Photo: Paul Walde from Wikimedia Commons (CC 0)

Zwei Weltereignisse fielen letzte Woche aufeinander. Am 31. Oktober hatte Mario Draghi seinen letzten Arbeitstag und am Tag davor war Weltspartag. Freud und Leid liegen bekanntlich nah beieinander. So auch hier. Der Weltspartag war früher ein großes Fest. Die Kinder gingen mit Ihren Eltern oder Großeltern zur örtlichen Sparkasse oder Volksbank und gaben Ihre Spardose ab. Der Inhalt wurde auf dem Sparbuch gutgeschrieben und dazu kamen die Zinsen des Vorjahres hinzu. Anschließend gab es noch Luftballons und ein Geschenk der Bank. Sparkassen und Volksbanken banden so ihre jüngsten Kunden an ihr Haus, die Eltern oder Großeltern zeigten ihren Kindern, dass sich Sparen lohnt und die Kinder freuten sich über die Geschenke. Alle waren zufrieden.

Wer heute seinen Kindern vom Weltspartag erzählt, kommt sich vor, als ob „Opa vom Krieg erzählt“. Man berichtet über ein Ereignis, das lange zurückliegt und so abstrakt ist, dass es die Kinder irgendwann langweilt. Den wahren Sinn des Sparens erkennen die Kinder daher nicht mehr. Sie werden in den Konsum genötigt, als wäre dieser ein Selbstzweck. Doch kein Mensch, erst recht nicht eine ganze Gesellschaft, kommt dadurch zu Vermögen, indem er möglichst viel konsumiert. Wenn dies so wäre, dann würde die DDR immer noch existieren und Simbabwe wäre die Schweiz Afrikas. Nein, die Voraussetzung für Wohlstand ist im Idealfall das Sparen. Der Konsumverzicht im Jetzt schafft die Grundlage für Investitionen, die wiederum die Basis für Wachstum und Arbeitsplätze sind. Wer diesen Zusammenhang trennt, legt die Axt an unseren Wohlstand.

Mario Draghi hatte diese Axt ausgepackt. Sein letzter Arbeitstag heute sollte daher auch daran erinnern, dass er die Basis unseres Wohlstandes zerstört hat. Wenn Kinder nicht mehr sparen lernen, dann wächst eine ganze Generation heran, die die Zusammenhänge unseres Wohlstandes nicht gelernt hat. Das Wissen darüber stirbt aus. Nicht nur bei uns. Selbst in Griechenland wird der Zins zur Fata Morgana einer längst vergessenen Zeit. In dieser Woche rentierte die 3-Monats-Anleihe des griechischen Staates erstmalig im negativen Bereich. Das alles trotz einer Verschuldung von 171 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt. Früher bekamen Anleger in griechische Staatsanleihen deshalb mehr Zinsen, weil die Ausfallwahrscheinlichkeit höher war als für deutsche Staatsanleihen. Heute bezahlen Anleger in griechische Anleihen drauf, weil Griechenland so solide erscheint. So ändern sich die Zeiten. Man könnte meinen, alles werde gut.

Doch die Schuldenstände Griechenlands sind immer noch historisch hoch, trotz mindestens zweier Schuldenschnitte und Zinssubventionen der übrigen Eurostaaten. 2009, als das Elend in Griechenland sichtbar wurde, hatte das Land eine Verschuldung von 301 Milliarden Euro. Heute sind es 325 Milliarden Euro. Wenn Mario Draghi mit seiner letzten Amtshandlung den Einlagezins der Banken bei der Zentralbank von Minus 0,4 auf Minus 0,5 Prozent verschlechtert und gleichzeitig das Anleihen-Aufkaufprogramm ab November wieder mit 20 Milliarden Euro pro Monat startet, dann verschärft er seine Politik zum Ende seiner Amtszeit nochmals enorm. Er perpetuiert den Ausnahmezustand.

