auf der ganzen Welt schränken – mal mehr mal weniger subtil – auch durch Lokalisierungsanforderungen den Handel ein. Dabei handelt es sich um Maßnahmen, die ausländische Unternehmen dazu anhalten, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten in das eigene Land zu verlegen. Dies kann explizit erfolgen, wenn der Marktzugang ausländischen Unternehmen nur gewährt wird, wenn das Unternehmen die abgesetzten Produkte vor Ort produziert. Implizit kommt es zum Einfluss auf die Standortwahl, wenn beispielsweise bei öffentlichen Ausschreibungen nur lokale Anbieter berücksichtigt werden sowie wenn Subventionen oder öffentliche Aufträge nur zugänglich sind, wenn Anbieter lokal produzierte Güter und Dienstleistungen als Inputs nutzen. Wir diskutieren in einem neuen IREF Policy Paper wie internationaler Handel durch derartige Anforderungen gehemmt wird. Abhilfe versprechen vor allem internationale Abkommen.

Marktzugang nur bei lokaler Produktion

Recht offensiv nutzen vor allem einige Entwicklungsländer Lokalisierungsbarrieren. Wollen etwa ausländische Unternehmen Marktzugang in China, ist dies nur möglich, wenn die Firmen bereit sind, geistiges Eigentum und Technologien mit ihren chinesischen „Partnern“ zu teilen. Ohne Investitionen und Technologiepreisgabe wird in der Regel kein Marktzugang gewährt.

Doch auch Industrieländer nutzen Lokalisierungsbarrieren. Bekannte diskriminierende öffentlichen Auftragsanforderungen in den USA sind der 1933 verabschiedete Buy American Act, der die U.S.-Regierung dazu anhält, in den USA produzierten Gütern den Vorzug zu geben, und der 1982 erlassene Buy America Act, gemäß welchem beim vom Bund unterstützten Infrastrukturprojekten ebenfalls im Inland produzierte Güter zu bevorzugen sind. Auch das Konjunkturpaket im Zuge der Finanzkrise 2008/2009 enthielt „Buy American“-Restriktionen. Sie galten für mehr als ein Drittel des gut 787 Milliarden Euro schweren Konjunkturprogramms.

Digitale Barrieren

Auch das digitale Zeitalter kennt Lokalisierungsbarrieren. Obwohl die Digitalisierung besonders vom Austausch von Informationen über Grenzen hinweg lebt, gibt es Bestrebungen, Anbieter digitaler Produkte in ihrer Standortwahl einzuschränken. Auch dadurch wird der internationale Austausch gehemmt. Industriestaaten wie Australien, Kanada, Neuseeland, Südkorea, Taiwan und die Türkei haben digitale Lokalisierungsbarrieren per Gesetz verabschiedet. Auch weniger entwickelte Länder setzen auf die lokale Speicherung von Daten, darunter Schwergewichte wie China, Indien, Indonesien, Malaysia und Vietnam.

Begründet werden digitale Lokalisierungseinschränkungen regelmäßig mit Hinweis auf den Datenschutz oder die nationale Sicherheit. Ob Datenschutzbedenken tatsächlich das ausschlaggebende Motiv für digitale Lokalisierungsbarrieren sind oder vielmehr protektionistische Ziele, ist fraglich.

Datenschutz?

Die Ergebnisse einer Studie aus dem Jahr 2013 suggerieren, dass Datenschutz bei digitalen Lokalisierungsanforderungen nicht das einzige Motiv ist. Einige aktuelle Beispiele aus Europa verdeutlichen dies.

So geht die Umsetzung der von der EU geforderten Vorratsdatenspeicherung in Griechenland besonders weit. Die Kommunikationsdaten müssen innerhalb der Grenzen Griechenlands gespeichert werden.

