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Der postfaktische Populismus ist aktuell die größte Bedrohung für die Freiheit. Er stellt die Öffentlichkeit vor eine Zerreißprobe und erfordert vor allem von Liberalen eine neue Ehrlichkeit.

Die größte Bedrohung für die Freiheit seit dem Kommunismus

Manchmal könnte man sich glatt den Kalten Krieg zurückwünschen. Da waren die Fronten noch klar: Gut hier, Böse dort. Getrennt durch den auch physisch nur schwer zu durchdringenden Eisernen Vorhang. Dieser ist seit 30 Jahren nur noch ein dunkles Kapitel in den Geschichtsbüchern und als Einheitskind konnte man lange den Eindruck gewinnen, es ginge nunmehr nur noch aufwärts. Es schien „das Ende der Geschichte“ gekommen zu sein, wie Francis Fukuyama es in seinem wegweisenden Aufsatz beschreibt. Demokratie und Kapitalismus, wenn auch in den unterschiedlichsten Ausprägungen, hätten den Kampf der Systeme gewonnen. Dieses Bild erhielt seine ersten Risse durch den islamistischen Terror und wurde auch durch die großen Finanz- und Währungskrisen getrübt. Doch im Endeffekt schien das kapitalistische und demokratische System allen Herausforderungen gewachsen zu sein. Bis zum postfaktischen Populismus – der größten Bedrohung unserer Freiheit seit dem Kalten Krieg; einer Bedrohung, die keine klaren Abgrenzungen zulässt und quer durch alle Lager verläuft.

Wie die Clown-Show den postfaktischen Populismus salonfähig macht

Es ist zum Verzweifeln, welche Clowns auf dem internationalen Parkett, wie jüngst beim G7-Gipfel in Frankreich, die Schlagzeilen bestimmen. Von Feuerteufel Bolsonaro über „was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“ Johnson bis zu „ich kauf mir Grönland“ Trump. Wenn einer dieser drei Männer die Pressetribüne betritt, dann müssen Fakten und Anstand den Saal verlassen. Das gleiche sollten aus Protest eigentlich auch alle Journalisten tun. Doch leider vertreten die drei Hampelmänner auch drei der einflussreichsten Länder der Welt, weshalb das niemals passieren wird. Und so werden die Zeitungen der Welt weiter gefüllt mit peinlichen Äußerungen über Präsidentengattinnen, offensichtlichen Lügen und deren durchschaubarem Widerrufen.

Nun könnte man sagen, dass unsere politischen Systeme schon nicht an ein paar Kaspern zerbrechen werden. Und tatsächlich zeigen sich die Institutionen in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien bis dato erstaunlich robust im Umgang mit ihren exzentrischen Regierungen. Das wahre Problem liegt allerdings in den verschwimmenden Grenzen. Sowohl Donald Trump als auch Boris Johnson sind Vertreter altehrwürdiger konservativer Parteien: Die Parteien Thatchers und Reagans, die zuvor eher durch Behäbigkeit und eine gewisse Verklemmtheit als durch filou-hafte Possen auffielen. Und vor allem die Parteien, die sich selbst als Garanten bürgerlicher Werte und eines demokratischen Kapitalismus verstanden.

Diese Veränderung ist auf mehrfache Weise fatal: Einerseits versammeln sich viele Marktwirtschaftler aus (falsch verstandenem) Loyalitätsempfinden hinter Trump, Johnson und Co, obwohl deren protektionistische Ausflüge sie ebenso abstoßen sollten wie deren Verachtung für gewachsene Institutionen, die sie daran hindern „den Willen des Volkes“ durchzuführen.

Andererseits verleihen die Parteien den populistischen Regierungschefs einen Anschein von Seriosität – während diese den postfaktischen Populismus auf die ganz große politische Bühne katapultieren. Damit verläuft eine Konfliktlinie mitten durch das demokratisch-marktwirtschaftliche Lager. Und gerade viele Liberale sehen sich nun gezwungen zu entscheiden, was ihnen wichtiger ist: Steuersenkungen oder eine offene Gesellschaft, Deregulierung oder der Primat des Parlaments. Nachhaltig erfolgreich werden die konservativen Parteien mit ihren jeweiligen Ausflügen an die Ränder des Spektrums vermutlich nicht sein. Nachhaltig wird aber die Verschiebung des Denkbaren, Sagbaren und Machbaren sein, die am Ende den Alt-Populisten nutzt, die vorher schon da waren. Nigel Farage und Bernd Höcke können sich die Hände reiben! Ebenso politische Gegner, die nicht minder populistisch sind: Jeremy Corbyn und Alexandria Ocasio-Cortez. Informelle und institutionalisierte Checks and Balances werden von den Polit-Clowns in rasender Geschwindigkeit abgeräumt.