Die Folgen sind eindeutig. Nach einer Studie der DZ Bank haben die Sparer in Deutschland seit 2010 648 Milliarden Euro durch die Nullzinspolitik verloren. Dagegen stehen Zinsersparnisse für Kreditnehmer von 290 Milliarden Euro. Schon daran sieht man, dass dies kein Nullsummenspiel ist. Allein 2019 beträgt der Verlust 54 Milliarden Euro.

Gegen diese Politik muss die Bundesregierung Widerstand leisten. Anders als gemeinhin angenommen, könnte sie das. Zum einen dadurch, dass sie dezidierte „Falken“ in das oberste Gremium der EZB, das Direktorium, entsendet. Mit Isabel Schnabel als Nachfolgerin von Sabine Lautenschläger hat sie sich jedoch bewußt für einen anderen Weg entschieden.

Sie könnte auch auf ein Einhalten der Haushaltsregeln der EU, insbesondere der Defizitkriterien drängen, notfalls sogar vor dem Gerichtshof der EU. Und die Bundesregierung könnte die Nichteinhaltung des Fiskalvertrages in Italien und anderen Ländern auf die Tagesordnung setzen. Dieser sah vor, dass alle Staaten, die den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM ratifizieren, gleichzeitig auch eine Schuldenbremse in ihre Verfassung oder in vergleichbare Gesetze schreiben müssen. Formal ist dies geschehen, doch tatsächlich halten sich die Krisenstaaten nicht daran. Wie man den ESM noch größer und schöner machen und mit mehr Befugnissen ausstatten kann, darüber war man sich schnell im Euro-Club einig. Die Durchsetzung der anderen Seite der Medaille, der Fiskalpakt, wird ignoriert. Doch gerade diese Nivellierung der gemeinsamen Regeln ermöglichte Mario Draghi seine Politik des „whatever it takes“. Ob er seinen Enkelkindern auch noch vom Weltspartag erzählt und diese ihn dann unwissend anschauen? Wahrscheinlich nicht, er will ja zumindest bei seinen Enkelkindern in einem guten Licht erscheinen.

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick.

Photo:  Ximonic, Simo Räsänen (post-processing); Tauno Räsänen (photograph) (CCBY-SA 3.0)

Das Schwarzbuch der Steuerverschwendung zeigt wieder einmal, wie unverantwortlich Politik und Verwaltung mit fremdem Geld umgehen. Da hilft nur, dem Staat mehr Interesse entgegenzubringen – und weniger Geld.

Deutschland – Der Steuermoralweltmeister

Deutsche zahlen gerne Steuern – das bestätigte erst kürzlich wieder eine Untersuchung des „Basel Institute of Commons and Economics“ im Auftrag der Vereinten Nationen. Auf einer Skala von 1 bis 10 erreichte Deutschland eine satte 7,0 in Sachen Steuerakzeptanz. Demgegenüber stehen Länder wie Brasilien (3,4) oder Mazedonien (3,2). Angesichts der weltweit zweithöchsten Steuer- und Sozialabgabenlast von knapp 50 Prozent ist dies ein nahezu fantastischer Wert und der Traum jedes Finanzministers. Die Abgaben mögen hoch sein und beim Blick auf den Lohnsteuerauszug weh tun, aber im Endeffekt empfinden die meisten Deutschen ihre Steuerzahlung eben doch als fairen Beitrag zum Gemeinwohl. Schließlich werde damit den Armen geholfen, Straßen und Schulen gebaut und ein effizientes Gemeinwesen organisiert… Ein ganz anderes Bild zeichnet das in dieser Woche wieder veröffentlichte „Schwarzbuch“ der Steuerverschwendung des Bundes der Steuerzahler (BdSt). Es ist ein Bild von Größenwahn, Fehlplanung, verschwenderischen Bürokraten und staats-„unternehmerischer“ Unverantwortlichkeit.

