Photo: meddygarnet from Flickr (CC BY 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues.

Es gibt gute Gründe, vergleichsweise zuversichtlich auf die zukünftige Entwicklung von Mieten und damit auch Preisen zu blicken: Zum einen wirkt die dezentrale Struktur Deutschlands entlastend. Zum anderen kann der Wohnungsbau voraussichtlich seine mietendämpfende Wirkung entfalten.

Mieten neuvermieteter Wohnungen sind in Deutschland in den letzten Jahren deutlich gestiegen, vor allem in beliebten Ballungsgebieten und besonders stark seit 2010. Die Mietsteigerungen sind maßgeblich auf einen Nachfrageanstieg durch Bevölkerungszuwachs der Metropolregionen zurückzuführen, dem nur verzögert eine deutliche Ausweitung des Wohnungsangebots folgte. Der Anteil der Stadtbewohner an der Gesamtbevölkerung wird auch hierzulande weiter zunehmen. Dennoch gibt es aus der Perspektive von Mietern Gründe, bezüglich der Mietentwicklung optimistisch zu sein: Deutschland ist relativ dezentral organisiert, die Städte können in die Breite wachsen und die stärker zu NIMBYism neigenden Selbstnutzer sind relativ rar, insbesondere in den Städten.

Deutschland weist einige für den Wohnungsmarkt relevante Eigenschaften auf, die gemeinsam das Potential haben, Anstiege der Mieten und davon abgeleitet der Preise für Wohnimmobilien auch zukünftig im internationalen Vergleich niedrig ausfallen zu lassen.

Dezentrale Struktur Deutschlands

Wer in Frankreich oder Großbritannien Karriere machen möchte, den zieht es nach Paris bzw. London. In Deutschland verschlägt es Talente (mittlerweile) nach Berlin, aber auch in München, Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf, Stuttgart, Köln und einer Vielzahl kleinerer Städte außerhalb der Top-7 sind die Karriereaussichten gut.

Hinsichtlich der Wohnkosten ist eine dezentrale Struktur mit einer Vielzahl kleinerer Städte attraktiver als eine monozentrische Struktur, dominiert von einer großen Stadt. Agglormerationseffekte lassen erwarten, dass das Wohnen im Zentrum einer Stadt aufgrund von Beschäftigungsmöglichkeiten und städtischen Annehmlichkeiten umso attraktiver und damit auch teurer ist, je größer die Stadt ist. Die vorliegenden empirischen Forschungsergebnisse stützen diese These und zeigen, dass in größeren und bevölkerungsstärkeren Städten nicht nur die Landpreise durchschnittlich höher sind als in kleineren Städten, sondern auch die Kaufpreise und die Mieten.

Es ist zu erwarten, dass auch in Deutschland das Phänomen von Superstarstädten, die einkommenstarke Haushalte anziehen und sich folglich durch hohe Mieten und Kaufpreise auszeichnen, zunehmen wird. Bleibt die dezentrale Struktur Deutschlands jedoch erhalten, wird sie weiterhin dämpfend auf das Mietniveau wirken und zu einer schwächeren Ausprägung des Superstarphänomens als in zentralistisch organisierten Ländern beitragen.

Kaum geographische Barrieren

In der wissenschaftlichen Literatur finden sich überzeugende Hinweise darauf, dass geographische Faktoren wie Seen, Flüsse, Meere oder Berge in der Nähe von Städten einen negativen Effekt auf das Wohnungsangebot und somit einen treibenden Effekt auf Mieten und Kaufpreise haben.

In Deutschland liegen zwar viele Metropolen an Flüssen, aber anders als in den USA oder Finnland liegt keine einzige der 20 größten Städte am Meer – die geographisch am stärksten einschränkende Wasserfläche. Von einigen Ausnahmen wie Stuttgart oder Jena abgesehen wird das Flächenwachstum von Metropolregionen in Deutschland auch nicht maßgeblich durch topographische Barrieren begrenzt, wie beispielsweise im Falle vieler Schweizer Städte.

Deutsche Städte können also relativ unbeschränkt durch geographische Faktoren wachsen, sowohl in die Höhe als auch in die Breite. Auch dadurch ist zu erwarten, dass Mieten und Preise in Deutschland im Vergleich zu Ländern mit gravierenderen geographischen Barrieren schwächer steigen werden.

Niedrige Wohneigentumsquote: NIMBYism schwächer

Geographische Faktoren sind natürlich nicht die einzigen, die den Bau zusätzlicher Wohnungen erschweren können. Hinzu kommen regulatorische Barrieren. Eine Vielzahlvon Forschungsergebnissen illustriert, dass Regulierungen, die den Wohnungsbau erschweren, zu höheren Mieten und Kaufpreisen beitragen. Dabei kann der Wohnungsbau durch Höhenbeschränkungen, Mindestanforderungen an die Größe von Grundstücken, Abstandsauflagen oder Grünflächenanforderungen begrenzt werden.

Derartige Beschränkungen finden sich auch im deutschen Baurecht, werden aber wie in den USA regional ausgestaltet. Obwohl auch hierzulande NIMBY (Not In My Back Yard)-Bestrebungen beispielsweise in Form des Volksentscheids gegen eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes in Berlin zu beobachten sind, spricht die international außergewöhnlich niedrige Wohneigentumsquote dafür, dass aus NIMBY-Motiven errichtete regulatorische Barrieren in Deutschland den Wohnungsbau vergleichsweise schwach bremsen.