Wie aus alten Feinden neue Freunde werden können

Vielleicht steckt in der populistischen Misere am Ende aber doch auch eine Chance. Vielleicht verringert das peinliche Auftreten der neuen Populisten den unerschütterlichen Glauben vieler an den Staat und seine Vertreter. Ja, vielleicht wird so manchem klar, dass auch Regierungschefs Menschen mit eigenen Interessen und mehr oder weniger ausgeprägten Marotten sind und keine Gemeinwohl-Engel, die aus den Regierungspalästen hinabkommen, um der einfachen Bevölkerung den rechten Weg zu weisen. Auf jeden Fall aber muss die kleine Gruppe derer, die sowohl von Steuersenkungen als auch von dem Segen einer offenen Gesellschaft überzeugt ist, die populistische Bedrohung ernst nehmen ohne sie jedoch weiter zu befeuern. Dazu gehört vor allem auch die Ehrlichkeit zu sich selbst: Ein Donald Trump ist kein Verbündeter, nur weil er Unternehmensteuern senkt. Und ein Boris Johnson ist noch kein Gesinnungsgenosse, nur weil er (zurecht) den ausufernden Bürokratismus in Brüssel kritisiert.

Und auch wenn es unerhört erscheinen mag: Vielleicht gehört zu dieser Ehrlichkeit auch die Erkenntnis, dass es Situationen gibt, in denen das vordringliche Thema Menschlichkeit und Anstand sind und nicht primär der Einkommensteuersatz. Diese Erkenntnis könnte am Ende gar alte Feinde zu neuen Verbündeten machen. Und andersherum.

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Von Kalle KappnerPromotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Die Politik wünscht Einwanderung in den Arbeitsmarkt und befürchtet gleichzeitig Einwanderung in die Sozialsysteme. Dies lässt sich eher durch Sozial- und Arbeitsmarktreformen erreichen als durch den de facto Ausschluss dieser potentiellen Einwanderer.

Was Arbeitsmarktexperten und Ökonomen seit Jahrzehnten fordern, scheint nun Realität zu werden: Anfang 2020 erhält Deutschland zum ersten Mal ein Einwanderungsgesetz. Das „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ soll den Zuzug qualifizierter Nicht-EU-Ausländer deutlich erleichtern. Zu diesem Zweck kommen zukünftig auch qualifizierte Nicht-Akademiker in den Genuss von Einwanderungsmöglichkeiten, die für Akademiker bereits bestehen. Zudem werden sie gegenüber Inländern und EU-Ausländern nicht mehr rechtlich diskriminiert.

Was der zuständige Minister Seehofer eine „historische Weichenstellung“ nennt, löst bei Experten deutlich weniger Enthusiasmus aus. Angesichts der weiterhin hohen und teils sogar neu errichteten Einwanderungshürden ist fraglich, wie viele der von der Regierung erwarteten 25.000 zusätzlichen Einwanderer pro Jahr tatsächlich kommen werden.

Der zaghafte Reformversuch offenbart die stark ausgeprägte Furcht vor Einwanderung in den Sozialstaat. Diese ist angesichts der Asylmigration der letzten Jahre nicht völlig unbegründet, doch die gezogenen Lehren sind die falschen. Statt Möglichkeiten zur Arbeitsmigration nach Deutschland weiterhin stark zu beschränken, sollten Reformen darauf abzielen, Einwanderern den erfolgreichen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern.

Erleichterungen für Ausgebildete, verschärfte Deutschanforderungen

Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz betrifft fast ausschließlich Nicht-EU-Ausländer, während sich für EU-Ausländer, deren Arbeitsmigration nach Deutschland bereits heute kaum eingeschränkt wird, keine wesentlichen Änderungen ergeben. Für geduldete Flüchtlinge wird im Rahmen des zeitgleich beschlossenen „Geordnete-Rückkehr-Gesetzes“eine langfristige „Beschäftigungsduldung“ ermöglicht, deren Kriterien allerdings nur wenige Menschen erfüllen werden.

Bisher konnten Nicht-EU-Ausländer nur als Akademiker oder Ausgebildete in behördlich ermittelten „Mangelberufen“ (etwa in der Pflege oder im IT-Bereich) ein Visum zum Antritt einer bereits zugesagten Stelle oder zu einer auf sechs Monate befristeten Arbeitsplatzsuche erhalten. Dies ist zukünftig prinzipiell allen Ausländern mit einer in Deutschland anerkannten Berufsausbildung möglich. Außerdem entfällt grundsätzlich die sogenannte „Vorrangprüfung“, die die Einstellung eines Nicht-EU-Ausländers bisher davon abhängig machte, dass kein arbeitssuchender Deutscher oder EU-Ausländer in dieselbe Stelle vermittelt werden konnte.