Luftschlösser aus Steuergeld: Von Vogelnestern, Luxusbüros und leeren Abschiebeeinrichtungen

Das Schwarzbuch ist umfangreich, hervorragend recherchiert und bringt einen immer wieder zum Schmunzeln. Noch mehr sollte es uns aber frustrieren. Wir alle haben schließlich, mal mehr und mal weniger erfolgreich, seit unserem Kindesalter den Umgang mit Geld gelernt. Egal ob als Angestellter, Selbstständiger oder Rentner: Es ist unerlässlich, dass wir unsere Finanzen mit Weitblick, Verantwortungsbewusstsein und vor allem Überblick verwalten. An all diesen Werten mangelt es vielen Bürokraten und Politikern, die wir mit der Verwaltung und Verwendung unserer Steuern betrauen. Und diese müssen, im Gegensatz zum Bürger, die negativen Folgen in den seltensten Fällen selbst tragen.

Da investiert das Land Berlin sage und schreibe 92.500 Euro in eine goldene Vogelnest-Skulptur, um diese an einer Grundschule in dem nun wirklich nicht für seinen materiellen Überfluss bekannten Bezirk Marzahn-Hellersdorf auszustellen. Was sollte den Schülern und Eltern diese Prioritätensetzung wohl sagen? Vielleicht: „Seht her, so sieht knapp 1 Kilo Gold in Form eines Vogelnestes aus – für die Renovierung des Treppenhauses ist nun leider kein Geld mehr da.“ Zu allem Überfluss wurde das goldene Vogelnest bereits 6 Monate nach der Anschaffung aus der Schule gestohlen – teurer Sicherheitstechnik zum Trotz.

Doch das ist wahrlich nicht das einzige Beispiel von verschwenderischem Größenwahn, das der BdSt aufdeckt. So wurde kürzlich die bundeseigene „Autobahn GmbH“ gegründet, um die Verwaltung der deutschen Fernstraßen effizienter zu gestalten. In der neuen Behörde ging man dann auch sogleich auf die Suche nach einem repräsentativen Bürogebäude – und fand ein besonders schönes Exemplar im Berliner Zentrum am Leipziger Platz. Dort mietete sich die Behörde ein, vollmöbliert mit Teeküchen und Empfangsservice, für den Spottpreis von 123 Euro pro Quadratmeter. Das Entspricht einer Jahresmiete von 2 Mio. Euro oder 1.044 Euro pro Arbeitsplatz. Jedem Unternehmensgründer wird eingeschärft, die laufenden Kosten so niedrig wie möglich zu halten … Doch es hat ja auch niemand behauptet, dass der Staat ein guter Unternehmer sein. Oder doch?

Genauso häufig wie schlichter Größenwahn führen Fehlplanung und politische Inkompetenz zur Steuerverschwendung. Von den Leuchtturmprojekten, wie dem Berliner Flughafen, gar nicht zu sprechen. So richtete die Bayrische Landesregierung am Münchner Flughafen eine Abschiebeeinrichtung aus Wohncontainern für 30 Personen ein. Monatliche Warmmiete 425.000 Euro. Von August 2019 bis Juli 2019 wurden insgesamt 199 Ausreisepflichtige hier untergebracht was ca. 18 Personen pro Monat entspricht – oder eben 23.000 Euro pro Person. Vielmehr als die Suche nach einer möglichst effizienten Organisation von Hoheitsaufgaben scheinen hier Fehlplanung und politisches Kalkül am Werk gewesen zu sein. Am Ende soll einem ja niemand vorwerfen können, man hätte nichts getan. Und wenn es eben 6,8 Mio. Euro mehr kostet.