Mieter und Selbstnutzer haben einen Anreiz, sich gegen Wohnungsneubau in unmittelbarer Nähe ihres Wohnortes einzusetzen. Neubau verursacht kurzfristig Lärm und Schmutz und führt dazu, dass Grünflächen bebaut und die Verkehswege von mehr Personen genutzt werden. Auf Ebene einer Stadt oder einer Region unterscheiden sich die Interessen von Mietern und Selbstnutzern jedoch. Während Selbstnutzer unter einem höherem Wohnungsangebot mittels niedrigerer Preise für ihr Eigentum leiden, nutzt Mietern eine zu niedrigeren Mieten führende Angebotsausweitung. Es ist folglich zu erwarten, dass in Regionen mit vielen Mietern der Widerstand gegen Wohnungsneubau schwächer ausfällt. Die Forschungsergebnisse dazu sind zwar nicht eindeutig, aber wenn ein Zusammenhang zwischen Eigentümerquote und Regulierungsdichte gefunden wird, ist er positiv.

Das Motto „Bauen, bauen, bauen!“ klingt in Mieterohren attraktiver als in den Ohren von Selbstnutzern. Fällt aufgrund der niedrigen Wohneigentumsquote der Widerstand gegen den Neubau von Wohnungen in Deutschland niedriger aus als in anderen Ländern, lässt das Mieten und Kaufpreise in der langen Frist relativ langsam steigen.

Wohnungsmarkt: Langfristig zurück zur Langeweile?

Der Markt für Wohnimmobilien in Deutschland war über Jahrzehnte gekennzeichnet von vergleichsweise schwach steigenden Preisen. Der deutsche Immobilienmarkt zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass er kein Thema war. Das ist heute anders. In den letzten Jahren hat das starke Bevölkerungswachstum insbesondere in den Städten zu deutlichen Mietsteigerungen geführt, die starke Kaufpreisanstiege nach sich zogen, welche zusätzlich durch außergewöhnlich niedrige Zinsen befeuert wurden.

Es gibt trotz alledem Gründe, vergleichsweise zuversichtlich auf die zukünftige Entwicklung von Mieten und damit auch Preisen zu blicken: Zum einen wirkt die dezentrale Struktur Deutschlands entlastend. Zum anderen kann der Wohnungsbau voraussichtlich seine mietendämpfende Wirkung entfalten, denn dem Wohnungsbau stehen kaum geografische Barrieren im Weg und die häufig beklagte niedrige Wohneingentumsquote lässt relativ wenige von Bürgern errichtete Barrieren erwarten.

Erstmals erschienen bei IREF

Photo: Quinn Dombrowski from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Claus Vogt, Börsenbrief „Krisensicher investieren“.

Die Ministerien des Bundes und der Länder geben eine Menge Geld für Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit aus. Seitdem das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1977 entschieden hat, dass Öffentlichkeitsarbeit der Regierung nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern sogar notwendig sei, hat der Umfang der staatlichen Werbemaßnahmen spürbar zugenommen.

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine verantwortliche Teilhabe der Bürger an der politischen Willensbildung voraus, dass der Einzelne von den zu entscheidenden Sachfragen, von den getroffenen Entscheidungen, Maßnahmen und Lösungsvorschlagen genügend wisse, um sie beurteilen, billigen oder verwerfen zu können. In den Bereich zulässiger Öffentlichkeitsarbeit falle daher, dass die Regierung ihre Politik sowie künftig zu lösende Fragen darlege und erläutere.

Einschränkend hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung sachlich richtig sein müsse und keine offene oder versteckte Werbung für einzelne Parteien enthalten dürfe. Goldene Worte des Verfassungsgerichts. Aber ob die vielen Informationsmaßnahmen staatlicher Stellen ihr Geld wert sind oder sinnlos verpuffen, steht auf einem anderen Blatt. Mit zwei Werbekampagnen eines süddeutschen Bundeslandes hat sich vor kurzem der dortige Landesrechnungshof kritisch auseinandergesetzt.

Millionenschwere Kampagne zum Stromsparen              

Das Wirtschaftsministerium des betreffenden Bundeslandes führte in den Jahren 2012 und 2013 die Kampagne „Stromsparen rockt!“ durch. Mit dieser Kampagne sollten die Bürger für das Thema Energiesparen sensibilisiert werden. Von der ersten Planung im Oktober 2011 bis zum Abschluss der Kampagne im Mai 2013 wurde der Kostenansatz von 500.000 Euro auf 2,8 Millionen Euro erhöht. Den größten Informationsbedarf sah das Wirtschaftsministerium zunächst bei der Gruppe der 18- bis 29-Jährigen. Später definierte es als primäre Zielgruppe Menschen im Alter von 40 Jahren und älter. Letztendlich wurden alle Bürger des Bundeslandes als Zielgruppe festgelegt. Den Erfolg der Werbemaßnahme sah das Wirtschaftsministerium darin, dass mehr als 64 Millionen „Kontakte“ durch die Kampagne generiert worden seien.