Auch in Deutschland sind verschiedene Lokalisierungsanforderungen zu finden. So müssen nach dem Umsatzsteuergesetz elektronische Rechnungen innerhalb der Europäischen Union aufbewahrt werden. Auch Gehaltsabrechnungen und Bilanzdaten müssen in Deutschland aufbewahrt werden. Besonders kurios ist das Brandenburger Melderegistergesetz. Die brandenburgischen Einwohnermeldeämter dürfen nur private Cloud-Computing-Dienste nutzen, die sich im Land Brandenburg befinden. In vielen Fällen wäre der Datensicherheit vermutlich auch genüge getan, wenn die Daten innerhalb der EU-Grenzen oder in der EU nahestehenden Drittstaaten statt innerhalb der jeweiligen Landesgrenzen gespeichert würden.

Zudem ist die Frage, wo die Daten physisch gespeichert sind, für die Durchsetzung von Datenschutzgesetzen bei in- wie ausländischen Unternehmen irrelevant. Inländische Unternehmen können zur Rechenschaft gezogen werden, auch wenn die Daten im Ausland physisch gespeichert sind. Ausländische Firmen ohne einen rechtlichen Sitz im Inland können dagegen nur juristisch belangt werden, wenn die Justiz durch Rechtshilfeabkommen mit anderen Ländern kooperiert. Eine physische Speicherung der Daten im Inland ist dagegen für die Durchsetzung von Datenschutzrecht gegenüber ausländischen Unternehmen kaum hilfreich.

Nationale Sicherheit?

Neben dem Datenschutz wird regelmäßig zur Begründung von Lokalisierungsbarrieren und anderen Handelsbarrieren auf die Nationale Sicherheit verwiesen. Einer Studie der EUzu digitalen Barrieren zufolge, sind die striktesten Barrieren jene, welche durch nationale Sicherheit gerechtfertigt sind. So kann nach dem „Französischen Blockiergesetz“ von 1980 die Übermittlung von Informationen in das Ausland untersagt werden, wenn die Souveränität, Sicherheit, öffentliche Ordnung oder wesentliche wirtschaftliche Interessen Frankreichs beeinträchtigen werden könnte. Zudem müssen seit 2016 alle Daten, die von französischen staatlichen Einrichtungen oder Personen, die für diese arbeiten, in Frankreich gespeichert und verarbeitet werden.

In einigen Fällen mögen Sicherheitsbedenken legitime Gründe für die Behinderung des Austauschs von Daten sein. Auch bei nicht digitalen Produkten könnten Sicherheitsbedenken, etwa bei der Beschränkung von Waffenexporten, legitim sein. In anderen Fällen jedoch scheinen protektionistische Absichten und nicht so sehr Bedenken hinsichtlich der nationalen Sicherheit Barrieren zu motivieren.

WTO: Nationale Sicherheit präzisieren

Nach den Regeln der WTO dürfen Regierungen den Handel einschränken, wenn ihre nationalen Sicherheitsinteressen betroffen sind. Doch der Begriff der nationalen Sicherheit ist sehr beliebig und wird teilweise großzügig ausgelegt. So hat Donald Trump mit dem Verweis auf die nationale Sicherheit Zölle auf Stahl und Aluminium legitimiert. Auch droht er deutsche Autoexporte im Namen der nationalen Sicherheit einzudämmen. Es bedarf eines gewissen Maßes an Vorstellungskraft, um sich davon zu überzeugen, dass VW Passats die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten gefährden. Aber Donald Trump ist bei weitem nicht der erste, der sich auf diese Ausnahme beruft. So schränkte Schweden im Jahr 1975den Import von Schuhen im Namen der nationalen Sicherheit ein.

Die sehr weite Auslegung des Begriffs der nationalen Sicherheit ist jedoch derzeit kein Randthema mehr und nicht mehr nur Gegenstand skandinavischer Anekdoten. Es bedarf einer international anerkannten Definition des Begriffs der nationalen Sicherheit.