Hinsichtlich der Anforderungen an die Deutschkenntnisse errichtet das Gesetz allerdings neue Hürden. Zukünftig müssen einwanderungswillige Nicht-EU-Ausländer detaillierte Deutschkenntnisse vorweisen – auch Akademiker und Ausgebildete in „Mangelberufen“, die bisher keine oder geringere Sprachnachweise liefern mussten. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schätzt, dass für das regelmäßig geforderte B1-Niveau durchschnittlich 800 Lernstunden notwendig sind. Da Deutsch im Nicht-EU-Ausland nur selten als Fremdsprache erlernt wird, stellen die Sprachanforderungen eine bedeutende Hürde dar.

Hohe Hürden bleiben bestehen

Während die Gleichstellung qualifizierter Ausgebildeter und Akademiker eine wünschenswerte Liberalisierung ist, bringt das Fachkräfteeinwanderungsgesetz keine grundlegende Reform der bestehenden Gesetzesarchitektur mit sich. Die Arbeitsmarktmigration wird nur unwesentlich erleichtert.

Erstens, um Anreize zu sozialleistungsmotivierter Einwanderung zu mindern, gilt weiterhin, dass arbeitssuchende Nicht-EU-Ausländer sich während der Jobsuche vollständig selbst finanzieren müssen. Die Ausübung von Berufen, die ihrer formalen Qualifikation nicht entsprechen, ist ihnen dabei allerdings untersagt. Selbst qualifikationsadäquate Teilzeitbeschäftigung ist nur im Rahmen sogenannter „Probearbeiten“ mit maximal zehn Wochenstunden zulässig. Attraktiv ist die Einwanderung daher nur für Menschen, die die Jobsuche finanziell ohne unterstützende Gelegenheitsarbeiten überstehen und darauf setzen können, innerhalb von sechs Monaten eine ihrer Qualifikation entsprechende Beschäftigung zu finden. Der für qualifizierte Inländer und EU-Ausländer übliche Arbeitsmarkteinstieg über Einsteigerjobs oder Praktika bleibt Nicht-EU-Ausländern versagt.

Zweitens, Nicht-EU-Ausländer dürfen nur dann arbeiten, wenn sie einen Ausbildungsabschluss vorlegen, der als gleichwertig mit einem entsprechenden deutschen Abschluss anerkannt ist. Nur für bestimmte Berufe im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie können fehlende formale Qualifikationen durch berufspraktische Erfahrungen ausgeglichen werden. Von dieser Ausnahme abgesehen, ist eine Beschäftigung auf Basis einer nur teilweise anerkannten Qualifikation grundsätzlich untersagt. Auch die Nachbildung fehlender Qualifikationen ist nur unter besonderen Umständen möglich. Diese strikten Regelungen stellen unter anderem wegen der außerhalb Deutschlands kaum verbreiteten dualen Ausbildung nach Einschätzung des IAB die bedeutendste Einwanderungshürde dar.

Drittens, die durch Aussetzung des nachgelagerten Arbeitsmarktzugangs intendierte Rechts- und Planungssicherheit für Arbeitgeber und Einwanderer wird relativiert durch die Möglichkeit, „Vorrangprüfungen“ zumindest regional für Nicht-EU-Ausländer aus bestimmten Berufsgruppen oder Herkunftsländern wiedereinzuführen.

Kaum zusätzliche Fachkräfteeinwanderung zu erwarten

In Summe stellen fortbestehende und neu eingeführte Voraussetzungen beträchtliche Hürden für einwanderungswillige Nicht-EU-Ausländer dar. Diese wirken umso stärker, als individuelle Stärken und Schwächen anders als bei den im angloamerikanischen Raum verbreiteten Punktesystemen nicht aufgewogen werden: Eine höhere Qualifikation kann geringere Deutschkenntnisse nicht ausgleichen. Wie viele Menschen werden all diese Hürden gleichzeitig überspringen?

Die bisherigen Erfahrungen mit der Einwanderung von Akademikern und qualifizierten Fachkräften in „Mangelberufen“ aus dem Nicht-EU-Ausland geben wenig Anlass zu Hoffnung: 2017 sind rund 60.000 Nicht-EU-Ausländer aus Erwerbszwecken nach Deutschland eingereist, also nur 11 % aller Zuwanderer. Möglichkeiten zur Einreise zwecks Arbeitsplatzsuche werden kaum wahrgenommen. Von den insgesamt 8.655 zu diesem Zweck erteilten Aufenthaltserlaubnissen entfielen über 90 % auf Nicht-EU-Ausländer, die in Deutschland studiert haben.