Der Rechnungshof fordert messbare Erfolgskriterien     

Der Rechnungshof hat dazu angemerkt, dass aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Transparenz bereits bei der Planung von Kampagnen messbare Ziele, eine klar definierte Zielgruppe sowie ein realistisches Budget festzulegen seien. Inwieweit die Bürger mit der Kampagne „Stromsparen rockt!“ somit tatsächlich für das Thema Energiesparen sensibilisiert werden konnten, bleibe mangels jeder Rückmeldungsinstrumente offen. Der Erfolg der Kampagne sei auch aufgrund der nicht näher definierten Zielgruppe schwer zu belegen. Ausgaben von 2,8 Millionen Euro erschienen dem Landesrechnungshof angesichts des nicht nachweisbaren Erfolgs der Kampagne fragwürdig.

Messeteilnahme statt „Roadshow“             

In den Jahren 2014 bis 2016 führte das Wirtschaftsministerium dann eine weitere Informationskampagne durch, und zwar über Energie-Infrastrukturprojekte sowie den Umbau der Energieversorgung. Vorgesehen war zunächst eine „Roadshow“, die im Jahr 2013 europaweit ausgeschrieben wurde. Laut Leistungsbeschreibung sollte ein Roadmobil eingesetzt werden, das in 25 kleineren und mittleren Städten Station machen sollte. Noch vor Zuschlagserteilung entschied das Wirtschaftsministerium, dass die „Roadshow“ nunmehr in Form von Messeteilnahmen mit einem modularen Messestand durchgeführt werden sollte. Das Vergabeverfahren wurde nicht aufgehoben, sondern der Zuschlag auf das ursprüngliche Angebot erteilt. Aufgrund der neuen Konzeption kam es zu einer Messeteilnahme in lediglich sechs Großstädten.

Erhebliche Kostensteigerung durch Änderung der Kampagne             

Das ursprüngliche Angebot auf die Ausschreibung für die „Roadshow“ lag bei rd. 1,25 Millionen Euro. Zwar wurden die Kosten des Hauptangebots annähernd eingehalten. Aufgrund der geänderten Konzeption kamen aber weitere Kosten gemäß „Nebenangebot“ (240.000 Euro) und für Messeflächen (220.000 Euro) sowie für zusätzliche Kommunikationsmittel (40.000 Euro) hinzu. Der Rechnungshof hat diese erhebliche Kostensteigerung beanstandet.

Auch hat er kritisiert, dass das Wirtschaftsministerium noch vor Abschluss des Vergabeverfahrens die wesentlichen Eckdaten der Kampagne verändert hat. Der neue Auftrag wies wesentlich andere Merkmale auf als der ursprüngliche. Trotzdem habe das Wirtschaftsministerium den Zuschlag auf das ursprüngliche Angebot erteilt. Überdies sei das ursprüngliche Ziel, die Kampagne in die Regionen zu tragen, wegen der Konzentration auf Messestandorte in Großstädten nicht erreicht worden.

Werbekampagnen sind Verschwendung von Steuergeldern       

Das Wirtschaftsministerium hat für beide Kampagnen mehr als 4,5 Millionen Euro ausgegeben. Zusammenfassend formuliert der Rechnungshof, mit der bei Rechnungshöfen üblichen Zurückhaltung, dass eine Aussage über den tatsächlichen Erfolg der Kampagnen nicht möglich sei. Das Wirtschaftsministerium des betreffenden Bundeslandes ist natürlich der Ansicht, es habe die Kampagnen professionell durchgeführt. Aus meiner Sicht handelt es sich bei den beschriebenen Werbemaßnahmen schlicht um eine Verschwendung von Steuergeldern.

Photo: Robin Myerscough from Flickr (CC BY 2.0)

Die Europawahl ist gelaufen. Die Wunden sind noch nicht geleckt, doch schon treffen sich die Staats- und Regierungschefs zum EU-Gipfel in Brüssel, um über die Zukunft der Europäischen Union zu beraten. Dabei geht es in erster Linie um die Personalfragen. Wer wird Kommissionspräsident für den scheidenden Jean-Claude Juncker, wer folgt Mario Draghi als EZB-Präsident und wer beerbt Donald Tusk als Präsident des Europäischen Rates? Die Antworten auf diese Fragen ziehen zahlreiche weitere Personalentscheidungen nach sich. Wer wird EU-Kommissar, wer davon Vize-Präsident? Wer rückt ins Direktorium der EZB auf und wer wird Präsident des Parlaments der EU? Fragen über Fragen, deren Beantwortung den Wählern dann irgendwann mitgeteilt wird.

So wichtig Personalfragen sind, so wenig können diese die institutionellen Mängel der EU beseitigen. Doch gerade dies wäre jetzt notwendig. Der offenkundige Vertrauensschwund, der in dieser Wahl wieder überdeutlich sichtbar wurde, hat gerade damit zu tun, dass die Europäische Union nicht ausreichend transparent und die Aufgaben und Zuständigkeiten nicht ausreichend abgegrenzt sind.  Kurz: die Europäische Union ist zu wenig demokratisch, zu wenig rechtsstaatlich und zu wenig subsidiär.