Lehre Nr. 1: Eigentlich sollte das Schwarzbuch neben jeder Wahlurne liegen

Die oft witzigen, teils unheimlich skurrilen und fast immer frustrierenden Fälle im Schwarzbuch sind vermutlich nur die Spitze des Eisbergs. Das soll nicht bedeuten, dass es nicht auch Dörfer, Kommunen und Städte gibt, in denen verantwortlich und weitsichtig mit dem Geld der Steuerzahler umgegangen wird. Allzu häufig fehlen aber Sachkompetenz und das Bewusstsein, dass man fremdes Geld verwaltet. Ein Teil dessen ist leider auch, dass sich viele Deutsche offenbar blind darauf verlassen, dass ihre Steuergelder für den guten Zweck verwendet werden. Politik und Verwaltung genießen einen vollkommen ungerechtfertigten Vertrauensvorschuss. Stattdessen sollten sich die Bürger vielmehr wie Anteilseigner einer Aktiengesellschaft verstehen. In jeder Kommune, jeder Stadt und jedem Land sollten sich die gewählten Vertreter regelmäßig einer Art Aktionärsversammlung stellen müssen und erklären, was sie mit dem Geld der Anleger bzw. der Bürger gemacht haben.

Lehre Nr. 2: Die Einnahmenseite beschränken statt der Ausgaben

Frei nach Ronald Reagan: Der Staat hat noch immer eine Verschwendung für das Geld gefunden, das er bekommt. Spätestens seitdem die aktuelle „große“ Koalition lebhaft darüber streitet, wie man denn die sprudelnden Steuermehreinnahmen in möglichst aufwändige Programme umwandeln kann, sollte uns bewusst sein, dass es ein aussichtsloses Unterfangen ist, den Staat zu disziplinieren. Das wirksamste Mittel gegen Steuerverschwendung ist es, die Gelder gar nicht erst in den öffentlichen Kassen ankommen zu lassen. Denn wer nichts hat, kann auch nichts verschwenden. Anstatt also über die Ausgestaltung von Grundrente  und Co. zu streiten und zu versuchen, noch das scheinbar Beste herauszuholen, sollten wir dafür streiten, dass das Geld gleich beim verantwortungsbewussten Bürger bleibt.

Photo: Dmitry Mashkin from Unsplash (CC 0)

Berlin will einen Mietendeckel einführen. Die dortige Stadtregierung will, je nach Baujahr der Wohnung, nur noch Mieten zwischen 6,45 und 9,80 Euro pro Quadratmeter zulassen. Nur in Gebäuden mit lediglich zwei Wohnungen darf die Mietobergrenze um 10 Prozent erhöht werden. Und bei moderner Ausstattung, gemeint sind etwa Einbauküchen und hochwertige Sanitärausstattungen, darf der Deckel um 1 Euro pro Quadratmeter angehoben werden.

Alles ist klar geregelt, selbst die Entscheidung darüber, was in Berlin „modern“ ist. Das erinnert an den real existierenden Sozialismus der DDR. Dort war eine Einbauküche wahrscheinlich auch „modern“ und ein Klo in der Wohnung sicherlich auch. So sieht man, dass die Sozialisten in ganz Berlin auch Humor haben. Sie wollen zurück in die DDR, zumindest was das Wohnen betrifft.

Wer das alles kontrollieren und administrieren soll, ist hier noch die Frage. Doch auch hier wird sich eine Lösung finden. Mitarbeiter gibt es ja in der Verwaltung genug. Die 118.000 Beschäftigten werden das schon kontrollieren. Immerhin gibt es pro Bürger fast nirgendwo in Deutschland so viele Beamte wie in der Hauptstadt, auch wenn das die Leute in den Schlangen vor den Bürgerbüros nicht immer so mitbekommen. Vielleicht hilft auch der eine oder andere Mieter und zeigt den bösen Vermieter an.

Zwar kann die Regierung und das Parlament im Land Berlin vieles beschließen, selbst diesen Unsinn. Dennoch kann man nur hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht dies verhindert. Denn dieser enteignungsgleiche Eingriff greift sehr grundsätzlich in die Vertragsfreiheit und das Eigentum ein. Er zerstört das Vertrauen in den demokratischen Rechtsstaat, weil die Regierung höchst willkürlich über die Mobilität der Bevölkerung entscheidet.