Laut Wanderungsmonitor wurden von den deutschen Auslandsvertretungen in 2017 nur knapp 2.100 Visa zur Arbeitsplatzsuche erteilt. Wie das IAB in seiner Stellungnahme zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz betont, ist es angesichts des starken Zuzugs aus dem EU-Ausland zu Bildungszwecken oder zuletzt im Rahmen der Fluchtmigration unwahrscheinlich, dass die geringe Arbeitsmigration aus dem Nicht-EU-Ausland ein grundsätzliches Desinteresse am Einwanderungsziel Deutschland widerspiegelt.

Ausbleibende Zuwanderungsgewinne: Kollateralschäden der Sozialpolitik

Die zaghaften und von Einschränkungen geprägten Reformen des Einwanderungsrechts illustrieren, dass der zentrale Konflikt der deutschen Migrationspolitik weiterhin ungelöst ist: Die Politik wünscht Einwanderung in den Arbeitsmarkt und befürchtet gleichzeitig Einwanderung in die Sozialsysteme. Da grundsätzliche Reformen des Umfangs und Zugangs zu Sozialleistungen bisher ausbleiben, stehen alle einwanderungspolitischen Bemühungen unter dem Vorbehalt, möglichst nur jenen Einwanderergruppen Zugang zu gewähren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Sozialleistungen in Anspruch nehmen werden.

Langfristig attraktiver wäre es, das Risiko einer hohen Fiskallast aufgrund von Sozialleistungsbezug durch weniger qualifizierte Einwanderer nicht durch den de facto Ausschluss dieser potentiellen Einwanderer zu senken, sondern durch Sozial- und Arbeitsmarktreformen. Durch höhere Zuverdienstgrenzen statt des Mindestlohns sowie eine Lockerung des Kündigungsschutzes im Allgemeinen für alle Arbeitnehmer oder im Besonderen für eingewanderte Fachkräfte ließe sich das Risiko einer negativen Fiskalbilanz durch weniger qualifizierte Einwanderer reduzieren, ohne ihnen die Einwanderung zu verwehren.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Studio Incendo from Flickr (CC BY 2.0)

Wenn man die Diskussion in Deutschland verfolgt, hat man manchmal den Eindruck, insbesondere das wirtschaftliche, aber vielleicht sogar das politische System in China sei westlichen Demokratien und gerade unserer eigenen, überlegen. Der Aufstieg Chinas sei nur eine Frage der Zeit und der Mathematik. Die westliche Welt, Europa und auch Deutschland würden zunächst ökonomisch abgehängt und dann machtpolitisch zerquetscht.

Etwas abgeschwächt in der Frage der wirtschaftlichen Dynamik, aber dennoch großzügig geht man hierzulande auch mit Russland um. Das System Putin wird relativiert, da Russland das größte Land der Welt sei und nun mal nicht so leicht zu regieren. Daher müsse man Demokratie und Rechtsstaat und seine Durchsetzung in einem weiteren zeitlichen Horizont sehen. Für nun müsse man sich aber bitte gut mit den Russen stellen und nicht zu streng sein, weil sie doch ein wichtiger Handelspartner und ein gewisses Gegengewicht gegen die Amerikaner seien.

Der Systemwettbewerb mit Russland, aber insbesondere mit China, glauben viele Menschen, sei längst verloren, der Traum vom „Ende der Geschichte“ unter westlichen, demokratischen Vorzeichen geplatzt. Also solle man sich lieber arrangieren, statt zu provozieren. Dass dies zu voreilig und auch falsch ist, zeigen die Proteste in Hongkong und Moskau. Am vergangenen Sonntag gingen in Hongkong über eine Million Bürger auf die Straße. Das Auswärtige Amt in Berlin schreibt: „dass weite Teile der Hongkonger Bevölkerung die Gesetzesänderungen ablehnen, da sie eine damit einhergehende Erosion der Rechtsstaatlichkeit und der Autonomie Hongkongs befürchten.“ China reagiert mit Repressalien gegen Hongkong-Chinesen und droht mit einer Intervention. Und auch in Moskau geht die Polizei massiv gegen Demonstranten vor, die für die Zulassung der Opposition bei den anstehenden Kommunalwahlen demonstrieren.