Der Grund hierfür liegt möglicherweise daran, dass die Europäische Union in ihrer heutigen Form nicht in einem einzelnen Kraftakt entstanden ist, sondern sich über viele Jahrzehnte entwickelt hat. Mit einfachen Vertragsänderungen wollte man die Handlungsfähigkeit der Institutionen erhalten. Aus anfänglich sechs Gründungsmitgliedern wurden sukzessive mehr. Mit der Osterweiterung der EU 2004 von 15 auf 25 Mitglieder stieß man bereits an Grenzen. Inzwischen sind mit Bulgarien, Rumänien und Kroatien weitere Mitglieder hinzugekommen. Auch wenn Großbritannien am Ende doch noch austritt, reicht es nicht aus, die Institutionen, seien es das Parlament oder die Kommission, einfach nur zu vergrößern.

Aber die Analyse wäre zu kurz gesprungen, wenn lediglich auf das Wachstum der EU abgezielt würde. Es mangelte von Beginn an auch an der Klarheit, wie eine demokratische, eine rechtsstaatliche und eine subsidiäre Europäische Union aussehen könnte. Gerade diese Klarheit wäre jetzt notwendig. Denn erst diese Klarheit schafft den Raum für ein Ideal, das man sicherlich nicht perfekt umsetzen können wird, aber an dem man sich fortwährend orientieren kann. Es fehlt daher ein Kompass, der einen immer wieder auf den richtigen Weg führt.

Diese Lagebeschreibung ist nicht neu. Darauf hat vor einiger Zeit bereits eine Gruppe von Ökonomen aufmerksam gemacht, die unter dem Namen „European Constitutional Group“ umfassende institutionelle Änderungen der EU vorgeschlagen haben, um die wachsende Kluft zwischen den Bürgern und der Europäischen Union zu verringern. Bereits im Vorfeld des von den Staats- und Regierungschefs 2004 unterzeichneten EU-Verfassungsvertrag, der durch Referenden in Frankreich und den Niederlanden später scheiterte, hat diese Ökonomengruppe einen alternativen Aufbau der EU vorgeschlagen, der in seiner Klarheit nicht an Strahlkraft verloren hat. Eine Auswahl der Vorschläge soll dies verdeutlichen:

  1. Das Europäische Parlament besteht aus zwei Kammern. Die erste Kammer (500 Mitglieder), die direkt gewählt wird, hat ein Initiativrecht, ein Vetorecht sowie ein Fragerecht gegenüber dem Europäischen Rat. Die zweite Kammer (500 Mitglieder), deren Vertreter von nationalen Parlamenten einmalig auf fünf Jahre entsandt werden, hat ein Vetorecht bei subsidiären Fragen, ein eigenes Initiativrecht sowie ebenfalls ein Fragerecht. Bei gemischten Zuständigkeiten zwischen nationaler und europäischer Ebene müssen beide Kammern einem Gesetzgebungsverfahren zustimmen. Bei alleiniger Zuständigkeit der EU (z.B. Handelsfragen) kann die erste Kammer alleine entscheiden.
  2. Der Europäische Rat fungiert als „Hüter“ aller europäischer Institutionen und legt die Grundlinien der Politik fest. Er handelt auf Anfrage und Initiative einer der beiden parlamentarischen Kammern. Er entscheidet mit Zwei-Drittel-Mehrheit. Für den Fall, dass es nicht um Handelsfragen geht, kann ein Mitgliedsstaat ein Veto einlegen.
  3. Die Kommission verliert ihr Initiativrecht für Gesetzgebungsvorhaben und wird zu einem öffentlichen Dienst, der dem Europäischen Rat untergeordnet ist. Sie ist die Administration, die gemeinsam mit dem Ministerrat die Gesetzgebung vorbereitet.
  4. Die Richter des Europäischen Gerichtshofes sollten von den höchsten nationalen Gerichten auf Zeit entsandt werden. Eine Wiederwahl ist auszuschließen. Entscheidungen über die Zuständigkeit der EU sollten dagegen nicht vom Europäischen Gerichtshof entschieden werden. Stattdessen sollte ein „Court of Review“ mit nationalen Richtern, die über Streitigkeiten, die das Subsidiaritätsprinzip oder das Prinzip der Verhältnismäßigkeit betreffen, entscheiden.
  5. Neben dem Euro sollen weitere Währungen als Parallelwährungen möglich sein. Länder, die fortwährend die Bestimmungen gegen übermäßige Haushaltsdefizite verletzen, scheiden automatisch aus der Währungsunion aus. Mitglieder des EZB-Rates dürfen nicht an Sitzungen des Parlaments oder des Europäischen Rates teilnehmen.
  6. Eine Mindestzahl von Bürgern aus einer qualifizierten Minderheit der Mitgliedsstaaten soll befugt sein, eine EU-weite Volksabstimmung zu erwirken.

Diese Vorschläge sind sicherlich nicht umfassend und müssen noch präzisiert und ergänzt werden. Jetzt ist es aber an der Zeit, die Diskussion über institutionelle Änderungen endlich zu beginnen.

Der deutsch-britische Liberale Ralf Dahrendorf war selbst Kommissar der Europäischen Gemeinschaft. Er kannte die institutionellen Schwächen auf europäischer Ebene. Über die EG sagte er einmal: „Kein zentralistisches, sondern ein föderal aufgebautes Europa, organisiert nach dem Prinzip der Vielfalt, wird das Europa der Zukunft sein.“ Das ist richtiger denn je.