Der nächste Schritt wird die Wohnungszuteilung sein. Wenn der Wohnungsmarkt, dessen staatliche Preise unter den Marktpreisen liegen, nicht mehr offiziell funktioniert, muss gehandelt werden! Vielleicht entscheidet sich der Senat dann dafür, öffentlich geförderte Wohnungen bevorzugt an Verheiratete oder treue Parteisoldaten zu vermieten. Das gab es doch schon mal? Wie lange ist das her – 30 Jahre, oder war es doch länger…?

Doch auch hier wie damals gilt: im Sozialismus Berliner Prägung geht die Marktwirtschaft nicht unter, sie findet nur woanders und anders statt. Wer eine Wohnung vermieten will, nimmt dann vielleicht ein Handgeld – möglichst bar. Es funktioniert dann wie ein Agio, also eine vorab zu zahlendes Aufgeld, das die Differenz zwischen der Nominalmiete und der Marktmiete für den Mietzeitraum erfasst. Ob dies dann in der Steuererklärung als Mieteinkünfte angegeben wird – wer weiß?

Oder die Tauschwirtschaft erlebt neue Blüten. Oma Erna zieht in die Studentenwohnung ihrer Enkelin und diese übernimmt mit ihrer jungen Familie die Wohnung der Großmutter. Man sieht: der Mietendeckel lässt die Familie wieder enger zusammenrücken.

Die Wohnungsknappheit wird dadurch nicht beseitigt. Doch gerade das hilft der Politik. Sie will ja Probleme lösen. Und wenn diese nicht groß genug sind, dann werden sie groß gemacht. Dann kann der Senat erneut intervenieren und Gutes tun. So war es ja auch mit dem Verkauf der 6.000 ehemals kommunalen Wohnungen, die vor wenigen Wochen wieder für 920 Millionen Euro zurückgekauft wurden. Der Teil des Rückkaufes stammt aus dem Jahr 2004, als der Berliner Senat 65.000 Wohnung für 2 Milliarden Euro verkaufte, um seinen Schuldenstand zu reduzieren. Die kurze Überschlagsrechnung lässt ahnen, dass der aktuelle Deal kein gutes Geschäft für den Steuerzahler war. Und ohne Überschlagsrechnung ist ebenso klar, dass durch dieses Husarenstück keine einzige Wohnung zusätzlich entstanden ist. Jetzt wurde sogar mitgeteilt, dass die Wohnungen asbestbelastet sind. Dümmer geht es nicht!

Diese Politik muss man sich leisten können. Berlin kann es offenbar. Es bezahlen jedoch die anderen. Im Länderfinanzausgleich wurden im vergangenen Jahr 11,45 Mrd. Euro umverteilt. Größtes Empfängerland war Berlin mit 4,4 Milliarden Euro. Bei rund 30 Milliarden Euro Haushaltsvolumen sind das fast 15 Prozent. Soviel Zuwendung ist immer nicht gut – mehr Haftung und mehr Verantwortung wären eigentlich notwendig.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: European Parliament from Flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

Lieber Herr Draghi,

gestern haben Sie Ihre letzte Pressekonferenz als EZB-Präsident gehalten und Ende dieses Monats gehen Sie nach einem langen Berufsleben in den Ruhestand. Dafür wünsche ich Ihnen Ruhe und vor allem Gesundheit, damit Sie Ihren Lebensabend genießen können.

Erlauben Sie mir, diese Gelegenheit zu nutzen, mich selbst einmal zu hinterfragen, ob jede Formulierung passend war, die ich über Sie in den letzten acht Jahren gewählt habe. Sicherlich war es etwas zugespitzt formuliert, als ich im Juni 2012 einmal über Sie sagte: „Draghi ist aber kein Retter, sondern ein Plünderer des Spargroschens der Bürger.“ Oder als ich im September 2013 im Handelsblatt formulierte: „Eigentlich macht sich Draghi der Amtshaftung schuldig und müsste dafür belangt werden.“ Natürlich war mir bewusst, dass die Mitglieder des EZB-Direktoriums für nichts haftbar gemacht werden können.