Beiden Protestbewegungen ist eines gemeinsam: Ohne Rechtsstaatlichkeit kann es auf Dauer keine Demokratie geben. Und ohne Rechtsstaatlichkeit kann es auf Dauer auch keine Marktwirtschaft geben. Denn beides setzt die Gleichheit vor dem Recht voraus. Wirtschaftliche und politische Freiheit sind daher zwei Seiten derselben Medaille. Sie sind auf Dauer nicht zu trennen. Es mag vorübergehend funktionieren, dass der wachsende Wohlstand in China und in Teilen auch in Russland, die staatliche Willkür und Korruption tolerieren lässt. Auf Dauer jedoch nicht. Die Kooperation von Menschen im Wirtschaftsverkehr macht nicht beim Kauf und Verkauf von Waren und Dienstleistungen halt.

Wer eine Ware produziert oder herstellt, will dies auf möglichst gesicherter rechtsstaatlicher Basis tun. Er will auch nicht willkürlichen Repressalien ausgesetzt sein, wenn er seine Meinung äußert. Er will als Unternehmer, aber auch als Bürger nicht willkürlich enteignet oder gegängelt werden. Seinen Grund und Boden, sein Eigentum, will er selbst entwickeln und gestalten. Nicht nur das, er will dies in einem Rahmen tun, der dauerhaft, auch über Generationen hinweg, möglich ist. Und er will sich selbst entfalten in seinen religiösen, weltanschaulichen, sexuellen, ja schlichtweg individuellen Vorstellungen und Eigenarten. Das sind die dauerhaften Determinanten des Wohlstandes. Das setzt die Gleichheit vor dem Recht voraus, deren historische Wurzeln in Europa liegen. Sie sind die Grundlage des Wohlstandes des Westens und darüber hinaus.

Gerade an der Hongkonger Börse ist dies aktuell virulent und sichtbar. Die drittgrößte Börse Asiens ist ein Spiegelbild der Entwicklung. Gestern wurde spekuliert, dass der Internetgigant Alibaba seinen geplanten Börsengang über 15 Milliarden US-Dollar möglicherweise verschieben wird. Kapital ist bekanntlich „scheu wie ein Reh“.

Daher ist der Systemwettbewerb mit China und Russland zu gewinnen. Es setzt aber voraus, dass der Westen sich auf seine historischen Wurzeln der Rechtsstaatlichkeit, der Marktwirtschaft und der Individualität besinnt. Daran gilt es zu arbeiten. Die Strahlkraft dieser Ideen muss nicht nur in Hongkong und Moskau eine Flamme der Freiheit entfachen, sondern auch wieder bei uns. Wir dürfen keine falsche Vorsicht gegenüber den Mächtigen in Moskau, Peking und anderswo an den Tag legen, so wenig wie das vor dreißig Jahren Reagan oder Thatcher getan haben. Ein mutiges Bekenntnis zu den eigenen Werten ist die Voraussetzung dafür, dass sie am Leben bleiben, und ganz besonders auch ein wichtiges Signal der Solidarität mit den Protestierenden. Erinnern wir uns beim Blick nach Moskau und Hongkong an die Montagsdemonstrationen in unserem eigenen Land und daran, was solche mutigen Menschen erreichen können!

Ludwig von Mises verdanken wir die hoffnungsvollen Worte, die er vor sechzig Jahren, zu Hochzeiten des Kalten Krieges, formulierte, und die heute noch gelten dürfen:

Unsere Kultur ist nicht zum Untergang verdammt … Unsere Zivilisation wird nicht vom Geiste Moskaus erobert werden. Unsere Kultur wird und muss überleben, wenn wir an die Stelle der Ideen, die heute einen großen Teil der Welt regieren, bessere Ideen setzen. Es ist eine Aufgabe der heranwachsenden Generation, diese besseren Ideen zu entwickeln.

Photo: Alex Guillaume from Unsplash (CC 0)

Ist Fleisch in Deutschland zu billig? Braucht es deshalb hierzulande eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für Fleisch oder sogar eine Fleischsteuer? Müssen Lebensmittel generell teurer werden, damit es den Landwirten besser geht und dem Tierwohl mehr Beachtung geschenkt wird?

In der Debatte in diesem Sommer gerät einiges durcheinander. Preise bilden sich am Markt. Der Staat kann diese Preisbildung beeinflussen, aber eigentlich nur im eigenen Land. Selbst gegenüber Produzenten aus Drittstaaten beeinflussen mögliche Zölle lediglich die Preisbildung im eigenen Land, denn Zölle verteuern den Import von Waren, also auch von Fleisch. Das nun teurere Fleisch aus dem Ausland müssen die Inländer an der Ladenkasse in Bochum teurer bezahlen.