Photo: Wikimedia Commons (CC0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Doktorand der Volkswirtschaftslehre.

Unternehmen schätzen den Nutzen externer Beratung anscheinend höher ein als ihre Kosten. Es ist nicht offensichtlich, warum das nicht auch für Ministerien gelten sollte.

„Guter Rat ist teuer“ – dies zeigt sich auch bei der derzeitigen Diskussion um die Ausgaben für externe Berater verschiedener Bundesministerien. Neben fragwürdiger Vergabepraxen von Beratungsverträgen wird auch der Umfang und die damit verbundenen Kosten für externe Berater diskutiert. Dass die Dienstleistungen gut bezahlter externer Berater für Ministerien im Zuge der Debatte grundsätzlich in Frage gestellt werden, überrascht angesichts der wiederholten Nachfrage privater Unternehmen nach externer Beratung – der Umsatz der deutschen Beratungsbranche hat sich in den letzten 10 Jahren verdoppelt. Unternehmen schätzen den Nutzen externer Beratung anscheinend höher ein als ihre Kosten. Es ist nicht offensichtlich, warum das nicht auch für Ministerien gelten sollte.

Fragwürdige Vergaben

Nach Daten der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Deutschen Bundestag summierten sich die Ausgaben der Regierung für Beraterverträge 2017 auf über 244 Millionen Euro. Spitzenreiter ist das Bundesministerium des Inneren mit gut 66 Millionen Euro, gefolgt vom Bundesfinanzministerium mit gut 62,5 Millionen Euro. Das viel gescholtene Verteidigungsministerium gibt an, weniger als 5 Million Euro für externe Berater ausgegeben zu haben. Allerdings kritisiert der Bundesrechnungshof, dass die Ausgaben für externe Berater im Verteidigungsministerium tatsächlich deutlich höher als offiziell berichtet seien.

Laut Bundesrechnungshof sei außerdem in vielen Fällen nicht geprüft wurden, ob der Einsatz externer Berater erforderlich sei. Zudem steht der Vorwurf im Raum, dass Beraterverträge ohne Ausschreibungen innerhalb eines „Buddy-Netzwerks“ vergeben wurden. Pikant: Im Jahr 2014 verpflichtete Verteidigungsministerien Ursula von der Leyen die McKinsey Partnerin Katrin Suder als Rüstungsstaatssekretärin. Inzwischen hat sie ihren Posten im Verteidigungsministerium aufgegeben.

Die unnötige Vergabe von Beraterverträgen ist ein potentieller Nachteil des Einsatzes von Beratern in Ministerien. Möglicherweise sind Ministerien anfälliger als Unternehmen, ihnen nahestehende externe Berater unnötigerweise zu beauftragen. Denn für die Mitarbeiter der Ministerien hat die Beauftragung keinerlei negative Konsequenzen und es gibt keinen Eigentümer, der wie im Falle von Unternehmen, einen finanziellen Anreiz hat, unnötigen Berateraufwand zu vermeiden.

Zu viel oder zu wenig externe Beratung?

Gegen den Einsatz von Beratern sprechen neben potentiellen Interessenkonflikten bei der Vergabepraxis auch hohe Kosten. So wurde im Zuge der Diskussion gefordert mehr Beamte einzustellen, um in Zukunft nicht mehr auf externe Berater zurückgreifen zu müssen. Statt Tagessätze von bis zu 1.700 Euro für externe Berater auszugeben, könnte eigenes Personal aufgestockt werden.

Die Tagessätze sind hoch und es besteht die Gefahr von opportunistischem Verhalten bei der Vergabe von Beraterverträgen. Daraus folgt jedoch nicht unbedingt, dass das Ausmaß der externen Beratung in Ministerien zurückgefahren werden sollte. Mit der Beschäftigung externer Berater gehen zwar Nachteile einher, aber auch Vorteile.

Externe Berater als neutrale Autorität

Externe Berater werden häufig engagiert, wenn den beauftragenden Organisationen bereits bekannt ist, wo der Schuh drückt und welche Änderungen nötig wären. Dies erscheint zunächst nicht einleuchtend. Doch häufig können die als notwendig identifizierten Veränderungen nicht umgesetzt werden, weil es Widerstände innerhalb der Organisation gibt. Der kommt vor allem von Gruppen innerhalb einer Organisation, die erwarten durch die Veränderung Nachteile zu erleiden – etwa in Form geringeren Einflusses, geringerer Bezahlung oder Jobsicherheit. Aber auch Gruppen, die wahrscheinlich nicht negativ betroffen sind, können sich gegen Neuerungen sperren. Denn Menschen neigen dazu, den Status-Quo vorzuziehen, schlicht weil es der gewohnte Zustand ist.

Externe Berater können dazu beitragen, diese internen Widerstände zu überwinden. Sie können als neutrale externe Autorität auftreten, die innerhalb der beratenen Organisation keiner Interessengruppe zuzuordnen ist. Auch wenn interne Spezialisten Probleme ebenso gut wie externe Berater analysieren und die gleichen Verbesserungsvorschläge machen, können sie sich häufig nicht überzeugend vom Vorwurf befreien, im Interesse einer speziellen Gruppe innerhalb der Organisation zu handeln. Externe Berater können also organisatorischen Wandel befördern, auch in Ministerien.