Im Dezember 2014 habe ich sogar einmal ein Weihnachtslied auf Sie gedichtet. „Wenn Mario druckt, dann träumt er gern, jetzt bring ich den Wohlstand nah und fern“, hieß es dort in einer Zeile. Gut, der Reim passte nicht immer, aber lustig war es. Und ebenfalls im Handelsblatt habe ich Sie einmal als Brandstifter bezeichnet, der immer neues Öl ins Feuer gießt. Auch das war hart. Bestimmt habe ich dabei an das grandiose Buch von Max Frisch „Biedermann und die Brandstifter“ gedacht, als Biedermann zum Brandstifter Schmitz sagt: „Sind Sie eigentlich wahnsinnig? Mein ganzer Dachboden voll Benzin.“ Und Brandstifter Schmitz darauf antwortet: „Drum, Herr Biedermann, rauchen wir auch nicht.“ Jetzt weiß ich nicht, ob Sie abends einmal eine Zigarre rauchen. Aber wahrscheinlich rauchen Sie, wie Herr Schmitz, auch nicht im Dienst …

Sie haben Ihr Haus bestellt. Die Ankündigung erneuter Anleihenkäufe ab November bindet ihre Nachfolgerin Christine Lagarde auf Jahre, und die Negativverzinsung bleibt dann wohl auch. Für die Sparer bleibt es schwierig, ihr Geld anzulegen. Ihnen droht ja zum Glück keine Altersarmut. Doch auch in Ihrer Situation kann es sinnvoll sein, die eigenen Finanzen neu zu sortieren. In Ihrer Zeit als EZB-Präsident hatten Sie sicherlich keine Zeit dazu. Daher lassen Sie mich Ihnen, quasi als Wiedergutmachung meiner unflätigen Wortwahl der Vergangenheit, einige Anlagetipps für Ihre Ruhestandsplanung geben:

Vermeiden Sie Staatsanleihen. Die Null- und Negativzinspolitik wird noch lange anhalten. Seien Sie daher vorsichtig, insbesondere bei italienischen Staatsanleihen. Italiens Staatsverschuldung war noch nie so hoch. Passen Sie auch auf, wenn Sie zu viel in Immobilien investiert sind. Einen Mietendeckel gibt es bald nicht nur in Berlin, sondern vielleicht auch anderswo. Selbst Enteignungen werden inzwischen diskutiert. Immobilien sind dafür anfällig. Das Wort Immobilie sagt ja schon, dass diese nicht besonders leicht versetzbar ist. Grundsätzlich sind Investitionen in Vermögensgüter in dieser Situation natürlich sinnvoll. Doch Vorsicht: Meiden Sie Bankaktien! Viele faule Kredite schlummern immer noch in den Bankbilanzen in Italien, Griechenland und Portugal.

Ein besonders wertvoller Insider-Tipp zum Schluss: Setzen Sie auf private Währungen, wie Bitcoin, Etherium und Co. Der Geldwettbewerb und die Blockchain-Technologie sind nicht mehr aufzuhalten. Trauen Sie sich. Jetzt dürfen Sie das!

Mit freundlichen Grüßen

Frank Schäffler

Photo: patricia m from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Paternalismus ist in demokratischen Staaten nicht unbedingt ein Instrument der Obrigkeit, um die Untertanen zu kontrollieren, sondern oft freiwillig gewählte Selbstbeschränkung. Dieses Phänomen ist mitunter gefährlicher für die Freiheit als der Versuch, eine Gesellschaft von oben zu ordnen.