Und auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ist zwiespältig. Sie wird letztlich auch vom Endverbraucher in Deutschland bezahlt. Sie ist eine Konsumsteuer. Wer viel verbraucht, zahlt viel. Wenn „Vater Staat“ in Deutschland beispielsweise die Mehrwertsteuer auf bestimmtes Fleisch von 7 auf 19 Prozent erhöht, dann hat dies in einem globalen Markt keine Auswirkung. Der argentinische Landwirt zahlt die Mehrsteuer nicht, auch nicht der chinesische Fleischkonzern. Sie wird vom Verbraucher an der Ladenkasse in Bochum bezahlt.

Letztlich hängt es von der Nachfrage der Konsumenten ab, ob die Preiserhöhung am deutschen Markt durchsetzbar ist. Ist dies nicht der Fall, dann geht die Preiserhöhung zu Lasten der Menge. Es wird weniger verkauft, weil die Bürger weniger Fleisch essen. Das mag von den Befürwortern gewollt sein. Sozial ist das aber nicht! Denn viele Leute können sich dann Fleisch schlicht nicht mehr leisten. Nicht die Vermögenden oder die Gutverdiener leiden unter dieser Preiserhöhung, sondern Transferbezieher und Geringverdiener. Dieser Sachverhalt ist historisch nicht unbekannt. Vor 100 Jahren wurde nur an Weihnachten und Ostern in vielen Haushalten Fleisch aufgetischt. Dies nicht, weil man der Meinung war, dass zu viel Fleisch ungesund sei, sondern weil es zu teuer war. Fleisch war ein Luxusgut, das sich nur die Reichen leisten konnten. Erst die Massenproduktion und die Internationalisierung des Handels hat Fleisch auch für Geringverdiener erschwinglich gemacht. Wer also Fleisch künstlich verteuert, will letztlich wieder die Klassenbildung in der Gesellschaft erreichen.

Für den heimischen Landwirt wäre ein Drehen an der Steuerschraube ebenfalls fatal, denn es ist nicht ausgemacht, dass die Preiserhöhung an der Ladentheke vom Verbraucher akzeptiert wird. Akzeptiert er dies nicht, weil er sich dies nicht mehr leisten kann, dann geht die Nachfrage zurück. Ist dies der Fall, sinken in der Regel die Preise. Einher geht damit meist ein Rückgang der Erlöse für die Produzenten. Wollen die Landwirte ihr Einkommen dennoch sichern, dann haben sie eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Erstens können Sie ihre Fixkosten auf mehr Schweine, Hühner oder Rinder verteilen, indem sie mehr produzieren. Das erfordert Investitionen in neue Stallungen. Und zweitens könnten sie ihre Fixkosten reduzieren, das heißt also Personalkosten, Miete und Abschreibungen verringern. Beides ist schwierig. Letztlich führen beide Möglichkeiten zur Konzentration am Markt. Die kapitalintensiven Investitionen für neue Produktionsanlagen können sich eher die großen Anbieter leisten und die kleinen Landwirte verschwinden vom Markt, weil sie die notwendigen Investitionen nicht mehr stemmen, aber auch ihre Fixkosten nicht weiter reduzieren können. Letztlich würde also eine Mehrwertsteuererhöhung das Gegenteil erreichen, was die Befürworter eigentlich wollen.

Sie wollen, dass Fleisch mehr wertgeschätzt wird und die Produzenten mehr artgerechte Tierhaltung verwirklichen. Doch zur Wahrheit gehört, dass dies nicht so einfach ist. Werden die Regeln für Landwirte im eigenen Land immer weiter hochgeschraubt, verschwinden die kleineren landwirtschaftlichen Betriebe vom Markt, Großbetriebe und der Import aus anderen Ländern mit geringen Vorschriften nehmen zu. Natürlich können Gesundheitsbehörden auf Rückstände im Fleisch achten und selbst Verbote aussprechen. Und natürlich können Handelsketten auf die artgerechte Haltung von Tieren in China, Russland oder Spanien achten und Betriebe zertifizieren lassen. Dieser Nachweis mag innerhalb der EU noch einigermaßen möglich sein, doch schon in Russland darf man Zweifel hegen und auch in China ist die Durchsetzung dieser Standards schwierig.