Externe Berater als moderne Tage(ssatz)löhner

Die Beauftragung externer Berater kann Kosten sparen. Anders als Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst werden externe Berater nicht langfristig an Ministerien gebunden.

Endet das Projekt der Berater, fallen auch keine Kosten mehr für das Ministerium an. Trotz hoher Tagessätze können externe Berater für Ministerien, ebenso wie für Unternehmen, günstiger sein als zusätzliche eigene Mitarbeiter. Das gilt insbesondere, wenn innerhalb eines kurzen Zeitraums ein hoher Arbeitsaufwand anfällt.

Externe Berater: Zugang zu IT-Know-how

Das Innenministerium ist derzeit für die Umsetzung von zwei großen IT-Projekten der Bundesregierung verantwortlich. Die Bundesregierung möchte zu einem ein sicheres Netz für Daten und Sprachkommunikation errichten und zum anderen die IT des Bundes stärker zentralisieren, um den Betrieb der digitalen Infrastruktur wirtschaftlicher und sicherer zu gestalten.

Bei diesen Projekten greift das Innenministerium durch Beratungsverträge verstärkt auf externe IT-Fachleute zurück, um den kurzfristig hohen Bedarf an Fachkräften zu decken. Wahrscheinlich ist das auch finanziell attraktiver, als zusätzliche IT-Fachkräfte lange zu binden.

Neben dem nur vorübergehenden Einsatz von Fachkräften ermöglicht die Beauftragung externer Berater Fachkräfte überhaupt für den Einsatz in Behörden zu gewinnen. Die Möglichkeiten der Ministerien sind begrenzt, IT-Fachleuten kompetitive Gehaltsangebote im Rahmen einer Festanstellung zu machen, ohne die Gehaltsordnung der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst und der Beamten durcheinanderzuwirbeln.

Guter Rat zu teuer?

Die Beauftragung von externen Beratern durch Ministerien kann angebracht sein. Den relativ hohen Tagessätzen stehen nicht zu vernachlässigende Vorteile gegenüber, wie etwa eine hohe Flexibilität und langfristig geringere Personalaufwendungen.

Dabei obliegt es den Behörden natürlich, die Leistung der externen Berater zu evaluieren und überprüfbare Ziele mit ihnen zu vereinbaren. Dies scheint in der Vergangenheit zu häufig nicht der Fall gewesen zu sein, wie der Bundesrechnungshof bemängelt. Damit Ministerien verlässlicher in den Genuss der Vorteile durch externe Beratung kommen, sollten sie bei der Vergabe von Beraterverträgen strenger kontrolliert werden.

Vielleicht sollten sich die Ministerien auch bezüglich des Umgangs mit externen Beratern von Externen beraten lassen. Das könnte günstiger als eine „Inhouse-Lösung“ sein.

Erstmals erschienen bei IREF

Photo: Elihu Vedder from Wikimedia Commons (CC0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Wenngleich bisherige Studien nur bedingt Anlass zur Sorge um die Demokratie geben, ist eine gesunde Skepsis gegenüber dem überproportionalen Einfluss besonders wohlhabender Wählergruppen angebracht.

Angesichts wachsender Einkommens- und Vermögensungleichheit in vielen westlichen Demokratien sehen einige Sozialwissenschaftler die Demokratie in Gefahr. Haben Wohlhabende einen überproportionalen Einfluss auf politische Entscheidungen, der dem ideal gleicher Repräsentation aller Wähler zuwiderläuft? Wenngleich ein jüngerer Aufsatz dies hinsichtlich der USA medienwirksam bejahtund eine Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialesfür Deutschland zu einer ähnlich pessimistischen Einschätzung kommt, sind die Ergebnisse der „Responsiveness“-Forschung aufgrund methodischer und konzeptioneller Herausforderungen weniger eindeutig als gemeinhin angenommen. Allerdings gibt es belastbare Hinweise dafür, dass Superreiche stärker Einfluss auf politische Entscheidungen ausüben als durchschnittliche Wähler und diesen Einfluss bei Nischenthemen mit geringer öffentlicher Aufmerksamkeit zu ihrem persönlichen Vorteil einsetzen können.

An Vorschlägen zur Reform des demokratischen Systems zwecks gleichmäßigerer Repräsentation mangelt es nicht. So wird etwa die weitere Einschränkung privater Spenden an Parteien gefordert. Am vielversprechendsten ist es jedoch, die Möglichkeiten der Politik zur Privilegierung von Sonderinteressengruppen einzuschränken.

Gleiche Stimme, ungleicher Einfluss

Ein konstituierendes Element moderner Demokratien ist die gleiche Möglichkeit aller mündigen Bürger, bei Wahlen per Stimmabgabe Einfluss auf politische Entscheidungen auszuüben. Vermögens- und Einkommensunterschiede sollten keinen Einfluss auf das Stimmgewicht haben. Führten gleiche Chancen auf Einfluss auch zu tatsächlich gleicher Einflussnahme, würden sich politische Entscheidungen stark an den Präferenzen des Medianwählers orientieren, also an jenem Wähler, dessen Präferenzen im politischen Spektrum in der Mitte liegen.