Verbraucherschutz als PR-Gag

Nestlé hat schon im Juni beschlossen, dass sie mit dem System Nutri-Score eine Kennzeichnung ihrer Lebensmittel einführen werden, die es Verbrauchern auf einen raschen Blick ermöglicht, festzustellen, welchen Wert das Produkt für ihre Ernährung hat. Jetzt hat auch Ministerin Julia Klöckner den Weg frei gemacht für eine Verordnung, die das System in Deutschland einführen soll. Weder der Ernährungsgigant aus der Schweiz noch die konservative Politikerin haben aus Überzeugung gehandelt, sondern als Reaktion auf eine zumindest lautstarke Nachfrage. Für ein Unternehmen kann es sich lohnen, auf einen gewissen Lifestyle einzugehen, wie man derzeit eindrucksvoll an Philipp Morris‘ „Rauchfrei“-Kampagne sehen kann. Wenn demnächst auf den Kitkat-Riegeln oder der Thomy Mayonnaise ein dunkeloranges oder rotes Zeichen prangt, signalisiert das dem Käufer, dass diese fettigen oder süßen Lebensmittel immerhin ehrlich gekennzeichnet wurden und damit womöglich gesünder sind als vergleichbare Produkte anderer Hersteller. Ein geschickter Marketing-Schachzug.

Während Lebensmittelhersteller den Nutri-Score als PR-Tool nutzen, entspringt die überraschende Begeisterung der Ministerin für ein Projekt, wogegen sie sich lange gewehrt hatte, einer anderen Motivation: Der Druck ist bis zu einem Grad gewachsen, wo es politisch gefährlich wurde. Seit langem lobbyieren Verbraucherverbände und Organisationen wie Foodwatch für eine verbindliche Kennzeichnung durch Instrumente wie die Lebensmittel-Ampel. Mit jeder Statistik zu Diabetes-Häufigkeit und an jedem Weltgesundheitstag findet sich die Forderung auf der Facebook-Seite der Tagesschau und im Leitartikel der Süddeutschen Zeitung. Kein Wunder, dass immer mehr Bürger das Bedürfnis haben, ihren Ernährungsverkehr mit Ampeln zu regeln. Wollte Klöckner nicht als diejenige dastehen, die unsere Kinder dick macht und Schlaganfälle in Kauf nimmt, musste sie irgendwann handeln.

Die Nachfrage bestimmt das Angebot

Der entscheidende Punkt bei diesen Beispielen ist: Weder Nestlé noch Klöckner kann man nachsagen, dass sie getrieben seien von der Idee, diese Welt durch Bevormundung besser machen zu wollen. Sie sind keine missionarischen Weltverbesserer. Sie bedienen nur die Nachfrage. Diese Nachfrage ist etwas diffus. An vorderster Front stehen diejenigen, die tatsächlich die Vorstellung haben, durch paternalistische Maßnahmen eine „brave new world“ erschaffen zu können oder gar zu müssen; die Gesellschaftsplaner und Kämpfer gegen die Kommerzinteressen kapitalistischer Konzerne. Diese Gruppe ist sehr laut und kann sich darauf verlassen, im medialen Umfeld schnell Verstärker zu finden. Dieses meist aus Intellektuellen bestehende Milieu beansprucht für sich Teilhabe am Amt der Philosophenkönige. Es macht genug Wirbel, um bei Politikern, aber auch beim Rest der Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, eine unparteiische, sachkundige Perspektive zu vertreten und zugleich für die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung zu sprechen.

Die zweite Nachfrage-Gruppe sind „besorgte Bürger“, die sich verunsichert fühlen: Verunsichert durch die vielen Unkenrufe über arglistige Profit-Geier, über Krankmacher und Gene. Verunsichert aber auch durch eine vielfältigere und komplexere Welt im Allgemeinen, die sie nicht als Chance begreifen, sondern als Bedrohung. Diese besorgten Bürger rufen nach dem paternalistischen Staat für sich und für andere, weil sie sich danach sehnen, dass endlich wieder die guten Kräfte das Ruder übernehmen und sie zurückführen in den paradiesischen Naturzustand, wo alle das Richtige tun. Und dann gibt es auch noch die stille Nachfrage. Das sind sehr viele unserer Mitbürger, vielleicht auch wir selbst. Man läuft nicht vor dem Brandenburger Tor auf und ab mit dem Schlachtruf „Ampel jetzt!“, aber wenn man beim Feierabendbier mit Kolleginnen oder am Telefon vom Forsa-Mitarbeiter gefragt wird, dann antwortet man doch oft spontan mit Ja. Es ist bequem. Hand aufs Herz: Wie oft schaut man denn wirklich hinten auf die Nährwerttabelle und überlegt sich das ganze nochmal, ehe der Paprika-Chip in den Mund wandert und den Damm bricht zum Verzehr der gesamten 200 Gramm-Packung?