Multilaterale Verträge nötig

Lokalisierungsbarrieren schaden dem internationalen Handel erheblich. Der Abbau lokaler Anforderungen sollte unilateral vorangetrieben werden. Fehlt dazu der politische Wille, kann der Abbau lokaler Anforderungen vor allem multilateral gelingen – etwa durch Abkommen wie TTIP oder im Rahmen der WTO. Wird der gegenseitige Verzicht auf Lokalisierungsbarrieren vereinbart, ist maßgeblich, dass der Bereich der nationalen Sicherheit ausreichend eng gefasst wird. Dann können Bestrebungen zum Abbau von Lokalisierungsbarrieren nicht mit dem Verweis auf die nationale Sicherheit bei scheinbarer Einhaltung der vereinbarten Regeln ausgehöhlt und der internationale Handel erfolgreich befördert werden.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: European People’s Party from Flickr (CC BY 2.0)

Die Kanzlerin verständigt sich mit dem französischen Präsidenten über eine Industriepolitik der EU. Der Wirtschaftsminister sinniert über eine „Nationale Industriepolitik 2030“. Der Staatssekretär im Finanzministerium fädelt im Verborgenen die Fusion zwischen Deutscher Bank und Commerzbank ein. Und selbst der Bundesverband der Industrie fordert, in bester Erinnerung an die korporatistischen Zeiten der Weimarer Republik,  eine Industriestrategie EU gegen die vermeintliche Übermacht aus China und den USA. Wenn all das zusammenkommt, dann ist es spätestens Zeit, einmal die derzeitige Verfassung unserer Wirtschaftsordnung zu betrachten. Sind wir auf dem richtigen Weg oder längst auf Abwegen? Wenn man diese Frage beantworten will, dann reicht es nicht, nur auf die aktuellen Wirtschaftszahlen zu schauen. Denn Wirtschaftspolitik beeinflusst nicht die Gegenwart, sondern die Zukunft.

Walter Eucken hat dazu bereits in den späten 40er Jahren sechs konstituierende Prinzipien einer marktwirtschaftlichen Ordnung aufgestellt, die heute noch herangezogen werden können, um die Situation der Wirtschaftspolitik in Deutschland und in der EU zu beurteilen.

Erstens: Der Primat der Währungspolitik im Sinne einer Geldwertstabilität. Die Geldwertstabilität ist nur auf der ersten Blick gewahrt. Die Nullzinspolitik der EZB hat fatale Nebenwirkungen. Zwar sind die offiziellen Konsumentenpreise einigermaßen stabil, jedoch fließt das billige Geld in die Vermögensgüter und sorgt dort für Inflation. Die Aktien- und Immobilienmärkte boomen seit 2009. Durch die verzerrende Wirkung der Nullzinspolitik verlieren die Akteure im Wirtschaftsprozess die Orientierung. Der Zins als Lenkungsinstrument fehlt. Unrentable Investitionen rentieren sich plötzlich, Unternehmen, die unter normalen Zinsbedingungen längst vom Markt verschwunden wären, überleben und hängen am Tropf des billigen Geldes.

Zweitens: Offene Märkte: Nicht nur Donald Trump schottet sich ab, sondern Deutschland und die EU auch. Die EU hält ein umfangreiches Zollregime aufrecht, die deutsche Regierung will nationale Champions fördern und Technologieunternehmen von einer ausländischen Übernahme „schützen“. Alles das widerspricht offenen Märkten. Wer eine Wirtschaftspolitik der offenen Märkte vertritt, baut Schranken ab. Wer für Freihandel ist, orientiert sich am Konsumenten, der souverän entscheiden kann, was und von wem er etwas erwirbt. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Ware oder Dienstleistung von einem chinesischen, amerikanischen oder schwäbischen Unternehmen stammt. Einzig und alleine der Konsument entscheidet nach seinen Präferenzen.

Drittens: Privateigentum: Die enteignende Wirkung der Energiewende nach dem Ausstieg aus der Kernkraft und jetzt auch aus der Braunkohlenutzung lässt Vertrauen in private Investitionen schwinden. Zustimmungsvorbehalte der Regierung für Beteiligungen ausländischer Unternehmen an heimischen Unternehmen verunsichern Investoren. Die Diskussion über die Enteignung von privaten Wohnungsunternehmen in Berlin, und die Beschränkung des Nutzungsrechtes durch Milieuschutz und Mietpreisbremse sind ebenfalls tiefe Eingriffe in die Eigentumsordnung.