Es gibt allerdings naheliegende Gründe, die erwarten lassen, dass formal gleiche Chancen auf Einfluss nicht in gleicher Einflussnahme münden: Verschiedene Menschen sind in unterschiedlichem Ausmaß an Politik interessiert und machen daher in unterschiedlichem Maße Gebrauch von ihrer Stimmmöglichkeit. Außerdem sind sie in unterschiedlichem Maße zu politischem Engagement bereit, das über die Stimmabgabe hinausgeht, und wollen unterschiedlich viele Ressourcen aufbringen, um andere Menschen von ihrer Meinung zu überzeugen. Derartiger ungleicher Einfluss ist grundsätzlich nicht problematisch, da er aus dem bewussten Verzicht auf Einfluss durch manche Wähler folgt.

Doch andere Quellen ungleichen Einflusses könnten problematischer sein: Was, wenn manche Menschen systematisch entgegen ihrer Interessen handeln? Was, wenn manche Menschen mehr Ressourcen aufbringen können, um die Meinung anderer zu beeinflussen? Und was, wenn gewählte Repräsentanten überproportional aus bestimmten Bevölkerungsgruppen stammen, deren Meinung zu berücksichtigen sie aufgrund ihrer Prägung eher gewillt sind?
Viele Zeitgenossen vermuten, dass Einkommens- und Vermögensunterschiede eine wichtige Ursache ungleich verteilten Einflusses sind: Wer über ein hohes Einkommen oder Vermögen verfügt, kauft sich Einfluss und erhöht damit sein Stimmgewicht.

Haben Wohlhabende andere Präferenzen?

Konsequenzen hat eine Überrepräsentation Wohlhabender nur, wenn deren Präferenzen systematisch von den Präferenzen weniger Wohlhabender abweichen. Bisher konnten nur wenige empirische Studien dieser Frage anhand repräsentativer Umfragen nachgehen. Problematisch ist, dass kleine Gruppen, etwa Superreiche, oft nicht erfasst werden. Weitere Probleme entstehen, weil oft nur Angaben über Einkommen, nicht aber über Vermögen erfasst werden. Darüber hinaus werden Präferenzen typischerweise genau zu jenen Themen erfragt, bei denen a priori stärkere Unterschiede entlang der Einkommensverteilung zu erwarten sind, während Konsensthemen in der Meinungsforschung verständlicherweise weniger Aufmerksamkeit erhalten.

Trotz dieser Einschränkungen gibt es einige belastbare Erkenntnisse. Sie zeigen, dass die Präferenz für eine liberalere Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik mit dem Einkommen steigt und Wohlhabende zu einer optimistischeren Bewertung der wirtschaftlichen Lageneigen. Eine Auswertung von rund 1.800 Umfragen seit den 1980ern zeigt, dass die Top-20%-Verdiener selbst bei Berücksichtigung von Bildungsunterschieden eine deutlich liberalere Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik wünschen als die unteren 20% der Einkommensverteilung. Besonders stark weichen die Präferenzen der nur schwer erfassbaren Superreichen ab, wie anhand eines Samples der 4% Top-Verdiener in den späten 70ern und anhand von 83 in Chicago lebender Vermögender im obersten Perzentilgezeigt werden konnte. Eine Untersuchung auf Basis von 252 Umfragen zwischen 1998 und 2013 legt nahe, dass ähnliche Präferenzunterschiede entlang der Einkommensverteilung auch für Deutschland bestehen.

Politik nur für die Reichen?

In einer vielzierten Studie aus dem Jahr 2014 werten Gillens und Page (2014) für 1.779 politische Entscheidungen in den USA zwischen 1981 und 2002 nach Einkommen differenzierte Meinungsumfragen aus. Sie vergleichen die Präferenzen von Angehörigen verschiedener Einkommensgruppen mit den tatsächlich umgesetzten Entscheidungen. Ihr Ergebnis: Medianverdiener üben im Gegensatz zu den Top-10%-Verdiener keinen starken Einfluss auf politische Entscheidungen aus. Daraus folgt nicht, dass die Politik stets gegen die Interessen des Medianverdieners entscheidet – doch „durchschnittliche Bürger kriegen nur dann, was sie wollen, wenn die ökonomische Elite es auch will.“

Während Gillens und Page (2014) weiterhin ein starkes Medienecho genießen, geriet das Studiendesign in die Kritik von Fachkollegen. Bashir (2015) zeigt, dass das verwendet ökonometrische Modell den Einfluss von Durchschnittsverdienern systematisch unterschätzt und keine Rückschlüsse hinsichtlich der Überrepräsentation verschiedener Einkommensgruppen erlaubt. Ens (2015) weist darauf hin, dass die Intensität von Präferenzen ebenfalls entlang der Einkommensverteilung variiert und deren Berücksichtigung im Studiendesign den Befund ungleicher Repräsentation weitgehend relativiert. Branham et al. (2016) zeigen, dass Durchschnittsverdiener und Wohlhabende im verwendeten Datensatz nahezu in allen Fragen übereinstimmen und Entscheidungen im Fall eines Dissens nahezu genauso oft zugunsten der Durchschnittsverdiener ausfallen wie zugunsten der Wohlhabenden. Gillens und Page (2016) widersprechen ihren Kritikern, stimmen aber dahingehend zu, dass weitere Forschung notwendig ist.