Sollen wir also lieber alle zu Vegetariern oder Veganern werden? Vielleicht durch staatlichen Zwang? Aktuell sind Vegetarier und Veganer eine Minderheit. Der Interessenverband „proveg International“ geht davon aus, dass sich in Deutschland rund 8 Millionen Menschen vegetarisch und 1,3 Millionen Menschen vegan ernähren. Die Anzahl der vegan-vegetarisch lebenden Menschen wird weltweit auf 1 Milliarde geschätzt. Bei rund 82 Millionen in Deutschland und 7,5 Milliarden auf der Welt sind beide Gruppen eine Minderheit. Ebenso wie die Mehrheit der Minderheit nicht ihren Willen oktroyierten darf, sollte aber auch eine Minderheit ihren Willen nicht zum alleinigen Maßstab machen. Der Fleischverzehr ist heute eine soziale Errungenschaft, die nicht nur Reichen vorbehalten ist. Wer dies infrage stellt, agiert eigentlich unsozial. Zumindest stellt er seine moralischen Vorstellungen über die anderer. Schon das sollte uns zu denken geben.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: Tambako The Jaguar from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Symbolpolitik hat noch selten zur Lösung eines Problems beigetragen. Auch bei der Suche nach Antworten auf die drängende Klimafrage muss gelten: es geht darum, das Ziel zu erreichen, nicht die Überlegenheit der eigenen Rechtschaffenheit zu demonstrieren.

„Aber ich hab es doch gut gemeint!“

Seit einigen Jahren verbreitet sich die Idee des „Effektiven Altruismus“. Derzeit geistert sie noch vorwiegend in philosophischen Kreisen herum und an einigen Universitäten, doch findet man inzwischen auch in der ein oder anderen Zeitung einen Beitrag dazu. Wenn dann das Morgen-Fernsehen mal etwas dazu sendet, könnte das Konzept realistische Chancen auf einen Durchbruch haben … Eines der Hauptargumente dieser Bewegung ist das berühmte Diktum „Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut.“ Viele Hilfeleistungen, die wir in der Überzeugung gewähren, damit die Umstände von einem Menschen in Not wirklich zu verbessern, verfehlen ihr Ziel oder machen die Situation sogar noch schlimmer. Da nutzt es dann auch nichts, wenn man sich in dem erhabenen Gefühl suhlt, das „Richtige“ getan zu haben, wenn es das „Falsche“ war.

Das ist im privaten Umfeld bereits ein Problem, wird aber zu einer sehr viel größeren Herausforderung, sobald Politiker beteiligt sind. Das liegt daran, dass sie Entscheidungen treffen, die oft für ganze Länder oder gar weltweit Verbindlichkeit haben. Und es liegt daran, dass ihr Motiv bisweilen anders gelagert sein mag als der bloße naive Wille, jemandem jetzt sofort zu helfen. Allein die politischen Maßnahmen der letzten zwei Jahre in unserem Land bieten dutzende, wenn nicht gar hunderte von Beispielen dafür, wie gute gemeinte oder sich als gut gemeint ausgebende Maßnahmen ohne Effekt bleiben oder gar massive Negativeffekte hervorrufen. Man denke etwa an den Vorschlag des Bundesarbeitsministers zur Grundrente, der nicht nur Kraut und Rüben ist, sondern auch viele derjenigen schlechter stellen würde, denen er angeblich helfen wollte.

Wirksamkeit braucht Ehrlichkeit

Der Ansatz des Effektiven Altruismus bietet genau das, was die aktuelle Debatte um Klimapolitik dringend braucht: einen kühlen Kopf. So verständlich die Sorge der jungen Leute auf den Straßen ist und so erdrückend die wissenschaftlichen Erkenntnisse über den menschlichen Anteil am Klimawandel – die Antwort darf nicht Aktionismus sein. Sogar die Fridays for Future-Aktivisten schreiben auf ihrer Website: „Alle getroffenen Maßnahmen müssen unabhängigen wissenschaftlichen Kontrollen unterliegen, die ihre Wirksamkeit beurteilen.“  Wirksamkeit ist das entscheidende Stichwort, das in keiner Debatte fehlen sollte.

Das kann schnell unangenehm werden – denn Wirksamkeit setzt noch etwas voraus: Ehrlichkeit. Und wenn man ehrlich ist, dann muss man etwa die Beobachtung ernstnehmen, dass Plastiktüten in der Natur und vor allem in Gewässern zwar eine Katastrophe sind, dass ihre Öko-Bilanz aber offenbar erheblich besser ist als die von Papier- oder gar Jute-Tüten. Und auch der Getränkekarton scheint ökologischer zu sein als Flaschen, wie eine Studie gerade berechnet hat. Nach Jahren des Dauerfeuers auf den Lieblingsfeind Plastik können solche Erkenntnisse schmerzhaft sein. Ehrlicherweise muss man auch zugeben, dass der überstürzte Ausstieg aus der Kernenergie auch nicht hilfreich war bei der CO2-Reduktion. Der Ruf an die Politik, jetzt tätig zu werden, sollte immer verbunden sein mit der Forderung nach Ehrlichkeit.