„Die Gedanken sind falsch, wer kann sie mir richten?“

Nun könnte man argumentieren, dass ein solcher Bottom-Up-Paternalismus ja nichts Schlechtes sei. Und dass die Welt auch wirklich ein besserer Ort wäre, wenn Übergewicht und Fehlernährung ausgerottet würden wie einst Pocken, Polio und Pest. – Lassen wir einmal die Frage beiseite, welche Kriterien denn wirklich objektiv bestimmen können, welche Ernährungsform richtig sein soll. Von Low Carb über Paleo bis zum Veganismus reichen die wissenschaftlich fundierten Trends: eine respektable Bandbreite, die erfahrungsgemäß in den nächsten Jahren eher noch breiter wird. – Es gibt ein grundsätzliches Problem mit dieser Form der Selbstbindung:

Nicht jede freiwillig eingegangene Bindung ist dazu angetan, den Menschen prinzipiell in seiner Freiheit zu belassen. Beziehungen, Religionszugehörigkeit, Arbeitsstelle – die Bereiche, in denen Menschen freiwillig Selbstbestimmung aufgeben und sich in ungute Abhängigkeiten begeben, sind mannigfaltig. Unfreiheiten, die von außen kommen, haben häufig das Potential, einen starken Freiheitsdrang in den Menschen hervorzurufen – man denke nur an die Revolution von 1989. Dagegen gestaltet sich das bei freiwillig eingegangen Abhängigkeiten oft sehr schwieriger. Während der eingekerkerte Freiheitskämpfer im napoleonischen Gefängnis noch anstimmen konnte „Die Gedanken sind frei“, kann der Ruf nach paternalistischen Maßnahmen von Unternehmen und Politik wie ein Hohn auf diese Freiheitssehnsucht klingen: „Die Gedanken sind falsch, wer kann sie mir richten?“

Ein gelungenes Leben braucht Selbstverantwortung

Ja, das Leben ist voller Herausforderungen. Wir machen Fehler, überschätzen uns, müssen Entscheidungen bereuen, sind nachlässig, faul, inkonsequent … Aber zum Kern unserer Würde als Menschen gehört, dass wir uns diesen Herausforderungen stellen und auch bereitwillig die Verantwortung übernehmen. Das ist das natürliche Verlangen jedes kleinen Kindes. Und es sind die Worte des wunderbaren Liedes „My way“ von Frank Sinatra: „Yes, there were times, I‘m sure you knew, when I bit off more than I could chew, but through it all when there was doubt, I ate it up and spit it out, I faced it all and I stood tall and did it my way.“

Wir dürfen uns nicht freiwillig an die Fäden hängen lassen und zu Hampelmännern machen lassen, indem wir versuchen, die Welt um uns überschaubar zu machen. Der Preis eines gesunden Lebens darf nicht unsere individuelle Freiheit sein. Vielmehr müssen wir uns bemühen, durch Bildung und Aufklärung daran zu arbeiten, dass wir und unsere Mitmenschen ganz ohne Ampeln und vorgekaute Anweisungen ein Leben führen können, das für uns und unsere Mitmenschen gut ist und uns glücklich macht. Dazu gehören womöglich auch zwei mehr Schokoriegel als gesund wären. Dazu gehört aber ganz besonders und vor allem anderen das Glück, das uns daraus erwächst, dass wir unser Leben in die eigene Hand genommen haben und nicht in Unfreiheit gelebt haben – auch nicht freiwillig …