Frühere Studien zeichnen gemischtes Bild

Ältere Studien stehen nur teilweise in Einklang mit den Befunden von Gillen und Page (2014): Bartels (2008) und Hayes (2012) finden, dass das Abstimmungsverhalten von US-Senatoren den Präferenzen wohlhabender Wähler entspricht, nicht aber jenen der weniger wohlhabenden. Brunner et al (2013) ziehen diese Befunde in Zweifel und zeigen, dass sich Demokratische und Republikanische Senatoren hinsichtlich ihrer Empfänglichkeit für die Präferenzen weniger Wohlhabender stark unterscheiden und die starke Korrelation zwischen Einkommen und Parteipräferenz den Befund ungleichen Einflusses verschiedener Einkommensgruppen nahezu vollständig erklärt. Zu einem ähnlichen Schluss kommt Tausanovitch (2014). Flavin (2012) vergleicht US-Staaten hinsichtlich ihrer Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik und zeigt, dass Unterschiede zwischen den Staaten durch die Präferenzen wohlhabender Wähler erklärt werden können. Rigby und Wright (2013) konzentrieren sich auf den Programmformierungsprozess der politischen Parteien in den USA und zeigen, dass die Präferenzen ärmerer Wähler unterproportional abgebildet werden.

Für Deutschland existieren nur wenige vergleichbare Studien. Elsässer et al (2016) finden hinsichtlich 252 politischer Entscheidungen in Deutschland zwischen 1998 und 2013, dass die Präferenzen Wohlhabenderer überproportional abgebildet werden. Auf Basis von Umfragedaten für 30 Demokratien, darunter Deutschland, schätzt Bartels (2017), dass Wohlfahrtsausgaben 10-15 % unter dem Niveau liegen, das bei gleichmäßiger Berücksichtigung aller Präferenzen zu erwarten wäre. Hahn (2018) bildet politische Präferenzen mehrdimensional ab und findet für 19 Länder und 60 Wahlen zwischen 2003 und 2017 keine überproportionale Repräsentation von Wohlhabenden.

Ungleicher Einfluss vorteilhaft für weniger Wohlhabende?

Die aktuelle Fachdiskussion illustriert, wie schwierig es ist, die ungleiche Repräsentation verschiedener Einkommens- und Vermögensschichten empirisch nachzuweisen. Darüber hinaus ergeben sich konzeptionelle Probleme. So weisen Tyler Cowen und Matthew Yglesias darauf hin, dass Wähler in Meinungsumfragen oft widersprüchliche Präferenzen angeben – beispielsweise wenn sie sowohl niedrigere Preise als auch Protektionismus wünschen. Aufgabe der Politik ist es, einen Kompromiss zwischen solchen widersprüchlichen Präferenzen zu finden.

Bryan Caplan argumentiert, dass ein stärkerer Einfluss wohlhabenderer Wähler nicht von Nachteil für weniger Wohlhabende sein muss. Dafür spricht der Befund, dass Wähler selten auf Basis ihres wirtschaftlichen Eigeninteresses abstimmen, sondern Wahlen hauptsächlich als Möglichkeit begreifen, ihre Vorstellung von einer besseren Welt zu verwirklichen. Anhand repräsentativer Umfragedaten zeigt Caplan (2002), dass wohlhabende Wähler sowohl über Fakten, als auch über Wirkungszusammenhänge besser informiert sind als weniger wohlhabende Wähler. Aus diesem Grund wäre ein stärkerer Einfluss wohlhabender Gruppen eine gute Nachricht für die weniger Begüterten.

Entpolitisierung gegen Interessenpolitik

Wenngleich bisherige Studien also nur bedingt Anlass zur Sorge um die Demokratie geben, ist eine gesunde Skepsis gegenüber dem überproportionalen Einfluss besonders wohlhabender Wählergruppen angebracht. Während wenig dafür spricht, dass bestimmte Einkommens- und Vermögensgruppen eine systematische „Klassenpolitik“ in ihrem Gruppeninteresse anstreben, ist der Einsatz besonders einflussreicher Individuen und ihrer Lobbygruppen für spezifische, dem Eigeninteresse entspringende Anliegen wohldokumentiert. Das gilt insbesondere für Politikbereiche, die außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung stehen und in denen sich Kosten weit streuen lassen.

Beispielsweise illustriert eine wachsende Literatur den hohen Wert politischer Kontakte für Firmeneigner, etwa im Fall des ehemaligen US-Finanzministers Timothy Geithner, dessen Ernennung 2008 den Aktienkurs genau jener Firmen hochschnellen lies, zu denen er während vorangehender Tätigkeiten Kontakte aufgebaut hatte. Auch in der aktuellen Diskussion um die Regulierung des Bankensektors spielen die Sonderinteressen besonders hoher Einkommensgruppen eine zweifelhalte Rolle und bieten eine Erklärung dafür, weshalb an Banken nicht deutlich höhere Eigenkapitalanforderungen gestellt werden.

Es ist indes unwahrscheinlich, dass konventionelle Vorschläge wie die Einschränkung von Parteispenden die zugrundeliegenden Einflusskanäle unterbinden können. Wirksamer ist es, die Entscheidungskompetenzen der Politik einzuschränken und in den verbliebenen Politikbereichen auf eine stärkere Regelbindung zu pochen.

Erstmals erschienen bei IREF