Effektive Klimapolitik: zuerst denken, dann fordern

Neben der ganz basalen Überprüfung, ob ein Mittel geeignet ist, das Ziel zu erreichen, sind es vor allem drei Aspekte, die bei der Suche nach einer effektiven Klimapolitik im Vordergrund stehen müssen, um wegzukommen von der derzeitigen politischen Debatte, die gespeist wird von „am deutschen Wesen soll die Welt genesen“-Mentalitäten, die mehr der Gewissensberuhigung dient als echten Änderungen und die derzeit vor allem der Profilierung von Politikern und politischen Akteuren dient.

Priorisierung: nicht jedes Problem ist gleich wichtig

Man kann nicht gleichzeitig Versicherungsunterlagen sortieren, zum Basketball-Training gehen und die neueste Kunstausstellung besuchen. Unser ganzes Leben besteht aus Priorisierungen: wir machen zunächst das, was uns mehr Freude bereitet oder wichtiger erscheint.  In einigen Fällen ist der bestimmende Faktor sehr klar: wenn wir mit einer veritablen Bedrohung konfrontiert sind, dann hat deren Bewältigung absoluten Vorrang. Kernenergie etwa hat Risiken und Folgeschäden. Doch wenn sie dazu beitragen kann, schneller den CO2-Ausstoß zu reduzieren, sollte man darüber diskutieren können, ob sie nicht doch vorübergehend ein wichtiger Teil im Energie-Mix sein könnte. Wenn man zwischen Endlager-Problemen und Klimawandel priorisieren möchte, sollte die Antwort eigentlich klar sein …

Unbeabsichtigte Folgen: wer zahlt eigentlich?

Es wäre wohl keine schlechte Idee, bei den nächsten Maßnahmen nicht wieder ein Instrument wie die EEG-Umlage zu ersinnen, das am Ende vor allem die Altenpflegerin und den Bauarbeiter belastet. Der derzeitige Gegenentwurf – eine CO2-Steuer, die dann wieder ausgeschüttet wird an die weniger Wohlhabenden – hat auch das Zeug zu einem verkorksten Instrument, wie jedes Mittel, das gleichzeitig der Politik Verfügungsgewalt über Geldressourcen gibt. Gleichzeitig wird die Großindustrie einschließlich der Luftfahrt alles daransetzen, weiter Privilegien zu genießen. Neben den sozialen Konsequenzen gibt es aber auch noch viele andere Dinge mitzudenken, da insbesondere harte Maßnahmen wie Steuern und Verbote eine eindrückliche Vielfalt an Ausweich-Taktiken hervorbringen und mithin das Ziel konterkarieren können.

Internationale Wirksamkeit: Der Reis-Sack in Chinas ist relevant

Früher konnte der Rest der Welt einen umfallenden Reis-Sack in China getrost ignorieren. Heute sind Länder wie das Reich der Mitte, Indien, Indonesien, Brasilien und Südafrika zentrale Akteure, wenn es darum geht, den menschlichen Einfluss auf den Klimawandel zu reduzieren. Es stimmt: unter den großen Ländern der Welt, wird der Pro-Kopf-Ausstoß von CO2 in Deutschland nur von den USA, Südkorea, Russland und Japan übertroffen. Und pro Kopf stoßen die Deutschen ein Drittel mehr aus als die Chinesen. Doch in absoluten Zahlen stößt China das Dreizehnfache aus und die USA immer noch das Sechseinhalbfache. (Stand 2015) Hierzulande nimmt der Ausstoß langsam, aber kontinuierlich ab, während er in vielen Schwellenländern in Riesenschritten ansteigt: Zwischen 1980 und 2015 in China, Indien und Indonesien um das Siebenfache, in Brasilien und Südafrika um das Zweieinhalbfache. Bei einem Bevölkerungswachstum von jährlich 0,35 (China) bis 1,16 Prozent (Südafrika) kann man sich vorstellen, was uns bevorsteht.

Eine effektive Klimapolitik kann nicht anders als global zu denken. Das bedeutet aber nicht, darauf zu warten, dass die entsprechenden Regierungen irgendwann einknicken und Zwangsmaßnahmen zur Reduktion des CO2-Ausstoßes beschließen. Das bedeutet vor allem, über Methoden, Techniken und Systeme, Institutionen und Regeln nachzudenken, die für die entsprechenden Länder und deren Bürger attraktiv und nachahmenswert sein können. Exportierbare und adaptierbare Lösungsversuche für das Problem des Klimawandels müssen das wichtigste Ziel bleiben für alle, die wirklich etwas verändern wollen.