Viertens: Vertragsfreiheit: Die Verschärfung der Entsenderichtlinie in der EU zerstört den gemeinsamen Markt für Dienstleistungen in Europa. Wenn Unternehmen für grenzüberschreitende Dienstleistungen den am Erbringungsort zu zahlenden Tariflohn zugrunde legen müssen, dann führt das nicht nur zu einer überbordenden Bürokratie und zu einer Einschränkung der Vertragsfreiheit von beiden Seiten durch Dritte, sondern es ist auch eine subtile Form des Protektionismus innerhalb der EU. Das Antidiskriminierungsgesetz führt dazu, dass Arbeitgeber nicht mehr die Personen einstellen können, die sie präferieren. Die Vertragsfreiheit wird vergesellschaftet.

Fünftens: Haftung: Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen, so Eucken. Weder in der Euro-Schuldenkrise seit 2010 ist dies der Fall gewesen, noch ist es sehr wahrscheinlich, dass dieses Prinzip künftig stärker durchgesetzt wird. Die mögliche europäische Einlagensicherung oder die von Olaf Scholz präferierte europäische Arbeitslosenversicherung sind das glatte Gegenteil des Haftungsprinzips. Aber auch der 2015 geschaffene EU-Fonds für Strategische Investitionen (EFSI), der unter dem Stichwort „Juncker-Fonds“ das Wirtschaftswachstum in der EU ankurbeln sollte, ist ein tiefer Verstoß gegen Euckens Prinzip. Für rund 21 Milliarden Euro und seit 2018 mit 33,5 Milliarden Euro versucht die EU private Investitionen in der Größenordnung von 315 bzw. 500 Milliarden Euro anzuregen, indem die öffentliche Hand Haftungsrisiken für private Investoren übernimmt. Der Europäische Rechnungshof hat gerade ein verheerendes Urteil über die Wirkung gefällt.

Sechstens: Konstanz der Wirtschaftspolitik: Hier ist wohl das größte Sündenregister angesiedelt. Wer aus wichtigen Technologien, wie der Kernkraft oder der Braunkohle, von heute auf morgen aussteigt; wer die Übernahme von Unternehmen verhindert; wer mit Zöllen auf Zölle reagiert, der kann nicht auf Vertrauen in die Wirtschaftspolitik setzen. Gerade große Investitionen brauchen Planungssicherheit. Die „Konstanz der Daten“ wie es Eucken bezeichnet, ist entscheidend für das Vertrauen in die Zukunft. Dies gilt für die Währungs-, Handels-, Steuer- und Lohnpolitik. Wer daran Hand anlegt, legt die Hand an unser Wirtschaftssystem.

Wenn die Kanzlerin davon spricht, dass die traditionelle Rolle des Staates, der Leitplanken setze, sich sonst aber aus der Wirtschaft heraushalte, so nicht mehr funktioniere, und daher eine engere Zusammenarbeit zwischen Politik und Wirtschaft verlange, dann maßt sie sich ein Wissen an, das sie nicht hat. Aber nicht nur sie, auch ihr Wirtschafts- oder Finanzminister haben dieses Wissen nicht. Dieses Wissen hat niemand. Wer mit großen Augen dennoch nach Asien schaut, den mag man an die 1980er Jahre erinnern, als schon einmal so eine Diskussion in Deutschland geführt wurde. Die übermächtige japanische Auto- und Technologieindustrie war äußerst erfolgreich. Damals schauten alle nach Japan. Das Ministerium für Internationalen Handel und Industrie (MITI) und die Japan AG waren das große Vorbild deutscher Industriepolitiker. Heute ist Japan immer noch erfolgreich, aber die jahrzehntelange Marktabschottung, die Nullzinspolitik und die überbordende Verschuldung haben ihre Strahlkraft selbst bei den Ingenieuren der Wirtschaftspolitik verloren.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.